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1. Zum Gegenstand des Supply Chain Managements

a. Einführende Aussagen

Zu Beginn dieses Buches steht ein zunächst überraschendes Zitat von H.-Chr. Pfohl, das auf der Fachmesse Exporeal von ihm getätigt und im LOG Kompass 10/2013 abgedruckt wurde:

„Alle reden vom Supply Chain Management, aber keine Sau weiß, was das eigentlich ist.1

Dieser Begriff, der nach einhelliger Meinung von Keith/Webber (1982) eingeführt wurde, ist längst in unseren täglichen Sprachgebrauch übergegangen. Und trotzdem scheint der Inhalt immer noch diffus zu sein.2

In der Konsequenz finden nun die wissenschaftlich Interessierten und die Praktiker zu Beginn jeder Veröffentlichung zum Supply Chain Management eine breite Diskussion zum Begriff Supply Chain Management und die Aussage einer fehlenden Verständigung zu einem mehrheitlich getragenen Begriffsverständnis. So auch in diesem Buch. Hierbei geht es nicht um die begriffliche Lufthoheit, sondern im Wesentlichen um die inhaltlichen Konzepte, die Aufgaben bzw. Herausforderungen und die spezifischen Erkenntnisse, die dem Supply Chain Management entspringen und letztlich den Führungsanspruch inhaltlich begründen. Im Kern steht daher die Frage, ob durch das Supply Chain Management spezifische Erkenntnisse gewonnen werden können, die das Management der Supply Chain besser bewerkstelligen als dies andere Konzepte können.3 Diese besseren Antworten des Managements auf die Herausforderungen des Marktes und der Zukunft würden dann auch den Führungsanspruch des Supply Chain Managements begründen.

So gesehen ist die fehlende begriffliche Basis nur die Spitze des Eisbergs. Die Argumentation lautet daher wie folgt: Ohne ein einheitliches Begriffsverständnis keine klaren Inhalte; ohne klare Inhalte keine empirischen Überprüfungen; ohne empirische Überprüfungen keine Vergleiche (z.B. Benchmarks); ohne Vergleiche kein Nachweis zum Führungsanspruch. Ohne den wissenschaftlichen Nachweis kann selbstverständlich der praktische Handlungsdruck in den Unternehmen auch das Thema beflügeln; so wie dies beim Supply Chain Management erfolgt ist. Doch dazu später mehr.

Aus diesem Grunde steht auch zu Beginn dieses Buches eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Begriff Supply Chain Management und Inhalten. Dann kann im Anschluss eine Supply Chain Konzeption entworfen werden, die dann empirische Überprüfungen zulässt und letztlich auch den Führungsanspruch untermauern kann.4

b. Ein Überblick über die vielfältigen Diskussionen

Das Thema Supply Chain Management hat eine hohe Bedeutung. Die Aussagen und Spuren in Wissenschaft und Praxis sind deutlich und zahlreich. Eine kurze Übersicht soll diese Einschätzung zum Ausdruck bringen.

• Berufsvereinigungen firmieren als Council of Supply Chain Management Professionals (CSCMP) oder thematisieren das Supply Chain Management, so z.B. die BVL e.V.5 oder BME e.V.6 Weitere Verbände haben sich mit einem direkten Bezug zum Supply Chain Management konstituiert: Supply Chain Management Association (SCMA), International Supply Chain Education Alliance (ISCEA) oder das Institute for Supply Chain Management (ISCM).

• Die BME gründete im Jahre 2010 eine spezielle Fachgruppe „Supply Chain Management“, um die Aufgaben eines Supply Chain Managers konkreter zu umreißen.7 Der BME-Report „Supply Chain Manager“ erschien im Jahre 2014.

• Die Anzahl der Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Zeitschriften8 steigt seit den 90er Jahren kontinuierlich an.9

• Schon früh analysierten Forscher in empirischen Untersuchungen das Supply Chain Management: (i) Göpfert/Wellbrock dokumentieren den hohen Stellenwert des Supply Chain Managements in der überwiegenden Anzahl der untersuchten Branchen, insbes. der Automobilindustrie, Logistikdienstleistungen und Metallerzeugung/Metallverarbeitung.10 (ii) Die Studie von Naslund/Williamson betont für die überwiegende Anzahl der befragten Führungskräfte eine herausragende bzw. sehr hohe Bedeutung.11 (iii) Die Studie von Fettke verweist auf weitere allgemeine und spezielle Studien zum Supply Chain Management, insbesondere zu den Zielen, den Strategien, den Erfolgsfaktoren, den Strukturen, der Wahl der Supply Chain Partner, der Bedeutung der Informationsflüsse u.dgl. Interessanterweise wird die Rolle der Koordination nur gering eingestuft.12

• Buchveröffentlichungen oder Zeitschriften widmen sich dem Supply Chain Thema. Auf eine Auflistung wird hier verzichtet und auf die wissenschaftlichen Datenbanken von EBSCO mit 39.110 Beiträgen oder Emerald Journal mit 45.000 Beiträgen am 13. März 2021 verwiesen. In den Suchmaschinen Google oder Bing werden mit über 100 Millionen Nennungen deutlich mehr Quellen ausgewiesen.

c. Ein Überblick über die vielfältigen Definitionen

Das Phänomen Supply Chain Management ist spätestens mit Beginn der Forcierung der Arbeitsteiligkeit (und der Globalisierung) weit verbreitet und diskutiert.

Der Begriff »Supply« nimmt hierbei die Perspektive des Einkaufs ein und betrachtet die ganze Lieferkette aus Sicht der Beschaffung. Es wäre auch die Blickrichtung vom Rohstoff zum Kunden möglich (»Demand«); doch es hat sich der Begriff »Supply« durchgesetzt. Die Supply Chain endet letztlich beim Endverbraucher, der dann aus seiner Sicht in den Lieferkanal schauen kann und damit alle Tätigkeiten als Lieferprozesse (»Supply«) wahrnimmt. Die vorherrschende Sichtweise in den Lieferkanal nimmt aus einer Managementsicht hierbei der Endhersteller (OEM) vor.

Der Begriff »Chain« deutet darauf hin, dass eine Reihe an Tätigkeiten zu einer Abfolge miteinander verbunden ist. Die Kette suggeriert damit eine Abfolge von Tätigkeiten „der Art nach“, so wie sie in den Begriffen Tier-1 bzw. Tier-2 etc. zum Ausdruck kommt. Da ein Endprodukt aus mehreren Komponenten (Stückliste) und diese wiederum aus mehreren Bauteilen bestehen, wäre der Begriff des Netzwerks inhaltlich näher am Produktentstehungsprozess. Es hat sich der Begriff »Chain« durchgesetzt.

Im Folgenden werden die Begriffe Supply Chain, Supply Network, Lieferkette und Liefernetzwerk synonym verwendet. Die Entsorgungskette und die Recyclingkette werden in diesem Buch nicht betrachtet. Der Begriff der Value Chain wird hier nicht verwendet, da dieser zu nah an der Konzeption von Porter angelehnt ist und diese andere Erkenntnisziele hat.

