Читать книгу Kerngeschäft Unterricht - Manfred Pfiffner, Markus Mäurer, Willy Obrist - Страница 4

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1 Die Ausgangslage analysieren


Am Anfang steht immer eine Analyse der Ausgangslage. Wir ­gehen zunächst auf die Rahmenbedingungen ein, die uns durch Schule und Gesellschaft vorgegeben sind. Der nächste Schritt führt uns zu den Lernvoraussetzungen. Lernvoraussetzungen einzuschätzen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben jeder Lehrperson.

Zu einer Analyse der Ausgangslage gehört aber auch, dass man die eigenen Lehrvoraussetzungen kennt und sich die Frage stellt, wie weit man mit Lehrplan und Unterrichtsstufe vertraut ist. Eine ­Lehrperson, die neu in einer bestimmten Stufe unterrichtet, wird sich andere Fragen stellen als eine, die das Metier kennt.

Rahmenbedingungen

Mit Rahmenbedingungen sind die äußeren Faktoren gemeint, welche die Vorbereitung und Durchführung des Unterrichts maßgeblich beeinflussen. Günstige Rahmenbedingungen sind eine wichtige Voraussetzung für einen guten Unterricht.

Lernort: Größe und Lage der Schule, Art des Gebäudes, Raumausstattung, akustische, klimatische und optische Verhältnisse, Gruppenräume, Mediothek, Kantine, Turnhalle.

Lernzeit: Stundenplan und Fächerfolge, Einzellektionen, Blockunterricht, Anzahl Lektionen pro Schultag, Anzahl Dozierende oder Lehrpersonen pro Schultag und Klasse.

Lerngruppe: Größe und Zusammensetzung, Art und Dauer der Sozialbeziehungen, Fach- oder Klassenlehrersystem.

Kollegium: Anzahl der Lehrpersonen in der Schule, Zuteilung der Lehrpersonen in Fach- und Arbeitsgruppen, Verhältnis Schulleitung – Lehrerschaft.

Rahmenbedingungen werden durch Menschen geschaffen und können von Menschen auch wieder verändert werden.

Sofort veränderbare Faktoren: Auf die Klasse bezogene Maßnahmen, wie Sitzordnung und Gestaltung des Klassenzimmers.

Mittelfristig veränderbare Faktoren: Veränderungen, die die Schulleitungen und die Lehrpersonen in ihrer organisatorischen Flexibilität und methodisch-didaktischen Kreativität herausfordern (Stundenplangestaltung, Gruppenräume, äußere Differenzierung u. a.).

Langfristig veränderbare Faktoren: Bei bildungs- und schulpolitischen Entscheidungen ist eine direkte Einflussnahme einzelner Lehrpersonen kaum möglich.

In jedem Fall können die Rahmenbedingungen im Unterricht in eine positive Richtung weiterentwickelt werden. Ein Beispiel dazu: Wenn eine Lehrperson eine Klasse nur am Freitagnachmittag unterrichtet, braucht es nach unserer Erfahrung neben einer klaren Führung und einer sinnvollen Sequenzierung der Lerneinheiten auch immer wieder motivationsfördernde Elemente, die dazu beitragen, dass die Schülerinnen und Schüler die Lernzeit gezielt nutzen. Der Unterrichtsnachmittag könnte zum Beispiel mit einer Erkundung enden, in der die Lernenden nach vorgegebenen oder vereinbarten Regeln ein Thema außerhalb des Schulzimmers bearbeiten.

Lernvoraussetzungen

Im Verlauf der Unterrichtsplanung stehen die Lehrenden immer wieder vor der Frage, über welche Lernvoraussetzungen ihre Schülerinnen und Schüler verfügen. Die Entscheidung für bestimmte Lehrer- oder Schüleraktivitäten lässt sich erst treffen, wenn die gegebenen Voraussetzungen analysiert wurden (Städeli/Obrist/Grassi 2008, S. 99–111, Euler/Hahn 2007). Fehlen die nötigen Lernvoraussetzungen, bleibt meistens auch der Unterrichtserfolg aus. Wichtige Lernvoraussetzungen betreffen die folgenden Bereiche:

Arbeitstechnik: Über welche Lern- und Arbeitstechniken verfügen die Schülerinnen und Schüler? Welche Erfahrungen bringen sie aus der Primar- und Sekundarstufe I im Hinblick auf den Einsatz von erweiterten Lehr- und Lernformen mit?

Sachstrukturen: Auf welchem Wissen der Schülerinnen und Schüler kann ich meinen Unterricht aufbauen? Welche Begriffe müssen zu Beginn einer Einheit aufgebaut werden, damit die Schülerinnen und Schüler anschließend selbstständig arbeiten können? Was können zentrale Fragen und Problemstellungen der Schülerinnen und Schüler sein?

Soziale Beziehungen, Gruppe: Welches Verhältnis haben die Schüler und Schülerinnen untereinander? Welche Auswirkungen hat die Art der Interaktion auf das Arbeits- und Lernklima? Wie ist die Beziehung zur Lehrperson?

Motivation und Emotionen: Welche Haltung und welche persönlichen Einstellungen bringen die Schülerinnen und Schüler in den Unterricht ein? Sind sie bereit, sich auf den Unterricht einzulassen?

Kulturen und Sprachen: Welche sprachliche und kulturelle Vielfalt zeichnet sich in meiner Klasse ab? Wie viele Schüler und Schülerinnen kommen aus einem anderen Kulturkreis? Wie können sie in den Unterricht besser integriert werden?

