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Die Traumentstellung

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Die Traumentstellung

(Zwei Träume vom Nachlaufen. Mein politischer Bismarcktraum.

Der Traum der prächtigen Villa. Der Traum vom Zuckerbäcker.)

„Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn

wird ihm im Traume aufgetan.“ Richard Wagner

Wir haben an zahlreichen Beispielen gesehen, dass der Traum eine symbolische Sprache spricht, dass mit der Auflösung der Symbolismen eine teilweise Erklärung des Traumes möglich ist. Ich betone es noch einmal: nur eine teilweise Erklärung, weil außer den Symbolismen noch verschiedene Vorgänge der Traumentstellung eine Rolle spielen, die ich hier erwähnen muss. Eine der wichtigsten Formen der Traumentstellung ist die Verkehrung in das Gegenteil. Dies ist schon den ältesten Traumdeutern bekannt gewesen, und auch vom Volke in ähnlicher Weise aufgefasst worden. Träumte einer vom Tod, so weissagte das ägyptische Traumbuch Geburt; erlebte jemand im Traume ein großes Unglück, so hatte das nach Ansicht der alten Traumdeuter ein großes Glück zu bedeuten. Über diese Auslegungen des Volkes haben sich manche Gelehrte lustig gemacht; es scheint aber, dass, wie Freud sehr treffend bemerkt, das Volksbewusstsein der Wahrheit viel näher gekommen ist als die Weisheit der Gelehrten. Eine ganze Reihe von Träumen wird nur dadurch zu deuten sein, dass wir das Prinzip der Verkehrung ins Gegenteil anwenden. „Kot bedeutet Gold. Gold und Kot sind Gegensätze, daher sich das Teufelsgeld der Sage nach in Dreck verwandeln muss. Eine Eigentümlichkeit des Traumes ist es aber gerade, Gegenteil für Gegenteil zu setzen. So bedeutet es Krankheit, wenn man jemand geputzt sieht, Zank, wenn man sich lieb hat und so ist lebhafte sinnliche Freude im Traume nicht selten eine Vorbotin von Schmerzen: Vae tibi ridenti, quia mox post gaudia flebis.“ (Kleinpaul — Sprache ohne Worte.)

Das lehrreichste Beispiel, das mir je untergekommen ist, will ich gleich mitteilen. Eine Dame sagte mir: Träume sind Unsinn. Es ist schon das vierte Mal, dass ich folgenden lächerlichen Traum geträumt habe:

(27.) „Eine kleine, alte, hässliche Frau läuft mir um den Tisch herum nach; ich habe Angst und wache mit Schrecken auf.“

Die Deutung war sehr einfach. Übersetzen wir die kleine, alte, hässliche Frau in das Gegenteil, so ein großer, junger, schöner Mann um den Tisch herum nachgelaufen ist, ein Vorgang, der natürlich einen Wunsch dieser üppigen mit einem sehr schwachen, zarten Manne verheirateten Dame darstellt, einen Wunsch, der durch Verdrängung zu Angst geworden ist. Die Fortsetzung des Traumes fällt der Dame erst nach meiner Deutung ein und gibt uns eine Bestätigung unserer Erklärung. Die bewusste alte Frau des Traumes reißt der Dame die Bluse auf und will ihr die Hand zwischen den Busen hineinstecken, ein Vorgang, der für die alte Frau vollends unverständlich, für den jungen Mann in dieser Situation, die eine Vergewaltigungsphantasie darstellt, begreiflich ist. Andererseits können wir auch annehmen, dass der Vorgang als solcher auch umgekehrt ist, dass sie mit dem Wunsche kämpft, einem großen Manne nachzulaufen; freilich wäre da das Ende unerklärlich. Wozu sollte sie denn dem großen Manne die Weste öffnen. Da lernen wir wieder ein Phänomen des Traumes kennen, welches „Verlegung von unten nach oben“ heißt. In vielen Träumen spielt sich alles, was sich unten abspielen soll, oben ab und auch umgekehrt. Das ist eine außerordentlich häufige Form der Traumentstellung, ein Vorgang übrigens, der auch in der Symptomatologie der Neurosen eine große Rolle spielt. Wenden wir das Prinzip von unten nach oben an, so ergibt sich der Wunsch, aggressiv vorzugehen und dem Traumobjekte die Hosentür zu öffnen. Beide Deutungen, die aggressive und die defensive, vereinigen sich sehr gut miteinander; denn es gibt keinen Sadisten, der nicht zugleich Masochist, keinen Exhibitionisten, der nicht zugleich Voyeur wäre. „Alle Triebe treten in Triebpaaren auf (Alfred Adler, Der Aggressionstrieb im Leben und in der Neurose. („Fortschritte der Medizin“, 1908. Nr. 19). Die treibende Kraft stammt bei Gesunden, Perversen und Neurotikern aus zwei, ursprünglich gesonderten Trieben, die später eine Verschränkung erfahren haben, der zufolge das sadistisch-masochistische Ergebnis zwei Trieben zugleich entspricht, dem Sexualtrieb und dem Aggressionstrieb.“) So bestätigt auch die Natur das Gesetz der Gegensätzlichkeit. Der Traum muss auch in der positiven Form einen Sinn haben. Sie fürchtet die Mutter! Sie hat homosexuelle Neigungen und wünscht den Griff, der übrigens eine Frage nach ihrer Mutterschaft bedeutet.

