Читать книгу Taube zwischen Seevögeln - Winfried Taube - Страница 5
2. Von(m) schrägen und geraden Vögeln
Оглавление„Die kommenden Tage beginnen erst Morgen ihr Sein.
Die Sorgen dafür sind uns heute noch fremd.
Wir lassen dahinter, was schwer ist und hemmt. (Und führen)
ein Leben mit Fahrten, das bunt ist wie Helgolands Stein.“
(Lied 1, Strophe 2)
Drei Wochen später stehe ich in Brunsbüttelkoog, am Nord-Ostsee-Kanal an der erste Schleuse. Ich warte schon drei Stunden auf mein nächstes Schiff. Es wird mein zweites Küstenmotorschiff, die MS „Antje C.“, 700 cbm Laderaum. Das Schiff kommt aus Amsterdam und bringt Futtergetreide nach Stockholm. Ein komisches Gefühl habe ich schon, als sich in der Dämmerung die „Antje“ nähert. Vor drei Monaten wollte ich nie wieder auf so ein Schiff. Mein erster Eindruck ist: Oh, wie klein! Beim zweiten Blick denke ich: Aber irgendwie schnittig und schnell! So ein Schiff habe ich noch nie gesehen! Nicht unsympathisch! Vorn auf der Back steht der Steuermann, achtern der Matrose, und auf der „Brücke“ neben dem Ruderhaus, der Kapitän.
Mein Seesack ist neben dem Poller umgefallen, von dem ich vermute, dass er für die „Antje“ vorgesehen ist. Die Vermutung stimmt. Ich nehme routiniert die Schmeißleine an, als gehöre ich schon länger zur Besatzung. Dann hole ich den Festmacher über den Poller und laufe nach achtern, wo mir der Matrose den achteren Festmacher in die Hand drückt. Elegant und gekonnt schmiegt sich die „Antje“ an die Schleusenmauer.
Ich springe an Bord und mit „Hallo“ kommen der Steuermann von der Back auf mich zu, von achtern der Kapitän, der Matrose und als letztes der Leichtmatrose, der beim Anlegen das Ruder bedient hat.
Der Kapitän macht einen flotten Eindruck: Die Kapitänsmütze auf den Hinterkopf geschoben, helles, strubbeliges Haar strebt nach allen Richtungen vom Kopf weg, verschlissener, früher roter Rollkragenpulli unter der Jacke. Er wirkt 40-jährig, obwohl dieses erfahrene, pfiffige Gesicht mit einer kleinen Stupsnase auch einem älteren gehören könnte. Der Steuermann wiederum könnte altersmäßig der Vater des Kapitäns sein. Steif und ungelenk, wie er die Treppe von der Back herunterkommt, hat er Knieprobleme und wird um die 60 sein. Allerdings, wie er Arme und Oberkörper bewegt, können es auch zehn Jahre weniger sein.
Der Steuermann schüttelt mir als erster die Hand: „Willkommen an Bord, Junge. Ich bin Olsons Jakob. Alle rufen mich Jack. Kannste englisch aussprechen.“
Der Matrose stellt sich als Holger vor. Er wird zwei/drei Jahre älter sein als ich und macht einen sympathischen Eindruck. Dann kommt der Leichtmatrose Erik, vielleicht zwei Jahre jünger als ich selbst.
„Wo kommst du her? Wie kommst du gerade auf uns? Wie läuft es auf der Heuerstelle? Was machen die Weiber am Steindamm? (Der Steindamm war für Seeleute das, was die Reeperbahn für Touristen war.) Wann hast du vom letzten Schiff abgemustert?“ Die Fragen wollen beantwortet sein.
„Grüß Gott! Jetzt fehlt nur noch: Wann hast du das letzte Mal gevögelt?“ sagt der Kapitän im Vorbeigehen. „Ich lauf mal eben wegen der Formalitäten. Schwätzt nicht zuviel, damit ich nichts verpasse.“ So reden wir Vier über das vergangene Wetter auf der Nordsee, das kommende auf der Ostsee und wie die „Antje“ mit unterschiedlichem Seegang klarkommt. Ich höre erstmals, dass der eiserne Schiffsrumpf früher einem dreimastigen Segelschiff gehörte, Baujahr 1918, dänische Werft. Das Schiff wurde seit 40 Jahren von allen Besitzern liebevoll gepflegt. Der Kapitän ist der Eigner und hat die „Antje“ vor sechs Monaten gekauft. Soviel Geld ist aber noch übrig geblieben, dass am Essen nicht gespart wird. Der Matrose Holger zeigt mir schon mal meine Koje unter der Back und den klitzekleinen Wohnbereich mit einem noch kleineren Bad (Toilette). Als wir wieder an Deck hochkommen, steht der Kapitän schon mittschiffs und winkt.
„Komm mit nach achtern ins Ruderhaus.“ Dort füllt er zwei Zahnputzbecher mit Wodka, meinen randvoll und seinen zweifingerbreit: „Willkommen bei uns! Auf gute Zusammenarbeit, gutes Wetter und gut Glück! So ein Ritual muss sein. Das Leben dreht sich um drei P: Piedel, Punz und Portomonaie. Ex!“ Zum Nachdenken über das Gehörte komme ich nicht. Ich trinke das Glas mit einem Zug aus und schnappe nach Luft, während das Feuerwasser in meinen Magen saust, hochkommt, runter geschluckt wird, erneut hochkommt, erneut runter muss und sich durch alle Blutgefäße ausbreitet. Mir tränen die Augen und das nicht zu knapp. „So“, sagt der Alte, „ich bin der Hans. Wir dutzen uns hier an Bord. Jetzt gehst du erst einmal schlafen. Mit Alkohol im Blut lasse ich dich sowieso nicht an das Ruder. Das war 60%-iger aus Stettin.“
Nun habe ich tatsächlich Schlafmangel und über dem Einschlafen höre ich das beruhigende Dauerrauschen des Wassers, das der Bug des Schiffes zerteilt. In Kiel-Holtenau weckt mich der Krach des Anlegemanövers in der Schleuse. So schnell ich oben auf der Back bin, der Steuermann ist schneller und ich kann nur noch beim Aufklaren mit anpacken.
