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Jugend, die keine war …

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14 Jahre alt. Ein schwieriges Alter. Nicht nur für den, der vierzehn ist, sondern auch, und vielleicht noch mehr, für die Menschen, die einen umgeben. Haltlos umherwandernd. Jeder Tag ein freudloser Alltag aus blassen Farben. Ich kann mich, so seltsam fremd es auch klingen mag, nicht an irgendwelche Farben in meiner Jugend erinnern. Als wäre die Welt damals in schwarz-weiß gewesen. Die Erinnerung daran ist wie an einen alten Stummfilm. Nur spielt links vorn kein Klavier dazu. Und die Erinnerung an Töne ist ähnlich wie die an Farben – sie sind nicht vorhanden …

Und an die, an die ich mich dann doch erinnere … Ich wünschte, sie wären nicht vorhanden.

Ich hatte meine geliebte Mutter verloren. Eigentlich nicht an dem Zeitpunkt, an dem ihr irdisches Leben zu Ende ging, sondern schon früher. Nämlich ab diesem Zeitpunkt, den man in der heutigen Zeit neudeutsch den „Point of no return“ nennt. Ab dem Zeitpunkt, an dem ich für mich innerlich beschlossen hatte, mich von ihr zu verabschieden. Verabschieden zu müssen, um mich nicht noch mehr selbst zu verletzen und daran zu zerbrechen.

Kein leichter Schritt. Nicht für einen Erwachsenen und schon gar nicht für einen 14-jährigen Jungen, der bis er zwölf war, keinen Kontakt zur Außenwelt und keinen einzigen Freund hatte. Ich lebte in einem Käfig.

Nicht verwunderlich, denn ich hatte ja das seltene Privileg, in jedes Fettnäpfchen zu treten, das mir jedes Mal wenigstens einen Nachmittag in der Notaufnahme, aber meistens einen längeren Besuch in irgendeinem Mehrbettzimmer eines Krankenhauses einbrachte. Meistens lag ich dann zusammen mit Erwachsenen, die Witze machten, die ich nicht verstand. Und manche verstehe ich bis heute nicht! Oder weiß jemand, warum katholische Nonnen bei allen Büchern die Seite 69 herausreißen? Gäbe es einen Eintrag im Guinessbuch der Rekorde für die meisten Fahrten in einem Krankenwagen – ich würde ihn gefühlt bis heute noch halten …

Punktum, ich wurde ziemlich schnell erwachsen. Mit elf war ich noch Kind – mehr noch, ein gefangenes, behütetes Kind und mit zwölf war ich erwachsen. Das war der Zeitpunkt, an dem meine Mutter ins Krankenhaus kam und ich sie nur noch zu Kurzbesuchen zu Hause sehen sollte. Und das war ungefähr an meinem zwölften Geburtstag.

Es war ein trauriger Tag – nicht nur für mich.

Ich erinnere mich noch, dass mein Vater in mein Zimmer kam und etwas machte, das ich weder vorher, noch nachher bei ihm sehen sollte. Auch ein paar wenige Jahre später nicht, als er mit derselben heimtückischen Krankheit auf dem Sterbebett lag. Er weinte.

Dieser starke, stolze Mann, den ich zeitlebens im Streit mit meiner Mutter in Erinnerung hatte, weinte. Ich habe bis heute keinen Mann so weinen gesehen. Und da war mir klar, auch wenn ich nie einen Beweis dafür gesehen habe, irgendwann hatte er sie geliebt. Es ist schwierig als Zwölfjähriger einen Erwachsenen, einen 1,88 Meter großen und 93 Kilo schweren Mann, im Arm zu halten und zu versuchen, ihm Trost und Halt zu geben. Denn Trost und Halt, das hätte ich damals selbst mehr als alles andere gebraucht.

Ab diesem Zeitpunkt änderte sich unser Verhältnis. Mein Vater hatte einen erwachsenen Sohn und ich hatte einen für jede Form der Zuneigung dankbaren Vater.

Ab diesem Zeitpunkt waren wir Freunde.

Ich habe mit ihm meinen ersten Alkohol getrunken. Das war im „Schlößl“. Ich trank einen Grog, ein fürchterliches Rumgesöff, das nur mit sehr viel Zucker zu genießen war, wenn man bei diesem scharfen, heißen Höllengetränk überhaupt von Genuss sprechen kann. Und wir sind gemeinsam Motorrad gefahren. Natürlich fuhr er. Denkt ihr?