Der maximale Umfang der Lieferkette beginnt bei den Herstellern der Rohstoffe und endet beim Endkunden. Als Arten der Wertschöpfung werden in dieser Kette grundsätzlich (i) die Transformation (Fertigung), (ii) der Transfer (Logistik) und (iii) die Transaktion (Einkauf bzw. Vertrieb) vorgenommen und betrachtet. Erst die Kombination von Transformation, Transaktion und Transfer beschreibt vollständig alle notwendigen Wertschöpfungsprozesse der Lieferkette. Sie bildet damit auch die funktionale Basis des Supply Chain Managements.

Auf die unterschiedlichen Definitionen ist eingangs schon hingewiesen worden. Die BVL hat sich für eine sehr enge Auslegung einer Definition entschieden. Für sie sind Logistik Management und Supply Chain Management identisch:

„Logistik ist die ganzheitliche Planung, Steuerung, Koordination, Durchführung und Kontrolle aller unternehmensinternen und unternehmensübergreifenden Informations- und Güterflüsse. Supply Chain Management (SCM), die intelligente Planung und Steuerung von Wertschöpfungsketten, wird synonym verwendet. (Logistik-Definition der BVL)“. 13

Eine umfassendere Sichtweise zum Gegenstand des Supply Chain Managements wird vom Council of Supply Chain Management Professionals eingenommen:

„Supply chain management encompasses the planning and management of all activities involved in sourcing and procurement, conversion, and all logistics management activities. Importantly, it also includes coordination and collaboration with channel partners, which can be suppliers, intermediaries, third party service providers, and customers. In essence, supply chain management integrates supply and demand management within and across companies.“ 14

Die Präzisierung der Inhalte und damit auch die Abgrenzung zum Logistikmanagement folgt dann anschließend:

„Supply chain management is an integrating function with primary responsibility for linking major business functions and business processes within and across companies into a cohesive and high-performing business model. It includes all of the logistics management activities noted above, as well as manufacturing operations, and it drives coordination of processes and activities with and across marketing, sales, product design, finance, and information technology.” 15

Zur Abgrenzung zum Logistikmanagement legen sie fest:

„Logistics management is that part of supply chain management that plans, implements, and controls the efficient, effective forward and reverses flow and storage of goods, services and related information between the point of origin and the point of consumption in order to meet customers' requirements. “ 16

Diese umfassendere Definition (und damit die spezifische Sichtweise der Inhalte) des Supply Chain Managements ist das Ergebnis einer längeren Diskussion gewesen. Dies wirft die Frage auf, welche inhaltlichen Bestandteile die beiden Vereinigungen dem Supply Chain Management zugeordnet haben. Lambert/Cooper/Pagh haben hierfür den Verlauf der Diskussion in den USA nachgezeichnet.17 Sie stellen heraus, dass die amerikanische Logistikvereinigung Council of Logistics Management (CSCMP) im Jahre 1986 zunächst keine Unterschiede zwischen den beiden Konzeptionen sieht.

„That is, SCM was viewed as logistics outside the firm to include customers and suppliers.” 18

Oder in einem früheren Beitrag schreiben sie:

“How is SCM different from this definition of logistics? Many of those writing, talking, and offering seminars about SCM are using the words as a synonym for logistics.”19

Die Koordination in der Lieferkette nur auf die güterwirtschaftlichen Materialflüsse (und die dazugehörenden Informationsflüsse) zu beschränken, hat den Anforderungen der Führungskräfte aufgrund der schmalen inhaltlichen Grundlage nicht mehr standgehalten. In der Folge hat Douglas M. Lambert das Global Supply Chain Forum (GSCF) ins Leben gerufen und eine erweiterte Definition des Supply Chain Managements entwickelt, die auch heute noch die inhaltliche Grundlage des CSCMP bildet:

„Supply chain management is the integration of key business processes from end user through original suppliers that provides products, services, and information that add value for customers and other stakeholders.” 20

Sie berichten anschließend von der Neudefinition der Logistik durch das Council of Logistics Management im Jahre 1998:

„Logistics is that part of the supply chain process […] in order to meet customers’ requirements.” 21

Damit wird inhaltlich herausgearbeitet und deutlich, dass diese umfassendere Sichtweise der Geschäftsprozesse neben den rein güterwirtschaftlichen Prozessen die Grundlage des Supply Chain Managements bildet. Die Logistik ist demzufolge (nur) ein Teil des Supply Chain Managements. Diese umfassendere Sichtweise zu den Geschäftsprozessen wird im Folgenden näher dargelegt.

Der Startpunkt der Darstellungen von Geschäftsprozessen ist in der überwiegenden Anzahl der Bücher zur Logistik und zur Supply Chain identisch: ein i.d.R. konvergierender Warenstrom bis zu einem zusammenlaufenden Punkt der Wertschöpfungskette und von dort aus ein i.d.R. divergierender Warenstrom bis zu den Konsumenten. Diese Sichtweise spiegelt die Erstellung eines Produktes wider, d.h. aus einer Vielzahl an Rohstoffen werden Einzelteile, Zwischenprodukte, Bauteile und schließlich das Endprodukt erstellt, welches dann über mehrstufige Distributionsstufen an eine Vielzahl an Kunden verteilt (im logistischen Sinne: ausgeliefert) wird.22 Eine konzeptionelle Explizierung erfolgt auf diese Weise nicht, auch wenn das Argument methodisch nicht zu kritisieren ist.

Dies hat die Schule von Douglas M. Lambert nun aufgegriffen, inhaltlich erweitert und in zahlreichen Veröffentlichungen dargestellt.23 Der logistische Materialfluss (»production flow«) wird durch acht Supply Chain Geschäftsprozesse erweitert. Diese acht Geschäftsprozesse differenzieren die Grundprozesse des Kunden- bzw. Lieferantenmanagements aus:24

○ Customer-Relationship-Management (CRM)

○ Customer Service Management (CSM)

○ Demand Management (DM)

○ Order Fulfillment (OF)

○ Supplier Relationship Management (SRM)

○ Manufacturing Flow Management (MFM)

○ Product Development and Commercialization (PDaC)

○ Returns Management (RM)

In der folgenden Tabelle 1.1 sind die Kernaussagen aus den Veröffentlichungen der Lambert Schule zusammenfassend dargestellt worden. Es wird darüber hinaus in der Tabelle 1.1 eine strategische und eine operative Betrachtungsebene unterschieden. Damit werden die Geschäftsmodelle der Unternehmen ganzheitlich(er) erfasst (oder können erfasst werden).

In diesem Kontinuum der Inhalte des Supply Chain Managements von der Logistik bis hin zu einer umfassenderen Sicht der Geschäftsprozesse, haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten die kontroversen Diskussionen entzündet. Sie schlagen sich dann auch in einer Vielzahl an Definitionen und Kategorisierungen nieder. Übersichten hierzu haben Croom et al.25, Cooper/Lambert/Pagh26 und Stock/Boyer27 erstellt. Letztere haben insgesamt 173 Definitionen zum Supply Chain Management gegenübergestellt.

