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Kurz nach sechzehn Uhr, genau um sechzehn Uhr vier, betritt Rita Panzer, die Zugehfrau Evamarie Dutscheweits, die Maisonette-Wohnung und findet die Tote. Trotz des schrecklichen Anblicks verfällt die Couragierte nicht in Panik und verständigt unverzüglich per Notruf die Polizei.

»Bitte warten Sie auf uns«, sagt ein Beamter. »Und rühren Sie am Tatort nichts an.«

Bereits sechzehn Minuten später treffen die Spezialisten der Mordkommission ein, geführt von Hauptkommissar Pallauf, einem in jeder Hinsicht unauffälligen Mann von mittlerer Statur; er gilt als besonders fähiger Fahnder. Das ist auch nötig in einer Stadt, die nicht nur den bedeutendsten Börsenplatz des europäischen Kontinents und seinen größten Flughafen hat, sondern auch die höchste Kriminalität in der Bundesrepublik.

»Verdammt feine Adresse«, sagt der Hauptkommissar beim Betreten des Lifts.

»Riecht nach Geld«, erwidert sein Vertreter Laserke. Zu dem eingefahrenen Team gehören noch der Polizeiarzt Dr.

Rauschenbach, Fischer II vom Erkennungsdienst und der junge Füllgrabe, dessen Vernehmungstaktik sich schon mehrfach bewährt hat.

Die Beamten gehen über den Gang, klopfen an der Wohnungstür.

»Wer ist da?« ruft die Tatortzeugin.

»Kripo«, antwortet Laserke. »Machen Sie bitte auf.«

Eine propere Vierzigerin öffnet ihnen die Tür.

Pallauf stellt sich vor.

»Die Tote liegt oben in ihrem Schlafzimmer«, erklärt die Zeugin. »Machen Sie sich auf einen schrecklichen Anblick gefaßt.«

»Sie haben nichts angerührt?«

»Nichts – außer dem Telefon.«

»Auch mit niemandem im Haus über Ihren grausamen Fund gesprochen?«

»Mit keinem«, versichert Rita Panzer.

»Es wäre prima, wenn sich alle Zeuginnen so vernünftig verhielten wie Sie«, lobt der Hauptkommissar. »Bitte, gedulden Sie sich ein wenig, wir brauchen Sie noch.«

Sie gehen über die Wendeltreppe nach oben, fünf abgehärtete Kriminalbeamte, die beim Anblick dieses Mordopfers gegen die Übelkeit ankämpfen müssen. Während sich Dr. Rauschenbach über Evamarie Dutscheweit beugt, stellen die anderen Routiniers fest, daß die Wohnungsinhaberin verreisen wollte: Ein halbgepackter Koffer steht im Arbeitszimmer, der Wandschrank ist ebenso geöffnet wie die Schublade des Schreibtisches. Geldscheine und ein einzelner Brillantohrring liegen am Boden. Entweder wurde der Täter überrascht und mußte halbverrichteter Dinge abziehen, oder er wollte, reichlich dilettantisch, einen Raubmord vortäuschen.

Inzwischen hat Dr. Rauschenbach das blutverkrustete Gesicht des Opfers abgetastet und die Würgespuren am Hals entdeckt. »Ich schätze, daß die Tat erst vor einer Stunde, höchstens jedoch vor neunzig Minuten, verübt worden ist«, riskiert er ein vorläufiges Ergebnis und richtet sich auf. »Der Tathergang ist einfach: Die junge Frau wurde mit einem schweren Gegenstand niedergeschlagen und dann gewürgt. Die Reihenfolge könnte natürlich auch umgekehrt sein. Was nun genau den Tod ausgelöst hat, wird erst die Obduktion ergeben.«

»Klar«, entgegnet Pallauf. »Den schweren Gegenstand haben wir übrigens schon gefunden, Doktor.« Er zeigt dem Arzt einen blutverschmierten Aschenbecher aus Rosenquarz, den er als Beweisstück bereits sichergestellt hat. »Sagen Sie mal, könnte die Tat auch im Affekt geschehen sein?«

»Totschlag?« erwidert der Arzt. »Das ist keineswegs auszuschließen.«

»Käme als Täter auch eine Frau in Frage?«

»Mein lieber Pallauf, ich bin kein Hellseher«, entgegnet Dr. Rauschenbach. »Es wäre zwar unwahrscheinlich, ist aber nicht unmöglich.«

»Da haben wir auch ein Flugticket«, stellt Fischer II fest. »Die Dame wollte heute nach Paris fliegen. Abflug siebzehn Uhr.«

»Vermutlich in Begleitung«, sagt Laserke.