Individuelle Faktoren: Gibt es Schüler oder Schülerinnen, die etwas Interessantes aus dem eigenen beruflichen oder privaten Umfeld einbringen können? Ist ein Schüler dauernd über- oder unterfordert?

Ist einmal die Analyse der Lernvoraussetzungen geleistet, so kann die Lehrperson methodische Vorüberlegungen anstellen und die Unterrichtsvor­bereitung planen. Dabei soll sie auch ihre eigenen Lehrvoraussetzungen berücksichtigen.

Lehrvoraussetzungen

Es hat sich gezeigt, dass bei Lehrpersonen eine positive Ausprägung der Merkmale »Kontaktbereitschaft«, »emotionale Stabilität/Belastbarkeit« und »Selbstkontrolle« als Faktoren für eine später erfolgreiche Berufspraxis gewertet werden können (Rheinberg et al. 2006). Auf der Ebene der Kompetenzen ist nach Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz zu unterscheiden (Becker 2007a): Qualifizierte Lehrpersonen sind in der Lage, die Lernbereiche zu strukturieren und einzelne Lernbereiche sinnvoll zu sequenzieren. Im Unterricht selbst können sie durch verschiedene Methoden den Lehr-Lern-Prozess steuern und sind fähig, Konflikte zu lösen und gruppendynamische Prozesse zu begleiten. Auch die Erfahrung, die eine Lehrperson in einer Schulstufe mit bestimmten Klassen sammeln kann, spielt eine wichtige Rolle.

Ein Beispiel: Eine Metzgerklasse an einer gewerblich-industriellen Berufsschule hat in der Regel ein anderes Bild von Unterricht und von der Lehrperson als eine Klasse an einem Gymnasium. Bei der Ersteren müssen wir davon ausgehen, dass die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler bisher eher zwiespältig und die Lernerfolge eher bescheiden waren. Sie befinden sich zudem in einem beruflichen Umfeld, das traditionell eher konservativ und durch autoritäre Werthaltungen geprägt ist. Bei der Klasse aus dem Gymnasium hingegen können wir davon ausgehen, dass das Bild von Unterricht und auch die Erwartungshaltung bezüglich des Unterrichts leistungsorientierter sind.

Wie können Lehrpersonen vorgehen, die erst über wenig Erfahrung im Unterricht verfügen? Dazu einige Umsetzungshilfen:

Vorgängiger Klassenbesuch bei einer erfahrenen Lehrperson

Ein Unterrichtsbesuch vor Ort ermöglicht einen direkten Einblick in die Rahmenbedingungen und die individuellen Gegebenheiten.

Besprechen der Quartals- oder Semesterplanung mit der Kollegin oder dem Kollegen

Transparenz bei der Unterrichtsplanung verleiht Sicherheit und führt zu einer Optimierung des eigenen Instrumentariums. Nur 80 Prozent der Unterrichtszeit sollten fix geplant werden. Die übrige Zeit schafft Gestaltungsspielraum für individuelle Bedürfnisse und Unvorhergesehenes.

Absprachen mit anderen Lehrpersonen über das Vorgehen bei Halbjahresbeginn

Ein gemeinsames Besprechen des Unterrichtsstarts verhindert Überschneidungen und ermöglicht einen guten Einstieg in das neue Halbjahr.

Regelmäßige Gespräche mit der Schulleitung

Regelmäßige Gespräche mit der Schulleitung legen gegenseitige Erwartungen offen und fördern das gegenseitige Vertrauen.

Kollegiales Feedback

Das kollegiale Feedback fördert die Zusammenarbeit und ermöglicht die Weiterentwicklung der eigenen Konzeption eines guten Unterrichts.

Mentoring für Neueinsteiger

Mit einem Mentoring durch erfahrene Lehrerkollegen oder -kolleginnen werden Neueinsteiger oder -einsteigerinnen begleitet und betreut. Administrative und pädagogische Fragen lassen sich im persönlichen Gespräch klären.

Namen der Schülerinnen und Schüler sofort auswendig kennen

Ein Muss! Es gibt nichts Peinlicheres, als nach Wochen die Namen ihrer Schülerinnen und Schüler noch nicht zu kennen.

Frühzeitiges Planen eines Eltern- oder Ausbilderabends

Das frühzeitige Einbinden der Ausbildungspartner/innen schafft Vertrauen und ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Schule.

Auch wer seinen Unterricht sorgfältig plant, hat noch lange nicht die Gewähr, dass bei der Durchführung alles optimal verläuft. Die Kluft zwischen Vorbereitung und Planung einerseits und Realisierung andererseits kann beträchtlich sein. Erfahrene Lehrpersonen sind sich dieser Diskrepanz bewusst; Lehrpersonen, die eine neue Schulstufe unterrichten, sind häufig enttäuscht, wenn ihnen trotz gewissenhafter Analyse der Ausgangslage und des Lehrplans die Umsetzung misslingt. Unser Rat: Lassen Sie sich nicht beirren, die Ursachen können ganz unterschiedlicher Natur sein. Tauschen Sie sich mit Kollegen und Kolleginnen über das weitere Vorgehen aus. Und haben Sie den Mut, zu Beginn des Halbjahres mit neuen Ideen einzusteigen.

Kerngeschäft Unterricht

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