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Der eiserne Rhein Auf zum Hafen von Antwerpen.

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Von Bruchsal nahm die Auswanderergruppe den Zug nach Mannheim. Jetzt waren sie gut ausgestattet und konnten sich einen Zwischenstopp in der alten Universitätsstadt an Neckar leisten.

Einige Tage Heidelberg, das konnte gefallen.

Es war bald wie in München, überall trafen sie auf Künstler und Studenten.

Max, wieder mal in seinem Element, suchte Gemälde mit Eisenbahnmotiven weniger bekannter Impressionisten.

Hans hatte den Pinsel aus der Hand gelegt und überlegte, ob er etwas ganz Neues anzufangen solle. Vielleicht könne er in Amerika die Salons von Fabrikanten und Bankiers gestalten. Oder sollte er sogar noch studieren und Architekt werden?

Und Franz, er genoss ganz einfach Heidelberg und das Treiben rund um die Universität.

"Wo kommst du den her?"

War dieser Student verwandt mit dem k.k. Eisenbahnbeamten? Das gleiche runde Gesicht, die gleiche Nickelbrille. Irgendwie erinnerte dieser junge Studiosus Franz an Heiner Huber aus Jenbach.

"Aus Emmendingen."

Nein das konnte kein Tiroler sein, das ist schon ein anderes Dialekt. August Friedrich, angehender Verwaltungsfachmann war wohl Anfang 20.

"Aus Emmendingen", und da er davon ausging, das der Österreicher nicht wusste, wo das lag.

"Das ist ein nördlicher Nachbarort von Freiburg im Breisgau."

So genau wollten es die Freunde gar nicht wissen, aber nun hatten sie einen belesenen Reiseführer gefunden.

Einen Badenser. Nein ins Württembergische, dahin könnte ihn selbst ein preußischer Major mit aufgepflanztem Baronet zum Dienst nicht zwingen.

"Ihr seit Maler? Da müsst Ihr unbedingt ins Rathaus."

Und ohne viel zu fragen, schleppte er die drei ungefähr gleichaltrigen Besucher in den Neuen Saal und zeigte ihnen das Bild des Historienmalers Lindenschmit mit dem Motiv der Übergabe der Universitätsstatuten durch den Kurfürsten Ottheinrich von der Pfalz. Dann hatte er auch noch die ersten Sätze der Gründungsurkunde von Dezember 1558 parat.

"Wir Ottheinrich von gotts gnaden pfatzgrave bei Rhein ... "

Hans und Max amüsierten sich über die alte Schreibweise des Textes. Auch Franz stimmte mit ins Gelächter ein, wurde auf einmal ernst und sagte mit der Miene eines Professors.

"So schreiben und sprechen wir im Zillertal immer noch."

"Historie gut und schön, aber wo sind die Kneipen und die Gasthäuser?"

Endlich waren sie da angekommen, wo sie von Anfang an hin wollten, in die Altstadt und zum Gasthaus Zum Ritter, dem einzigen noch erhaltenen Renaissancehaus, nur 34 Jahre jünger als das Dokument aus der Universität.

August Friedrich wollte den Touristen dann noch die simultane Stifts- und Heiligkeitskirche zeigen. Aber selbst der bestimmende Ton des Badener Beamtenanwärters konnte die Drei nicht mehr überzeugen, sich die klagende Trennmauer zwischen Protestanten und Katholiken anzusehen.

"Das ist unsere neue Sprache."

Franz hatte am Nebentisch eine Gruppe von sechs Ausländern ausgemacht. Sie unterhielten sich in einer Sprache, die weder in Deutschland noch im Vielsprachenstaat Österreich gesprochen wurde. Es war auch kein Französisch, das man schon ab und in München, in Stuttgart und auch hier in der Rheinschiene hörte. Auch kein Italienisch, das er schon mal in Innsbruck aufgeschnappt hatte.

Englisch konnte er noch nicht, aber bald werden sie diese Sprache lernen müssen. Engländer in Deutschland, vielleicht verstehen sie doch unsere Sprache.

"Ihr kommt aus London, oder vielleicht aus New York?"

"Yes."

Heidelberg stand in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien hoch im Kurs.

Tatsächlich kamen Jim und Fred aus den USA. Ihre Eltern hatten deutsch Wurzeln und die beiden studierten heuer in Heidelberg an der vor wenigen Jahren eröffneten naturwissenschaftlich-mathematischen Sektion.

Die vier Engländer hatten nur einige Gastlesungen gebucht. Sie waren da mehr an einem Semester Urlaub in Süddeutschland und der Schweiz interessiert.

Das war doch was. Jetzt könnten sie erste Erfahrungen über ihr neue Heimat sammeln. Tatsächlich notierte sich Max die Anschriften von Jim und Fred. So bekamen sie die ersten Kontaktadressen aus der neuen Welt.

Die Engländer hatten was anderes im Kopf.

