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Meine Kindheit

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Ich war immer schon ein wilder Vogel – ein Highlander – ein „anderer“ eben.

Und das fing schon ganz früh an. In meiner Kindheit nämlich. Ich werde Dir jetzt etwas über mein Leben erzählen, damit Du mich und meine Musik etwas besser kennenlernst und mich vielleicht verstehst.

Ich bin an einem Punkt, an dem es schwierig ist, in die Zukunft zu schauen. Ich weiß nicht, was passieren wird und eigentlich will ich’s gar nicht wissen, weil ich Angst, ja manchmal sogar so etwas wie Panik davor habe. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Doch bleiben wir beim Anfang meiner „Lebensgeschichte“ …

Ich bin am 4. März 1961 in einem der kältesten Winter, die mein Heimatort jemals erlebt hat, als Frohnatur auf die Welt gekommen. Doch trotz dieser Wesensart war ich damals wie heute nicht immer leicht zu handhaben. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass Frohnaturen grundsätzlich für andere eher anstrengend sind. Mir wurde schon bald klar, obwohl ich bis heute nicht sicher bin, ob ich damit tatsächlich richtig liege, dass ich etwas Besonderes und zu etwas „Höherem“ bestimmt war und bin.

Ich habe mit zwei Jahren, da konnte ich weder sprechen noch gehen, das Klavierspielen angefangen. Ohne Unterricht, auch später. Nicht, weil mir mein Vater keinen geben konnte, oder wollte, sondern weil ich so schwierig war und alles, was man mir beibringen wollte, stets hinterfragt habe und verbessern wollte. Ich war nie zufrieden – weder mit meinem Vater als Lehrer, der nicht nur für mich ein genialer Musiker war, noch mit mir. Darum hat er es sehr schnell aufgegeben, mich zu unterrichten. Er meinte stets: „Dann geh deinen eigenen (musikalischen) Weg“. Was soviel hieß wie: „Du wirst es NIE zu etwas bringen“. Der Lohn oder die „Quittung“ dafür war, dass er mich Zeit seines Lebens NIE gelobt hat, weil ich mein Können ja nicht durch ihn bekommen habe. Das einzige, was er mir tatsächlich an Ausbildung angedeihen ließ, waren sieben Jahre klassischer Gesangsunterricht. In diesen Genuss kam ich, weil in der Schule mein Talent nicht ganz verborgen blieb und es den Lehrern nach gefördert werden sollte. Ich war sogar so weit, dass mich die Regensburger Domspatzen mit Handkuss aufgenommen hätten, was aber zum Glück daran scheiterte, dass erstens kein Geld für eine Privatschule da war und zweitens nichts und niemand mich dazu hätte bewegen können, diese zu besuchen. Meine Mutter war damals meine größte Bezugsperson für mich und ein Internat kam für mich überhaupt nicht in Frage!

Meine Mutter hat mich immer stark in Beschlag genommen, vielleicht weil ich ein Bruchpilot im eigentlichen Sinne war. Ihre Fürsorge war, wie für eine Mutter sicherlich typisch, grenzenlos. Und dies wurde noch verstärkt, weil ich sprichwörtlich ein Unglücksrabe war. Wahrscheinlich kann sich meine Mutter an tausend Kleinigkeiten erinnern, die mir damals zugestoßen waren, während mir nur die Klassiker im Gedächtnis geblieben sind.

Zwei Tage vor Weihnachten 1967 zum Beispiel wurde ich auf dem Schulweg von einem Auto angefahren, was mir einen monatelangen Aufenthalt in der Kinderklinik in Steinhöring einbrachte. Mit Schädelbasisbruch, Becken-, Schambein- und was weiß ich noch für Brüchen, das letztlich zu dem führte, dass ich meine letzte Ölung schon im zarten Alter von sechs Jahren bekam.

Ich weiß noch, dass ich einmal kurz aus dem Koma aufgewacht bin und meinte, mir würden Tränen aus den Augen laufen. In dem verchromten Mülleimer, der neben meinem Bett stand, sah ich aber in dem verzerrten Spiegelbild, dass mir Blut aus der Nase, den Augen und den Ohren lief. Dann „schlief“ ich wieder einige Zeit, wahrscheinlich Wochen. Diagnose: Langzeitkoma.

