Читать книгу Die gelbe Mafia - Will Berthold - Страница 6

3

Оглавление

Pauschalreisen haben den Vorteil, daß sie preiswert sind, und den Nachteil, als Massenbetrieb verrufen zu sein. Deshalb hatten sich die Touristikmanager einiges einfallen lassen, um das Gruppenerlebnis so individuell wie möglich zu gestalten. Eigentlich brauchte man nur mit derselben Chartermaschine zu fliegen. Das Hotel konnte man sich je nach Brieftasche schon selbst aussuchen und damit einer vielleicht lästigen Gruppe wenigstens teilweise aus dem Weg gehen. Hongkong war sowohl Reiseziel als auch Relaisstation. Beim Abflug sollte sich die Gesellschaft in zwei Gruppen aufteilen: die eine flog nach Tokio, die andere nach Manila. Nach zwölf Tagen würden sich die Passagiere wieder in Hongkong treffen, allerdings nur im Transitraum des Flughafens Kai Tak zum Rückflug nach Frankfurt.

Das ›Mandarin‹-Hotel war eine Klasse für sich.

Ein Boy nahm ihnen das Gepäck ab. Bereits die Empfangshalle ließ erkennen, daß das Haus unter den Top ten der Weltrangliste den dritten Platz einnimmt – in Asien den ersten –, noch vier Ränge vor dem Ortsrivalen › Peninsula‹ Der Lift katapultierte sie in den 15. Stock. Sie erhielten ein großzügig bemessenes Apartment mit einem herrlichen Blick und allem erdenklichen Komfort.

»Hoffentlich gehen wir an dieser Pracht nicht pleite«, sagte die Schöne aus Düsseldorf.

»Keine Angst«, erwiderte ihr Begleiter. »Schließlich sparen wir den Einzelzimmerzuschlag.«

»Kein schlechtes Geschäft«, lobte Babs. »Wie hast du das nur geschafft?«

»Mit Geld«, entgegnete er, stellte dann jedoch fest, daß sie seine Antwort etwas plump empfand, und ergänzte: »Es ist Hongkongs Religion, und die Bankschalter sind ihre Altäre.«

Die Blondine drückte auf einen Knopf. Der Vorhang der riesigen Panoramascheibe schob sich elektrisch zurück und gab den Blick frei über den Victoria-Hafen, über das futuristische Kowloon, die Weite der New Territories und den dahinterliegenden Bergen. Hier verlief auch die 33,5 Kilometer lange Grenze zur Volksrepublik China. Die Hongkong-Inselgruppe steckte in ihrer Südostecke wie in einem Känguruhbeutel, von dem sie, wie die Reichsten der Stadt befürchteten, 1997 endgültig eingesackt werden könnte.

Babs wurde von dem Anblick überwältigt. »Phantastisch!« rief sie verzückt. »Mein Gott, ist das schön! Und da dachte ich immer, New York sei unschlagbar – aber diese Mischung von gigantischer Silhouette und verträumter Natur …« Sie drehte sich nach Parker um und sah, wie er an der Zimmerbar Drinks mixte. »Wie kann man nur all diese Eindrücke in drei Tagen verdauen?«

»Nicht einmal in drei Monaten«, erwiderte er. »Aber wir haben immerhin drei Tage und vier Nächte.« Parker drückte ihr ein Cocktailglas in die Hand: »Auf uns, Babs!« toastete er. »Auf die reizvollste Reisegefährtin, die ich je hatte.«

»Hattest du viele?« fragte sie.

»Bestimmt weniger, als du annimmst. Und du?«, konterte er.

»Jedenfalls weniger, als du gehabt hast«, versetzte die Mittdreißigerin. »Ich reise viel und gerne, aber nicht, um dabei Männer aufzureißen. Ich bin keine Sextouristin.«

»Mich hast du aber aufgerissen«, entgegnete Parker grinsend.

»Oder du mich …«

»Einigen wir uns darauf, daß wir uns gegenseitig geangelt haben«, antwortete der Kamikaze, setzte sein Glas ab, legte die Hand um ihre Schulter, drehte sie zu sich um, drückte sie leicht an sich. »Du bist schön«, raunte er Babs zu. »Und ich mag dich, und ich hab’ dich richtig geil …«

»Jeden anderen würde ich jetzt aus dem Apartment werfen«, erwiderte sie.