Denn sie ist steril. Sie wird niemals Milch in der Brust haben. Und nun kommen wir zur wichtigsten Bedeutung. Sie will wieder bei der Mutter sein und an der Brust der Amme liegen. Der Griff nach dem Busen ist der erste lustbetonte Griff der Jugend.

So spielt dieser Traum alle Kunststücke. Noch mehr! Die alte Frau, die ihr ans Herz greift, ist der Tod. Eine uralte Symbolik. Jede Angst ist auch Todesangst. Eigentlich auf Umwegen immer Todesangst.

So spielen hier Sehnsucht zu leben und Angst zu sterben, die Angst zu leben (sich auszuleben) und der Wunsch zu sterben ineinander.

Übrigens ist diese Form der Traumentstellung geradezu sprachlich begründet.

Sprachforscher haben darauf hingewiesen, dass in der Ursprache viele Worte einen Doppelsinn hatten, indem sie sowohl die eine Bedeutung als die gegenteilige Bedeutung ausdrücken konnten.

Dieser Umstand ist schon Schubert bekannt geworden, der in seiner „Symbolik des Traumes“ ausführt: „Eine neuere, tiefer gehende Sprache und der Verwandtschaft ihrer Worte untereinander nachgewiesen. Zuerst zeigt sich häufig, dass die Worte, welche ganz entgegengesetzte Begriffe bezeichnen, aus ein und derselben Wurzel hervorgehen, als wenn die sprechende Seele anfangs mit den Worten nicht die äußerlichen, einander entgegengesetzten Erscheinungen, sondern das (doppelsinnige) Organ bezeichnet hätte, das zum Auffassen dieser Klasse von Erscheinungen geeignet ist. So sind die Worte, welche wann und kalt bezeichnen, nicht nur noch jetzt in mehreren Sprachen gleichlautend: z. B. caldo, das im Italienischen warm bedeutet, ist gleichlautend mit unserem kalt; sondern selbst in einer und derselben Sprache gehen die Worte für kalt und warm aus einer und derselben Wurzel hervor (gelu, glidus, Kälte, kalt, mit caelo, calidus, warm) und der Gott des heißen Südens ist aus dem kalten Norden geboren. Sowie sehr häufig in Mythus und Sprache die gute Gottheit mit dem Bösen verwechselt und wiederum das Böse als Gutes genommen wird, so entspringt auch im Persischen, wo doch sonst der Mythus beide entgegengesetzte Prinzipien scharf voneinander zu halten scheint, der Name des bösen Ahriman und des Lichtgottes Orim = Asdes aus einer Wurzel, ebenso wie έϱως (Liebe) und έϱις (Zwist) und in verschiedenen Sprachen die Worte für Einigkeit und vereinigen und für den Feind und entzweien (fast auf dieselbe Weise wie nach Schwedenberg aus sinnlicher Liebe jenseits der grimmigste Hass geboren wird). Auch Licht (das Symbol der Wahrheit) und Lug und Lüge entspringen in verschiedenen Sprachen aus einer Wurzel, weil das Licht (der schöne Morgenstern, wie es anderwärts heißt), indem es sich zur sengenden Flamme entzündete, der verzehrende Wolf und der böse Loghe geworden, der als Hund und Hündin auch anderwärts in unreiner Bedeutung erscheinet. Jene zweifache (brennende und leuchtende) Natur des Lichtes, begegnet sich in der Sprache und im Mythos allenthalben. Das Blut erscheint ebenfalls in beiden unter der Bedeutung des Giftes, des Zornes, des rasenden Grimmes und unter jener der Versöhnung, Besänftigung, Belebung. Raserei und ruhige Besinnung, Finsternis und Licht, das schwere Metall und der leichte Vogel, Luft und Eisen, die Bezeugung der Freude und der Trauer, niedrig und hoch, sinnliche Lust und Entmannung und alle in ihrer Bedeutung noch so entgegengesetzt scheinenden Worte gehen auf dieselbe Weise aus gemeinschaftlicher Quelle hervor, und das Lamm sowie der Widder, welche öfters Symbole des schaffenden Wortes sind, erscheinen als Bock anfangs als Ausdruck des zeugenden Prinzips, dann der gröbsten Wollust (auch hier Lamm und Flamme aus einer Bedeutung.

