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7. Kapitel Crawley von Queen's Crawley
ОглавлениеEiner der geachtetsten unter den Namen mit C im Adelskalender für das Jahr 18.. war Crawley, Sir Pitt, Baronet, Great Gaunt Street und Queen's Crawley, Hampshire. Dieser ehrenwerte Name war beständig zusammen mit denen einer Anzahl anderer würdiger Herren, die den Wahlbezirk jeweils vertraten, auf der Liste der Parlamentsmitglieder verzeichnet.
Über den Wahlflecken Queen's Crawley erzählt man sich, Königin Elisabeth sei einst auf einer Reise in Crawley zum Frühstück abgestiegen und sei von dem außerordentlich guten Hampshire-Bier so entzückt gewesen, welches ihr der damalige Crawley, ein schöner Mann mit gestutztem Bart und hübschem Gang, gereicht hatte, dass sie Crawley sofort zum Wahlflecken gemacht habe, der zwei Abgeordnete ins Parlament schicken durfte. Vom Tage dieses erlauchten Besuches an nannte der Ort sich Queen's Crawley und heißt auch heute noch so. Obgleich im Laufe der Zeit durch die Wandlungen, die die Jahrhunderte in Staaten, Städten und Ortschaften vollbringen, Queen's Crawley nicht mehr so bevölkert war wie zu Zeiten der Königin Bess, ja sogar in den Zustand herabgesunken war, den man allgemein als „abgewirtschaftet“ zu bezeichnen pflegte, so konnte doch Sir Pitt Crawley mit vollem Recht in seiner vornehmen Ausdrucksweise sagen: „Abgewirtschaftet? Zum Henker! Mir bringt es gute fünfzehnhundert im Jahr.“
Sir Pitt Crawley (so genannt nach dem großen Unterhausmitglied) war der Sohn von Walpole Crawley, dem ersten Baronet, der unter der Regierung Georgs II. im Schnur-und Siegellackamt war, wo er wegen Unterschlagung unter Anklage gestellt wurde, wie viele andere ehrliche Männer jener Zeit, und Walpole Crawley war, wie kaum erwähnt zu werden braucht, ein Sohn von John Churchill Crawley, so genannt nach dem berühmten Feldherrn unter der Regierung der Königin Anna. Ferner erwähnt der Familienstammbaum, der in Queen's Crawley hängt, einen Charles Stuart, später Barebone Crawley genannt, ein Sohn des Crawley aus der Zeit Jakobs I, und schließlich, im Vordergrund des Bildes, mit gegabeltem Bart, in voller Rüstung, steht der Crawley der Königin Elisabeth. Aus seiner Weste wächst, wie gewöhnlich, ein Baum hervor, auf dessen Hauptästen die erwähnten glänzenden Namen prangen. Dicht neben dem Namen von Sir Pitt Crawley, Baronet, dem Gegenstand dieser Abhandlung, liest man den seines Bruders, des Ehrwürden Bute Crawley (das berühmte Unterhausmitglied war bereits in Ungnade gefallen, als Seine Ehrwürden geboren wurde), Pfarrherrn von Crawley-cum-Snailby, und verschiedene andere männliche und weibliche Mitglieder der Familie Crawley.
Sir Pitt war zuerst verheiratet mit Grizzel, der sechsten Tochter von Mungo Binkie, Lord Binkie, und folglich Vetter von Mr. Dundas. Sie gebar ihm zwei Söhne: Pitt, der weniger nach seinem Vater so genannt wurde als nach dem göttlichen Minister, und Rawdon Crawley, nach dem Freund des Prinzen von Wales, den Seine Majestät Georg IV. so vollständig vergessen hatte. Viele Jahre nach dem Ableben der Lady führte Sir Pitt Rose, eine Tochter von Mr. John Thomas Dawson aus Mudbury, zum Altar, die ihm zwei Töchter schenkte. Für diese nun war Miss Rebekka Sharp als Erzieherin eingestellt worden. Man wird sehen, dass die junge Dame in eine Familie mit den vornehmsten Beziehungen geriet und alle Aussichten hatte, sich in einem weitaus erleseneren Kreise zu bewegen als in dem bescheidenen von Russell Square, den sie soeben verlassen hatte.