»Das ist die Frage«, versetzt Fischer II. »Aus dem Flugschein geht es leider nicht hervor.«

Der Chef der Mordkommission nickt, beobachtet einen Moment lang seine Leute, deren jeder für sich selbständig arbeitet. Er steht kurz vor der Pensionierung und verfügt schon deshalb über weit mehr Erfahrungen als Illusionen. Es widert ihn an, gelegentlich arme Teufel mit schäbigen Tricks in die Pfanne zu hauen; als noch widerlicher aber empfindet er es, Gauner im Frack schützen zu müssen, weil der Buchstabe des Gesetzes oder eine seiner Lücken es so vorsehen. Seine Vorgesetzten, die sich bereits fragen, wer Arnold Pallauf ersetzen soll, lassen ihm mehr Spielraum als den anderen Beamten. Trotzdem sind sie letztlich alle an die Paragraphen gebunden.

»Es ist klar, daß das Opfer den Täter gekannt haben muß, sonst hätte es ihn wohl nicht in die Wohnung gelassen«, stellt Laserke fest.

»Klar – und doch ungeklärt«, entgegnet Pallauf. »Der Täter könnte sich einen Nachschlüssel beschafft haben.«

»Es ist ein spezielles Sicherheitsschloß«, entgegnet sein Vize. »Niemand ist in der Lage, so einen Schlüssel nachzumachen. Das kann nur der Hersteller selbst. Und Kopien werden nur gegen Unterschrift geliefert, und jede von ihnen wird registriert.«

»Bestens«, erwidert der Hauptkommissar. »Stellt mal fest, wie viele Schlüssel es gibt.« Er geht an die Wendeltreppe. »Frau Panzer«, ruft er. »Würden Sie jetzt bitte hochkommen?« Die Zeugin greift automatisch nach ihrem Mantel und ihrer Handtasche. »Lassen Sie Ihre Sachen ruhig liegen«, sagt er jovial und gibt Füllgrabe einen Wink.

Während sie oben vernommen wird, durchsucht der Benjamin der Mordkommission flugs ihren Mantel und ihre Handtasche. Es ist nicht die feine Art, aber sicher ist sicher. Das Resultat ist, wie erwartet, negativ. Füllgrabe signalisiert es seinem Chef.

»Frau Panzer«, beginnt Pallauf mit der Vernehmung, »wie lange arbeiten Sie schon an diesem Platz?«

»Über vier Jahre.«

»Sie standen gut mit der Ermordeten?«

»Sehr gut sogar«, erwidert sie. »Sonst galt sie manchmal als schroff und als ziemlich geizig, aber mir gegenüber war sie immer freundlich und großzügig.«

»Da haben Sie also einen schlimmen Verlust erlitten.« Der Hauptkommissar nickt ihr aufmunternd zu. »Sie hatten einen Schlüssel für die Wohnung?«

»Natürlich. Es war eine Vertrauensstellung. Frau Dutscheweit hatte immer viel Bargeld und manchmal auch Schmuck in der Wohnung.«

»War das nicht leichtfertig?«

»Sie mußte häufig ganz plötzlich verreisen – wie heute zum Beispiel. Außerdem war sie sehr reich. Ansonsten hatte sie den größten Teil ihres Schmucks im Banksafe – nur wenn sie verreiste, wie jetzt, holte sie sich ein paar Juwelen ab, die sie tragen wollte.«

»Wie viele Wohnungsschlüssel gibt es eigentlich?«

»Drei«, antwortet die Zeugin. »Einen hat meine Dienstherrin, einen ich, und der dritte ist in Reserve.«

»Und noch am Platz?«

»Ja«, erwidert sie. »Ich hab’ das gleich kontrolliert.«

»Hatte Ihre Arbeitgeberin häufig Männerbesuch?«

»Nicht häufig, aber öfter«, erwidert Rita Panzer zögernd, »und das waren keine Männer, sondern Herren.«

»Sie wollen damit wohl sagen, daß sie bedeutende Positionen innehatten und sehr reich waren.« Er weist das Foto vor, das auf dem Nachttisch stand. »Dieser Herr zum Beispiel – kennen Sie ihn?«

»Ja. Nicht persönlich natürlich, aber ich weiß, daß er ein Mitglied der Krupp-Familie ist – Seitenlinie.«

»Und der kam öfter?«

»Ziemlich oft«, erwidert die Zeugin. »Wenn er nach Frankfurt kam, war Frau Dutscheweit für keinen anderen mehr zu sprechen. Sie hat sich übrigens mit fast allen ihren Verehrern gesiezt.«

»Danke, Frau Panzer. Sie können jetzt gehen, aber bitte hinterlassen Sie Ihre Adresse und ihre persönlichen Daten für das Protokoll. Sie haben keinen Verdacht?«

»Nein«, entgegnet die Vierzigerin.