Auf eine merkwürdige Weise lässt sich nicht selten noch in der Sprache und im Mythus der Weg deutlich nachweisen, auf welchem die Worte von der einen Bedeutung in die andre ganz entgegengesetzte übergegangen sind. Wir wollen auch hier nur einige wenige Beispiele hervorheben. Die Verwandtschaft des Erkennens und Zeugens ist schon von Franz Baader auf eine merkwürdige Weise dargetan worden. Auch in der Sprache und im Mythus ist die Taube, welche als heiliger Lebensgeist das Lebenswasser der Schöpfung sowie den erkennenden Menschengeist bewegt, mit dem Vogel Phönix und der Palme gleichbedeutend. Die Palme, sowie die Blume der Nacht am Lebensquell, oder anderwärts die Eiche, Weinstock, Feigenbaum, wird hierauf zum Baum der Erkenntnis, welcher zugleich Baum des Haders ist. Endlich so wird der Baum der Erkenntnis zum Lingam, zum Werkzeuge und Symbole sinnlicher Geschlechtslust. Auf dieselbe Weise wird auch das erkennende Auge (der Brunnen des Lichts, das Wort) auf der einen Seite zur bauenden, schaffenden Hand, auf der anderen, zugleich mit der Hand, gleichbedeutend mit dem Organe der körperlichen Erzeugung. Das belebende Auge wird nun zugleich tötend, die Wahrheit bezeugende, schwörende Hand wird die täuschende, Lügen verkündende, zaudernde. So ist denn jene keusche Jungfrau des Mythus, die nie von dem Hauche einer sinnlichen Lust berührt worden, zu der unkeuschen Göttin der ausgelassensten, wildesten Wollust geworden, das schaffende, geistig erkennende Wort ist nun durch eine furchtbare Verwechslung unter dem Bilde des gräulichen Bockes Mendes angeschaut worden, dessen Kultus alle Schandtaten der ausgeartetsten tierischen Wollust in sich vereinte, aus dem Fische und der Fischschlange der sinnlichen Lust ist aber auch jenes furchtbare Gift gekommen, welches die Welt und das Leben vergiftet hat. Das Wort der Liebe, der heilige Name, das Gesetz sind zur Strafe, zum Zorne, zur Rache geworden. Ebenso wie sich durch jene große Sprachenkatastrophe das Gute ins Böse, das Licht in die Finsternis verkehrt hat, so verstellt sich umgekehrt das Böse ins Gute und in häufigen Beispielen, wozu sich schon die oben angeführten gebrauchen lassen, erscheint, in Mythos und Sprache, das Böse und Giftige täuschend in lieblicher Gestalt, als Gutes und Heilbringendes.“

Freud macht im zweiten Band des „Jahrbuches für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen auf eine Broschüre von Karl Abel aufmerksam, die sich „Über den Gegensinn der Urworte“ betitelt (1889 erschienen).

Abel führt daselbst aus:

„In der ägyptischen Sprache nun, dieser einzigen Reliquie einer primitiven Welt, findet sich eine ziemliche Anzahl von Worten mit zwei Bedeutungen, deren eine das gerade Gegenteil der anderen besagt. Man denke sich, wenn man solch augenscheinlichen Unsinn zu denken vermag dass dos Wort „stark“ in der deutschen Sprache sowohl „stark“ als „schwach“ bedeute; dass das Nomen „Lieht“ in Berlin gebraucht werde, um sowohl „Licht“ als „Dunkelheit“ zu bezeichnen; dass ein Münchener Bürger das Bier „Bier“ nannte, während ein anderer dasselbe Wort anwendete, wenn er vom Wasser spräche, und man hat die erstaunliche Praxis, welcher sich die alten Ägypter in ihrer Sprache gewohnheitsmäßig hinzugeben pflegten. Wem kann man es verargen, wenn er dazu ungläubig den Kopf schüttelt?...