„So“, sagt der Alte, „jetzt sind wir beide dran und unsere drei Kameraden gehen in die Koje. Kannst du das Ruder übernehmen?“
Schwer liegt es in meiner Hand und schwer bewegt es sich. Auf dem ersten Kümo konnte ich es mit dem Zeigefinger bewegen. Der Alte erläutert: „Die „Antje“ hat den Rumpf eines alten Segelschiffes und die Ruderanlage ist heute noch so schlicht, wie sie damals gebaut wurde. Keine automatische Lenkhilfe, keine Automatik und kein moderner Schnickschnack. Wenn du dieses Schiff beherrscht, kannst du jeden Pott in jeder Größe steuern. Hier lernst du nicht einfach steuern, hier lernst du das Wesen von Wasser, Wind und Wellenschlag verstehen und deren Wechselwirkung mit einem Schiff. Wenn du diesen Schlitten bei schlechtem Wetter durch die Schären nach Stockholm gesteuert hast, wirst du jedes Schiff, jeder Größe sicher durch den Suez bringen. Einen Sturm dwars achterlich zu erleben ist natürlich auch nicht schlecht als Lehrgeld.“
Als das Schiff die Bojen entlang in Richtung offene See fährt, kommt eine steife Brise auf, die sich innerhalb von zwei Stunden zu einem kräftigen Sturm entwickelt. Auf den relativ kurzen Wellenschlag der Ostsee reagiert die „Antje“ mit ihrem relativ kleinen Rumpf ähnlich, wie ein 150 Meter langes Schiff auf entsprechend lange Atlantikwellen. Der Wind kommt von backbord und versucht, das Schiff in seine Strömungsrichtung zu zwingen, so dass das Ruder deutlich steuerbord geführt werden muss, um Kurs zu halten.
Als Hans merkt, dass ich mit Ruder und Kurs klarkomme, sagt er: „Ich verschwinde jetzt mal für eine Stunde. Diese kabbelige See macht mich immer etwas krank. Wirst du auch seekrank?“
„Bis jetzt noch nicht.“
„O.k. Dann warten wir es ab.“
Mich durchströmt ein Gefühl von Freude. Allein am Ruder, Verantwortung für Schiff und Besatzung und alles läuft reibungslos. Die richtige Situation, mich selbst als Kapitän zu träumen. Boje für Boje arbeite ich ab. Anfangs habe ich Angst, wenn die riesigen Schweden- oder Russendampfer anscheinend auf Kollisionskurs entgegenkommen. Für diese Giganten ist die „Antje“ von der Größe her nicht mehr als ein Rettungsboot. Als deren Bugwellen das Schiff aus dem Kurs drücken, reagiere ich die ersten zwei Male etwas hektisch, um den Kurs zurück zu bekommen. Dann habe ich gelernt und reagiere seitdem behutsam und angemessen.
Plötzlich die Stimme von Hans hinter mir: „Wie bist du mit dem Ruder auf der „Andrea A.“ klargekommen?“
„Überhaupt nicht.“
„Du scheinst ein Naturtalent zu sein. Da kannst du mal sehen, wie der moderne Schnickschnack natürliche Gefühle kaputt macht. Die „Andrea“ ist ja erst ein paar Monate alt und sehr modern eingerichtet.“
„Ja! Automatische Lenkhilfe. Das Gefühl von hier kann sich da gar nicht einstellen.“
Nun habe ich bereits gemerkt, dass Thema Nummer 1 das Lieblingsthema von Hans ist. Ich verstehe ja, dass in seemännischen Mangelsituationen das Reden über Sexualität diesen Mangel zu kompensieren hilft. Ich habe auch meinen Spaß daran. Mir wird es aber lästig, wenn mein Gesprächspartner entweder mit dem Thema nicht aufhören kann oder jede, aber auch jede Gelegenheit nutzt, um auf das Thema zu kommen. Ich ahne schon, dass der Begriff „natürliche Gefühle“ bei Hans entsprechende Gedankenverbindungen auslöst.
„Aber du hast das Gefühl!“
„Ich merke es. Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit, diese Erfahrung zu machen.“
„Wieso? Hast du denn noch nie gevögelt? Ich meine doch nicht das blöde Steuern eines blöden Schiffes. Ich meine: mit Frauen! Wann hast du das letzte Mal gebumst?“
„Vor drei Tagen.“
„Du Glücklicher. War sie hübsch?“
„Frauen, mit denen ich ins Bett gehe, müssen mir auch äußerlich gefallen.“
„Du Glücklicher. Genieße deine Jugend. In meinem Alter kann ich mir das nicht mehr aussuchen.“
„Nun ja - dafür bist du Kapitän. Jede Frau weiß, dass ich kein Geld habe. Sie weiß auch, dass du gegen mich ein Krösus, ein Millionär bist. Die Edelpuffs sind doch extra für dich gemacht. Gibt es etwa da keine hübschen Frauen?“
„Das schon, aber was dort tatsächlich läuft, davon hast du keine Ahnung. Kennst du Stockholm?“
„Nein!“
„Dann werden wir dort mal gemeinsam ein prima Lokal besuchen.“
Ich erfahre, dass Hans fünf Jahre lang verheiratet war und seit zwei Jahren geschieden ist. Er fühlt sich von seiner Ex-Frau verraten und verkauft. Sie hat sein Haus und Vermögen bekommen. Ihm ist nur das Geld geblieben, dieses Schiff zu kaufen, das nun Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen ist.