Meine Mutter hat mich trotzdem fast jeden Tag besucht, wobei sie zu Fuß, und das mitten im Winter, von Dichau nach Grafing gegangen ist. Sie hatte keinen Führerschein, ja, sie konnte nicht einmal schwimmen, aber sie war trotzdem eine äußerst kluge Frau - auch ohne höhere Schulbildung. Und Sie war eine schöne Frau! Aber das sagt vielleicht jeder Sohn über seine Mutter. Sie ist also zu Fuß nach Grafing, dann mit der Bahn nach Ebersberg gefahren, in den „Filzenexpress“ umgestiegen, bis nach Steinhöring gefahren und dann noch einen Kilometer ins Krankenhaus gegangen. Nach zwei Stunden, länger war die Besuchszeit damals nicht, ist sie dieselbe Strecke zurück. Ein Marathon – und das fast jeden Tag. Sie hat mich wirklich geliebt. Wie ich sie.

Aber wie eigentlich alles, an dem mein Herz in meiner Kindheit und Jugend hing, verlor ich auch sie. Genauso wie Haustiere oder Spielsachen. Dabei hatte ich gerade mal zwei: einen Hund mit Rollen zum Draufsetzen, ein so genanntes Goggolo, und einen Blechkran. Für mehr war kein Geld da.

Ich weiß auch noch, dass unser Bosch-Kühlschrank immer so gut wie leer war. Nur eine viereckige Flasche Dornkaat stand drin, denn das war das erste, was sich mein Vater nach der Arbeit hinter die Binde kippte. Das war später, als er nicht mehr Musiker, sondern Registraturleiter bei der Regierung war und regelmäßig nach Hause kam. Er schenkte sich ein großes Glas ein und dann ging der alltägliche Streit – manchmal einhergehend mit Gewalttätigkeiten – mit meiner Mutter los.

Das geschah aber nur eine kurze Zeitlang lang so. Meine Mutter war dann oft im Krankenhaus, weil sie seit meiner Geburt, zumindest meinten damals die Ärzte, dass dies der Auslöser gewesen war, an Unterleibskrebs erkrankte und daran mit 49 Jahren starb. Da war ich gerade mal 15 Jahre alt. In der Zeit, in der sie sich nicht um mich kümmern konnte, wurde ich von einem Kinderheim ins andere geschickt, zum Beispiel nach Aschau im Chiemgau, und fristete dort mehr schlecht als recht mein Dasein in der Hoffnung, dass es später einmal schöner werden würde. Dann, wenn ich endlich ein Erwachsener wäre!

Alle zwei Wochen am Sonntag bekam ich Besuch von meinen Eltern und mein Vater kaufte mir einen Stapel Comic-Hefte. Bessy, Fix & Foxi, Micky Maus, Zack etc., für viel Geld. Sicherlich tat es meinem Vater leid, mich in die Kinderheimen abzuschieben, aber er musste ja arbeiten und konnte daran nichts ändern. Er beruhigte sein Gewissen und schenkte mir diese Comics. Natürlich wurden mir die Hefte von den Schwestern sofort wieder abgenommen, nachdem meine Eltern die große Holztreppe heruntergegangen waren. Ich nannte sie die Leidenstreppe, weil es mir jedes Mal fast das Herz zerriss, wenn ich meine Eltern wieder gehen sah. Ich durfte es nie erzählen, weil ich sonst Repressalien ausgesetzt worden wäre. Bis heute interessiert mich, was die Schwestern eigentlich mit den Heften angestellt haben. Gelesen? Verbrannt? Verschenkt?

Ich schlief zusammen mit fünfzehn zum Teil schwerstbehinderten Kindern in einem kleinen Schlafraum. Wer sich nicht fügte, wurde bestraft. Die Repressalien waren ausgeklügelt und gemein. Es gab zum Beispiel Schlafentzug. Dann wurde man mitten in der Nacht aus dem Bett geholt, musste kalt duschen und wurde dann ohne sich abtrocknen zu dürfen wieder im Bett festgeschnallt.

Es gab aber auch Essensentzug und anderes nicht Angenehmes. Auch körperliche Züchtigungen waren an der Tagesordnung.

So versuchte ich, mich so unauffällig und gut wie möglich zu verhalten. Manchmal konnte ich ausbüxen. Wenn ich zum Beispiel Erbrochenes von einem Mithäftling aufwischte, hatte ich die Chance einmal etwas Zeit im Garten, auf richtigem Gras, verbringen zu dürfen. Ich sah mich als Gefangenen, als Straftäter, ohne zu wissen, was ich eigentlich angestellt hatte, um eine solche Behandlung zu verdienen. Allein so etwas wie Ballspielen oder Laufen war strengstens verboten und zog strengste Strafen nach sich, wenn man es doch tat. Aber ich habe auch das hinter mich gebracht und ohne sichtbare äußere Schäden überstanden. Nur die Seele litt und leidet vielleicht immer noch und manchmal verfolgt mich diese Zeit bis heute in meinen Träumen.