„Angesichts dieser und vieler ähnlicher Fälle antithetischer Bedeutungen kann es keinem Zweifel unterliegen, dass es in einer Sprache wenigstens eine Fülle von Worten gegeben hat, welche ein Ding und das Gegenteil dieses Dinges gleichzeitig bezeichneten. Wie erstaunlich es sei, wir stehen vor der Tatsache und haben damit zu rechnen.“

„Von allen Exzentrizitäten des ägyptischen Lexikons ist es vielleicht die außerordentlichste, dass es, außer den Worten, die entgegengesetzte Bedeutungen in sich vereinen, andere zusammengesetzte Worte besitzt, in denen zwei Vokabeln von entgegengesetzter Bedeutung zu einem Kompositum vereint werden, welches die Bedeutung nur eines von seinen beiden konstituierenden Gliedern besitzt. Es gibt also in dieser außerordentlichen Sprache nicht allein Worte, die sowohl „stark“ als „schwach“ oder sowohl „befehlen“ als „gehorchen“ besagen; es gibt auch Komposita wie „altjung“, „fernnah“, „bindentrennen“, „außeninnen“(…), die trotz ihrer, das Verschiedenste einschließenden Zusammensetzung das erste nur „jung“, das zweite nur „nah“, das dritte nur, „verbinden“, das vierte nur „innen“ bedeuten… Man hat also bei diesen zusammengesetzten Worten begriffliche Widersprüche geradezu absichtlich vereint, nicht um einen dritten Begriff zu schaffen, wie im Chinesischen mitunter geschieht, sondern nur um durch das Kompositum die Bedeutung eines seiner kontradiktorischen Glieder, das allein dasselbe bedeutet haben würde, auszudrücken…“

Indes ist das Rätsel leichter gelöst, als es scheinen will. Unsere Begriffe entstehen durch Vergleichung. „Wäre es immer hell, so würden wir zwischen hell und dunkel nicht unterscheiden und demgemäß weder den Begriff noch das Wort der Helligkeit haben können…! „Es ist offenbar, alles auf diesem Planeten ist relativ, und hat unabhängige Existenz, nur insofern es in seinen Beziehungen zu und von anderen Dingen unterschieden wird…“ „Da jeder Begriff somit der Zwilling seines Gegensatzes ist, wie konnte er zuerst gedacht, wie konnte er anderen, die ihn zu denken versuchten, mitgeteilt werden, wenn nicht durch die Messung an seinem Gegensatz?“ (Aus dem Referate von Freud.)

In den Träumen spielt dieser Gegensinn eine große Rolle. Die wunderbarste Eigenschaft des Menschen, seine „Bipolarität“, äußert sich in diesem hochinteressanten psychischen Phänomen. Es gibt, wie Freud treffend bemerkt kein ,,Nein“ im Traume. Aber in diesem Sinne auch kein „Ja“. Der Traumgott ist der Typus eines Zweiflers!

In manchen Träumen wird dieser Gegensinn geradezu ausgedrückt und zwar durch einen Zweifel, so im folgenden Traum eines an Berufsneurose leidenden Künstlers:

(28.) „Ich bin vor jemandem davongelaufen oder jemandem nachgelaufen, durch Wasser, Stiegen und Zimmer. Dann fällt ihm ein, dass er im Traum noch einen Herrn gesehen hat; wir erkundigen uns, wer dieser Herr X. wäre, und er erwidert, es wäre ein Kollege, der ebenso wie er Klavierspieler sei und sich um die Aufnahme in die Meisterschule beworben habe; er sei jedoch nicht aufgenommen worden, was ihn sehr gekränkt habe.“

An die Person, der er nachgelaufen ist, erinnert er sich nicht, aber wir wissen aus früheren Analysen, dass es nur seine eigene Mutter sein kann, vor der als Kind in der Tat, wenn sie ihn strafen wollte, durch Stiegen und Zimmer davon gelaufen ist. Er gedenkt solcher Szenen, er erinnert sich auch, dass er im vorigen Jahre mit der Mutter gemeinsam in einem großen Teiche gebadet hat. Die Herrenkabine war auf der einen Seite, die Damenkabine auf der anderen Seite. Trotz der großen Entfernung schwamm er fast ½ Stunde lang, um schließlich ganz erschöpft bei der Mutter anzukommen. Wir sehen hier beide Erinnerungen im Traume fixiert. Als Kind lief er der Mutter davon und als Erwachsener schwamm er durch das Wasser auf sie zu. Was hat nun dieser Traum zu bedeuten? Er ist ein großer Don Juan, meistens nur in Gedanken; aber wollte er seinen Instinkten nachgehen, er würde das werden, was man in Wien einen „Steiger“ nennt. Darauf deutet die Stiege hin; die Zimmer bedeuten, wie fast immer im Traume, Frauenzimmer. Frauenzimmern nachsteigen — das ist auch seine Hauptbeschäftigung. Er rennt allen Frauenzimmern nach, einer nach der anderen und kann doch keiner treu bleiben. Aber warum läuft er allen Frauenzimmern nach, ohne einer treu zu bleiben? Weil er vor einer Frau, die für ihn kein Weib sein darf, seiner Mutter, flüchtet.