Jack ist Däne, der die letzten Jahre auf deutschen Schiffen fährt, weil er seine deutschen Rentenansprüche noch nicht voll hat.
„O.k. Was kann ich machen, wenn ich das Ruder abgegeben habe?“
„Du fragst unnötig, was du machen kannst. Fühle dich für das Schiff und seine Besatzung verantwortlich. Wenn du etwas siehst, von dem du meinst, da müsste eigentlich etwas geschehen, dann mach das. Hast du Hunger? Dann geh in die Pantry und koche uns etwas. Schau mal in der Kammer nach, was noch vorhanden ist. Ich hätte Lust auf Sauerkraut mit Bratwurst.“
Jack ist ein alter Fahrensmann, der voller Wissen, aber auch voller Aberglauben steckt. Irgendwie umgibt ihn ein Hauch von Magie. Am liebsten spricht er ganz leise. Er schreit nie.
„Willi - du darfst beim Auslaufen nie pfeifen oder flöten. Das gibt sonst unange-nehmen Sturm während der Reise. Du darfst auch das Wort `Sturm` während der Reise nicht aussprechen.“
„Willi - du darfst andere Menschen an Bord nie mit dem Besen anfegen. Du schiebst denen Unglück zu. Warte, bis die aus dem Weg sind.“
„Willi - eine Hand für dich und eine Hand für das Schiff. Nimm dich selbst wichtig.“
„Willi - was ist das für ein deutsch, das du sprichst. So habe ich noch keinen Sprechen gehört.“ (Damals konnte ich ihm nichts vom elaborierten und restringierten Sprach-Code erzählen, weil ich selbst nichts davon wusste.)
„Nun, wir sprechen zu Hause immer so. Außerdem bin ich eine Leseratte und in Büchern wird meist ein gutes Hochdeutsch gesprochen.“
„Dann kommst du sicher aus einer vornehmen Familie.“
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„Quatsch! Mein Vater ist Arbeiter bei Schmitz und Schulte und härtet dort die Stahlschrauben, die wir unten in der Maschine eingebaut haben.“
Jack zeigt mir, wie und wie oft die Maschine, die Schraubenwelle und die Ruder-mechanik mit Staufferfett abgeschmiert werden müssen - und noch andere Dinge:
„Willi - wenn du Benzin als Anbrennhilfe für den Koksofen nimmst, schütte das Zeug nie auf Glut, sonst müssen wir alle ins Rettungsboot. Sorge immer erst für eine offene Flamme. Ich mache es dir mal vor. Der Benzinstrahl muss scharf abreißen, sonst reißt die Explosion dir die Hände ab.“
„O.k.“
Jack ist ein Original. Als ich seine geflickte Arbeitshose bewundere, sagt er:
„ Willi - ich zeige dir eine echte, alte Bootsmannsnaht, mit der jeder Riss zu einem kleinen Kunstwerk wird.“
Die Schärenfahrt ist ein Erlebnis. Das verwinkelte Fahrwasser bringt wirklich schweißtreibende Arbeit mit sich. Wenn man hinter einer Felseninsel aus dem Lee in Luv hineinfährt, packt der Wind das Schiff und der Schlenker ist ähnlich, wie die Bugwelle eines großen Schiffes. Harte Arbeit! Alle paar Minuten ein neuer, interessanter Ausblick. Manchmal rauscht das Schiff mit Fahrradgeschwindigkeit in 10 - 20 Meter Abstand an steil aufragenden Felseninseln vorbei. Da sagt Steuermann Jack: „Was meinst du, wie interessant diese Strecke im Sommer und bei Sonnenschein ist. Dann sind auf vielen Felsen nackte Mädchen am Sonnenbaden, die uns teilweise bewusst reizen. Da ist unser Fernglas die wichtigste Navigationshilfe und der Rudergänger erleidet Höllenqualen, weil er sich auf die Fahrrinne konzentrieren muss statt auf andere. Die kleinen Biester sind süß, weil sie genau wissen, dass wir ihnen nichts tun können.“
Holger: „Da ist ein Pornoheft nichts gegen!“
Gut zu wissen, denke ich. In drei Monaten, das heißt im Sommer, bin ich auf jeden Fall noch hier an Bord.
Stockholm! Gelöscht wird erst morgen Nachmittag!
Hans: „Machen wir uns landfein! Erik übernimmt die Deckswache und sieht zu, dass er unseren Seewetterbericht erwischt. Wir gehen in das „Hellvele“. Ich gebe jedem von euch drei Bier aus. Wer mehr trinkt, muss selbst zahlen. So Willi, jetzt zeige ich dir mal, wie es in so einem Laden zugeht.“
Als ich mich mit Holger in dem kleinen Bad säubere, fragt Holger: „Was gefällt eigentlich den Frauen besser: Lange Fingernägel, oder kurze? Wollen Frauen lieber ehrlichen Männergeruch, oder mit Stinkewasser eingesprühte Männer? Wollen Frauen lieber glattrasierte Gesichter, oder Bärte?“
„Hast du sonst noch Fragen? Frag doch Hans. Der kennt sich besser aus als ich.“
„Eben nicht. Deshalb ist er doch so scharf darauf, mit uns hinzugehen. Dir traut er bei Frauen einiges zu. Alleine bekäme er nichts zustande.“
Das „Hellvele“ liegt am (bürgerlichen) Rand des Hafenviertels und wird bevorzugt von Seeleuten der Anliegerstaaten von Ost- und Nordsee besucht. Ich zähle durch: Neun Animierdamen mühen sich, den Alkoholumsatz zu steigern. Sie sind mit 10% daran beteiligt. Die Preise sind entsprechend. Nichts für Lehrlinge!