Cooper/Lambert/Pagh (1997, S. 8) haben hierzu auf der Grundlage der Literatur die Managementkomponenten von insgesamt 13 Autoren gegenübergestellt. Die sehr heterogen besetzte Matrix offenbart die starken Differenzen zum fehlenden inhaltlichen Konsens des Supply Chain Managements.


Tabelle 1.1: Kernaussagen der acht Geschäftsprozesse des GSCF28

Stock/Boyer (2009, S. 691) hingegen verweisen zunächst auf die enorme Vielfalt an Definitionen und betonen die fehlende Unterstützung für Forscher und Praktiker gleichermaßen: Sie beklagen das Fehlen (i) einer gemeinsamen Konzeption (Theorie) zum Supply Chain Management, (ii) einer Analyse bestehender Konzepte und deren Weiterentwicklung, (iii) einer fehlenden Unterstützung für die Aufbau- und Ablauforganisation, (iv) einer erschwerten Bildung von Controlling Instrumenten und (v) einer faktischen Vergleichbarkeit von Analysen (Benchmarks).

Bechtel/Jayaram (1997) haben die Vielzahl der Definitionen dann vier Schulen des Supply Chain Managements zugeordnet.29

Chain Awareness School: Die Bedeutung und Aufmerksamkeit erhält diese Schule durch die Auslagerung und Globalisierung der Wertschöpfung auf eine weltweite Zuliefererkette.

Linkage School: Diese Schule thematisiert die Verbindungen zwischen den einzelnen Unternehmen der Lieferkette.

Information School: Hier werden die Informationsflüsse zwischen den Unternehmen in den Vordergrund gestellt.

Integration School: Damit werden sämtliche Partner einer Lieferkette ganzheitlich betrachtet und agieren zumindest dem Anspruch nach in koordinierter bzw. integrierter Art und Weise.

Diese vier Stufen zeichnen auch die einzelnen Stufen der weltwirtschaftlichen Entwicklung dar und verdeutlichen die Weiterentwicklungen des Managementfokus der letzten drei Jahrzehnte. Einen vergleichbaren Ansatz und damit eine zweite Form zur Kategorisierung der Arten des Supply Chain Managements wählt Stevens, indem er vier Stufen der Integration als Kriterium heranzieht.30

Als Zwischenfazit bleibt festzuhalten, dass ein Spektrum an möglichen Gegenständen des Supply Chain Managements in der Literatur diskutiert wurden. Damit ist zunächst sogar der Gegenstand noch in der Diskussion. Die Frage, welcher Managementansatz zur (diskutierten) Supply Chain zu konzipieren ist, ist damit allerdings erst recht nicht thematisiert und einvernehmlich diskutiert.

Ein sehr kritisches Urteil zur Situation im Supply Chain Management ist bei Corsten/Gössinger (2008) abgedruckt. Sie bringen die konzeptionellen Lücken wie folgt auf den Punkt:

„Die Erfolgsfaktorenforschung stellt sich […] als eine bunte Mischung von oberflächlichen Geschichtenerzählern, Folklore, Rezeptverkauf, Verkauf, Jagen und Sammeln sowie einigen wenigen Bemühungen um ernstzunehmende eigenständige Forschung dar“, wobei für das Supply Chain Management anzumerken ist, daß (sic.) die zuletzt genannten Bemühungen noch weitestgehend ausstehen. […]. Der Schwerpunkt der vorliegenden Forschungsarbeiten (Anm. zum SCM) basiert auf ‚Best-Practice‘-Fallstudien, die beachtenswerte Resultate durch die Anwendung von SCM versprechen. Modellbildungen, konzeptionelles Refraiming […] sind im Methodenrepertoire der SCM-Forschung (noch) weitestgehend unberücksichtigt […].“ 31

Es braucht also zunächst einen Konzeptrahmen zum Gegenstand und darauf aufbauend dann einen Managementansatz zum Supply Chain Management. Daher ist es mehr als begründet, ein konzeptionelles Grundverständnis eines Supply Chain Managements schrittweise zu erarbeiten und die angesprochenen Defizite zu beheben. Um ein betriebswirtschaftliches Fundament zu erstellen, erfolgt deshalb zunächst eine Hinführung zu einer eigenständigen Definition.

d. Eine Hinführung zu einer eigenständigen Definition

(i) Den ersten Ausgangspunkt der Hinführung bildet die Arbeitsteiligkeit in der Lieferkette. Die vollständige Erstellung eines Produktes innerhalb eines Unternehmens ist heutzutage kaum noch zu finden. Als prominentes Beispiel dient das Ford T-Modell der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Arbeitsteiligkeit ist das Grundprinzip der Fertigung und diese hat sich spätestens mit Beginn der Globalisierung weiter ausgeprägt und gesteigert. Die Grundlage dieser Entscheidung zur Fremdvergabe basiert auf dem Grundgedanken, dass Lieferanten die Fertigung von Komponenten, Bauteilen oder Einzelteilen besser vollziehen können als das eigene Unternehmen.

Die Zusammenarbeit in der Lieferkette und damit die Arbeitsteiligkeit haben schon immer stattgefunden. Auch deren wissenschaftliche Behandlung ist nicht neu. Prominent sind die beiden Arbeiten von Adam Smith und David Ricardo. Smith hat mit seinem Werk „Wohlstand der Nationen“ im Jahre 1776 die Bedeutung der Spezialisierung und der Arbeitsteilung für den Wohlstand erläutert. In seiner sog. Nadelrede bringt er seine Ideen prominent zum Ausdruck.32 David Ricardo erläutert in seinen Werken die komparativen Kostenvorteile einzelner Staaten und formuliert auf diesem Wege seine Außenhandelstheorie, d.h. in der Sprache des Supply Chain Managements verbessert die (internationale) Arbeitsteilung bzw. Spezialisierung die Zielerreichung einer Steigerung der nationalen Gütererträge. Es wird ein Zugewinn in Summe für beide Staaten erzielt.

In der betriebswirtschaftlichen Diskussion wurde diese Diskussion der Arbeitsteiligkeit in der Transaktionskostentheorie wieder aufgegriffen. Coase33 und später Williamson34 erörtern, dass auch das Zustandekommen eines Vertrages sog. Transaktionskosten verursacht, und diese maßgebend sind für die Entscheidung der Selbsterstellung (»make«) oder des Fremdbezuges (»buy«). Sie erweitern den Vergleich der internen Kosten (IC) und dem externen Preis (EP) um die Transaktionskosten (TC). Ihre Entscheidungsregel lautet:

○ Unternehmensinterne Fertigung, wenn EP + TC > IC

○ Fremdvergabe an Lieferanten, wenn EP + TC < IC

Damit geben die beiden Autoren eine Antwort auf die Frage und eine Entscheidungsregel, in welchem Umfang die Wertschöpfung intern erfolgen soll, und in welchem Umfang die Wertschöpfung extern von Lieferanten zugekauft werden soll.