Der Auftrag, zu ihren Zöglingen zu reisen, war auf ein altes Briefkuvert geschrieben worden und lautete folgendermaßen :
„Sir Pitt Crawley bittet Miss Sharp samt Gepäck am Dienstag hier zu sein da ich morgen ganz früh nach Queen's Crawley abreiße. – Great Gaunt Street.“
Rebekka hatte, soweit sie wußte, noch nie einen Baronet gesehen, und sobald der Abschied von Amelia hinter ihr lag, die Guineen gezählt waren, welche der gutmütige Mr. Sedley ihr in einer Börse geschenkt hatte, und die Tränen mit dem Taschentuch getrocknet waren (das hatte sie schon erledigt, als die Kutsche um die Ecke bog), begann sie, sich im Geiste einen Baronet auszumalen. Ich möchte gern wissen, ob er einen Ordensstern trägt, dachte sie; oder tragen nur Lords Sterne? Aber er wird sehr gut angezogen sein, im Staatskleid mit Spitzenjabot und leicht gepudertem Haar, wie Wroughton im Covent-Garden-Theater. Vermutlich ist er furchtbar stolz und wird mich höchst verächtlich behandeln. Trotzdem muß ich mein hartes Los ertragen, so gut es geht; auf jeden Fall lebe ich aber bei Adligen und nicht bei gewöhnlichen Handelsleuten. Und nun dachte sie an ihre Freunde am Russell Square mit derselben philosophischen Bitterkeit, mit der in einer gewissen Fabel der Fuchs von den Trauben spricht.
Der Wagen war über den Gaunt Square in die Great Gaunt Street eingefahren und hielt endlich vor einem großen, düsteren Haus zwischen zwei anderen großen, düsteren Häusern, von denen jedes am mittleren Salonfenster ein Totenschild aufwies, wie es in den Häusern der düsteren Great Gaunt Street üblich ist, wo der Tod auf ewig zu herrschen scheint. Die Fensterläden im ersten Stockwerk von Sir Pitts Hause waren geschlossen, die des Speisezimmers teilweise offen und die Rouleaus säuberlich mit alten Zeitungen bedeckt.
John, der Stallbursche, der die Kutsche allein gelenkt hatte, verspürte keine Lust, abzusteigen und zu klingeln; er ersuchte daher einen vorbeigehenden Milchjungen, es für ihn zu tun. Als die Glocke ertönte, tauchte ein Kopf zwischen den Fensterläden im Speisezimmer auf, und ein Mann in mausgrauen Hosen und Gamaschen, einem schmutzigen alten Rock, einem schmierigen alten Tuch um den borstigen Hals, mit einem glänzenden Kahlkopf, einem schlauen roten Gesicht, einem Paar funkelnder grauer Augen und einem ewig grinsenden Mund öffnete.
„Ist das hier richtig bei Sir Pitt Crawley?“ fragte John vom Bock herab.
„Ja“, erwiderte der Mann an der Tür und nickte.
„Lang mal diesen Koffer da herunter“, sagte John.
„Mach es doch selber“, antwortete der Pförtner.
„Siehst du nicht, dass ich meine Pferde nicht allein lassen kann? Komm, faß an, mein Guter, das Fräulein wird dir ein Bier spendieren“, rief John mit wieherndem Gelächter, denn er hatte keinen Respekt mehr vor Miss Sharp, jetzt, da ihre Verbindung mit der Familie abgebrochen war und sie beim Abschied den Dienstboten nichts gegeben hatte.
Der kahlköpfige Mann folgte der Aufforderung, nahm nun die Hände aus den Hosentaschen, trat näher, warf Miss Sharps Koffer auf die Schulter und trug ihn ins Haus.
„Nehmen Sie bitte diesen Korb und diesen Schal und machen Sie die Tür auf“, kommandierte Miss Sharp und stieg entrüstet aus der Kutsche. „Ich werde Mr. Sedley schreiben und ihm Ihr Betragen melden“, sagte sie zu dem Stallburschen.
