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ОглавлениеDer Wagen des Bundeskriminalamts war mit Blaulicht und Sirene von Wiesbaden nach Frankfurt gerast. Kudemann, dem solcherlei Auftritte im allgemeinen verhaßt waren, mußte es hinnehmen. Eile tat not, und die Schnellstraße war wie immer verstopft.
Er drehte sich nach Salewsky und Blaurock um. »Viel kann ich noch nicht sagen – aber es sieht so aus, als hätten wir es mit einer Wiederholung des Doppelmords von Hamburg zu tun. Roland«, wandte er sich direkt an den Spezialisten aus Pullach, »erinnerst du dich noch an die beiden Chinesen, einen 54jährigen Chef und seinen 37jährigen Assistenten, die in der Hansestadt gefoltert und unter schauerlichen Umständen hingerichtet wurden?«
»Ja, ich weiß, Doktor«, entgegnete Blaurock, »der Fall Li Tiexiong und Zhang Yongqing.«
Der HOKO-Chef lächelte verstohlen. Auf Blaurocks Gedächtnis konnte er sich so gut verlassen wie auf das eigene.
Der Fahrer schlängelte sich geschickt durch, fuhr Slalom um stehende Kolonnen und schaltete, als sie die Mainmetropole erreichten, die Sirene ab. Das Blaulicht ließ er an und erreichte so ziemlich zügig das Zentrum.
Der Tatort lag am Ende der Zeil, der berühmten Einkaufsstraße inmitten der Stadt. Ein unansehnliches Gebäude in einem Hinterhof, im Schatten einer glänzenden Fassade das Büro einer Importfirma für Chinaporzellan und Jadeartikel. Seit Tagen war den Anliegern der üble Geruch, der aus dem eher schmuddeligen Gebäude kam, aufgefallen. Schließlich hatten sie die Polizei alarmiert. Der biedere Revierposten hatte sofort die Mordkommission verständigt, die wiederum, bereits wenige Minuten nach ihrem Eintreffen, weisungsgemäß die Hongkong-Kommission beim Bundeskriminalamt benachrichtigte.
Vor dem Haus stauten sich die üblichen Gaffer, nur mit Mühe von Uniformierten zurückgedrängt. Die Ankömmlinge mußten sich eine Gasse bahnen, bevor sie das Haus betreten konnten, wo sie vom Hauptkommissar empfangen wurden, der die Mordkommission leitete.
»Gut gemacht, Müllner«, begrüßte ihn Kudemann und reichte ihm die Hand. »Danke für die sofortige Meldung.«
»Ich hätte sie Ihnen gern erspart«, antwortete der Beamte und ging zum Tatort voraus. »Es ist noch alles unberührt«, erklärte er. »Nur die Fenster mußten wir Öffnen, sonst wären wir in dem Gestank umgekommen.«
Es bedurfte keiner weiteren Erklärung. Kudemann preßte sich ein Taschentuch vor das Gesicht. Blaurock folgte seinem Beispiel. Salewsky mußte sich übergeben, bevor er noch die Toilette aufsuchen konnte. Auch die Gesichter der abgehärteten Beamten der Mordkommission waren wie mit Grünspan überzogen.
Die beiden Opfer lagen gefesselt auf dem Bauch. Die Mörder hatten ihnen um den Nacken einen dünnen Draht gelegt und die Schlinge so an den angewinkelten Beinen angebracht, daß sie sich selbst strangulieren mußten, wenn ihre Körperkräfte nachließen und die Erschöpfung die Beine nach und nach in ihre natürliche Haltung zwang. Es war ein langsamer, unvorstellbar grausamer Tod gewesen, den die beiden Chinesen erlitten hatten.
Die Gesichter der beiden Toten waren bis zur Unkenntlichkeit aufgequollen, die Augen verdreht, die Lippen aufgerissen wie zu einem letzten Schrei. Die Täter hatten, um die Verwesung zu beschleunigen, ihre Opfer in nasse Tücher gewickelt, die Fenster geschlossen und die Heizkörper bis zur Höchststufe aufgedreht. Die Wohnung war zerwühlt, die Schränke aufgebrochen, die Schubladen herausgerissen; überall lagen Schriftstücke herum.