Hans: „Guck Willi. Die Dunkelblonde dort drüben, die links vom Tresen auf dem Hocker sitzt, das ist Ina Carell. So nennt sie sich mit Künstlernamen. Sängerin und Striptease. Ist `ne Deutsche. Seit zwei Jahren versuche ich, mit der ins Geschäft zukommen. Ist nichts! Weder Short Time noch Nachtschicht! Ich habe schon bis 250,- DM geboten. Was mache ich falsch?“
„Die sieht wirklich Klasse aus und ist einige Mühe wert.“
„Eben! Was mache ich falsch? Meine Klamotten sind in Ordnung. Ich stinke nicht, bin sauber. Gottchen! Meine abgearbeiteten Hände können genau so zärtlich sein, wie deine. Was mache ich falsch?“
„Woher soll ich das wissen? Hast du Ina schon mal danach gefragt?“
„Spinnst du? Das kann man doch nicht machen? Das ist gegen die Spielregeln. Ich denke, es liegt an meinem Alter. Mit 44 hat man nicht mehr die Chancen, wie mit 22.“
„Wie kommst du denn da drauf? Ich hab genau so wenig Chancen wie du.“
„Übrigens - siehst du dort rechts die Tür? Die führt zu einem kleinen Saal für knapp 20 Leute. Wenn mindestens 10 Leute hier sind, von denen jeder mindestens 100,- Dollar, nicht DM, springen lässt, dann macht sie dort einen Striptease. Und was für einen! Sie tanzt durch die Reihen der Stühle in 50 cm Abstand von dir. Sagenhaft die Frau! Berühren verboten! Wer es trotzdem versucht, fliegt. Vorher wird er aber erst von den Anderen verprügelt, weil Ina dann Schluss macht.“
Ina ist ein Rasseweib: schlank, lange Beine, Sportfrisur. Das Gesicht ist eben und schön. Nicht übertrieben volle Lippen. Die Backenknochen liegen etwas höher als im Durchschnitt. Irgendwie könnte etwas Fernöstliches in ihren Genen schlummern. Sie hat sehr lebendige, wache Augen und scheint intelligenter, als ihre Kolleginnen. Vier, fünf Männer gehen nach und nach zu ihr hin, wechseln einige Sätze mit ihr - und werden abgewiesen. Von einem lässt sie sich einen Likör spendieren und schickt ihn weg.
Hans: „Sie guckt auffallend häufig hier herüber, obwohl die Bude ziemlich voll ist und mehrere Gruppen Engländer und Holländer da sind.“
„Vielleicht erkennt sie dich wieder, oder Holger. Geh doch mal hin. Nur Mut!“
Als Jack und Holger ebenfalls auf ihn einreden, macht er das auch. Nach wenigen gewechselten Sätzen kommt er beleidigt zurück.
„Ich kann bei der nicht landen.“
Zehn Minuten und ein Bier später:
„Willi, wenn du mit der für eine halbe Stunde oben in ihrem Zimmer verschwin-dest, zahle ich dir eine Monatsheuer extra und den Preis, den sie dir abknöpft.“
„Hans, das kommt dir arg teuer.“
„Ist mir egal. Wenn du es schaffst, ist es mir das Geld wert.“
„Verstehe ich nicht. Soll das für dich so eine Art Rache sein? Wenn sie den Kapitän nicht will, dann soll sie eben mit dem Jungmann vorlieb nehmen?“
„Quatsch nicht! Hier meine Hand unter Zeugen. Du hast eine Viertelstunde Zeit die anzubaggern und musst eine halbe Stunde mit ihr oben bleiben.“
„Gib mir 150,- DM. Ich versuch es.“
Ich gehe zu Ina rüber. Die schaut mich kühl und abweisend an, während ich sie anlächele. „Hast du Lust auf ein Schwätzchen?“
„Schickt dich der geile Affe? Seit zwei Jahren belästigt er mich.“
„Er findet dich schön und begehrenswert. Ist das kein Kompliment? Ist das denn belästigen?“
„Natürlich nicht. Aber ich kenne den Typ. Er ist viel zu verbissen hinter seiner Triebabfuhr her. Die Typen hecheln mit hängender Zunge hinter dir her. Im Bett taugen sie allerdings nicht viel.“
„Mein Käptn meint, das sei eine Frage des Alters.“
„Nein. Unsinn. Erzähl mal ein bisschen von dir. Mir wird langweilig. Bestell mir mal einen Marillen-Likör.“
„O.k.!“
Wir erzählen uns gegenseitig einige Anekdötchen, Dönekes, mehr oder weniger stimmende Details aus unser beider Lebenslauf. Wir lachen. Ina bestellt mir ein Bier auf meine Rechnung und ich erzähle ihr von der Abmachung mit Hans. Zuerst stockt, dann lacht sie: „Machen wir! Rück aber erst den Zaster raus. Schwätzen wir oben weiter. Du kannst interessant erzählen.“ Sie bestellt zwei Flaschen Bier auf ihr Zimmer, hakt sich bei mir ein und wir gehen hoch. Die Gesichter von Hans und Jack kann ich nicht sehen. Es ist dort zu dunkel.