„Lassen Sie's lieber bleiben“, erwiderte der Mann. „Haben Sie auch nichts vergessen? Miss Melias Kleider, die eigentlich die Kammerjungfer bekommen sollte? Hoffentlich passen sie Ihnen. Mach die Tür zu, Jim, von der hier kommt doch nichts“, fuhr John fort und deutete mit dem Daumen auf Miss Sharp, „ein böses Weibstück, sage ich bloß, ein böses Weibstück“, und mit diesen Worten fuhr Mr. Sedleys Stallbursche davon. In Wahrheit hatte er mit der fraglichen Kammerjungfer ein Verhältnis und war ganz empört, sie ihrer Nebeneinkünfte beraubt zu sehen.
Als Rebekka nach Aufforderung des Menschen in Gamaschen das Speisezimmer betrat, fand sie es genauso ungemütlich, wie solche Räume gewöhnlich sind, deren vornehme Bewohner sich nicht darin aufhalten, sondern außerhalb der Stadt leben. Die treuen Gemächer scheinen gleichsam die Abwesenheit ihrer Herren zu betrauern. Der Perserteppich hat sich aufgerollt und verdrießlich unter das Büfett zurückgezogen ; die Gemälde haben ihre Gesichter hinter alten Packpapierbogen verborgen; der Kronleuchter ist in einen trübseligen grauen Sack gehüllt; die Fenstervorhänge sind unter allerlei schäbigen Hüllen verschwunden; Sir Walpole Crawleys Marmorbüste schaut aus ihrem finstern Winkel auf die leeren Regale, die eingeölten Kamingeräte und die leeren Visitenkartenständer auf dem Kaminsims; der Flaschenständer hat sich hinter dem Teppich versteckt; die Stühle sind mit den Beinen nach oben an den Wänden aufgestellt, und in dem dunklen Winkel gegenüber der Büste steht ein altmodischer, zerkratzter Besteckkasten verschlossen auf einem Drehtischchen.
Zwei Küchenstühle, ein runder Tisch, ein altersschwaches Schüreisen und eine Feuerzange hatten sich indes um den Kamin versammelt, und über einem schwach sprühenden Feuer brodelte ein Topf. Auf dem Tisch waren ein paar Käse- und Brotstückchen, ein Zinnleuchter und ein Krug mit Porter.
„Vermutlich schon gegessen? Ist es Ihnen zu warm hier? Wollen Sie vielleicht einen Schluck Bier?“
„Wo ist Sir Pitt Crawley?“ fragte Miss Sharp majestätisch.
„Haha! Sir Pitt Crawley bin ich. Vergessen Sie nicht, dass Sie mir noch ein Bier fürs Gepäcktragen schuldig sind. Haha! Fragen Sie nur die Tinker, ob es stimmt. Mrs. Tinker, Miss Sharp; Fräulein Gouvernante, Frau Scheuerfrau. Hoho!“
Die mit Mrs. Tinker angesprochene Dame erschien in diesem Augenblick mit einer Pfeife und einem Paket Tabak, wonach sie eine Minute vor Miss Sharps Ankunft ausgeschickt worden war. Sie übergab beides Sir Pitt, der sich inzwischen ans Feuer gesetzt hatte.
„Wo ist der Farthing?“ fragte er. „Ich habe Ihnen doch drei Halfpence gegeben. Wo ist das Wechselgeld, alte Tinker?“
„Da!“ erwiderte Mrs. Tinker und warf die Münze hin. „Nur Baronets kümmern sich um Farthings.“
„Ein Farthing pro Tag macht sieben Shilling im Jahr“, erwiderte das Parlamentsmitglied; „sieben Shilling pro Jahr sind die Zinsen von sieben Guineen. Nehmen Sie Ihre Farthings in acht, alte Tinker, dann werden die Guineen bei Ihnen von ganz alleine kommen.“
„Sie können sich drauf verlassen, dass es Sir Pitt Crawley ist, junges Fräulein“, gab Mrs. Tinker mürrisch von sich; „nämlich weil er so hinter den Farthings her ist. Sie werden ihn schon noch gründlich kennenlernen.“
„Und mich darum nicht weniger gern haben, Miss Sharp“, ergänzte der alte Herr geradezu höflich. „Ehe ich freigebig bin, muß ich genau sein.“
„In seinem ganzen Leben hat er noch keinen Farthing verschenkt“, brummte Mrs. Tinker.