Speziell Jarillo erweitert mit seinem Werk „On Strategic Networks“ diese dichotome Frage des „make-or-buy“: Er verdeutlicht, dass eine reine konkurrierende Beziehung mit den Alternativen Markt oder Hierarchie ein Nullsummenspiel darstellt. Als Erweiterung der Handlungsoptionen thematisiert er kooperierende, selbstständige Unternehmen in einer Zugewinngemeinschaft. Diese bezeichnet er als „network“. Seine Gedanken lassen sich in drei Kernaussagen darstellen:

“Briefly, we must understand under which circumstances a network arrangement can be more efficient than both a purely ‘market’ relationship or an integrated solution.” 35

“In this paper, networks are conceptualized as a mode of organization that can be used by managers or entrepreneurs to position their firms in a stronger competitive stance.” 36

„Firms in the network are independent […]. Otherwise they would fall into a case of ‘vertical quasi-integration’.” 37

An Netzwerken unterscheidet Jarillo in einem zweiten Schritt „Strategische Netzwerke“ und „Clans“:

○ Strategische Netzwerke sind durch „hub firms“ gesteuerte Netzwerke mit speziellen langfristigen Vertragsbeziehungen. Die einzelnen Unternehmen des Netzwerkes bleiben unabhängig. Hier erweitert Jarillo die Koordination über den Markt durch das sog. ‚Strategische Netzwerk‘.

○ Clans sind durch langfristige Beziehungen zwischen selbstständigen Unternehmen ohne konkrete Verträge und ohne formale Organisation gekennzeichnet. Dennoch weisen die Clans Formen der hierarchischen Koordination auf, indem die starke Führungsakzeptanz zur Spitze des Clans gegeben ist.

(ii) Zum zweiten sind die Tätigkeiten und Entscheidungen im einkaufenden Unternehmen und zwischen den Unternehmen einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Die intensive Auseinandersetzung mit dieser Thematik zeigt auch die hohe Relevanz dieser Fragestellung. Die inhaltliche Ausgestaltung der Tätigkeiten eines Unternehmens wird hierbei nur indirekt erörtert. Dabei ist der Ablauf unbestritten: Ausgehend von einem Primärbedarf wird dieser über eine Stückliste in einen Sekundärbedarf (zunächst als Bruttobedarf) überführt und im Abgleich mit Beständen der Nettobedarf ermittelt. Im Buy-Fall laufen nun die Prozesse des Auftragszyklus ab, d.h. von der abgeschlossenen Bedarfsermittlung, der Auftragsbildung, der Lieferantenwahl, möglichen Verhandlungen mit Lieferanten, der Vertragsvereinbarung und den Warenflüssen bis zur Übergabe an das einkaufende Unternehmen.38 Im Make-Fall beginnt die interne Produktionsplanung und Produktionssteuerung, in der das Produktionsprogramm, die Mengenplanung, die Losgrößenplanung, die Termin- und Kapazitätsplanung und die Feinterminierung die eigentliche Fertigung vorbereiten.

Innerhalb eines Unternehmens erfolgen hierzu die Vertriebs-, Distributions-, Produktions- und Einkaufsplanung, welche jeweils auf einer strategischen, taktischen und operativen Ebene ausgestaltet werden. Die Einkaufs- und Vertriebsaktivitäten (d.h. Planung und Steuerung) von Abnehmer (einkaufendem Unternehmen) und Lieferant verbinden die Unternehmen in der Lieferkette. Dabei definieren die Produkt-Marktstrategien und die Rolle der Unternehmen im Liefernetzwerk die strategische Rolle und Position der Unternehmen. Die technische Ausgestaltung und die Kapazitäten schaffen dann als taktische Planung den Rahmen für die operativen Absatz-, Produktions-, Lager-, Transport- und Einkaufsprozesse.

Die Produktstückliste bildet hierfür die Planungsgrundlage zur Fertigung der Komponenten, Baugruppen, Bauteile, Einzelteile bis hin zu den Rohstoffen. Diese Ausgestaltung ist breit erläutert und ohne widersprüchliche Diskussion. Im Gegensatz hierzu steht die noch wenig ausdifferenzierende Beschaffung der Daten und Informationen entlang der Lieferkette. In Analogie zur Produktstückliste wird deshalb von einer Datenstückliste gesprochen. Eine Möglichkeit, eine solche Datenstückliste zu beschreiben, besteht in den notwendigen Entscheidungen im Auftragszyklus, woraus dann der Informationsbedarf und der Datenbedarf abgeleitet werden können. Grundsätzlich ergibt sich die Datenstückliste aus den folgenden vier Bausteinen:

Daten des Bedarfs: Artikelbezeichnung, technische und qualitative Merkmale, ökonomische Merkmale, Mengen, Zeitfenster des Bedarfs, Bedarfsort

Daten des Auftrags: Herunterbrechen der Bedarfsmengen in Auftragsmengen, Mengen und Zeitfenster des Auftrags, Bedarfsort, Verhandlungsprofile, ökonomische Eckpunkte des Auftrags

Daten des Lieferanten: Übereinstimmung von Mengen, Zeiten und ökonomischen Merkmalen, Risiko- und Complianceprofile der Lieferanten bzw. deren Lieferkette, Standorte, Kapazitäten, Finanzstatus, Verhandlungsprofile

Daten der logistischen Ausführung: Mengen, Zeiten und Lieferorte, Lieferwege, ökonomische Eckpunkte der Logistik, Risikoprofil des Logistikweges

Nach erfolgter Auslieferung und Auftragserledigung folgt aus dem Bestandszugang die erneute Berechnung des Nettobedarfs und so schließt sich der datenmäßige Kreislauf zu den Bedarfsdaten.

Diese Betrachtung der Datenstückliste basiert auf einem Auftragszyklus, bei dem der Lieferant aus seiner Sicht prognosebasierte Produkte erstellt hat und diese in seinem Distributionslager puffert. Dieser Make-to-Stock Fall (MtS) ist in der Datenstückliste zu erweitern, wenn das einkaufende Unternehmen einen Auftrag von erst zu konfigurierenden Produkten (Assemble-to-Order, AtO) vergibt. Weitere Anpassungen sind dann im Make-to-Order Fall (MtO) bzw. im Engineer-to-Order Fall (EtO) vorzunehmen, da die Daten der Fertigung bzw. der Produktentwicklung mit in die Datenstückliste aufzunehmen sind.

(iii) Zum dritten wird die Frage zur Notwendigkeit der Abstimmung der einzelnen Planungen und Aktivitäten betrachtet. Eine erste Begründung vom Zusammenspiel mehrerer Akteure wird anhand des Fußballspiels verdeutlicht: 22 Spieler konkurrieren um einen Ball, um dann möglichst viele Tore zu erzielen. Die knappe Ressource Ball erfordert die Abstimmung der eigenen elf Spieler und dies in Abhängigkeit der Aktivitäten der gegnerischen elf Spieler. Eine solche Koordination ändert sich grundlegend, wenn jeder der 22 Akteure einen eigenen Ball erhalten würde. Die Ressource ist nicht mehr knapp und eine Abstimmung wäre unnötig. Damit würde auch die Spannung für die Zuschauer verschwinden. Dieses Beispiel belegt die erste Motivation einer notwendigerweise abzustimmenden Zusammenarbeit.