»Das dürfte dir schwerfallen. Es ist von Mrs. and Mr. Parker gemietet.«

»Damit sitze ich also in der Falle.«

»So kann man auch sagen«, entgegnete er, hob sie auf die Zehenspitzen und preßte sie so an sich. »In der Liebesfalle«, setzte er hinzu.

Babs mochte seine Hände, die zupackend und sensibel waren. Gleich in der ersten Nacht hatten sie ihre Körper erschlossen, und seitdem immer wieder Neuland entdeckt. Sie war zu seinem Modell geworden, zu seinem Medium, zu seinem Widerhall.

Parker merkte, daß sich ihr Atem beschleunigte und sie leicht zitterte. Sicher hatte er manche Mängel; er war auch nicht die Idealvorstellung, die sich eine Frau von ihrem Verführer macht – sofern sie das überhaupt tut –, aber für Babs hatte er etwas an sich, was vielen, eigentlich den meisten Männern fehlte: Sie spürte, daß Parker weit hintergründiger war, als er erkennen lassen wollte, ein Mann mit Mumm, mit einer Ausstrahlung von Selbstsicherheit und Kaltblütigkeit. Hinter seiner bescheidenen Mittelmäßigkeit zeichnete sich so etwas wie Überhöhung ab. Babs konnte einfach nicht glauben, daß es sein Lebenswerk war, in Hongkong Hemden billig einzukaufen und in Deutschland teuer zu verscherbeln. Sie hatte wiederholt bemerkt, daß er seine Intelligenz versteckte, wie eine alte Jungfer ihren Sparstrumpf, um ihn dann doch gelegentlich herzuzeigen.

Er hob Babs auf die Arme und trug sie auf das Rundbett, begann sie mit kundigen Fingern auszuziehen, langsam, Stück um Stück, mit Geduld und Genuß, ihre Erwartung schürend und verzögernd. Er wühlte in ihren Haaren, streichelte ihren Nacken, küßte die Knospen ihrer Rundungen.

Seine Hände glitten abwärts, ein Ziel suchend, das sie nicht zu finden schienen.

Die junge Frau mit dem makellosen Körper stöhnte, biß ihn in den Hals, während seine Zunge kreisend liebkoste und seine Lippen langsam tiefer glitten.

Babs bäumte sich auf. »Komm doch endlich«, flüsterte sie.

Doch Parker verlängerte die Qual ihrer Lust, bis er sie selbst spürte und gewaltsam unterdrücken mußte. Nie hatte er sich den Sex über den Kopf wachsen lassen. Das Liebesspiel war für Parker eine Art Haut-Schach. Er machte Zug um Zug, langsam und überlegend, über schwarze Felder, über weiße, einkreisend und abwartend.

»Bitte«, keuchte Babs, Beherrschung und Distanz verlierend: »Ich halte das nicht länger aus«, stöhnte sie. »Quäl mich doch nicht so!« Ihre letzte Reserve platzte wie ein Ballon. »Stoß endlich zu! Ja – ja, nimm mich – fuck me, fuck me, du Mistkerl!«

Parker zögerte noch immer, er hatte den Eisberg aus Düsseldorf eingeschmolzen, die damenhafte Direktionsassistentin, die nie aus der Rolle fiel, jeder Situation gewachsen war und die Männer abfertigte wie der Butler einen Bettler.

Während er endlich in sie eindrang, schluchzte Babs: »Ja, Ralf, komm, mach mich fertig …«

Aber er blieb der Dirigent, ließ sich das Tempo nicht vorschreiben. Wiewohl er nun selbst zu zerspringen drohte, trieb er die Selbstbeherrschung auf die Spitze. Nur wenn man eine Partnerin begehrt, aber doch nicht wirklich liebt, kann man mit dem Körper einer Frau so virtuos spielen – wenigstens so lange, bis der Brandstifter selber Feuer fängt.

Ihre Körper peitschten einander in ein furioses Finale hinein. Sie erreichten gemeinsam den Gipfel, hielten sich noch kurze Zeit – und stürzten ab. Sie hatten einander schachmatt gesetzt. Aber sie landeten weich, und auf dem Bodensatz der Erfüllung trieb schon wieder neues Verlangen.

Sie atmeten schwer.

»Wir müssen verrückt sein, Ralf«, flüsterte die junge Frau.