Ina ist wirklich eine klasse Frau und kann es sich leisten, Ihre Freier auszusu-chen. Sie hat studiert: Germanistik und Sozialwissenschaften. Abgebrochen. An ihren Job ist sie gekommen, weil sie unkonventionell denkt und ihre Freiheit liebt. Sagt sie. In Hamburg geriet sie in die Fänge einer Zuhälterbande. Deshalb ist sie aus Deutschland geflüchtet. Hier hat sie Vorsorge getroffen, dass sie nie wieder mit solchen Typen zu tun bekommt.
„Wenn ich Kapitän bin, komme ich wieder und heirate dich.“
„Du spinnst Süßer. Wenn du Kapitän bist, bin ich schon lange in Süddeutschland, habe einen Mann der mich beschützt, zwei Kinder und ein Haus.“
„Sagtest du nicht, dass du unkonventionell und freiheitsliebend bist? Wie passt das zusammen?“
„Dummer Junge. Das Leben setzt sich aus Phasen zusammen. Und die Einstellungen der einen Phase müssen nicht die einer anderen sein. Und übrigens, du Kapitän? Das ich nicht lache! Du wirst keiner. Du bist im Inneren kein Seemann. Du bist gut, aber nicht intelligent. Wenn du intelligent wärest, würdest du zur See fahren lassen und es nicht selber machen. Aber du bist anders. Eigentlich ist jeder Tag, den du länger dabei bist, ein verlorener Tag. Den könntest du an Land für eine echte Karriere nutzen. Was verdienst du im Monat?“
„120 Mark, freie Kost und Logis.“
„Und fühlst du dich nicht ausgebeutet von dem geilen Pavian?“
„Ehrlich gesagt: Nein! Ich fühle mich nicht ausgebeutet. Ich finde, mein Leben verdient diesen Namen. Ich möchte nicht so leben, wie meine gleichalterigen Kameraden in Büros.“
Sie gibt mir die 150 Mark zurück. „Der Alte hat gesehen, dass ich dir das Geld abgeknöpft habe. Du brauchst ihm ja nicht sagen, dass ich es dir wiedergegeben habe. Lass ihn ruhig noch einmal das Wettgeld ausspucken.“
„Kann ich eigentlich nicht annehmen. Du musst ja auch verdienen. Denk an dein Haus in Süddeutschland.“
„Du bist süss. Ich habe dir mehr von mir erzählt, als meinem Beichtvater. Ich bin katholisch.“ Schaut auf ihre Armbanduhr. „Was? Wir schwätzen hier schon über eine halbe Stunde? Los! Jetzt aber runter. An die Arbeit, Ina! Geld verdienen!“
Etwas überhastet rennen wir die Treppe herunter. Sie steht noch eine Stufe höher als ich, schlingt ihre Arme ganz fest um meinen Hals und küßt und küßt und küßt, bis ich keine Luft mehr kriege. Natürlich spiele ich mit. Die Engländer rufen: Encore! Encore! Die Holländer: ßugabe! Dann geht Ina zu unserem Tisch und sagt zu Hans:
„Wenn du das nächste Mal nach Stockholm kommst, möchte ich dich etwas besser kennenlernen.“ Cool geht sie weiter zu den Engländern und setzt sich zu den beiden Kolleginnen, die dort am baggern sind.
Hans starrt mich schwer atmend an. Wieviel Bier er in der Zwischenzeit getrunken hat, ist schlecht zu sagen. Der Deckel ist voll Striche.
„Ich wollte dir den Hals umdrehen. Ich hatte das Gefühl, als hättest du mein Mädchen gevögelt. Aber was Ina gesagt hat, macht mich glücklich - so glücklich, dass ich noch `ne Runde ausgebe. Wenn du mir erzählt hast, wie du es mit ihr getrieben hast, bekommst du dein gewonnenes Geld.“
„Ich habe gar nichts getrieben. Ich habe gutes Wetter für dich gemacht. Außer den Zärtlichkeiten habe ich nur erzählt.“
„Zärtlichkeiten? Was hast du mit deinen Pfoten gemacht? Erzähle, was hast du gemacht und was hat sie gesagt?“
Weil ich es schofelig gefunden hätte, zuviel von unserem Gespräch zu erzählen, erfinde ich einen ganzen Nutten-Lebenslauf, einen Lore-Roman, und gebe sonst nur Geschichten weiter, die von mir gekommen sind. Darüber hinaus wiederhole ich mehrere Male, ich hätte ihr gesagt, wie toll ich meinen Kapitän als Mensch und als Seemann finde.
Als wir gehen, kann Hans sich kaum noch auf den Beinen halten. Jack und Holger tragen ihn fast. Alle 100 Meter befreit er sich von denen, um mich zu umarmen: „Du bist ein wahrer Freund. Wir sind Freunde! Ich bin glücklich! Sieht man mir das nicht an? Juh huh! Juh huh!“
Am nächsten Tag ist mit ihm nichts anzufangen. Er bleibt in der Koje und ernährt sich von Aspirin und Alcar Selzer. Die Löscharbeiten beaufsichtigt Jack. Anschließend reinigen wir den Laderaum und bauen die Getreideschotten ab. Nachmittags taucht das verquollene Gesicht von Hans über dem Lukenrand auf. Er brüllt herunter: „Wisst ihr eigentlich, was ihr mich gestern gekostet habt? Über 500 Mark fehlen in meinem Portomonaie. Warum habt ihr nicht besser auf mich aufgepasst? Ihr seid doch meine Freunde!“
Mit dem voll beladenen Schiff durch die Schären zu fahren, ist bereits harte Arbeit. Mit dem leeren hatte ich es mir leichter vorgestellt. Das Gegenteil ist richtig. Wir werden in Uusikaupunki, etwa 100 km nördlich von Turku, Finnland, Holz übernehmen, auch als Deckslast. Hans ist stolz, dass seine „Antje“ jeden Hafen anlaufen kann, der auch von größeren Segelyachten erreicht wird. Das ist sein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Kümos, die durchweg einen größeren Tiefgang haben.