„Niemals, und auch in Zukunft nicht; das ist gegen meine Grundsätze. Holen Sie sich noch einen Stuhl aus der Küche, Tinker, wenn Sie sitzen wollen; und dann wollen wir ein bißchen Abendbrot essen.“
Darauf stach der Baronet mit einer Gabel in den Topf über dem Feuer und angelte ein Stück Kaldaunen sowie eine Zwiebel heraus. Beides schnitt er in einigermaßen gleiche Teile und teilte es mit Mrs. Tinker. „Wissen Sie, Miss Sharp, wenn ich nicht hier bin, bekommt die Tinker Kostgeld, wenn ich aber in der Stadt bin, so speist sie mit der Familie. Haha! Ein Glück, dass Miss Sharp keinen Hunger hat, nicht wahr, Tink?“ Und nun fielen sie über ihr kärgliches Abendbrot her.
Nach dem Essen rauchte Sir Pitt Crawley seine Pfeife, und als es ganz dunkel geworden war, zündete er die Funzel im Zinnleuchter an. Sodann kramte er aus einer unergründlichen Tasche eine erstaunliche Masse von Papieren hervor und fing an, sie zu lesen und zu ordnen.
„Ich bin wegen einiger Gerichtsangelegenheiten hier, meine Liebe, und so kommt es, dass ich morgen das Vergnügen habe, in einer so netten Begleitung zu reisen.“
„Er hat andauernd mit dem Gericht zu tun“, sagte Mrs. Tinker und griff nach dem Bierkrug.
„Trinken Sie, und geben Sie es weiter“, sagte der Baronet. „Ja, meine Liebe, die Tinker hat ganz recht: ich habe mehr Prozesse verloren und gewonnen als irgendeiner in England. Sehen Sie her: Crawley, Baronet, gegen Snaffle. Den Mann schaffe ich, oder ich will nicht Pitt Crawley heißen. Oder hier: Podder und noch jemand gegen Crawley, Baronet. Die Gemeindevorsteher vom Flecken Snailby gegen Crawley, Baronet. Sie können nicht beweisen, dass es Gemeindeland ist; ich werde ihrer schon Herr werden, es ist mein Land und gehört dem Kirchspiel ebensowenig wie Ihnen oder der Tinker da. Ich werde sie schlagen, und sollte es mich auch tausend Guineen kosten. Sehen Sie sich die Akten an; tun Sie es ruhig, meine Liebe. Haben Sie eine schöne Handschrift? Ich werde Sie schon ausnutzen, wenn wir in Queen's Crawley sind, darauf können Sie sich verlassen, Miss Sharp. Jetzt, wo die Alte tot ist, brauche ich jemand anders.“
„Die war um kein Haar besser als er“, sagte die Tinker. „Alle ihre Kaufleute belangte sie gerichtlich, und in vier Jahren hat sie nicht weniger als achtundvierzig Diener entlassen.“
„Sie war sparsam – sehr sparsam“, sagte der Baronet einfach, „allein sie war mir viel wert und ersparte mir einen Verwalter.“ In dieser vertraulichen Weise wurde das Gespräch zur großen Belustigung der Neuangekommenen eine ganze Weile fortgesetzt. Welche Eigenschaften, ob gute oder schlechte, Sir Pitt Crawley auch haben mochte, er machte kein Hehl daraus. Er sprach beständig von sich, bisweilen im rohesten und gemeinsten Hampshire-Dialekt, nahm aber hin und wieder auch den Ton eines Weltmannes an. Und so wünschte er Miss Sharp eine gute Nacht, nachdem er ihr eingeschärft hatte, am nächsten Morgen um fünf Uhr bereit zu sein. „Heute nacht werden Sie zusammen mit der Tinker schlafen“, sagte er, „es ist ein großes Bett, und zwei Personen haben gut Platz. Lady Crawley starb darin. Gute Nacht!“