»Vielleicht hast du recht«, antwortete er und sah einen Moment lang ins Leere. Er wollte sich nicht anmerken lassen, daß es mit seinem Haut-Schach nicht mehr weit her war und ihm Babs bereits mehr bedeutete, als sie sollte. »Weißt du«, fragte der Kamikaze mit rauher Stimme, »daß du ganz schön ordinär werden kannst? Du hast mich einen Mistkerl genannt.«

»Entschuldige bitte«, erwiderte Babs. »Ich war nicht mehr ganz bei mir. Ich kann nichts dafür, wenn du mich um die Zurechnungsfähigkeit bringst.«

»Ein Mann, der das nicht tut, ist ein Stümper«, erwiderte Parker großsprecherisch.

»Du hast wohl zuviel Erfahrung«, konterte die nackte Schöne. »Du möchtest wohl allen Frauen verführen, welche Versager deine Vorgänger gewesen waren, stimmt’s?«

»Waren sie denn das bei dir?«

»No comment«, antwortete die Düsseldorferin. »Bist du eigentlich verheiratet?« fragte sie übergangslos.

»Diese Inquisition erfolgt aber reichlich spät«, entgegnete der Begleiter lachend.

»Weil es mir ziemlich egal ist – schließlich sind wir ja nur ein Paar auf Ferienzeit«, repetierte Babs. »Doch warum weichst du mir aus?«

»Deine Frage bringt einen Mann ins Dilemma«, entgegnete Parker. »Sagt er nein, hält ihn die Fragestellerin für einen Lügner …«

»Also, ja oder nein?« unterbrach sie ihn.

»Nein«, antwortete er.

»Also Lügner«, versetzte sie lachend.

»Falsch. Ob du es glaubst oder nicht, ich bin wieder Junggeselle.«

»Ich hab’ nichts dagegen«, erwiderte sie. »Wir machen uns noch ein paar schöne Tage, hier, in Manila und weiß Gott wo überall. Dann«, setzte sie hinzu, »kehrst du wieder in deine Textil-Import-Firma nach München zurück, und ich in mein Stahlkontor in Düsseldorf. Dort esse ich mit Geschäftsfreunden des Hauses, nicht ohne Ermahnung der Direktion, mich nicht mit ihnen einzulassen.« Sie drückte ihre Zigarette aus. »Als ob das nötig wäre bei diesen Typen.« Sprunghaft, wie Frauen manchmal so sind, fragte Babs: »Aber du warst schon einmal verheiratet?«

»Ja«, erwiderte Parker. »Zweimal geschieden.«

»Da hast du mich schon wieder um eine Länge geschlagen«, antwortete sie lachend. Sie sprang aus dem Bett. »Los! Ich nehm’ die Wanne und du die Brause.« Mit federnden Schritten ging sie ins Badezimmer, drehte sich noch einmal um: »Gibst du mir zwanzig Minuten, Ralf?«

»Dreißig«, räumte er ein. »Wenn du willst, kannst du dir auch noch Zeit zum Ausruhen nehmen.«

»Dafür ist sie mir hier viel zu kostbar. Hongkong prickelt mir auf der Haut«, versetzte die Düsseldorferin. »Ich fühle mich frisch wie die Forelle in einem Gebirgsbach.«

»Dann paß auf, daß dich hier keiner angelt«, erwiderte Parker lachend und ging unter die Dusche, trocknete sich ab, schlüpfte in einen Rollkragenpulli und trug darüber ein gutsitzendes Sportjackett. Er verabredete sich mit Barbara an der hoteleigenen Tagesbar.

Sie stand am Fenster, wiederum überwältigt von der Mammonopolis-Silhouette. Ein solcher Schauplatz forderte seinen Tribut; sie wollte sich heute abend einmal richtig landfein machen, und das hieß: kein überweites T-Shirt, keine ausgebeulten Jeans, keine flachen Schuhe, keine nachlässige Frisur.

Sie ging in das Bad, duschte warm und kalt, setzte sich vor den großen Spiegel und beschäftigte sich mit ihrem Gesicht. Große Korrekturen waren nicht nötig, kleinere erledigte sie mit geschickten Händen. Mit der Frisur war es schon etwas schwieriger, doch zum Glück hatte sie am Morgen vor dem Abflug in Bangkok noch die Haare gewaschen; sie ordnete sie asymmetrisch an, so daß ihre Schokoladenseite voll zur Geltung kam. Etwas mehr Lidschatten, ein intensiveres Rouge, die neuen Pumps mit den hohen Absätzen und vor allem das spezielle Parfüm mit der herben Duftnote.