Der Gerichtsmediziner richtete sich auf, trat mit angewidertem Gesicht ans Fenster, atmete heftig die frische Luft ein.
»Wann etwa wurde der Doppelmord verübt?« fragte Müllner.
»Das kann ich nur schätzen: vor acht, vielleicht auch nur sieben Tagen; möglicherweise liegt die Tat auch weniger lange zurück. Die hohe Temperatur im Raum hat mit Sicherheit den Zersetzungsprozeß beschleunigt. Gedulden Sie sich bis zur Obduktion, meine Herren«, bat der Gerichtsmediziner. »Mit Sicherheit kann ich Ihnen jetzt nur sagen, daß die beiden Opfer erwürgt wurden.«
»Und zwar, weil sie gesprochen – oder geschwiegen haben«, versetzte Dr. Kudemann sarkastisch. »Mit Sicherheit.« Er sah dem Gerichtsarzt nach, der ging, als würde er fliehen.
Bereits auf den ersten Blick ließ das abscheuliche Doppelverbrechen auf den chinesischen Triaden-Geheimbund als Täter schließen. Frankfurt und Hamburg waren im Modus operandi nahezu deckungsgleich. Dann allerdings ergab sich ein erheblicher Unterschied: Die Opfer im Hamburger Stadtteil Borstel waren fleißige, strebsame Geschäftsleute ohne Schulden gewesen, ohne Passionen, ohne Drogen und ohne Alkoholmißbrauch, in keinerlei Affären verwickelt. Nach Vermutung der Polizei waren sie ermordet worden, weil sie sich geweigert hatten, Schutzgelder zu bezahlen.
»Aber hier«, erklärte der Kriminalist Müllner, »haben wir es mit Männern zu tun, die uns unter dem Namen Weng und Khum seit längerem bekannt sind, weil wir sie in Verdacht hatten, über Amsterdam Heroin und exotische Mädchen nach Deutschland einzuschleusen. Wir hatten Indizien, sogar einige Beweise, aber wir wollten keine Einzeltäter festnehmen, sondern den ganzen Ring auffliegen lassen. In der letzten Woche ist unserem Rauschgiftdezernat ein großer Coup gelungen. Es hat über hundert Kilogramm des berüchtigten Heroin 3 abgefangen – das ist diese Mischung von Rauschgift und Kaffee«, erklärte Müllner.
Kudemann nickte. Er wußte, daß es sich beim brown sugar um einen typischen Exportschlager aus Hongkong handelte. »Und die beiden hatten damit zu tun?«
»Möglich, sogar wahrscheinlich – aber keineswegs bewiesen«, antwortete der Hauptkommissar.
»Keine Verhaftungen?« fragte Blaurock.
»Zwei Verdächtige. Chinesen. Beide stumm wie Grabsteine. Ein dritter Mann, der öfter mit den beiden Toten hier zusammen gesehen wurde«, berichtete der Chef der Mordkommission weiter, »wir kennen ihn nur unter dem Namen Dschingis-Khan, ist flüchtig und vorläufig unser Hauptverdächtiger. Ich habe unverzüglich eine Großfahndung nach ihm ausgelöst.«
»Gut«, erwiderte Kudemann. »Die holländischen Kollegen verständige ich über Interpol.« Er würde offene Türen vorfinden, er war der deutsche Verbindungsmann zu dieser Institution, die seit ihrer Gründung 1923, mit Sitz in Paris, erfolgreich bei allen grenzüberschreitenden Verbrechen – sofern sie nicht politisch motiviert waren – international zusammenarbeitet. »Noch etwas, Müllner«, verabschiedete er sich, »dehnen Sie die Fahndung nach Dschingis-Khan gleich noch auf die Krankenhäuser in Frankfurt und Umgebung aus …«
»Krankenhäuser …«
»Und auch auf private Arztpraxen, bei denen ein Mann mit unerklärlichen Verletzungen, zum Beispiel einem abgeschnittenen Ohr, abgeschnittener Nase oder Finger eingeliefert wurde und ziemlich unglaubliche Angaben macht, wie er dazu gekommen ist.«
Der Hauptkommissar nickte verständnislos.