Der gewiefte Kriminalist bemerkt ein Zögern. »Stand die Ermordete mit einem Hausbewohner in näherem Kontakt?« fragt er.

»Das kann ich nicht sagen. Aber der direkte Nachbar, Herr Miltner, hat gelegentlich Aufträge für sie übernommen – als eine Art Privatsekretär und Vermögensverwalter.«

»Aufträge welcher Art?«

»Ich glaube Bankgeschäfte.«

»Ist Herr Miltner vom Fach?«

»Das ist einer, der die Finger überall drin hat«, behauptet die Zeugin. »Ein Tausendsassa. Er ist alles, bloß –« Sie bricht ab.

»Bloß –?« hilft der Vernehmende nach.

»Kein richtiger Mann«, erklärt die Zugehfrau.

»Was meinen Sie damit?« fragt Pallauf, scheinbar schwer von Begriff.

»Na ja, er ist halt andersrum. Deshalb brauchte Frau Dutscheweit auch keine Angst zu haben, daß er ihr zu nahe treten würde.«

»Ach so«, erwidert der Hauptkommissar und gibt der Zeugin die Hand. »Danke, Sie haben uns sehr geholfen, Frau Panzer.«

Der junge Füllgrabe, der mit dem Sittendezernat telefoniert hat, wartet ungeduldig darauf, seine Informationen loszuwerden. »Chef«, schießt er los, »die Tote heißt Evamarie Dutscheweit, ist neunundzwanzig Jahre alt, geboren in Berlin-Ost und ist mit vierzehn bereits in den Westen gekommen, Erlernter Beruf: Fotomodell. Sie ist nicht vorbestraft und Eigentümerin dieser Wohnung, Wert etwa eine halbe Million. Sie hat aber, angeblich als Schutz gegen Belästigungen, sowohl im Telefonbuch wie an der Wohnungstür den Namen ihrer Schwester angebracht.«

»Ist sie nun bei der Sitte bekannt oder nicht?« fragt Pallauf ungeduldig.

»Bekannt schon, aber nicht registriert; sie stand unter speziellem Schutz, weil sie mit mächtigen Herren aus der Industrie und dem Bankgewerbe verkehrte – und das können Sie durchaus wörtlich nehmen, Chef.«

»Ein Callgirl also?«

»Sagen wir mal eine Multimätresse«, erwidert Füllgrabe. »Nach noch unbewiesenen Aussagen sollen ihr ihre Gönner zu einem Millionenvermögen verholfen haben.« Er grinst. »Die Dame hatte einen fleißigen Unterleib.«

»Da kommt was auf uns zu«, stellt Pallauf fest. »Verständigen Sie sofort den Polizeipräsidenten persönlich. Und am besten auch gleich den Oberstaatsanwalt. Sagen Sie den Herren, daß uns dieser Mord einen Haufen Ärger machen dürfte, weil er Staub aufwirbeln wird wie kein anderer, da mächtige Spitzenmanager in ihn verwickelt sind –«

»Und zwar mindestens fünf Dutzend«, schaltet sich Laserke ein, der gerade dabei ist, das Adressenbuch der Vielgeliebten zu erschließen. »Schau dir das an, Arnold«, sagt er zum Chef der Mordkommission. »Name, Telefon, Beruf – fein säuberlich, der reinste Kaufmannsgotha. Und hier die Seite mit dem Buchstaben G wurde herausgerissen, ziemlich schlampig und eilig –«

»Also von einem Täter, dessen Namen mit G beginnt«, stellt Pallauf fest. »Oder der bewußt eine falsche Spur legen wollte.« Er wendet sich an die anderen: »Wie weit seid ihr mit diesem Miltner?«

»Er ist noch immer außer Haus«, erwidert Fischer II.

»Was wißt ihr über ihn?«

»Ein ziemlich windiger Bursche. Außerdem ist er schwul.«

»Das gehört nicht hierher«, rügt Pallauf. »Wir haben genug andere Fragen, die wir klären müssen.«

Kurz bevor die Tote in das Gerichtsmedizinische Institut der Universität geschafft wird, treffen der Polizeipräsident und der Oberstaatsanwalt ein.