Babs überprüfte sich noch einmal sorgfältig: Mehr konnte man nicht aus sich machen – und mehr hatte sie auch gar nicht nötig. Eine Frau im besten Alter, eher jünger aussehend; sie wirkte wie eine dieser glücklichen Schönen, die offensichtlich den richtigen Mann mit dem rechten Bankkonto geheiratet haben.

Der Kamikaze saß an der noch schwach besetzten Bar wie einer dieser Männer, die an allen Theken der Welt anzutreffen sind, sich langweilen und dann zielstrebig vollaufen lassen, was an einem Ort mit dem höchsten Branntweinkonsum der Welt ohnedies angebracht ist.

Der Barkeeper hieß – laut Namensschild an seinem Revers – Charly. Er sah aus wie ein Hollywoodstar, der einen Barchef spielt, ein junger Clark Gable; er war gebürtiger Engländer, in Hongkong hängengeblieben, wo er mehr verdiente als ein Bankdirektor in seiner Heimatstadt Liverpool.

»Was darf es sein, Sir?« fragte er höflich.

»Ich denke, es ist Zeit für einen Gin and Tonic«, orderte der Gast.

»Falls Sie bei uns im Haus wohnen, dürfte ich Sie dann um Ihre Zimmernummer bitten?« bat Charly freundlich. »Ich setze dann alles auf die Rechnung.«

»1514«, erwiderte der Kamikaze und schob dem Keeper als Einstandstrinkgeld einen größeren Geldschein zu, den Charly so behende verschwinden ließ wie eine Nonne einen Liebesbrief.

»Sie sind nicht zum ersten Mal in Hongkong, Sir?« fragte er, als er den Drink servierte.

»Und auch nicht zum letzten Mal«, versetzte der Neuankömmling, und Charly lächelte, denn diesen Satz hörte er mindestens hundertmal am Tag.

Der Raum füllte sich rasch mit neu hinzukommenden Gästen, Chinesen in der Überzahl, offensichtlich vor dem Sprung in das abendliche Vergnügen. Zum Fünf-Uhr-Tee waren sie bereits angezogen wie zu einem mitternächtlichen Galadiner. Trotz der Klimatisierung und der milden Außentemperatur legten die Damen ihre Chinchillas oder Zobels nicht ab. Ihre Juwelen signalisierten einander ihre Karate zu, nicht selten zweistellige. Nirgendwo prostituierte sich das große Geld schamloser als in Hongkong, dem Schauplatz eines ständigen Narrentreibens der Neureichen.

Hier gibt es kaum gewachsenen Wohlstand. Die meisten der hunderttausend Millionäre waren oft erst vor fünfzehn, zwanzig Jahren nur mit dem Hemd auf dem Leib schwarz über die grüne Grenze gekommen und hatten ihren Aufstieg als Rikschafahrer, Pfannenflicker, Gemüseputzer, Scherenschleifer, Entenschneider und Straßenkehrer begonnen, die Abfalltonnen nach Brauchbarem durchwühlt, aus den Mülleimern um die Garküchen herum Speisereste gesammelt. Manche von ihnen waren und sind noch Analphabeten und sitzen nunmehr in der obersten Direktionsetage der Skyscrapers, verwalten Milliarden, und ihre Handlanger sind Wirtschaftswissenschaftler, Doktoren und Professoren. Und hier, ganz oben, scheffelt auch der kriminelle Tycoon der Triaden-KK Milliarden von Geldern, erbeutet von einem Heer hartgesottener Verbrecher, das er auf die ganze Welt losgelassen hat.

Ralf Parker hatte eine meisterliche Art, Desinteresse für seine Umgebung zu zeigen und sie dabei scharf zu beobachten. Siebzehn Jahre Geheimdienst hatten den Vierzigjährigen empfindsam für Schwingungen gemacht, für die andere gefühllos sind. Immer wenn sich Parker beobachtet wähnte, spürte er eine Art innerer Spannung. Sicher gab es im Barraum mindestens einen Mann, der ihn beschattete, und das bereits seit seiner Ankunft auf dem Airport Kai Tak.