Dieser kurze Traum enthüllt uns die Psychologie des Don Juan. Der Don Juan ist infolge seiner ewigen Treue untreu. Ewig treu ist er seinem infantilen Ideal, der Mutter, und weil er dieses infantile Ideal überall sucht, und ach! nirgends finden kann, reizt ihn jede Frau und enttäuscht ihn sofort. Was ihn schließlich interessiert, ist der Widerstand, und der Enttäuschung sicher, geht sein ganzes Bestreben darauf hinaus, den Widerstand zu brechen und zu erobern. Die beiden Gegensätze, das Davonlaufen, welches ein Nachlaufen involviert, oder, wenn wir wollen, das Nachlaufen, welches ein Davonlaufen darstellt, sind in diesem kurzen Traumbilde in glänzender Weise ausgedrückt. Träume, in denen Wasser vorkommt, beziehen sich größtenteils auf die Geburt, und deshalb war es kein Zufall, dass der Träumer in diesem Falle an eine Erinnerung dachte, die von einem Zuschwimmen auf die Mutter handelte. Doch wer ist der Kollege, der nicht angenommen wurde? Sein jüngerer Bruder. Er will das einzige Kind in der Meisterschule der Mutter sein. Dass der „Meister“ der Vater ist, dürften selbst die Anfänger erraten haben. Der Herr X. ist auch der Vater (Verdichtung), der hiermit gleich dem Bruder aus der Meisterschule ausgeschlossen erscheint. Klavierspielen ein häufiges Symbol für ,,beischlafen“ oder „onanieren“, wie alle Vorgänge, bei denen gespielt wird.

Mit einem sehr interessanten Traum, in dem die Umkehrung eine große Rolle spielt, setze ich diese Reihe fort. Es ist dies ein sogenannter „politischer“ Traum. Ja, dem Traumleben ist nichts heilig. Selbst die schönsten und erhabensten politischen Figuren werden im Traume als Symbole häuslich-ärmlicher Gedanken verwendet. Doch greifen wir der Traumdeutung nicht vor und erzählen wir erst unseren Traum, der beim ersten Hören einen fast logischen Eindruck macht, was bei den meisten Träumen nicht der Fall ist. Mein politischer Traum lautet:

(29.) „Ich bin in der Hofburg und sehe Bismarck. Ich schreie mit anderen Leuten: „Hoch!“ Da fängt einer die Volkshymne an. Ich stimme kräftig ein. Einige Leute fallen auf die Knie... Dann sehe ich Bismarck wieder. Wir sprechen über den Vorfall, auch über die Bücher, die er mit hat. Ich erkläre ihm, dass bei uns in der Bibliothek eine fühlbare Lücke sichtbar wird, wenn wir einige Bücher auf die Reise mitnehmen. Er meint, er habe die Empfindung nie gehabt, was ich damit erkläre, dass bei seiner ungeheuer großen Bibliothek einige Bücher mehr oder weniger nicht in Betracht kämen.“

Wie man sieht, ein politischer Traum, bei dem einige Deutschnationale Bismarck durch aufdringliches Hochschreien dadurch unangenehm werden, dass sie gewissermaßen als Reaktion die Antwort der guten Patrioten, die Volkshymne, herausfordern. Und doch! Dieser Traum hat, wie die meisten politischen Träume, mit Politik gar nichts zu tun. Ich träumte ihn in P., einer lieblichen Gartenstadt am Wörthersee. Dort hatten wir unser Sommerquartier aufgeschlagen. Leider sollte mir mein Urlaub nicht ohne schweren Kummer verstreichen. Eine Woche vor der projektierten Abreise nach P. erhielt ich beunruhigende Nachrichten von F., wo meine hochbetagte Mutter lebt. Ein Telegramm rief mich an ihr Krankenlager. Ich fand sie in einer schlimmen Situation, die meine tägliche Anwesenheit erforderte. Unter solchen Umständen war an F. nicht zu denken. Ich fasste rasch den Entschluss, meine Familie aus F. zu holen und in Abbazia einzuquartieren, von wo aus ich meine Mutter täglich besuchen konnte. Auch erhoffte ich von der Anwesenheit meiner Familie für die Kranke freudige Anregungen, die die Genesung beschleunigen konnten. (So war es in der Tat. Es gibt keinen besseren Arzt als die Freude!) Ich blieb also einige Tage in F., bis der Zustand sich etwas besserte, und fuhr dann nach F., das ich schweren Herzens verlassen sollte. In der zweiten Nacht meines dortigen Aufenthaltes träumte ich meinen „politischen“ Traum.