Bis dort drüben sind zwar nur 300 km Luftlinie - aber was für welche! Voller Untiefen, Inseln und Schären mit einer Fahrrinne, die an manchen Stellen schmaler ist, als unser Schiff lang. Kurs NO.
Das Wetter ist schlechter geworden, obwohl ich beim Auslaufen weder geflötet noch gepfiffen habe.
„Wer ist nun schuld?“ frage ich Jack.
„Verarsch mich nicht. Damit scherzt man nicht!“
Hans und Jack streiten über die beste Route. Dabei ist Hans risikofreudiger und will auch Abkürzungen fahren, die für Kümos nicht oder nur bedingt geeignet sind. Jack verweist auf den zunehmenden Sturm, der das Schiff auch unberechenbar abdriften lassen kann. Bodenberührungen wären bei Hansens Kurs durchaus möglich. Beide einigen sich auf einen Kompromiß.
Es wird immer schwieriger, die leichte, leere „Antje“ auf Kurs zu halten. Sie bietet dem Sturm zu viel Angriffsfläche. Die Rudergänger halten bereits das Ruder „hart steuerbord“, um den Sturm aus backbord abzufangen und das Schiff bewegt sich nicht „Bug voraus“, sondern driftet seitwärts, etwa 50 - 60 Grad zum vorgegebenen Kurs. Der Motor läuft nur Viertel bis Halbe Kraft. Alle gehen in immer kürzeren Abständen ans Ruder und lassen sich in immer kürzeren Abständen ablösen - nass geschwitzt.
Hans befiehlt, bei der nächsten Insel, die einigermaßen Windschutz bieten könnte, zu ankern. Nacht zeichnet sich bereits ab. Wir sind die ganze lange Dämmerung dieser Breite weitergefahren. Keine Insel entspricht dem Sicherheitsbedürfnis. Als unbeleuchtete Bojen nicht mehr zu sehen sind, heißt es: „Leggo Anker!“
Beide Anker packen nicht. Der Grund scheint nur aus glatten Felsen zu bestehen. Hans gibt sich mit dem Motor alle Mühe, den Anker in einer Spalte zu verhaken. Nichts! Das Schiff treibt in die zwischenzeitlich rabenschwarze Nacht, in der kein Blinklicht zu sehen ist, auf irgendwelche Felsen zu. Hans flüstert ununterbrochen: „Scheiße! Scheiße! Scheiße!“ Hans und Jack hängen über der Seekarte und würfeln mögliche Positionen aus. Eine dreiviertel Stunde geht das so. Dann geht ein Ruck durch das Schiff. Einer der Anker scheint zu halten. Holger, Erik und ich gehen raus, um die Ankerlichter zu setzen. Das ist bei dem Sturm kaum möglich. Am Heck stehen wir und lauschen. Gegen den Wind ist zwar nichts zu hören, aber wir haben das Gefühl, dass es bis zum Felsen nicht weit sein kann. Der Sturm zerrt an der „Antje“ und die benimmt sich, wie ein nervöses, ängstliches Pferd an der Leine eines bösartigen und ärgerlichen Fremden. Na ja! In der Morgendäm-merung sehen wir dann den beinahe Schicksalsfelsen keine 10 Meter vom Heck entfernt. Er sieht aus, wie die Rückenschale einer riesigen Schildkröte. Auch wenn er offiziell bereits einen Namen hat, taufen wir ihn mit „Tee und Rum“ auf „Hansens Eiland“.
Der Sturm hat nachgelassen. Und in Punki, wir kürzen den Namen des Zielortes einfach ab, kommt Kapitän Hans nun endlich zu seinem Schuss, beziehungsweise seinen Schüssen. Mit zwei Flaschen Wisky, die ihm pro Flasche etwa vier Mark im Einkauf kosten, verschwindet er am frühen Nachmittag zu einer vom Fracht-agenten angegebenen Adresse und kommt am nächsten Morgen mit weichen Knien und dunklen Rändern unter den Augen an Bord zurück geschlichen.
Das Holz übernimmt die Besatzung mit eigenem Ladegeschirr, eine traditionelle und wenig effektive Art, aber dafür billig. Holger und ich stehen an den alten Glühkopf-Winschen. Vier Schauerleute an Land picken die Klafter an, wir holen sie über und vier Schauerleute an Bord verteilen das Holz dicht bei dicht im Laderaum. Jack passt auf, dass nicht gepfuscht wird und Lücken bleiben. In einer kurzen Pause kommt einer der Schauerleute zu mir. „Für eine Flasche Wisky oder Genever sorge ich dafür, dass du mit meiner Tochter vögeln kannst.“ Zuerst denke ich, der verarscht mich. Dann denke ich an die hiesige Prohibition und merke, dass es ernst gemeint ist. Ich frage: „Willst du sie mit dem Knüppel hierher prügeln?“
„Nein, du kommst zu mir nach Hause.“
„Nee! Da stehe ich nicht drauf! Machst du das öfter?“
Schulterzuckend und mit ärgerlichem Gesicht geht der Mann an seine Arbeit.