Aber es ist etwas Wahres dran, wenn man sagt, dass alles, was einen nicht umbringt, härter macht … und am Ende erfolgreicher.

Eine weiterbildende Schule war schon aus diesem Grund nicht möglich, weil ich nach dem Tod meiner Mutter auf mich allein gestellt war. Geld war nie da, weder vorher noch nachher. Ich kann mich noch daran erinneren, dass ich meine sterbende Mutter einmal im Krankenhaus besucht hatte und sie mir 20 Mark zugesteckt hat. Damals eröffnete gerade der erste ALDI in Grafing, am Marktplatz, dort, wo jetzt das Bekleidungsgeschäft BALD drin ist, und ich dachte, dass ich soviel Geld hätte, dass ich den ganzen Laden leer kaufen könnte. Was ich auch fast geschafft habe. So viel Nahrungsgenussmittel hatte ich daraufhin eine sehr, sehr lange Zeit nicht mehr.

Nur mal zum Vergleich: Ich habe mich in meiner Lehrzeit mit einem Monatsverdienst von 92 Mark, wobei die Fahrkarte für die Berufsschule schon über 30 gekostet hat, oft monatelang von einem Paket Toast täglich ernährt. Es waren 14 Scheiben drin und das Paket kostete 59 Pfennig. Mit einem Glas Himbeermarmelade für 69 Pfennig kam man ziemlich weit. Die Marmelade war billig, denn es waren ja fast keine Früchte drin! Wurst gab es nur, wenn ich ab und zu beim Brotzeitholen von jeder Semmel eine Scheibe abgenommen habe und sie vor dem Eintreffen im Betrieb gegessen hatte. Natürlich ohne Semmel, denn die hätte 15 Pfennig gekostet. Für mich war das Brotzeitholen wohl die ehrenvollste Aufgabe eines nicht akzeptierten Karrosseriebaulehrlings, der ansonsten vollkommen fehl am Platze war. Leider war es die Ausnahme, bestimmt nicht die Regel. 20 Mark waren damals ein Vermögen!

Aber es gab ja die Musik! Hätte ich damals nicht bereits als Musiker in den verschiedenen Tanzbands, wie den heute noch existierenden „Moskitos“, als Keyborder, Gitarrist oder als Sänger ein wenig Geld verdient, hätte ich mir weder den Führerschein noch später ein Fahrzeug leisten können. Bei 210 Mark im dritten Lehrjahr schlichtweg ein Ding der Unmöglichkeit. So verdiente ich damals schon mehr Geld mit meinem Talent als mit meiner täglichen Arbeit, die fünf Tage die Woche von 6.45 Uhr bis 17.30 Uhr ging – mit einer viertel Stunde Brotzeit und einer halben Stunde Mittag. Für 2,5 Pfennige in der Stunde. Lehrjahre sind wohl keine Herrenjahre …

Doch dann winkte das große Geld, immerhin in Höhe von 600 Mark, denn der Gesellenbrief rückte in greifbare Nähe. Nur noch drei Monate, dann würde es bergauf gehen. Dachte ich jedenfalls.

Falsch gedacht: Ich hatte einen Motorradunfall, weil ein betrunkener Maurer seine vollen Einkaufstüten mitten in der Nacht auf der Straße hatte fallen lassen und ich durch das Ausweichmanöver die Kontrolle über meine Maschine verlor. Ausweise und Geldbörse des Maurers waren zwar darin, was ihm eine Strafe von 100 Mark an das Rote Kreuz – und mir einen Krankenhausaufenthalt von sechs Monaten und zwei Tagen in der Unfallklinik samt einer Rechnung über 72 Mark für den Begrenzungspfosten und das Verkehrszeichen einbrachte. Jobverlust, Querschnittslähmung für drei Tage, außerdem sechs Wochen auf dem Rücken liegend auf einem Holzbrett mit nur einem Laken drüber festgeschnallt sein, inbegriffen. Nach dieser schweren Zeit war ich froh wieder unter den Lebenden zu sein – und arbeitslos …

Wild Willy Westbahn -the Guitar Highlander

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