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Viel zu früh macht sich Gremlitzka auf den kurzen Weg, verzichtet auf ein Taxi, bleibt einen Moment vor dem Goethe-Denkmal in der gepflegten Anlage stehen und stellt belustigt fest, daß der deutsche Dichterfürst so von Bankpalästen umstellt ist, daß es aussieht, als sei er in den Hinterhalt des großen Geldes geraten.

Er geht weiter, mit schnellen, langen Schritten, die seine Unternehmungslust erkennen lassen. Er überlegt die Höhe eines ersten Angebots für. die unbezahlbare Käufliche. Er wird nicht kleckern, sondern klotzen. Dieser Gärig mag verdienen, was er will, aber wenn es bei Verhandlungen über bestimmte Summen hinausgeht, bleibt er einfach ein kleiner Mann, der B-Filme herunterkurbelt. Der Traumfabrikant hat nicht erfaßt, wie sich Evamarie Dutscheweit als sprudelnde Geldquelle erschließen läßt.

Wenn ihre Gönner so hoch angesiedelt sind, werden sie ihre Nobelmätresse entweder fördern oder darauf bedacht sein, nicht als ihre Liebhaber auf der Leinwand kenntlich zu werden. Längst ist es üblich, daß branchenfremde Firmen als stille Teilhaber Filme mitfinanzieren, worauf Produktion wie Verleih immer erpicht sind. Erpressung lehnt Gremlitzka natürlich ab, aber wenn die Presse erst einmal das Filmvorhaben ausposaunt, wird das Vorleben des neuen Stars zu einem gefundenen Fressen für die Klatschspalten. Soweit die Herren von Geld und Welt Gönner, Sponsoren und Gelegenheitsgalane der munteren Dame waren oder sind, werden sie schnellstens ihre Anwälte zur Produktion oder dem Verleih schicken, und diese werden mit bombastischen Drohungen oder finanziellen Angeboten versuchen, ihre Klienten aus dem Drehbuch herauszuhalten oder gänzlich unkenntlich zu machen. Die öffentliche Moral und das private Wirken sind zwei Paar Stiefel. Nicht nur in den Auslagen der in Mode kommenden Supermärkte gibt es Mogelpackungen. Bei Schicklichkeit und Sitte sind sie weit größer.

Wenn man die Verhandlungen mit Geschick, Delikatesse und Raffinement führt, sieht Gremlitzka eine Chance, Hunderttausende an diese Göttin der Sünde zu bezahlen und dabei Millionen zu verdienen – ganz abgesehen von persönlichen Gunstbeweisen, die sie ihm dann vielleicht sogar gratis gewähren wird.

Einen Moment lang spürt der Verleihchef das unterkühlte Fluidum dieser Trapezkünstlerin der Sinnlichkeit und läuft beim Überqueren der Kaiserstraße in die Fahrbahn eines Straßenkreuzers. Der Mann am Steuer kann im letzten Moment seinen Blechriesen noch abbremsen; er dreht die Scheibe herunter und flucht lauthals und verständnislos, er wird ja auch nicht von der verwirrenden Ausstrahlung einer perfekten Lotterprinzessin genarrt.

»Entschuldigen Sie bitte meine Schuld«, ruft der Tagträumer des Geldes und des Vorgenusses dem Fahrer zu. »Es soll nicht wieder vorkommen.«

Der Mann beruhigt sich wieder und lenkt seinen Luxusschlitten mit den Haifischflossen weiter. Die überflüssigen Blecharabesken am Heck spiegeln den Zeitgeschmack wider: Gelsenkirchener Barockoko, Schnörkel auch noch auf der Straße. Seitdem der Überfluß den Mangel ablöste, addieren sich Statussymbole zum Geltungskonsum: Wenn die Meiers ihren Urlaub in Österreich verbringen, müssen ihre Nachbarn, die Müllers, mindestens nach Italien reisen. Wenn die Schulzes einen Opel fahren, wollen die Hubers mit einem Mercedes glänzen, dem man schließlich nicht ansieht, auf wie vielen Wechseln er läuft. Viele Zeitgenossen übernehmen sich, um etwas vorzuzeigen oder vorzutäuschen.

So betrachtet, macht sich Gremlitzka klar, paßt diese Evamarie Dutscheweit, die Gespielin der ganz Großen, genau ins zeitgeschichtliche Bild: Sie bietet etwas, was sie zu Hause nicht finden, ist eine auffallend schöne Nebenfrau, die man mit Wonne seinen neidischen Freunden präsentieren kann, sozusagen als die Haifischflosse enthüllter Intimität.

Der Luna-Chef hat die Hauptwache erreicht. Nahe dahinter liegt das Hochhaus, in dem die moderne Pompadour verschiedener Lustmonarchen wohnt. Ein Glas- und Marmorpalast, der mit Luxus prunkt. Vermutlich entsprechen die Liquidationen dreier Ärzte im Erdgeschoß und die Honorare der vier Anwälte im ersten Stock dem Status des Hauses.

Gremlitzka schaut auf die Uhr: Er ist noch etwas zu früh dran. Gewohnt, auf die Minute pünktlich zu erscheinen, geht er noch einmal um den Palazzo des deutschen Wunders herum.

Das Glasportal steht tagsüber offen, doch, wie mit Gärig verabredet, klingelt der Besucher an dem Namensschild »Schlenker« dreimal kurz. Es ist das Erkennungssignal für Delilah. Als Gremlitzka die Halle durcheilt, trägt er, gleich vielen Filmschaffenden, trotz des schlechten Wetters eine Sonnenbrille; sie gehört ebenso zum Habitus der Branche wie saloppe Garderobe, am besten Cordhose und Pullover.