Grundsätzlich sind Entscheidungen zwischen Akteuren aufeinander abzustimmen, wenn Interdependenzen bestehen. Der zentrale Leitgedanke des Supply Chain Managements ist die Koordination39 der Wertschöpfungen in der Lieferkette. So sind hierzu die einzelnen Arten von Verbindungen (d.h. Beziehungen) zwischen diesen Partnern darzulegen. Dies wird anhand der Interdependenzen vorgenommen. Es lassen sich hierbei drei Arten unterscheiden:40

Serielle Interdependenzen: Hier ist der Output der Lieferstufe der Input der Kundenstufe und die Passfähigkeit ist sicherzustellen. Diese Passfähigkeit kann sich auf das Produkt in seinen technischen, geschmacklichen, wirtschaftlichen und qualitativen Eigenschaften beziehen. Aber auch die logistische Passfähigkeit mit ihren zeitlichen, räumlichen und mengenmäßigen Eigenschaften41 begründet die Notwendigkeit der Abstimmung der Partner in der Lieferkette.

Gepoolte (gebündelte) Interdependenzen: Hier ist die Nutzung gemeinsamer Ressourcen angesprochen, z.B. ein gemeinsames Lager, eine gemeinsame Einkaufsorganisation oder dgl. Die Verteilung von Leerkosten bzw. von Opportunitätskosten bedingt eine gemeinsame Abstimmung.

Reziproke (wechselseitige) Interdependenzen: Hier ist der Output einer Entscheidung der Input der Entscheidung des Partners. So können beispielsweise die Transport- und Lagerentscheidungen nicht unabhängig voneinander getroffen werden. Je mehr Lager eingerichtet werden, desto kleiner die Einzugsgebiete je Lager und desto kleiner sind die Auslieferungsmengen als Grundlage der Entscheidungen zum Fuhrpark. Die Entscheidungen zum Fuhrpark haben andererseits Einfluss auf die Größe und die Einzugsgebiete der Lager.

Die zweite Motivation der begründet notwendigen Zusammenarbeit basiert auf den gemeinsamen Zielen (»win-win«) der Partner einer Lieferkette42. Durch eine koordinierte Zusammenarbeit lassen sich die Zielerreichungen der beteiligten Unternehmen verbessern. Diese Verbesserung eines Partners kann durch die Abstimmung mit einzelnen Aktivitäten der anderen Partner erreicht werden. Dies kann sich auf eine gemeinsame, d.h. für beide identische, oder auf unterschiedliche Zielsetzungen der Partner beziehen. Ein Beispiel einer identischen Zieldimension ist die Koordination der Mengen- und Zeitplanung, welche bei beiden Partnern zu geringeren Bestandskosten führen kann (sollte). Ein Beispiel für unterschiedliche Zieldimensionen sind die geringeren Vertriebsaktivitäten durch eine langfristige Partnerschaft beim Lieferanten und die geringeren Aufwendungen für Qualitätssicherung beim einkaufenden Unternehmen.

Das Fazit aus der Diskussion zu den Interdependenzen lautet: Ohne Interdependenzen ist eine Abstimmung aus planerischen Gründen nicht notwendig.43 Jeder Teil der Lieferkette könnte seine Entscheidungen isoliert planen und ausführen. Interdependenzen hingegen bedingen im Sinne einer Zielverbesserung eine gegenseitige Abstimmung (Koordination) in der Logistikkette.

e. Definition zum Supply Chain Management

Aufbauend auf den genannten Vorüberlegungen kann nun eine Definition zum Supply Chain Management erstellt werden. Hierzu werden sechs Aussagen als Definition formuliert.

(i) Aufbauend auf der Hinführung zu einer Definition wird Supply Chain Management definiert als die Planung, Steuerung, Umsetzung und Kontrolle (d.h. Management) der durch Interdependenzen verbundenen Unternehmen. Dies kann sich auf die Transformations-, die Transaktions- oder die Transferprozesse beziehen. Eine vergleichbare Definition verwenden Otto/Kotzab44, indem sie von der sequentiellen Wertadditionsperspektive der Lieferkette sprechen, in der deren Partner über interdependente Unternehmen und Aufträge miteinander verbunden sind. Die Autoren der Lambert Schule definieren das Supply Chain Management als die Integration der (Kern-) Prozesse entlang der Lieferkette. Hierbei nehmen sie nicht direkt Bezug auf die Analyse der Interdependenzen und vertiefen nicht den Grund der Abstimmung, sondern betonen die Frage wie eine Integration vorzunehmen ist.45

(ii) Supply Chain Management ist demzufolge eine Querschnittsaufgabe zwischen Unternehmen. Die konkrete Ausgestaltung der betrieblichen Managementfunktionen manifestiert sich anschließend in einer inhaltlichen Ausgestaltung von Einkauf, Produktion, Vertrieb und Logistik.

(iii) Das Supply Chain Management umfasst die Koordination zwischen Unternehmen und kann im Extremfall alle Partner der Lieferkette bis zum Rohstoffhersteller bzw. alle Partner einer Lieferstufe umfassen.

(iv) Ein Supply Chain Management ist nicht notwendig, wenn die angesprochenen Interdependenzen nicht vorliegen. Dies kann bei bestehenden Pufferlägern zwischen den Unternehmen der Lieferkette oder Standards bei vollkommenen Märkten der Fall sein.

(v) Ein Supply Chain Management lässt sich in strategische, taktische und operative Themenbereiche gliedern. Die Hierarchisierung von Entscheidungen begründet sich in unterschiedlichen Planungshorizonten, unterschiedlichen Bedeutungen der Entscheidungen für das Unternehmen (bei Erfolg und Risiko), unterschiedlichen Planungsdaten bzw. deren Aggregationsgrad und auch unterschiedlichen Entscheidungsträgern.46

(vi) Die konkrete Zielsetzung ist normalerweise kein konstituierendes Merkmal einer Definition des Supply Chain Managements. Doch hier werden zwei Ziele als Merkmale der Definition herausgestellt: Das Supply Chain Management bezieht sich auf die verbesserte finanzielle Bewertung der heutigen betrieblichen Aktivitäten einerseits und die verbesserte Ausgestaltung zukünftiger betrieblicher Aktivitäten andererseits. Dies kann beispielsweise marktstrategische Vorteile, eine höhere Robustheit, bessere Effizienz, oder verbesserte sowie transparentere Prozesse umfassen.