Selbstverständlich? Nein, selbstverständlich war es nicht.

Ich bin mit seiner Maschine, einer nagelneuen 900er BMW in orange - silber, oft zum Nachmittagsunterricht in die Schule gefahren. Dann habe ich die Maschine bei der nahen Bäckerei abgestellt und bin mit Lederjacke, auf der hinten groß das BMW Logo eingestickt war und mit Helm (ein signalroter Nolan Helm, wie man ihn damals hatte, als die ersten Integralhelme aufkamen), mit dem Nierengurt meines Schwagers und seinen Stulpenhandschuhen und Cowboystiefeln Größe 46 zum Nachmittagsunterricht gegangen. Kein typisches Outfit eines Schülers der 9. Klasse. Wahrlich nicht … jeder, ob Schüler oder Lehrer, selbst der Vertrauenslehrer oder der Rektor wussten Bescheid. Aber keiner hat je etwas gesagt.

Bis auf das eine Mal: Als ich bei der Abschlussfeier mein Zeugnis vom Konrektor erhielt. Der Rektor war kurz zuvor in Rente gegangen und sein Nachfolger war die Karrieretreppe offiziell noch nicht hinaufgefallen. Der Konrektor beugte sich mit den üblichen Worten „Ich wünsche dir alles Gute für deinen weiteren Lebensweg“ und so weiter zu mir hinunter und flüsterte mir zwinkernd ins Ohr: „…und aufpassen beim Schwarzfahren …“

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie sogar etwas stolz auf mich waren. Der Ausdruck trifft es vielleicht nicht ganz, aber mir fällt kein passenderer ein. Klar war, dass es zumindest etwas Besonderes war, dass ausgerechnet diese Schule, einen so „wuiden Hund“ – einen „Outlaw“ hatte.

Zu diesem Zeitpunkt liefen im Fernsehen gerade die „Münchner Geschichten“ und „Irgendwie und sowieso“. Vielleicht hat es damit zu tun. Viele lebten damals so wie in einem dieser Filme und versuchten, den Inhalt zu kopieren oder nachzuleben. Cineastische Vorbilder. Ich nicht – mein Film war real und das Drehbuch schrieb das Leben.

Ich hatte den Konrektor manchmal mit „geringfügig überhöhtem“ Tempo auf dem Schulweg überholt. Mit Vaters 67 PS Maschine und der „geliehenen“ Motorradkleidung. Aufgefallen ist das Fremden nicht, denn ich war damals schon über einsneunzig groß. Heute bin ich einssiebenundneunzig. Aber nur am Morgen. Am Abend bin ich vielleicht nur noch einsfünfundneunzig, und wenn mein Sohn mit seinen einsfünfundachtzig und seinen fünfzehn Jahren neben mir steht, glaube ich, dass ich sogar noch etwas kleiner bin. Nur habe ich heute 93 Kilo und damals vielleicht 70. Das Gewicht ist übrigens das einzige, außer der Musikalität und der damit in Zusammenhang stehenden Vorliebe für Alkohol, was ich heute als Gemeinsamkeit mit meinem Vater ansehe. Und die damalige Vorliebe für Micky Maus Hefte vielleicht. Dann endet die Liste der Gemeinsamkeiten aber schon.

Ich war ein wilder Hund. Ich hatte nicht viele Freunde, dafür aber gute! Einer war mir ausgesprochen ähnlich. Mein Cousin, mit dem ich sogar mal eine Spritztour bis nach Salzburg machte. Er mit der Honda seines Vaters, der ein wirklich übler Zeitgenosse war. Ich werde ihm später ein ganzes Kapitel widmen, diesem Arsch! Und ich mit der BMW meines Vaters. Alles glatt gegangen – Motorradfahrer ohne Seitentaschen wurden an der Grenze meistens durchgewunken. So wie wir. Und bei der Heimfahrt auch.

Wie gesagt, der Schritt vom Kind zum Erwachsenen war nicht vorhanden. Man hatte die Käfigtür geöffnet und der Vogel war ausgeflogen. Die Welt gehörte mir. Der Ernst des Lebens konnte beginnen … und begann.

Wild Willy Westbahn -the Guitar Highlander

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