Und nun die Analyse: „Ich bin in der Hofburg“. Meine Sommerwohnung gefiel mir außerordentlich gut. Es war eine Villa mit großer Veranda, von der man einen entzückenden Blick auf Maria-Wörth hatte. Alles war so vornehm und komfortabel, dass meine Kleine den Ausspruch tat: „Der Kaiser kann nicht schöner wohnen.“ Hofburg drückt also das Vornehme in einer Sommerwohnung aus. Eine weitere Beziehung bildet der Name des Eigentümers. Er heißt nämlich Schweinburg. Es ist der Baumeister, der das Bürgertheater in Wien erbaut hat, das ein naheliegender Kalauer Schweinburg-Theater getauft hat. Die Hofburg des Traumes ist also meine Villa und der Anfang des Traumes lautet: Ich bin in F., in meiner vornehmen, herrlich gelegenen Sommerwohnung. ,,Und sehe Bismarck.“ Was hat Bismarck mit P. zu tun? Auch das ist leicht zu deuten. Der Bismarck des Traumes war ein auffallend großer magerer Mann mit gelblich verfallenem Teint und weißem Schnurrbart. Der Traum leistet sich hier den häufig vorkommenden Witz, durch Verkehrung in das Gegenteil den Trauminhalt zu verbergen. Der große magere Mann mit weißem Schnurrbart und gelblichem Teint ist ein kleiner dicker, blühend aussehender Herr mit einem dunklen Schnurrbart mein Kollege Dr. M., dessen Sommerwohnung in F. im Vorjahre mir so gefiel, dass ich mir die gleiche, nur einen Stock tiefer gemietet hatte. Dr. M. hatte einen unangenehmen Streit in einem Verein, dem wir beide angehörten, mit so großer diplomatischer Kunst geschlichtet, dass ich ihm damals versicherte: Bismarck hätte das nicht besser ausführen können. Außerdem hatte mir ein zweiter Kollege über Dr. M. gesagt, er wäre sehr klug und erfahren, ein zweiter Bismarck in seinem Beruf. Er sollte sich auch diesmal als Bismarck bewähren und mir behilflich sein, meinen Kontrakt bezüglich der Sommerwohnung ohne allzu großen Schaden zu lösen, damit ich rasch zu meiner Mutter zurückkehren könnte.

„Ich schrie mit anderen Leuten „Hoch“. Wir sind eine Gesellschaft, die alle P. mit Recht preisen. Wir loben die liebliche Lage am See, die Reinheit der Wege. Man gehe überall wie in einem großen Garten, könne schöne Ausflüge machen; wir heben das angenehme Bad, die reizende Lage des Etablissements hervor usw.

„Da fängt einer die Volkshymne an.“ Herr S., ein Mann aus dem Volke, jetzt sehr wohlhabend, meinte, der Ort wäre sehr teuer. Er habe in einigen Wochen eine Unmenge Geldes gebraucht.

„Ich stimme kräftig ein“, das entspricht den Tatsachen. Der Mangel eines guten Gasthauses mit bürgerlichen Preisen könnte mir den Aufenthalt in P. verleiden.

„Einige Leute fallen auf die Knie“ bezieht sich auf das lächerlich demütige Benehmen, das einige Menschen vor dem Besitzer des Etablissements zeigen.