Die Notwendigkeit bzw. die Begründung eines Supply Chain Managements erklärt sich aus den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte. Hier standen (und stehen) beispielsweise der Abbau von Beständen, die Synchronisierung von Fertigungen (Just-in-Time), die Konzentration auf Kernkompetenzen, der Aufbau von Entwicklungspartnerschaften oder die Umstellung auf kundenspezifischere Angebote im Blickpunkt. Jene Beispiele begründen die angesprochenen Interdependenzen und bedingen somit ein Supply Chain Management. Diese Entwicklungen sind insbesondere mit der Globalisierung offensichtlich geworden, so dass die Literatur zum Supply Chain Management ab Anfang/Mitte der 90er Jahre einen festen Platz in der Managementliteratur einnahm.47

Ein Unterlassen eines koordinierten Vorgehens in der Lieferkette führt zu einem erhöhten Supply Chain Risiko und zu einem Nichtausschöpfen möglicher Potenziale. In der mittel- bis langfristigen Konsequenz sind dann geringere Marktausschöpfungen (Marktanteile, Umsätze) und höhere Kosten zu erwarten. Diese verschlechterte Ausgangsposition im Wettbewerb ist durch höhere Anstrengungen in der Folge wieder auszugleichen; sofern dies die Wettbewerber zulassen und es einem Nachzügler dann überhaupt gelingt.

Das Ergebnis eines Supply Chain Managements ist, hier auf der Grundlage der Lambert Schule, die Auswahl und Festlegung der relevanten Supply Chain Partner, um durch gegenseitige Abstimmungen zu definierten Geschäftsprozessen marktstrategische Vorteile und Weiterentwicklungen zu ermöglichen bzw. zu erleichtern.48 Eine ähnliche, jedoch nur schematische Abbildung hat der Verein Netzwerk Logistik in Österreich im Jahre 2011 vorgenommen. Sie machen deutlich, dass nicht mit allen Partnern ein koordiniertes Management möglich (und notwendig) ist, sondern der Fokus nur auf den (erfolgs-) kritischen Partnern der Lieferkette liegt.

f. Vertiefungen zur Definition

(i) Die erste Vertiefung bezieht sich auf die Einordnung der Koordination der Supply Chain Partner in die Formen ökonomischer Abstimmungen. Die Koordination von interdependenten Aktivitäten in der Lieferkette und die bisherigen Ausführungen der Lambert Schule machen deutlich, dass ein Supply Chain Management sich auch auf eine Auswahl an Partnern fokussiert. Es stellt sich daher die Frage, wie die sog. Nicht-Supply Chain Partner behandelt werden bzw. wie ein Supply Chain Management sich in die verschiedenen Formen der Koordination einordnet. Aufbauend auf der Transaktionskostentheorie hat Jarillo die strategischen Netzwerke als dritte Form neben dem Markt und der Hierarchie der ökonomischen Abstimmung etabliert.49 Sydow/Möllering wählten z.B. als Untertitel ihres Buches die drei grundsätzlichen Formen der Koordination: Make, Buy & Cooperate.50

Diese drei Formen der Abstimmung sind in der Tabelle 1.2 anhand wesentlicher Merkmale gegenübergestellt worden: Es sind der Ort der Wertschöpfung, die Ausgestaltung der Koordination, die Prozessauslösung, die Detailplanung, die Basis des Zustandekommens dieser Abstimmungen und die Selbstständigkeit der beteiligten Partner. Es wird deutlich, dass diese Merkmale zur Abgrenzung hergezogen werden können.

Die Form „Netzwerk/Kooperation“ macht deutlich, dass selbstständige Unternehmen in den, den operativen Wertschöpfungsprozessen vorausgehenden Verhandlungen, eine Übereinkunft über die weitere Zusammenarbeit erzielen. Die beteiligten Partner sind damit explizit aufgefordert, initiativ tätig zu werden und drücken damit ihre Interessen und ihre Absicht aus. Eine erkennbare Win-win Situation bildet die Basis dieser Übereinkunft. Der zeitliche Aufwand für die Vorbereitung und die Durchführung der Verhandlung stellen Transaktionskosten dar, die in das gesamte Kostenkalkül eingehen und somit i.d.R. zu mittel-/langfristigen Vereinbarungen führen.

Die Formen „Markt“ und „Hierarchie“ weisen hierzu abzugrenzende Merkmale auf: Bei der Hierarchie werden die Wertschöpfung im Unternehmen und die Koordination durch Top-down bzw. Bottom-up Pläne (als PPS-Systeme) im Rahmen der Unternehmensplanung mit unselbstständigen Abteilungen genannt. Der Markt liefert die Wertschöpfung demgegenüber auf dem externen Markt und die Koordination erfolgt durch die unsichtbare Hand (A. Smith) aufgrund der Herausbildung von Gleichgewichtspreisen von selbstständigen Unternehmen.


Tabelle 1.2: Merkmale grundsätzlicher Koordinationsformen

Die Form „Koordination im Netzwerk“ lässt sich in einem zweiten Schritt weiter ausdifferenzieren. So kann (i) eine Koordination durch eine sog. „hub-firm“ die wesentlichen Merkmale der Koordination beibehalten und zusätzlich die planerische Kraft der Hierarchie nutzen, um hierdurch in kürzerer Zeit (durch Disziplin und Abhängigkeit) zu positiven Ergebnissen zu kommen. Oder (ii) eine „lose Koppelung“ nutzt die Vorteile des freien Marktes und umgeht den Nachteil der längerfristigen Bindung, z.B. für Projektkoordinationen. (iii) Im dritten Unterfall, der „Heterarchie“ würde die Charakterisierung der Form der Abstimmung wie in Tabelle 1.2 auftreten.

Die Aufwendungen zur Auswahl der Partner und der Aufbau des Betriebes von koordinierten Wertschöpfungsaktivitäten benötigen einen entsprechenden Vorteil. So hat schon der Übergang von der vollständigen internen Erstellung (Hierarchie) zur externen Beschaffung (Markt) von Teilen der Gesamtwertschöpfung einen Vorteil erzielen müssen. Vorteile durch die Bündelung des Know-hows und der Kernkompetenzen führen zu günstigeren durchschnittlichen Kosten der zu beschaffenden Güter/Teile. Die nachhaltige Entwicklung der Arbeitsteiligkeit hat dies offenkundig dokumentiert. Damit wird deutlich, dass die zusätzlichen Transaktionskosten und Transferkosten ausgeglichen werden konnten.

Der Übergang vom Markt zur Kooperation hat nun seinerseits weitere Vorteile aufzuweisen. Die längerfristige Zusammenarbeit und die bessere Kenntnis der einzelnen Planungen bzw. Sachzwänge der Unternehmen gestatten dann besser abgestimmte Planungen, die unnötige Doppelarbeiten vermeiden, einzelne Aktivitäten besser synchronisieren und die Passfähigkeit der Aktivitäten verbessern. Im Konkreten können Vorteile in folgenden Bereichen auftreten:

○ Vorteile durch die Kooperation beim Lieferanten: Hierzu zählen u.a. Vorteile, die durch die längere Zusammenarbeit entstehen, so z.B. eine bessere Anpassung der Planungen und Materialflüsse an den Kundenbedarf. Als Beispiele lassen sich z.B. geringere Kosten der Lagerhaltung und der Auftragsausführung nennen.

○ Vorteile durch die Kooperation beim Abnehmer (einkaufendes Unternehmen): Hierzu zählen u.a. Vorteile, die durch die längere Zusammenarbeit entstehen, so z.B. eine bessere Anpassung der eingehenden Materialflüsse. Als Beispiele lassen sich z.B. geringere Kosten der Auftragsfixierung, der Auftragsübermittlung oder der Warenvereinnahmung nennen.