»Ich hab’ da so meine Vorahnungen«, erklärte Kudemann sibyllinisch.
Der Spezialist für die Bekämpfung des organisierten Verbrechens hatte es nicht leicht gehabt, sich durchzusetzen. Jahrelang war vor der Öffentlichkeit von Polizei, Politikern und Regierungsstellen die Behauptung aufrechterhalten worden, es gäbe in Deutschland keine Verbrecherbanden nach italienischem Mafia-Vorbild. Berichte in Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehen seien übertrieben und übliche Geschäftemacherei mit der Panik.
Als es dann Kudemann und seiner Crew gelungen war, in Frankfurt die berüchtigte Eurogang, einen Ableger der Ehrenwerten Gesellschaft aus Sizilien, zu zerschlagen, ließ sich nicht mehr länger verheimlichen, daß Papas Kripo auf verlorenem Posten stünde, so es ihr nicht gelänge, neue Wege einzuschlagen und sich darauf einzustellen, daß Palermo auch am Main lag, Chicago auch an der Alster und Hongkong vielleicht an der Isar. Für ein Jahr hatte man Felix Kudemann zum FBI nach New York delegiert, um vor Ort die Praktiken der Bandenbekämpfung zu verfolgen. Die dortigen Cosa-Nostra-Familien – einmal 27 Morde in drei Tagen – hatten ihm deutlich vor Augen geführt, daß es den Mafiosi gelingen könnte, Polizei und Justiz in eine Unehrenhafte Gesellschaft zu verwandeln, so man den Anfängen nicht wehrte: Polizisten waren in New York und Chicago – und nicht nur in diesen Riesenstädten – gekauft, Staatsanwälte korrumpiert und Richter bestochen oder, sofern sie nicht mitmachten, auf offener Straße niedergeschossen worden.
So weit war es in Deutschland noch nicht, aber die Ansätze konnte man nicht länger leugnen. Unter Federführung Kudemanns ging die Fahndung daran, die Kuriere aus dem Süden – Geldwäscher, Befehlsüberbringer oder Auftragskiller – zu überwachen. Nicht immer erfolgreich. Während man mit allen Mitteln versuchte, den Spaghetti-Mob niederzuhalten, war überraschend eine weit tödlichere Gefahr aufgetaucht: die Triaden. Ein chinesisches Gangster-Syndikat. Die Gelbe Mafia.
»Wir haben zu lange gezögert, diese Leute wirklich ernst zu nehmen«, erklärte Kudemann seinen Mitfahrern auf dem Rückweg zum Bundeskriminalamt. »Wir hielten die Gangster mit dem Dreieck als Symbol für ein exotisches Phantom. Als eine engagierte chinesische Journalistin in Amsterdam einen Bericht über die Untaten der Triade KK geschrieben hatte, wurde sie tot aus einer Gracht gefischt.«
Salewsky waren die Zusammenhänge ziemlich neu, aber Blaurock kannte sie. Er wußte, daß die fernöstlichen Verbrecher vom Brückenkopf Amsterdam aus in unglaublichem Tempo die Invasion nach Deutschland getragen hatten, zunächst mit drei Spezialitäten: Heroin-Vertrieb, Schutzgeld-Erpressung und Mädchenhandel. Es gab Täter, aber keine Zeugen. Verbrecher, die gefaßt wurden, schwiegen beharrlich, trotz härtester Strafandrohungen. Die Triaden bestraften schlimmer.