»Sie kommen gerade richtig, meine Herren«, begrüßt sie Pallauf. »Wenn wir die Zugehfrau als Täterin streichen – was wir wahrscheinlich können –, bleiben fürs erste noch an die siebzig Verdächtige, von denen wir einen großen Teil mit dem Namen kennen – und fragen Sie mich bitte nicht, mit welchen Namen und mit welchen Rängen. Das Motiv kann Raub sein oder ein Racheakt, die Tat einer eifersüchtigen Ehefrau oder eines perversen Mannes, sogar eines konkurrenzneidigen Zuhälters. Es ist nicht einmal auszuschließen, daß der Mörder eine Erpresserin loswerden wollte. Wir sind hier auf Fotogeräte und Radiorecorder von fast professioneller Qualität gestoßen. So etwas gehört heutzutage zwar zur Ausstattung einer Luxuswohnung, es kann aber auch benutzt werden, um Schäferstündchen mit Gespielen festzuhalten und als Druckmittel zu benutzen. Vielleicht sind die Herren so freundlich und werfen einen Blick in das Telefonbuch der Ermordeten; Sie werden dann auf Namen der obersten Hundert der oberen Zehntausend stoßen.«

»Da möchť ich nicht in Ihrer Haut stecken«, erwidert der Oberstaatsanwalt erschrocken.

»Ich auch nicht«, entgegnet der Kripobeamte sarkastisch.

»Mein Gott, die Presse –«, stöhnt der Polizeipräsident.

»Wir werden sie so lange aus dem Fall heraushalten, wie es nur möglich ist«, verspricht Pallauf. »Vielleicht schaffen wir so ein, zwei Tage Vorsprung, bevor die Geschichte platzt und uns ganze Heerscharen von Topanwälten auf den Pelz rücken und die Hölle heiß machen.«

»Wir schirmen Sie schon ab«, versichert der Oberstaatsanwalt. »Wie steht’s denn mit der Spurensicherung?«

»Viel zu gut«, entgegnet der Kriminalist skeptisch. »Diverse Fingerabdrücke auf dem Tisch, am Schrank und vor allem auf dem Telefonhörer. Da es sich meiner Meinung nach bei dem Täter um keinen registrierten Berufsverbrecher handelt, nutzen sie uns vorderhand gar nichts. – Wahrscheinlich muß ich Verstärkung anfordern, Herr Präsident«, wendet er sich an Frankfurts Polizeichef. »Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als an die siebzig Alibis zu überprüfen, und dabei fehlt sogar noch der Buchstabe G – diese Seite wurde aus dem Telefonbuch entfernt.«

»Sie haben jede Unterstützung«, verspricht der Polizeipräsident. »Verdammt, bin ich froh, daß Sie noch nicht in Pension sind.«

»Vorläufig möchte ich die Prominentenüberprüfung noch zurückstellen«, erklärt Pallauf. »Momentan würde sie viel zu viel Staub aufwirbeln. Erst wenn das Radio, die Zeitungen und das Fernsehen die Meldung von dem Mord gebracht haben, werden wir dieses Faß ohne Boden ausschöpfen.« Er sieht sich um. Sein Blick fällt auf den Anrufbeantworter, den letzten Schrei aus den USA. »Habt ihr das eigentlich schon mal abgehört?« fragt er.

Laserke tippt sich an die Stirn und spult das Band im Gerät zurück.

Nur ein kurzes Gespräch ist festgehalten. »Delilah, hier ist Samson«, meldet sich ein Unbekannter, der es eilig hat. »Zuerst mein Kompliment. Sie haben phantastisch ausgesehen, gestern abend in der Lipizzaner-Bar. Ich muß Sie unbedingt sprechen, hab’ einen interessanten Vorschlag für Sie. Ich versuche es in einer halben Stunde noch einmal. Sonst können Sie mich bis morgen auch noch im frankfurter Hof‹ erreichen. Danke. Ende.«

Der Kripobeamte spult noch zweimal zurück, horcht der ein wenig blechernen Stimme nach.

»Noch eine Spur«, sagt Pallauf. »Leider ohne Zeitangabe, deshalb ziemlich fraglich. Der Anruf kann genauso gut gestern oder vor drei Tagen erfolgt sein.« Er winkt Füllgrabe heran. »Ich hab’ ’ne Aufgabe für dich, Benjamin: Hör mal im frankfurter Hof‹ herum und versuch Delilahs Samson aufzutreiben. Nimm vor allem ein Foto von diesem Vielliebchen der Millionäre mit.« Er nickt ihm zu. »Nun zeig uns, was du kannst.«

Der Fünfundzwanzigjährige hechelt los wie ein Jagdhund, den sein Herr von der Leine ließ.

Die Nackten und die Schönen

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