Sosehr er sich auch anstrengte, konnte er sich nicht erinnern, seit seiner Landung ein und dasselbe Gesicht zweimal gesehen zu haben, auch wenn für einen Europäer die Chinesen ziemlich gleich aussehen. Parker war sich sicher, daß ihn die Firma nach der Pleite mit Babinsky und Liebkind keinen Moment aus den Augen lassen würde. Latzkes Elend war ihm im Camp verschwiegen worden, aber er hatte seine Auftraggeber bei solcherlei Vertuschungsversuchen schon öfter ausrutschen lassen. Vermutlich wußte er mehr über diesen Fall als die Heimlichtuer selbst. Er hätte gegen die Intrige Sturm laufen und aus der Operation aussteigen können, aber solange man in Pullach annahm, ihn hereingelegt zu haben, hatte er einen Trumpf in der Hand, für alle Fälle, zumal sein Gönner Blaurock wohl selbst ausgetrickst worden war.

In freundlichen wie in feindlichen und in neutralen Ländern unterhielt das Camp geheime Residenturen als Spionagestützpunkte. Selbstverständlich war dem Kamikaze die Adresse der getarnten BND-Filiale in Hongkong bekannt. Man hatte ihm in Pullach versichert, daß nach der verpfuschten Ouvertüre der »Operation Taifun« alle daran beteiligten Mitarbeiter abgelöst und durch andere Agenten ersetzt worden seien. Das konnte stimmen, doch auch nur eine Beruhigungspille sein. Aber dann erinnerte er sich, daß diese Information von Blaurock stammte, und sein Chef log ihn nicht an.

Der Barkeeper schaute auf Parkers leeres Glas.

»Später, Charly«, sagte der Gast und beobachtete die neu eintretenden Besucher.

Dr. Zweibein, den Arzt aus Hamburg, der ihm mit seinen ewigen Leitartikeln auf die Nerven ging, hatte er längst erkannt, aber der Mann sah ihn erst jetzt und winkte ihm vom anderen Ende der Bar aus zu. Nicht gerade einladend erwiderte der Kamikaze den Gruß durch ein Kopfnicken. Dann erinnerte er sich, daß der Mediziner mit vier weiteren Passagieren erst in Bangkok zugestiegen, die geschlossene Reisegesellschaft aber bereits in Frankfurt gestartet war. Änderungen des Rundreiseprogramms waren möglich und üblich. Der Mann, der gelegentlich seinem eigenen Gesicht mißtraute, registrierte Dr. Zweibeins Auftauchen automatisch. Er hatte ein fotografisches Gedächtnis, das Einzelheiten wie einen Film aufzeichnete, den er bei Bedarf abspulen konnte.

Seine Aufmerksamkeit wurde einen Moment lang abgelenkt – nicht nur seine. Es war, als hätte ein unhörbarer Gong den Eintritt einer Außergewöhnlichen angekündigt: Eine ungemein attraktive Eurasierin, flankiert von zwei Herren, schritt durch den Raum und setzte sich auf der anderen Seite der Theke neben Dr. Zweibein. Sie hatte ein pikantes Gesicht mit beherrschenden Augen. Sie wirkte intelligent und distanziert, ladylike und doch verführerisch. Parker, der sie in seiner blicklosen Art betrachtete, stellte fest, daß er nicht der einzige war, auf den sie diesen Eindruck machte. Die Eurasierin war eine Augenweide, die nicht nur die Augen der männlichen Besucher abgrasten. Sie schien es nicht zu bemerken. Die Blickte prallten von ihr ab wie stumpfe Pfeile; dabei wirkte sie eher gleichgültig als hochmütig.

»Diese Lady kommt beinahe täglich hierher, aber selten mit denselben Herren«, beantwortete Charly halblaut eine ungestellte Frage. »Li Williams, eine Journalistin vom ›Hongkong Standard‹. Außerdem noch Korrespondentin mehrerer britischer Blätter.« Er merkte, daß sein Gast interessiert war, und fuhr fort: »Ihr Büro liegt gleich nebenan, deshalb haben wir so oft das Vergnügen, Miss Williams bei uns zu sehen.«

Er ging auf die Eurasierin zu. Sie begrüßte ihn vertraut-burschikos. Charly hielt betont auf Abstand, bediente dann andere Gäste und kam wieder zu Parker zurück: »Vater Chinese, Mutter Engländerin«, sprudelten seine Informationen weiter. »Eurasierinnen gibt es zu Tausenden in Hongkong. Sie sind besonders attraktiv, klug und begehrenswert, aber Li Williams ist die schönste von allen, die ich kenne, und dazu noch wohlhabend und erfolgreich.«

»Sie brauchen die Reklametrommel nicht zu rühren«, erwiderte der Gin-Tonic-Trinker lächelnd. »Ich fürchte nur, daß weder Sie noch ich bei Miss Williams landen werden.«

»Und noch mancher andere Kamerad«, versetzte der Keeper und lächelte verzichtend.