Mit diesem Segenswunsch entfernte sich Sir Pitt, und auch die feierliche Tinker ging mit dem Nachtlicht in der Hand voran, die große, öde Steintreppe hinauf, an den hohen, düsteren Salontüren vorüber, deren Klinken papierumwunden waren – bis sie endlich in das große, vordere Schlafzimmer gelangten, wo Lady Crawley ihren letzten Schlaf geschlafen hatte. Das Bett und das Zimmer waren so grabesdüster, dass man sich nicht allein gut vorstellen konnte, dass Lady Crawley da gestorben war, sondern auch, dass ihr Geist es noch bewohnte. Rebekka hüpfte indessen lebhaft im Zimmer herum, schaute in die ungeheuren Kleider- und Wandschränke, versuchte die verschlossenen Schubfächer zu öffnen und musterte die düsteren Gemälde und Toilettengegenstände, während die alte Aufwärterin ihr Gebet verrichtete. „Ich möchte in diesem Bett da nicht gern ohne ein gutes Gewissen schlafen, Miss“, sagte das alte Weib. „Es gibt darin Platz genug für uns und ein halbes Dutzend Gespenster“, meinte Rebekka. „Erzählen Sie mir alles, was Sie über Lady Crawley und Sir Pitt Crawley und alle anderen wissen, meine liebe Mrs. Tinker.“
Aber die alte Tinker ließ sich von der kleinen Fragerin nicht ausholen; sie bedeutete ihr, dass das Bett ein Ort zum Schlafen und nicht zum Schwatzen sei, und ließ bald in ihrer Bettecke ein solches Schnarchen vernehmen, wie es nur die Nase der Unschuld hervorbringen kann. Rebekka lag lange, lange wach und dachte an den nächsten Tag, an die neue Welt, die sie nun betrat, und an die Glücksaussichten, die ihrer dort harrten. Das Nachtlicht flackerte. Der Kaminsims warf einen großen, schwarzen Schatten halb über eine alte vermoderte Handarbeitsprobe, die ihre Entstehung ohne Zweifel den Händen der seligen Lady verdankte, sowie über zwei kleine Familiengemälde, die zwei junge Burschen darstellten: einen in Universitätsrobe und den anderen mit einer roten Jacke wie ein Soldat gekleidet. Als Rebekka einschlief, wählte sie sich den zweiten für ihre Träume.
An diesem rosigen Sommermorgen, der selbst die Great Gaunt Street vergnügt machte, weckte die treue Mrs. Tinker ihre Bettgenossin, veranlaßte sie, sich zur Abreise fertigzumachen, riegelte und schloß die große Haustür auf (deren Knarren und Zuschlagen die schlafenden Echos in der Straße erschreckte) und begab sich zur Oxford Street, um von dem dortigen Droschkenstand eine Kutsche zu holen. Es erübrigt sich, die Nummer des Gefährtes anzugeben oder auszuführen, dass der Kutscher sich so früh in der Nachbarschaft von der Swallow Street eingefunden hatte, weil er hoffte, dass irgendein junger Geck auf dem schwankenden Weg vom Wirtshaus nach Hause seine Hilfe in Anspruch nehmen und ihn mit der Freigebigkeit der Trunkenheit bezahlen würde.
Es erübrigt sich ebenfalls, festzustellen, dass der Kutscher, sollte er je Hoffnungen dieser Art gehegt haben, sich gewaltig getäuscht fand und dass der würdige Baronet, den er in die City fuhr, ihm auch nicht einen Penny mehr gab, als er zu zahlen hatte. Vergebens drängte und wütete Jehu; vergebens warf er Miss Sharps Hutschachtel in den Rinnstein bei den Necks, und vergebens schwor er, dass er sein Fahrgeld gerichtlich eintreiben werde.
„Laß das lieber bleiben“, riet einer der Stallknechte, „es ist Sir Pitt Crawley.“
„Ganz recht, Joe!“ rief der Baronet beifällig. „Und ich möchte den Mann sehen, der mich unterkriegen kann.“
„Ich auch“, sagte Joe mürrisch grinsend und lud das Gepäck des Baronets auf das Droschkendach.