"Habt ihr schon von Arsenal und Fulham gehört."

"No" die ersten Worte einer Fremdsprache lernt man schnell.

Nicht alle der vier Engländer kamen aus der britischen Hauptstadt.

"Oder von Newton Heath und ManU,"

"Aston Villa,"

"FC Everton,"

Peter aus London konnte da noch nachlegen:

"Tottenham Hotspur" und ganz triumphierend.

"Ich bin Stürmer bei den Christchurch Rangers in Queen´s Park."

Jetzt war Fußball angesagt.

Für August Friedrich blieb nur noch, dass er sein Wissen ausspielte.

Leicht säuerlich konterte er:

"Schon vor zwei Jahre hat eine Auswahl aus dem Großherzogtum Baden hier in Heidelberg gegen eine Mannschaft aus Frankfurt gespielt."

"Dann haben wir ja ein Platz, wo wir im Duell einer Auswahl aus England und Amerika gegen Deutschland/Österreich spielen können."

Hätte er doch geschwiegen und nichts gesagt.

Jetzt saß er wieder alleine da und die Übrigen organisierten ein improvisiertes Länderspiel. Schnell waren an den Nachbartischen weitere Sportshungrige gefunden und beide Teams erreichten eine ausreichende Mannschaftsstärke.

Max, der nicht nur ein Gespür für Geschäfte hatte, sondern auch für politische und kriegerische Stimmungen, kommentierte dann nur noch:

"Wenn die Länder nur alle ihre Machtposen bei einem Fußballspiel abtrainieren würden."

Wie erwartet gewannen die Engländer. Aber das Ergebnis war nicht das wichtigste, wichtig war, dass man sich näher gekommen war. Und für die Drei war die Neue Welt ja eh das Ziel.

Weiter ging es nach Mannheim. Hier sah Franz zum ersten Mal den Rhein, den Fluss, von dem er schon so viel hatte erzählen hören.

Über den Rhein mit dem Zug über die Eisenbahnbrücke nach Ludwigshafen. Sie waren mal wieder in einem anderen deutschen Land, jetzt sogar wieder für kurze Zeit in Bayern. Hans und Max war das aber schon egal. Bald wollten sie Amerikaner sein und hatten sich auch schon im Konsulat in Mannheim weiter schlaugemacht.

Mit Worms waren sie dann auch schon im Großherzogtum Hessen.

In Mainz, der alten und ehrwürdigen Domstadt, gäbe es sicherlich eine gute Brotzeit mit Schinken und einem gutes Glas Wein.

Doch eine innere Unruhe hatte sie erfasst.

Irgendwie war es ihnen nicht mehr danach, in Muße die Reise bis zum Seehafen zu genießen. Sie wollten so schnell wie möglich nach Antwerpen. Schon mit dem nächsten Zug verließen sie Mainz in Richtung Bingen.

Bingen, sie waren in der preußischen Rheinprovinz angekommen.

Bingen, Koblenz, Köln, wie schön war es doch am Rhein, mit all seinen Burgen und Ruinen.

In zehn oder zwanzig Jahre, wenn er sein Glück in der neuen Welt gemacht hatte, würde er die gleiche Strecke wieder zurück in die Tiroler Heimat fahren. Beim Anblick der Ufer und des dahin strömenden Rheins konnte man schon ins Träumen kommen und sich so manche Zukunft ausmalen.

In der Umgebung von Koblenz wurde es heftiger und geschäftiger. Uniformen und Livree Träger bahnten sich ihren Weg durch den Zug.

Die Kanonenbahn von Berlin nach Metz ins Reichsland Elsass-Lotringen kreuzte beim Knotenpunkt Koblenz oder, wie man damals auch noch schreiben konnte, Coblenz die Eisenbahnen, die links und rechts den Rhein entlang führten.

Die Militärs aus Berlin hatten hier, neben der Zivilverwaltung für ihre Rheinprovinz, ihr Generalkommando des VIII Armeekorps und auch so manche andere Brigade und Artillerie Depot eingerichtet.

Es ergab sich die eine oder andere Begegnung und ein kurzes Gespräch mit militärischen Würdenträgern, ihren Burschen und Bediensteten. Und sie kamen in Kontakt mit Mannschaften in Truppentransporten. Transporte, die ein Marschbefehl bewegte.

"So, Sie kommen aus München und Österreich? Wollen Sie hier im Rheinland Geschäfte machen?"

Viel hatten sie den Herren Offizieren nicht mehr zu bieten, und so blieb alles bei leeren Floskeln.

Aus dem Stegreif erfanden sie Geschichten über den Grund ihrer Reise, meist war es der Besuch von Verwandten in Köln, nie sprachen sie über ihre wirklichen Ziele.

Nur flüchtige Begegnungen, bei denen keine der beiden Seiten von der anderen wirklich etwas erfahren oder lernen wollte.