Die ersten Opfer waren chinesische Wirte in Deutschland. In München gibt es zum Beispiel kaum ein China-Restaurant, das nicht Schutzgebühren an die »Kofuns« (Soldaten) der »Oyabuns« (Paten) in Hongkong zahlen würde. Der Handel mit exotischen Schönheiten wird weitgehend von der britischen Kronkolonie aus organisiert. Mindestens ein Drittel allen Kokains, das den Westen überschwemmt, kommt via Hongkong. Schiffsversenkungen, Versicherungsbetrügereien großen Ausmaßes gehen ebenso auf das Konto der Triaden wie Markenfälschungen von Rolex-Uhren oder Lacoste-Hemden.
Auch bei der sizilianischen Mafia gilt das Gesetz des Schweigens, trotzdem ist es – vor allem den Italienern – immer wieder gelungen, Abgefallene zum Reden zu bringen. Während eines Mammutprozesses in Turin sind zwar in jüngster Zeit sieben wichtige Zeugen ermordet, doch auch an die 130 Täter verurteilt worden, unter ihnen auch Richter und Staatsanwälte. Und einige sogar lebenslänglich.
»Wie viele Chinesen leben eigentlich in Deutschland?« fragte Salewsky.
»Vierzehntausend legal, dazu kommen Tausende illegaler Zuwanderer, von denen die meisten sicherlich nichts mit den Triaden zu tun haben. Wir haben schon Täter gefaßt, überführt und verurteilt, doch im Gegensatz zu den Italienern hat nicht ein einziger Chinese jemals etwas über die Geheimorganisation ausgesagt. Es gibt leider keine Zeugen, keine Geständigen, keine Überläufer«, stellte Kudemann fest.
»Das deckt sich mit unseren Erfahrungen im Ausland, Doktor«, bestätigte Blaurock. »Die Schwierigkeiten sind immens. Allein die Sprache, das Aussehen, die Denkweise dieser Leute stellen uns vor schier unlösbare Probleme.«
Sie hatten das Bundeskriminalamt in Wiesbaden erreicht und fuhren mit dem Lift in das Büro des HOKO-Chefs hoch. Salewsky stand offensichtlich noch unter dem Schock, in den ihn der Anblick der beiden Mordopfer am Tatort versetzt hatte. Kudemann ging an einen Wandschrank und schenkte Cognac ein; sie hatten alle drei einen nötig, am dringendsten Salewsky, der ihn auch als erster austrank.
»Ich wollte Ihnen den Tag wirklich nicht durch Horror vergällen«, behauptete Kudemann, »aber doch einmal vor Augen führen, wie es jedem von uns ergehen kann, so ihm ein Fehler unterläuft.«
»Ich hab’ schon viel gesehen und erlebt, aber so etwas …«, erwiderte Salewsky.
»Die grausamsten und gefährlichsten Gegner, die wir je hatten«, stellte der HOKO-Chef fest. »Über fünfzig Beamte, verteilt auf die ganze Bundesrepublik, habe ich an die Aufklärung dieser Verbrechen gesetzt. Sie sammeln Steinchen für Steinchen, ohne zu wissen, um welches Mosaik es sich dabei handelt. Ohne absolute Geheimhaltung scheitern wir kläglich. Deshalb«, wandte er sich direkt an seinen unebenbürtigen Stellvertreter, »darf die Gelbe Mafia auch in Pullach kein Thema sein.«
»Aber das ist doch selbstverständlich, Herr Dr. Kudemann«, beteuerte der Großsprecher ziemlich kleinlaut.
»Auch für die Sicherungsgruppe«, ergänzte der Top-Kriminalist. »Wir hatten heute morgen einen Zusammenstoß. Ich möchte nicht, daß er sich wiederholt.« Er deutete den Blick des schönen Maximilians richtig und goß ihm ein zweites Glas Cognac ein. »Auf unser Teamwork, Herr Salewsky, anders geht es nicht. Ich nehme zur Kenntnis, daß sich Taifun II nicht mehr abbrechen läßt. Aber ich werde den Kamikaze unverzüglich auffordern, jede Aktivität zu unterlassen, bis wir den Flop Taifun I bis ins letzte geklärt haben.«
»Muß das sein?« fragte Salewsky, schon auf dem Rückzug.