Vor dem Lift warten vier Herren und eine Dame; sie steigen unterwegs aus. Der Mann mit der Sonnenbrille ist der einzige, der sich bis zur zehnten Etage hochkatapultieren läßt: Letzte Wohnung auf der linken Seite, hat ihn Gärig instruiert.

Zu seiner Überraschung steht die Tür einen Spalt offen.

Trotzdem klingelt der Besucher wieder dreimal kurz.

Nichts rührt sich.

Er klopft, ruft, klingelt wieder, diesmal länger.

Es bleibt still. Totenstill.

Vorsichtig betritt er das Apartment, die Türe hinter sich schließend. Der Verleihchef steht in einem elegant eingerichteten Living-Room mit Knoll-International-Möbeln, String-Wänden und modernen Bildern an der Wand.

»Frau Schlenker!« ruft er zum zweiten Mal. »Wir sind verabredet.«

Wieder erhält er keine Antwort.

Zögernd steigt er über die Wendeltreppe in den oberen Teil der Maisonette, sieht sich in dem Studio mit der herrlichen Terrasse um. Er will schon gehen, um vor der Wohnung von Evamarie Dutscsheweit – vermutlich machte sie eine rasche Besorgung und ließ in der Eile die Tür offenstehen – zu warten.

Da vernimmt er im Nebenzimmer das Gewinsel eines Hundes. Es hört sich schrecklich an, und so öffnet der Besucher die Tür.

Schon auf der Schwelle des Schlafzimmers schießt ein verängstigter weißer Zwergpudel an ihm vorbei und verkriecht sich zitternd und heulend in einer Ecke.

Auf einmal spürt der Eindringling, daß etwas Furchtbares geschehen sein muß.

Er geht näher an das riesige Himmelbett heran.

Das Entsetzen trifft ihn wie ein Peitschenhieb.

Die junge Frau hat gebrochene, weit aufgerissene Augen. Ihr Gesicht ist blutverschmiert, fast unkenntlich, der Mund geöffnet wie zu einem letzten Schrei, den keiner mehr hört.

Gremlitzka zwingt sich, ihre Hand anzufassen. Sie ist noch nicht erkaltet. Das Verbrechen muß vor wenigen Minuten verübt worden sein. Der Superstar der Halbwelt ist entstellt. Tot. Erschlagen. Niemand wird ihr künftig ein Filmangebot machen.

Im ersten Impuls geht der Luna-Chef ans Telefon, um die Polizei zu alarmieren. Er hat den Telefonhörer bereits in der Hand, als er den Wirbel von Schlagzeilen erfaßt, den diese Tote auslösen muß. Vielleicht macht ihn die Polizei sofort zum Hauptverdächtigen. Auf jeden Fall würde sein Name durch die Zeitungen geistern, und das unmittelbar vor seinem Firmenjubiläum.

Gremlitzka legt den Hörer wieder auf und stiehlt sich aus dem Apartment. Der Pudel will ihm folgen, er drängt ihn vorsichtig zurück, aber er braucht mindestens eine halbe Minute, um den Schoßhund der Ermordeten abzuschütteln.

Auf dem Gang prallt er mit einem dunkelhaarigen Schönling zusammen, der aus der Nachbarwohnung kommt. »Entschuldigung«, murmelt der Filmmann mit der Sonnenbrille. »Ich hab’ Sie nicht gesehen.«

»Macht nichts«, erwidert der Nachbar der Ermordeten. Beide fahren mit dem Lift nach unten. »Was ist mit Ihnen los?« fragt der Dunkelhaarige. »Geht’s Ihnen nicht gut?«

»Alles in Ordnung«, würgt Gremlitzka hervor. »Aber dieses ungute Wetter –« Gleichzeitig fällt ihm ein, daß er in der Aufregung den Telefonhörer nicht abgewischt hat und die Polizei seine Fingerabdrücke finden wird. In seiner Verwirrung fährt er versehentlich in die Tiefgarage, die gerade vom Hausmeister gesäubert wird.

»Haben Sie hier einen Wagen abgestellt?« fragt der Mann mißtrauisch und mustert ihn gründlich.

»Nein, nein«, antwortet Gremlitzka. »Ich hab’ im Lift nur auf den falschen Knopf gedrückt.« Er geht die Treppe hoch, erreicht die Straße und sieht im gleichen Moment einen Polizeiwagen vor dem Haus vom Verkehr eingeklemmt. Er zwingt sich, langsam zu gehen und im Trubel der Passanten nicht aufzufallen. Erst als er feststellt, daß die Polizisten weiterfahren, geht er schneller und flüchtet in den »Frankfurter Hof« wie auf eine Insel.

»Sind Herr Gärig oder Herr Dr. Kupski im Haus?« fragt er an der Rezeption.

»Nein.«

»Bitte bestellen Sie den Herren, daß sie mich nach ihrer Ankunft sofort anrufen oder am besten gleich in mein Apartment kommen möchten – es ist dringend.« Gremlitzka geht nach oben, entnimmt der Hausbar zwei Magenbitter, kippt sie hintereinander weg und fühlt sich etwas wohler. Vielleicht hat er durch sein Verhalten alles noch schlimmer gemacht, als es ist, aber als Glück im Unglück empfindet er es, daß der Filmanwalt zur Zeit in Frankfurt ist, und irgendwie wird ihn der Jurist schon aus dieser gräßlichen Situation herauspauken.

Die Nackten und die Schönen

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