Einzige Ausnahme machte da der junge Leutnant Ferdinand von Wagenow. Er hatte ein Platz im gleichen Abteil und teilte mit ihnen die Reise von Koblenz und Bonn. Wagenow, Spross einer alten, wohlhabenden und einflussreichen märkischen Aristokratenfamilie war begeisterter Bergsteiger.

Als er dann auch noch hörte, dass Franz aus dem Zillertal war, begann er direkt von der Berliner Hütte zu reden.

Eine Wanderung auf dem Hauptkamm der Zillertaler Alpen, schon alleine beim Gedanken daran, begannen seine Augen freudig zu leuchten.

Franz unterdrückte die Erfahrungen, die er im Hochgebirge mit diesen schneidigen sportlichen Flachländern gemacht hatte.

Wagenow schien ein angenehmer Typ zu sein, und, so begann Franz, ihm einige Tipps mit auf dem Weg zu gehen. Die Bergwelt ist zwar wunderschön, aber keineswegs zu unterschätzen. Sie zu begehen, besonders im Hochgebirge, bedingt eine optimale Ausrüstung, eine solide Erfahrung, eine positive innere Einstellung und in jedem Fall ortskundige Begleiter.

Wagenow nahm das alles dankbar und fleißig auf, versuchte sich eine Tour auszumalen und stellte Franz unzählige Fragen. Beinahe hätte er seinen Ausstieg in Bonn verpasst.

"Gebt mir eure Adressen, ich besuche dich garantiert im Mayrhofen."

Zum Glück setzte sich der Zug bereits in Bewegung, so brauchte Franz seine nun wohl nicht mehr gültige Heimatadresse preiszugeben.

"Vielleicht werden die Alpen auch für euch Bergbewohner ein gutes Geschäft", sinnierte Max.

Natürlich hatte sich Franz bereits über den Bergtourismus seine Gedanken gemacht.

"Dazu fehlt die Zugverbindung von Jenbach und, wie du siehst, haben wir nur einen Interessenten auf der ganzen Reise gefunden. Leisten könnten sich das eh nur die hohen Offiziere und das reiche Bürgertum. Und die fahren mit ihren Frauen an die Ostsee."

"Erst wenn auch die Ehefrauen mit in die Berge wollen, klingelt die Kasse. Jetzt ist es nur eine Handvoll, von der können die Bergbauern im Zillertal keine Woche leben."

Köln, der neue Hauptbahnhof, die Dombrücke und der Kölner Dom. Die Preußen und die Kölner hatten sich mächtig ins Zeug gelegt und seit nun fünfzehn Jahre zierten die zwei mächtigen Türme den alten ehrwürdigen Dom.

Auch Bismark war nicht untätig geblieben.

Eigentlich hatte die RhE, die Rheinische Eisenbahn-Gesellschaft, die ja den alten Centralbahnhof gebaut hatte, wirklich kaum Interesse daran gehabt, in ihren Gemäuern die Konkurrenz der CME, der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft, die ja schon mit der Dombrücke eine Anbindung geschafft hatte, durch eine Erweiterung oder sogar einem Neubau eines Hauptbahnhofs, mehr Platz einzuräumen.

Aber Bismark ließ 1880 die privaten preußischen Bahnen kurzerhand verstaatlichen und löste so die Konkurrenzsituation. Erst seit Kurzem hatte man den neuen Hauptbahnhof fertiggestellt.

Die wenigen Schritte vom Hauptbahnhof.

Staunend liefen die drei Freunde durch die Innenschiffe des mächtigen Doms und beschlossen, sich doch noch zwei Tage Köln Visite zu leisten.

Dann aber weiter nach Neuss und von dort übers Land nach Rheydt. Eine letzte Wanderung durch deutsches Gebiet. Vielleicht 20 Kilometer von Neuss nach Rheydt.

Die letzten Bilder und Gemälde wollten sie so noch bei Landwirten und Gutsbesitzern im Rheinland an den Mann bringen.

Ab Rheydt ging es zur nächsten, zur letzten Zugfahrt dieser Odyssee mit dem Ziel Neue Welt.

Die Strecke Rheydt-Antwerpen war eine Eisenbahnstrecke, die eine ganze Reihe Väter und Beteiligte kannte und so auch viele Namen trug.

Die deutschen nannten sie "Eiserner Rhein", die Engländer "Iron Rhine" oder "Steel Rhine", die Holländer und niederländisch sprechenden Belgier "IJzeren Rijn" und die Franzosen und französisch sprechenden Belgier " Rhin d'acier ".

Es war ein Politikum gewesen, diese 123 Kilometer lange Trasse von Deutschland nach Belgien mit einer kurzen Strecke durch Holland. Thema großer internationaler Konferenzen und kein unwesentlicher Bestandteil des Treaty of London von 1839, einem Dokument, das sogar die russische und österreichische Diplomatie beschäftigt hatte.

Das Reichsnährstandsgesetz

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