„Dann sehe ich Bismarck wieder, wir sprechen über den Vorfall.“ Vorfall ist ein wichtiges Wort. (Ein Wechsel, der den Zug auf ein anderes Geleise bringt. So lautet der Name der Krankheit, die einem mir teuren Wesen böse Stunden bereitet. Doch das würde uns in eine andere Richtung des Traumgedanken bringen. Hüten wir uns vor Abschweifungen und führen wir die Deutung in der begonnenen Richtung weiter.) Ich sprach mit Dr. M. über meine Sorgen, und er versicherte mich seiner Mithilfe bei der Lösung des Kontraktes. „Auch über die Bücher, die er mithat. Ich erkläre, dass bei mir in der Bibliothek eine fühlbare Lücke sichtbar wird, wenn wir einige Bücher auf die Reise mitnehmen. Er meint, er habe die Empfindung nicht gehabt, was ich damit erkläre, dass bei einer so ungeheuer großen Bibliothek einige Bücher mehr oder weniger nicht in Betracht kämen.“ Es handelt sich um das Sparkassenbuch, das ich vor meiner Abreise ins Depot gab. Meine Frau, die immer die zurückhaltende sparsame Kraft unseres Haushaltes darstellt, meinte, die Ausgaben des Sommers — ich wollte heuer das erste Mal sechs Wochen der Ruhe pflegen — würden eine fühlbare Lücke in unserem bescheidenen Besitzstand erzeugen. Dr. M., der ebenfalls sechs Wochen ausbleibe, sei wohlhabend und könne sich den Luxus eher erlauben. Diesen Gedankengang nimmt mein Traum auf. Tatsächlich habe ich mit Dr. M. über die Kosten des Sommerurlaubes gesprochen.

Das Sparkassabuch bedeutet hier auch das Weib. Ich habe in meiner Broschüre „Keuschheit und Gesundheit“ den Ausspruch getan: „Für die Spermatozonen gibt es keine Sparbüchse.“ Dr. M. gilt als Schätzer der Frauen. Ich imputiere ihm einen Harem, während ich nur eine Frau habe. Nach der „symbolischen Gleichung“, über die wir im nächsten Kapitel sprechen werden, bedeutet Sperma auch Geld. (Beachte die Ausdrücke „Fühlbare Lücke“ und „Ungeheuer große Bibliothek“ von diesem Gesichtspunkte aus!)

Soweit wäre der Traum bis jetzt gedeutet. Er enthüllt gewissermaßen Reuegedanken, dass ich einen so kostspieligen Sommeraufenthalt gewählt. Es ist, als ob ich Dr. M. im Traume sagen würde: „Ja, du kannst es dir leisten, in der Hofburg zu wohnen. Was liegt daran, wenn du dich auch einiger Sparkassenbücher beraubtest? Ich bin ein Mann aus dem Volke, dem ein einfacher, billiger Landaufenthalt auch genügen würde!“

Forschen wir weiter. Ich habe schon erwähnt, dass das Wort „Vorfall“ der Wechsel ist, der in ein anderes Geleise führt. Gehen wir einmal auf dem anderen Geleise weiter...

Es gibt eine Reihe von Traumsymbolen, die mit fast gesetzmäßiger Folge eine genaue Übersetzung gestatten. So ein Symbol ist auch der Kaiser im Traume, von dem ich schon sagte, dass er gewöhnlich den Vater darstellt. Wenden wir diesen Schlüssel an, so ist die Hofburg die Wohnung meines Vaters, und Bismarck, das wäre meine Mutter. Das stimmt noch besser. Ein auffallend hoher, magerer Mann — stellt in der Umkehrung eine kleine dicke Frau dar, eben meine Mutter, die der Vater immer seinen Bismarck genannt hat. Klugheit ist ihre hervorragendste Eigenschaft. Ebenso stimmt der krankhaft gelbliche Teint. Ich habe meine Mutter schwerkrank getroffen und war entsetzt über den fahlen, leidenden Ausdruck ihres Gesichtes. Bismarck stellt also zwei Personen dar, ein Vorgang, den Freud „Verdichtung“ genannt hat. „Ich schreie mit anderen Leuten „Hoch“. Wir wünschen, sie möge sich bald erholen. „Kopf hoch — Mütterchen! Es wird schon besser werden!“ habe ich der betagten Kranken, die mir vom Sterben und Testament sprach, gesagt. Da fängt einer die Volkshymne an. Die heißt ja: Gott erhalte — Gott beschütze — unsern Kaiser. In diesem Falle: meine Mutter. „Einige Leute fallen auf die Knie“ entspricht einer Szene bei dem Wiedersehen. ,,Wir sprechen über den Vorfall“ ... eine Reproduktion eines tatsächlichen Ereignisses, ,,Auch über die Bücher, die er mithat usw. ...“ enthält die Lösung des Traumes. Ich habe der Mutter gestanden, dass ich mit dieser Reise ein großes Opfer gebracht habe. (Ein Sparkassenbuch.) Sie sprach von der Verteilung ihrer Schmucksachen, die für uns nicht als Geldwert, sondern nur als teure Andenken in Betracht kommen.