Die Bar war jetzt bis auf den letzten Platz besetzt. Neue Gäste blieben an der Tür stehen und zogen mit enttäuschten Gesichtern wieder ab. Eine junge Frau zwängte sich durchs Gewühl; es war Babs, und sie genoß es, einen Unerschütterlichen durch ihre Erscheinung einen kurzen Augenblick lang verblüfft zu haben.

Er stand auf, ging ihr entgegen: »Toll siehst du aus«, begrüßte er sie mit einem Handkuß. »Wie machst du das bloß, Prinzessin?«

»Ganz einfach«, erwiderte sie lachend, während ihr Parker auf seinen Hocker half und neben ihr stehenblieb. »Ich bin meine eigene Zofe, meine eigene Visagistin und meine eigene Coiffeuse.«

»Gleich drei Berufe auf einmal«, entgegnete der Kamikaze lachend. »Wie eine echte Hongkong-Chinesin.«

»Sind die so fleißig?«

»Notgedrungen«, erwiderte er.

»Vertreten wir uns ein bißchen die Beine«, regte Babs an. Sie legte die Hand auf Parkers Arm. »Sieh nicht hin«, sagte sie dann. »Uns schräg gegenüber sitzt Dr. Zweibein, dieser Quacksalber – nicht daß er uns den Abend vermiest.«

Sie tranken ihren Cocktail aus. Der Kamikaze nickte Charly zu.

Beim Verlassen der Bar stellte er fest, daß die hübsche Miss Williams ihn aufmerksam musterte, vielleicht weil er der einzige Mann im Raum war, der ihr nicht demonstrativ seine Huldigung erwies. Oder gab es womöglich einen anderen Grund? Er hatte zu gute Nerven, um Gespenster zu sehen, sosehr er auch auf alles gefaßt war.

Beim Durchqueren der Halle überlegte er erneut, wer von all diesen angeblichen Müßiggängern auf ihn angesetzt sein könnte. Parker ließ den Film zurückspulen, und da fiel der Groschen: nur einer der fünf Bangkok-Zusteiger war im Flugzeug hinter ihm gesessen, und zwar der einzige der geschlossenen Gesellschaft, der jetzt offensichtlich ebenfalls ins ›Mandarin‹ übersiedelt war.

»Entschuldige mich«, sagte der Kamikaze zu seiner Begleiterin. »Nimm bitte einen Moment in der Halle Platz.«

Er ging auf die Portiersloge zu. »Sagen Sie mal: Täusche ich mich, oder habe ich hier einen alten Bekannten gesehen?« sprach er den Mann mit den gekreuzten Schlüsseln auf dem Kragenspiegel an und schob ihm einen Geldschein zu. »Einen gewissen Dr. Zweibein …«

»Sie täuschen sich nicht, Sir«, entgegnete der Mann unverzüglich. »Wir hatten einige Probleme mit ihm, denn Dr. Zweibein wollte unbedingt in unserem Haus wohnen, aber wir sind restlos ausgebucht. Schließlich taten wir den Kollegen vom ›Ambassador‹ den Gefallen. Leider konnte Dr. Zweibein nur ein kleines Zimmer bekommen, ohne Ausblick.« Er sah zum Schlüsselbrett, stellte fest, daß der Gast im Haus war. »Soll ich Sie verbinden, Sir?« fragte er und griff zum Hörer.

»Nein, danke«, erwiderte der Gast. »Aber vielleicht könnten Sie im ›Jumbo‹ einen Tisch für zwei Personen auf meinen Namen reservieren lassen.«

»Wird erledigt, Sir«, antwortete der Portier.

Über Parkers Gesicht dümpelte ein Lächeln und verschwand so schnell wie die Beute eines Taschendiebs.

Er hatte die Drahtzieher der Operation Taifun II zum zweitenmal ertappt und konnte sich einen weiteren Joker in den Ärmel stecken.

Die gelbe Mafia

Подняться наверх