»Sollen wir riskieren, daß der Mann im gleichen Zustand aufgefunden wird wie die beiden Opfer von der Zeil?«
»Um Gottes willen«, entsetzte sich der Karrierist aus Pullach. »Aber Parker ist sehr schwierig.«
Blaurocks Gesicht wirkte belustigt.
»Treten Sie dem Kamikaze ordentlich in den Hintern«, versetzte der Kriminaldirektor. »Wenn er dann nicht spurt und deshalb hopsgeht, sind wir wenigstens nicht schuld daran.«
»Das mag sein«, warf der Ostasien-Dezernent ein, »aber das bringt uns auch keinen Schritt weiter.«
»Sie sind damit einverstanden, daß künftig ausschließlich Kollege Blaurock nach meinen Direktiven die Vorgänge um Latzke, Liebkind und Babinsky untersucht?« schloß Kudemann die Debatte.
»Ja, schon – aber wie lange kann das dauern, wir wollen doch nicht so viel Zeit …«
»Das weiß ich nicht«, unterbrach der HOKO-Chef. »Vielleicht nur ein, zwei Tage. Es soll keine Angeberei sein«, fuhr er versöhnlicher fort, »aber wir haben nun mal die größere Erfahrung.«
»Sicher«, räumte der schöne Maximilian ein, »aber ich habe im Entwicklungsdienst bereits in Indien und Indonesien mit Pullacher Agenten nachrichtendienstlich zusammengearbeitet«, entgegnete Salewsky. »Ich bin nicht so unbeleckt, wie Sie annehmen.«
»Das ist mir neu«, antwortete Kudemann überrascht.
»Mir auch«, sagte Blaurock.
»Dann werden wir künftig keine Schwierigkeiten mehr miteinander haben«, konstatierte der HOKO-Chef mit einer Spur von Spott.
Die Besprechung zog sich in die Länge. Der schöne Maximilian sah immer wieder auf seine Armbanduhr.
»Sind Sie in Eile?«
»Ja, ich werde heute noch bei einem Empfang im Aquarium der Münchener Residenz erwartet.«
»Gehen Sie meinetwegen ruhig schwimmen«, versetzte Kudemann, »aber nicht baden«, verabschiedete er Salewsky lachend. »Roland Blaurock und ich haben noch eine lange Nacht vor uns.«
Salewsky verabschiedete sich.
»Den hast du ja ganz schön kleingekriegt, Felix«, sagte Blaurock lachend.
»Wenn du willst, kann ich ihn ablösen lassen.«
»Das will ich nicht – zumindest so lange nicht, bisich mit Latzke gesprochen habe.«
Kudemann betrachtete ihn fragend.
»Ich habe Taifun I in den Anfängen mit vorbereitet«, erklärte er. »Dann fuhr ich fünf Wochen in Urlaub – mußte einmal sein nach drei Jahren – als ich zurückkam, hatte Salewsky den großen Macher gespielt und die Operation anlaufen lassen.«
»Eine Art Ejaculatio praecox«, erwiderte der Kriminalist sarkastisch.
»Deshalb wurde ich bei der Untersuchung des Falls nicht eingeschaltet. Vermutlich hätte sich im Handumdrehen herausgestellt, welchen Mist der schöne Maximilian gebaut hat. Übrigens höre ich zum erstenmal von dieser angeblichen Zusammenarbeit mit unseren Leuten im Entwicklungsdienst. Ich werde dieser Behauptung nachgehen, sobald ich im Camp bin.«
»Tu das, Roland«, antwortete Kudemann.
Seine Sekretärin stellte am späten Nachmittag einen Anruf der Frankfurter Mordkommission durch.