Nach drei Tagen ist der Laderaum voll und die „Antje“ wird seeklar gemacht. Richtig ordentlich, mit verkeilter Persenning. Anschließend wird das Holz auf Deck bis zu einer Höhe von etwa 1,80 m aufgestapelt und festgezurrt, bis das Schiff einem Holzklotz gleicht. Jack schaut jede halbe Stunde besorgt auf die Lademarke. Die Lademarke für Süßwasser ist bereits verschwunden. Leider, leider muss das Laden gestoppt werden, weil die Schleusenmeister das Schiff sonst nicht durch den Nord-Ostsee-Kanal fahren lassen.
Das Holz soll nach Hull in England gebracht werden. Hans ist jetzt schon begeistert. Die haben dort eine prima Seemannsmission mit einer tollen Bar und interessanten Frauen.
Punki ist nur noch ein schmaler Strich am Horizont. Ich grinse immer noch. Beim Ablegen taucht am Kai eine vollschlanke Frau auf, die Hans zum Abschied heftig zuwinkt. Hans winkt wortlos mit distanzierter Freundlichkeit zurück und bemüht sich, seine Rolle als Kapitän gut zu spielen. Natürlich spielen wir auch mit. Es fällt auf, dass er keine abfälligen Bemerkungen über diese Dame macht. Sie erinnert an Kuddel Daddeldus Braut: „... dicke, richtig anständige Frau!“ Sie hat ihm gut getan.
Das Schiff hat so viel Tiefgang, dass der offizielle Seeweg gefahren werden muss. Die „Antje“ ist schwerfällig und schlecht zu steuern. Bei Kursänderungen kommt sie erst gar nicht und dann ist der Schwung kaum zu stoppen. Wie ein riesiger Baumstamm, beziehungsweise Holzklotz, den ein zu kleiner Motor vorwärts treibt, tuckert sie gemütlich in Richtung Kiel, NO-Kanal.
Die Ostsee zeigt sich von ihrer besten Seite. Das erste stabile Frühlings-Hoch beschert eine sanfte Dünung, bunte Sonnenuntergänge, klare Sternennächte und aquamarine Morgendämmerungen. Das richtige Wetter für Glücksgefühle und Freude am Leben.
Hans: „Warum hast du in Punki nicht gebumst?“
„Ich habe mein Mädchen aus Hamburg noch im Kopf.“
„Willst du sie heiraten?“
„So lange wird sie nicht warten wollen.“
„Willi! Überhaupt nicht! Bist du verrückt? Überhaupt nicht heiraten! Du kaufst doch schließlich auch keine Kuh, bloß weil du von Zeit zu Zeit einen Liter Milch brauchst.“
„Nun komm! Das ist ja wohl nicht vergleichbar.“
„Was Männer brauchen, ist von Zeit zu Zeit ein mechanischer Abrieb. Dafür braucht man nicht heiraten. Das lässt sich auch anders händeln.“
„Bei dieser Einstellung wundert mich doch, wie scharf du bist, zarte Frauenhaut zu streicheln. Du liebst Frauen doch auch?“
„Liebe gibt `s nicht. Liebe ist ein Hirngespinnst, eine vorübergehende Hirnstörung. Weiber wollen versorgt sein. Dafür fangen sie sich Männer ein. Hör mir auf mit Liebe!“
„Nee Hans, das sehe ich anders. Liebe ist etwas ganz Großes, das einen voll ausfüllt. Wenn ich liebe, dann sehe ich die Frau im Mittelpunkt. Dann ist sie meine Sonne und wir tragen beide Verantwortung füreinander. Ich mache sie und sie macht mich glücklich.“
„Und nach kurzer Zeit machst du sie unglücklich und sie dich. Du naiver, unerfahrener, blutjunger Esel, bist du eigentlich bescheuert, dich auf so ein Scheißspiel einzulassen?“
„Weil du Pech hattest, müssen alle anderen ja nicht ebenfalls Pech haben.“
„Ich kenne keinen langjährig verheirateten Ehemann, der glücklich ist.“
„Ich aber wohl. Liebe ist stark. Liebe ist stärker! Außerdem möchte ich auch mal ein oder zwei Kinder haben. Frauen möchten das auch und deshalb sind sie scharf auf finanzielle Sicherheit, sprich: Versorgung. Da ist heiraten schon das Beste.“
„Auch das noch! Hast du Ahnung du Esel. Höre auf den Rat eines erfahrenen Fahrensmannes und lasse deine Klugscheißereien.“
„Hast du eigentlich mit deiner Ex mal über solche Sachen gesprochen?“
„Spinnst du? Weiber werden doch sofort keifig. Da kommst du nicht gegen an. Über so `was kann man nur unter Männern reden.“
„Das zu versuchen wäre vielleicht nicht schlecht für dich gewesen.“
„Ich will kein anderes Leben führen, als wie ich es hab.“
Die Gespräche mit Hans werden anstrengend. Irgendwie benutzt er mich als Sparringspartner seiner uneingestandenen Probleme. Er braucht es wohl.