„Reservier den Sitz auf dem Bock für mich, Fahrer“, rief das Parlamentsmitglied dem Kutscher zu, der an seinen Hut faßte und, im Innersten wütend, „Ja, Sir Pitt“ antwortete, denn er hatte den Bock einem jungen Herrn aus Cambridge versprochen, der ihm gewiß eine Krone gegeben hätte. Miss Sharp wurde ein Rücksitz in der Kutsche angewiesen, die sie nun sozusagen in die weite Welt führte.
Es braucht hier nicht erzählt zu werden, wie der junge Mann von Cambridge verdrießlich seine fünf Überröcke draußen auf dem Vordersitz unterbrachte, sich aber mit seinem Schicksal wieder aussöhnte, als die kleine Miss Sharp aussteigen und zu ihm klettern mußte, worauf er sie in einen seiner Überröcke hüllte und wieder guter Dinge wurde; wie der asthmatische Herr; die affektierte Dame, die auf großes Ehrenwort versicherte, noch nie in einer öffentlichen Droschke gereist zu sein (stets befindet sich solch eine Dame in einer Droschke, ach nein, befand sich, denn wo sind die Droschken geblieben?), und die dicke Witwe mit der Branntweinflasche in der Kutsche Platz nahmen; wie der Gepäckträger von ihnen allen Geld verlangte und von dem Herrn sechs Pence und von der diesen Witwe fünf schmierige Halfpence erhielt; und wie der Wagen endlich abfuhr, sich zuerst durch die dunklen Gassen von Aldersgate wand, nun an der blauen Kuppel der Sankt-Pauls-Kathedrale vorbeirasselte, dann rasch am Fremdeneingang von Fleet Market vorüberdonnerte, der, zusammen mit dem alten Zoo, jetzt zum Schattenreich gehört; wie sie am „Weißen Bären“ in Piccadilly vorüberfuhren und den Tau von den Gärtnereien in Knightsbridge emporsteigen sahen, und wie Turnham Green, Brentford, Bagshot ihrem Auge entschwanden. Aber der Schreiber dieser Zeilen, der in früheren Tagen bei ebenso schönem Wetter dieselbe denkwürdige Reise gemacht hat, denkt mit zartem, wehmütigem Bedauern daran zurück. Wo ist die Straße mit ihrem lustigen Leben und Treiben geblieben? Gibt es kein Chelsea oder Greenwich mehr für den alten, ehrlichen, pickelnasigen Kutscher? Ich möchte wohl wissen, was aus diesen wackeren Gesellen geworden ist. Lebt der alte Weller noch, oder ist er schon tot? Und die Kellner, ach, und die Wirtshäuser, in denen sie bedienten, und der große, kalte Rinderbraten, den es dort gab, und der verkrüppelte, blaunasige Hausknecht mit seinem klappernden Eimer – wo ist er, und wo ist seine Generation? Für die großen Genies, die jetzt noch im kurzen Röckchen umherspringen, aber später einmal für die Kinder des geschätzten Lesers Romane schreiben sollen, werden diese Menschen und Dinge ebenso Legende oder Geschichte sein wie Ninive, Richard Löwenherz oder Jack Sheppard. Für sie werden Postkutschen nur in Dichtungen existieren, ein Gespann mit vier Braunen wird zur Fabel geworden sein wie der Bukephalos oder wie die schwarze Bessie. Ach, wie glänzte deren Fell, wenn die Stallknechte ihnen die Decke abnahmen, wie flogen sie dahin – ach, wie wippten ihre Schweife, wenn sie mit heftig dampfenden Weichen am Ende der Fahrt gemessenen Schrittes den Hof des Gasthauses betraten. Ach, wir werden nicht mehr um Mitternacht den Klang des Posthorns hören und keine Schlagbäume mehr auffliegen sehen. Wohin führt uns aber der leichte Viersitzer nun? Ohne weitere Umschweife wollen wir in Queen's Crawley absteigen und sehen, wie es Miss Rebekka Sharp dort ergeht.