(ii) Eine zweite Vertiefung zur Definition bezieht sich auf die Effekte einer unzureichenden Koordination, obwohl diese nötig gewesen wäre. Der Peitscheneffekt (»Bullwhip«) ist hier an erster Stelle zu nennen. Ausgehend von einer, über Perioden stabilen Situation, führt der einmalige Anstieg der Nachfrage bei isolierter Planung jedes Akteurs in der Lieferkette zu höheren Beständen. Dieses Aufschaukeln wurde erstmals von Forrester demonstriert.51

An zweiter Stelle sind die Untersuchungen von Goldratt52 zu den Engpässen in der Lieferkette zu nennen. Er bezieht dies auf einen internen vernetzten Produktionsprozess und nicht auf eine externe Lieferkette. Engpässe entstehen durch Auftragsprogramme oder durch unausgewogene Kapazitäten, welche auch durch eine geringe Produktivität (hohe Rüstzeiten) zu Tage treten können. Diese Engpässe stellen eine gepoolte Interdependenz dar und werfen einen „Schatten“ auf die nachfolgenden Stufen der Lieferkette. Zum dritten können unzureichende Teilequalitäten zu Dominoeffekten führen, da diese dann Folgeunterbrechungen auslösen. Hier steigt der Anspruch an eine hohe Qualität, je mehr Teile die Produkte haben.

(iii) Die dritte Vertiefung bezieht sich auf die Diskussion zu den Paradoxien eines Supply Chain Managements. Paradoxien beschreiben widersprüchliche Eigenschaften. Winkler53 hat auf vier solcher Paradoxien eines Supply Chain Managements hingewiesen:

○ Geringerer Handlungsspielraum versus einem erweiterten Handlungsspielraum: Die Erweiterung ergibt sich durch die zusätzlichen gestalterischen Möglichkeiten im Netzwerk. Doch andererseits engt sich durch die gemeinsamen Netzwerkziele der Spielraum auch ein.

○ Beibehaltung der Autonomie versus die Abhängigkeit im Netzwerk: Der wirtschaftlichen Autonomie stehen gleichzeitig die einengenden koordinierten Netzwerkaktivitäten entgegen.

○ Spezialisierung auf Kernkompetenzen versus die Integration aller Ressourcen im Netzwerk: Der eigenen Spezialisierung auf Kernkompetenzen stehen die Absprachen hinsichtlich der Einbringung von Kompetenzen in ein abgestimmtes Netzwerk entgegen.

○ Anreiz marktlicher Angebote versus Stabilität im Netzwerk: der Kontinuität einer mittel- bis langfristig angelegten Partnerschaft stehen das Entgehen möglicher neuer marktlicher Angebote (Anreize) gegenüber.54

Diese Paradoxien des Supply Chain Managements machen deutlich, dass diese Managementkonzeption auch kein Schlüssel zum Paradies ist, sondern die Zielkonflikte und faktischen Sachzwänge auch hier zum Tragen kommen. Das übergeordnete Optimum lässt sich in derartigen Managementgebieten nicht erreichen. Die Schlussfolgerung, dann auf ein Supply Chain Management zu verzichten, ist allerdings voreilig und nicht zielführend, da mögliche Verbesserungen der Ergebnisse durch Koordination dann auch nicht erzielt werden können.

Demzufolge hat der konzeptionelle Rahmen neben den Kernaufgaben auch diese Paradoxien zumindest implizit aufzunehmen.55

g. Konzeptioneller Rahmen des Supply Chain Managements

Nach einer Hinführung und Erläuterung der Elemente des Supply Chain Managements wird nun ein konzeptioneller Rahmen des Supply Chain Managements entworfen. Er greift die Elemente der bisherigen Diskussionen in der Literatur auf und führt diese zusammen. Folgende Elemente umfassen diese Konzeption:

Wertschöpfung: Die durch abgestimmtes Verhalten erzielbaren zusätzlichen Wertschöpfungen für den/die Kunden. Die zusätzlich geschaffenen Werte bringen die gesteigerte Leistungsfähigkeit der Supply Chain zum Ausdruck.

Interessen: Die divergierenden Zielsetzungen und die koordinierten/konvergierenden Zielsetzungen (»win-win«). Im Hinblick auf die Wertschöpfung basiert die Verteilung der Leistungserstellung auf den einzelnen Zielen der Partner.

Konfiguration: Die Ausgestaltung der strukturellen Merkmale der Lieferkette bzw. des Liefernetzwerks. Damit werden die Eckpunkte für die Planung der operativen Prozesse festgelegt.

Koordination: Die Mechaniken der Abstimmung zu einem konvergierenden Verhalten. Damit werden die grundsätzlichen und einzelfall-bezogenen Abstimmungen der Konfiguration und der Prozesse behandelt.

Robustheit und Resilienz: Angesichts der Coronakrise ist eine vertiefende Betrachtung von Robustheit (d.h. Abwehr von Risiken) und von Resilienz (Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit im Krisenfall) gestörter Lieferketten unverzichtbar.

Gesamtkonzeption: Das Zusammenspiel von Wertschöpfung, Interessen, Konfiguration und Koordination – auch im Hinblick auf Robustheit und Resilienz


Abbildung 1.1: Rahmenkonzeption des Supply Chain Managements

Die Abbildung 1.1 stellt die Konzeptelemente des Supply Chain Managements, die diesem Buch zugrunde liegen, bildlich dar. Auf die einzelnen Unteraspekte wird dann in den folgenden Kapiteln eingegangen und deren Einzelaspekte erläutert.

Es gilt, diese Bausteine anschließend auf eine Supply Chain (Liefernetzwerk) zu übertragen. Die Abbildung 1.2 zeigt beispielhaft ein solches Liefernetzwerk. Es sind insgesamt vier Tier-1 Lieferanten zu sehen, die insgesamt sechs Tier-2 Lieferanten aufweisen. Das Ziel des Supply Chain Managements ist es nun, diejenigen Lieferanten bzw. Sub-Lieferanten zu identifizieren, mit denen durch eine „engere“ Zusammenarbeit strategisch bessere Ergebnisse erzielt werden können und sollen.56 Der Anspruch des Supply Chain Managements ist damit eine Verbesserung der kurz- und langfristigen Leistungsfähigkeit der definierten Supply Chain Partner. Diese sind in der Abbildung 1.2 in grau schraffiert worden. Sie bestehen hier aus einem OEM, drei Tier-1 Lieferanten, zwei Tier-2 Lieferanten und zwei Tier-3 Lieferanten.


Abbildung 1.2: Verdeutlichung der Rahmenkonzeption des Supply Chain Managements

Als Fazit zum Begriff des Supply Chain Managements lassen sich folgende Aussagen festhalten:

• Der Begriff weist vielfältige Definitionen auf. Eine Einigkeit in Forschung und Praxis besteht (leider) nicht.

• In dieser Arbeit begründen Interdependenzen ein Supply Chain Management.