Im Traume jedoch mache ich meine Mutter zu einer immens reichen Frau mit einer ungeheuer großen Bibliothek. Die Wunscherfüllung ist nun klar. Wir Geschwister sind die Erben. Statt der Reliquien erhalten wir ungeheure Summen Geldes, sie ist ja reich wie eine Fürstin (Bismarck). Der Traum enthüllt mir einen hässlichen, unangenehmen, peinlichen Gedanken, den ich im Wachen nie gehabt habe, der aber unbedingt in meiner Seele geschlummert haben muss. Als die Mutter von der Verteilung ihrer kärglichen Güter gesprochen, muss ich eine Regung unterdrückt haben, die, in Worten ausgedrückt, ungefähr so gelautet hätte: „Was sprichst du denn von deiner armseligen Erbschaft, als ob es sich um große Summen bandeln würde. Die Kosten meiner Reise wirst du mir doch nicht ersetzen können.“

Ich brauche nicht erst zu betonen, dass meinem Wachbewusstsein derartige Gedanken vollkommen fremd sind. In Geldsachen bin ich alles eher als ein guter Rechner und von übertriebener Feinfühligkeit. Dass aber solche unbewusste Strömungen selbst die edelsten Gefühle bei guten Menschen begleiten können, das sollte uns mild stimmen gegen alle Menschen, die wir ohne Kenntnis der näheren Umstände als „schlecht“ bezeichnen. Doch noch immer fehlt der Analyse die Anknüpfung an die Kindheit. Sie ist vorhanden. Sie erinnert mich an einen der bösesten Augenblicke meiner Kindheit. Ich war ein kleiner Knabe und stand vor der großen Bibliothek, die den Stolz meines um sechs Jahre älteren Bruders bildete. Plötzlich durchzuckte mich ein Gedanke: „Wenn dein Bruder jetzt sterben würde, so wäre diese Bibliothek dein.“ Erschreckt lief ich davon. Ich kam mir als ein großer Sünder vor, und die Erinnerung an diesen bösen Gedanken hat mir oft die Schamröte ins Gesicht getrieben. (Ein ähnliches Erlebnis erzählt Sudermann in einer Novelle „Die Geschwister“.) Auch glaube ich damals mit der Versuchung gekämpft zu haben, einige Bücher zu stehlen und beim Antiquar zu verkloppen, ein Weg, der mir mit meinen eigenen Büchern nicht ungeläufig gewesen.

Der schöne politische Traum hat also noch eine tiefere Motivierung. Meine Mutter ist reich. Aber ich bin der alleinige Erbe. Mein Bruder kommt nicht in Betracht. Der hässliche Wunsch des Knaben hatte noch Kraft, die Bildersprache des Traumes zu beeinflussen. (Bibliothek.) Drei Wochen später hatte ich in Abbazia einen Traum, der die Fortsetzung des ersten bildete. Ein Beweis, dass die Traumgedanken dasselbe Thema in verschiedenen Formen variierten.

(30.) „Ich bin in Neuwaldegg. Eines der letzten Häuser ist eine prachtvolle Villa, die meiner Mutter gehört. Ich steige eine Marmortreppe hinauf und komme in einen riesigen Salon, der mit verschwenderischer Pracht — Rot in Gold — ausgestattet ist. Ah — sage ich; da haben wir alle ja bequem Platz!“

Die Vorgeschichte des Traumes ist teilweise bekannt. Ich hatte eine Wohnung in Abbazia genommen, in der wir ziemlich gedrängt beisammen waren. Auch meiner Mutter hatte ich ein Zimmer gemietet, das mir jedoch nicht elegant genug vorkam. Im Traume bin ich in Wien. Bequemer kann man es sich nicht mehr einrichten, wenn man statt nach dem fernen Abbazia nach Neuwaldegg, einem Vororte Wiens, fährt. Meine Mutter ist eine reiche Dame. In ihrem Salon haben wir alle bequem Platz. Da fällt mir noch die Fortsetzung des Traumes ein: „Herr W. will unserem Diener eine Krone Trinkgeld geben, was dieser spöttisch ignoriert.“

Die weitere Determinierung enthält heimliche Gedanken, als wollte ich in den Mutterleib zurückkehren, wo alle (!) bequem Platz haben. Das „Trinkgeld“ geht bis auf die Ammeneindrücke zurück.

Einen Tag vorher habe ich an Herrn W. eine Krone im Tarok verloren. In der nächsten Nacht nimmt sie nicht einmal „unser“ Diener als Trinkgeld an. Das spricht Bände… Der Traum ließe noch ebenso wie der erste eine tiefere Analyse zu. Ich muss es mir versagen, darauf einzugeben. Ich habe ja ohnehin zu viel von dem geopfert, was die meisten Menschen scheu verbergen.

* * *

Die Sprache des Traumes

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