»Was Neues, Müllner?« fragte er den Hauptkommissar und drehte am Gerät den Lautsprecher auf, damit Blaurock das Gespräch mithören konnte.
»Ja«, erwiderte Müllner. »Sind Sie eigentlich Hellseher, Herr Kriminaldirektor?«
»Lassen Sie es mich versuchen«, ging der HOKO-Chef auf den Ton des Anrufers ein. »Sie haben Dschingis-Khan gefunden. Und zwar verstümmelt.«
»Richtig. Der Chef einer Privatklinik hat sich an das Polizeipräsidium gewandt, weil ihm die Sache faul vorkommt: Ein Chinese, der radebrechend angab, ihm sei bei einer Schlägerei das linke Ohr abgerissen worden, liegt bei ihm auf der Station. Es handelt sich bei der Verletzung einwandfrei um eine Schnittwunde.«
»Und an die Kneipe, in der ihm das Malheur passiert ist, erinnert sich Dschingis-Khan auch nicht mehr.«
»Sie werden mir langsam unheimlich, Herr Kriminaldirektor«, stellte Müllner fest. »Der Verdächtige hat sich zu spät in ärztliche Behandlung begeben. Inzwischen ist eine handfeste Infektion eingetreten. Sollen wir den Mann vernehmen und …«
»Auf keinen Fall«, entschied der HOKO-Chef. »Lassen Sie den Burschen rund um die Uhr beschatten, und verständigen Sie mich, wenn er vernehmungsfähig ist.« Er legte auf und nickte seinem Freund aus Pullach zu. »Also, ein typischer Triaden-Mord, wie wir ja von vornherein angenommen hatten. Aber im Gegensatz zu dem Hamburger Verbrechen können wir uns diesmal etwas einfallen lassen.«
»Und du hast schon eine Idee?«
Er nickte zustimmend. »Mach dich schon mal auf eine Überraschung gefaßt.«
Mehr verriet Kudemann nicht. Blaurock mußte sich noch zwei Stunden gedulden. Gegen 20 Uhr verließen die beiden das Bundeskriminalamt und fuhren zum Rhein-Main-Flughafen, aber nicht im Dienstwagen, sondern in Kudemanns Privatauto. Er stellte es nicht auf dem großen Parkplatz ab, sondern rollte – offensichtlich nach Absprache – in die Innenseite des Flughafengebäudes. Als der Bus losfuhr, um die Passagiere der Maschine aus Paris auf der Landebahn abzuholen, fuhr er langsam hinterher.
Die Gangway wurde herangefahren, die Flugzeugtür geöffnet.
»Wir erwarten also einen Passagier aus Paris?« fragte Blaurock.
»Ja und nein«, erwiderte der Leiter der Sonderkommission. Nach kurzem Nachdenken ergänzte er dann doch: »Er kommt aus New York – Paris war nur eine Zwischenstation.«
»Also Interpol …«
»Ja und nein«, antwortete Kudemann zum zweitenmal.
Leicht verärgert gab es der Mann aus Pullach auf, das Orakel von Delphi zu befragen.
Die ersten Passagiere erschienen auf der Landetreppe, bedrängt von den nachfolgenden; immer mehr quollen heraus. Alle hatten es eilig, der engen Maschine zu entkommen. Der BND-Dezernent bemerkte einen Mann, der in jeder Menschenmenge auffiel, wiewohl er nichts dazu tat und nur knapp über der Normalgröße lag.
Blaurock betrachtete die hohe Stirn, die dichten, linksgescheitelten Haare, die buschigen Augenbrauen. Jetzt war er sicher, daß der Passagier, den er von New York her kannte und der die Intelligenz eines Wissenschaftlers mit der Härte eines Karatemeisters vereinigte, Fred Magellan war, mit dem er sich in New York angefreundet hatte.
In Praxis wie in Theorie der beste Chinaspezialist, den er kannte – und er kannte viele.
»Alle Achtung, Doktor«, sagte er zu Kudemann.