• Demzufolge basiert ein Supply Chain Management auf der Koordination zwischen Partnerschaften der Lieferkette. Dies wird als dritte Form der Abstimmung neben Markt und Hierarchie eingeordnet.

• Die Geschäftsprozesse (siehe GSCF) dienen als Grundlage der Definition in diesem Buch.

• Demzufolge ist die Logistik ein Teil des Supply Chain Managements.

• Der konzeptionelle Rahmen des Supply Chain Managements umfasst die Interessen der einzelnen Partner, die (gesteigerte) Wertschöpfung, die Konfiguration und die Art der Koordination.

• Die Diskussion zur Robustheit/Resilienz gewinnt nicht nur angesichts der Coronakrise an Aktualität und Bedeutung.

1 Pfohl (2013).

2 Weitestgehende Einigkeit herrscht bei den deutschen Übersetzungen: Management der Lieferkette bzw. des Liefernetzwerkes.

3 Vgl. hierzu die Diskussion bei Otto/Kotzab (2001).

4 Streng genommen lässt sich der Führungsanspruch auch postulieren, ohne ihn zu begründen.

5 Bundesvereinigung Logistik e.V.

6 Bundesvereinigung Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V.

7 Siehe hierzu den Beitrag im BME Magazin Best in Procurement in der Ausgabe September/ Oktober 2013, S. 58f.

8 The Journal of Supply Chain Management, International Journal of Production Economics, European Journal of Operations Research, Journal of Operations Management, International Journal of Logistics Research and Applications, Journal of Purchasing & Supply Management, Journal of Business Logistics, International Journal of Physical Distribution & Logistics Research, The International Journal of Logistics Management, Supply Chain Management: An International Journal.

9 Vgl. Jain et al. (2010).

10 Vgl. Göpfert/Wellbrock (2012), S. 3.

11 Vgl. Naslund/Williamson (2010), S. 11.

12 Vgl. Fettke (2007), S. 424ff. und die Aussage zur Koordination auf S. 444.

13 Zitat entnommen der Webseite https://www.bvl.de/service/zahlen-daten-fakten/logistikdefinitionen, (Abruf: 29.10.2020).

14 Zitat entnommen der Webseite des CSCMP: https://cscmp.org/CSCMP/Academia/SCM_Definitions_and_Glossary_of_Terms, (Abruf: 29.10.2020).

15 Zitat entnommen der Webseite des CSCMP: https://cscmp.org/CSCMP/Academia/SCM_Definitions_and_Glossary_of_Terms, (Abruf: 29.10.2020).

16 Zitat entnommen der Webseite des CSCMP: https://cscmp.org/CSCMP/Academia/SCM_Definitions_and_Glossary_of_Terms, (Abruf: 29.10.2020).

17 Vgl. Lambert et al. (1998).

18 Lambert et al. (1998), S. 2.

19 Cooper et al. (1997), S. 1.

20 Lambert et al. (1998), S. 1.

21 Lambert et al. (1998), S. 3. Siehe das vollständige Zitat von der Homepage des CSCMP.

22 Die Erweiterung dieser Sichtweise findet kaum statt. So sehen z.B. Delfmann und Remmert weitere Geschäftsprozesse, die sie dann abhängig vom Analyselevel in die Betrachtung einbeziehen wollen. Vgl. Delfmann/Remmert (2000), S. 6f.

23 Vgl. exemplarisch Lambert et al. (1998), Cooper et al. (1997) oder Croxton et al. (2001).

24 Croxton et al. (2001), S. 14.

25 Vgl. Croom et al. (2000).

26 Vgl. Cooper et al. (1997).

27 Vgl. Stock/Boyer (2009).

28 Quellen: Lambert et al. (1998), Cooper et al. (1997) und Croxton et al. (2001).

29 Vgl. Bechtel/Jayaram (1997).

30 Vgl. Stevens (1989).

31 Corsten/Gössinger (2008), S. 122. Sie basieren ihre Aussagen u.a. auf Otto/Kotzab (2001).

32 Abgedruckt z.B. bei Sloterdijk (2005), S. 310 ff.

33 Vgl. Coase (1937).

34 Vgl. Williamson (1975) und (2008). Coase und Williamson erhielten für ihre grundlegenden Arbeiten den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften in den Jahren 1991 bzw. 2009.

35 Jarillo (1988), S. 33.

36 Jarillo (1988), S. 32.

37 Jarillo (1988), S. 32.

38 Vgl. Darr (1992) und (2017b).

39 Ergänzend sind die Integration bzw. Kooperation als Supply Chain Management zu erörtern. Auf die inhaltliche Abgrenzung dieser verwandten Begriffe wird später eingegangen.

40 Vgl. z.B. Müller (2005), S. 725 und Gaitanides (2012), S. 197ff. und die jeweils dort angegebene Literatur.

41 Als Beispiele fehlender Abstimmung der drei Logistikeigenschaften können die zu späte Lieferung, die Anlieferung an einen falschen Lieferort und die zu knappe Liefermenge genannt werden.

42 Die zweite Begründung lässt sich auch in die Kategorien der Interdependenzen überführen.

43 Dies würde beim Fußballspiel mit 22 Bällen der Fall sein.

44 Vgl. Otto/Kotzab (2001), S. 160.

45 Vgl. Lambert et al. (1998), S. 4. Gleichlautend hierzu Croxton et al. (2001), S. 13 und Cooper et al. (1997), S. 2. Letztere sprechen nur von Geschäftsprozessen und nicht von Kernprozessen. Die drei Aufgaben umfassen (i) die Auswahl der Supply Chain Partner (who are the key members?), (ii) die Auswahl der Prozesse (what processes?) und (iii) die Form der Integration (what level of integration?).

46 Vgl. Darr (2013), S. 17.

47 Vgl. z.B. Jain et al. (2010).

48 Vgl. z.B. Lambert et al. (1998), S. 7 und 13. Sie haben dies in Form von Abbildungen vorgenommen und die Festlegung der Partner mit „managed process links“ bezeichnet. Sie bezeichnen die anderen nicht zu integrierenden Partner in einer Kaskade von „monitored“, „not-managed“ und „non-member“.

49 Vgl. Jarillo (1988).

50 Vgl. Sydow/Möllering (2015).

51 Vgl. Forrester (1961) und die Ausführungen bei Simchi-Levi et al. (2004).

52 Vgl. Goldratt/Cox (2013).

53 Vgl. Winkler (2008), S. 28ff.

54 Dieses hat Bretzke bezeichnet als die Förderung der „Sklerose“ im Inneren durch die Verlagerung des Wettbewerbs nach außen, vgl. Bretzke (2007), S. 31.

55 So erläutert Eßig et al. (2013), S. 22, dass ein Supply Chain Management aus diesen Gründen als Utopie bezeichnet werden kann. Auch diese drei Autoren verzichten nicht auf diesen Managementansatz, sondern gestalten ihn situationsspezifisch aus.

56 Im Gegensatz hierzu erfolgt die Erstellung des finalen Produktes beim OEM mit ihren Lieferbeziehungen rein auf Basis von Transaktionen (Kaufverträge).

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