„Ich merke schon. Du hast Schlag bei den Weibern, nicht nur weil du eine so gerade und starke Nase im Gesicht hast, sondern weil du so gut Süßholz raspelst. Du redest Sachen, die Frauen gerne hören.“
„Wo ist das Problem? Wir beide haben unterschiedliche Auffassungen von Frauen. Das merken die. Klar! Ich rede denen aber nicht nach dem Mund. Genau so wenig, wie dir gegenüber.“
“Wie meinst du das?“
„Wenn du von Weibern sprichst, dann nie so, als wenn du sie als gleichberechtigt ansiehst. Ich dagegen habe Respekt vor denen, genau so, wie vor einem Kameraden, der irgend etwas besonders gut kann oder besser macht als ich.“
„Was können die denn besser?“
„Kinder kriegen, Kinder erziehen...!“
„... und schwätzen, schwätzen, schwätzen und Männer besoffen reden.“
„Da ist etwas dran. Ich sehe das so: Keiner kann 24 Stunden am Tag vögeln, aber alle können 24 Stunden am Tag miteinander reden.“
„Eben! Und wenn du dich darauf einlässt, bist du ein Schwätzer.“
„Warum soll jemand ein Schwätzer sein, der ein Problem durch- und ausdiskutiert. Es geht doch darum, einen gemeinsamen Nenner zu finden.“
„Quatsch! Es geht um Sieg oder Niederlage - gewinnen oder verlieren.“
„Aber nicht immer und überall!“
„Doch! Immer und überall! Wie hast du es eigentlich bis jetzt geschafft, dass du nicht bei einer hängen geblieben bist? 22 Jahre jung und mit so einer Einstellung!“
„Durch Ehrlichkeit und einen Trick.“
„Erzähle!“
„Von vornherein erzähle ich den Mädchen, dass ich voraussichtlich mehrere Jahre zur See fahren werde...“
„... dann wollen die doch nicht mehr!“
„Von wegen! Dann strengen sie sich an, mich von dieser Idee abzubringen und an sich zu binden.“
„Und dann bist du doch in der Falle, von der ich sprach.“
„Nee. Dann erzähle ich, dass mir eine absolut zuverlässige Wahrsagerin aus den Karten gelesen hat dass ich nicht vor 30 heiraten darf, weil das kurzfristig für beide zu einer Katastrophe führen würde. Wenn ich nach 30 heirate, werde ich ein langes Leben vor mir haben und eine glückliche Beziehung eingehen.“
„Du Aas! Das hättest du mir vor 10 Jahren erzählen sollen. Schade, dass der Trick für mich nicht mehr zieht. Der geht wirklich nur unter 30.“
Alle Schiffe überholen die „Antje“, weil sie extrem langsam ist. Hans hat dem Schiff mit der Ladung wohl etwas zuviel zugemutet. Laufend beeinflussen Heckwellen und Kielwasser der großen Konkurrenz den Kurs.
Jack: „Bug stößt ab - Heck zieht an! Merk dir das. Für den Kanal gilt: Bug stößt ab - Böschung saugt an. Reagiere bloß man nicht falsch.“
Das schöne Wetter hält die ganze Fahrt über, bis nach Kiel-Holtenau an. Damit das Geschwätz nicht so anstrengend bleibt, lenke ich den wachthabenden Hans ab und fragt ihn über Schiffe, Reedereien und tropische Länder aus, von denen er nicht viel hält. Dessen Meinungen sind keineswegs Ansichten eines Clowns, auch wenn vieles, das mit seinem Triebleben zusammenhängt, clownesk wirkt. Bei Seewache steht Hans nachts regelmäßig vor dem Kasten, in dem das Fernglas aufbewahrt wird. Der Deckel des Kastens liegt so auf, daß sich vorn ein zweifingerbreiter Schlitz befindet - genau in Penishöhe. Wenn er sich nachts unbeobachtet glaubt, scheuert er sich häufiger an diesem Schlitz einen in die Hose. Natürlich sehe ich nachts nichts.
Als wir in Brunsbüttelkoog die Elbe erreichen, hat sich das Wetter verstrichen. Nord-West-Sturm steht an. Ich frage Jack: „Welches Arschloch hat denn jetzt schon wieder gepfiffen?“
„Du nimmst das zu leicht. Das bringt Unglück. Sei vorsichtig!“
Hans informiert: „Der minengeräumte Zwangsseeweg soll in Kürze aufgehoben werden. Wir nehmen den Zustand schon mal vorweg. Schließlich ist der Krieg lange genug zu Ende und die Minenräumer hatten Zeit satt. Von Norderney aus steuern wir Kurs 270 Grad quer über die See nach Hull. Der Ausguck passt besonders gut auf Minen auf. Wer pennt, wird im Maschinenraum eingesperrt.“
„Ha, ha, ha!“ Alle bereiten das Schiff auf den Sturm vor: Die Drähte und Spannschrauben, welche die Deckslast zusammenhalten, werden ein letztes Mal korrigiert. Der Koksofen wird leer geräumt. Alles, was klappern und fliegen könnte, also Kannen, Werkzeuge usw., wird festgezurrt. Schubladen werden verschlossen und verkeilt.
Der Sturm ist ein Erlebnis.
Windstärke 9 - 10 lösen bei diesem kleinen, fuzzigen Boot fast die gleichen Effekte aus, wie Stärke 12 bei großen Pötten. Mal rollt, krängt und schaukelt es unbeholfen wie ein Baumstamm im Wildwasser, schießt mit halbem Bootskörper aus den Wellen in die Höhe und kracht wie ein Eisbrecher auf Eisschollen in die See, mal spielt es U-Boot. Dabei ist die Dünung harmlos. Gefährlich sind die Wellen auf dieser Dünung und die Wellen auf den Wellen. Als mir auf Ausguck so ein „Stück Wasser“ ins Gesicht fliegt, sehe ich Sterne, wie bei einem gut plazierten Kinnhaken. Jack lacht, weil er gewarnt hat und ich seine Warnung nicht ernst genommen habe. Und dieses „harte“ Wasser donnert mehrere Male in der Minute gegen das Ruderhaus, dass es bis in die Maschine hinunter erzittert.
Hans: „Ich glaube, mit Kaventsmännern werden wir es nicht zu tun bekommen.“
Jack: „Ich denke auch. Weiter nördlich wäre ich nicht so sicher.“
„Was sind Kaventsmänner?“
Jack: „Das sind haushohe Wellenberge, die wie eine Mauer auf dich zu rasen. Eigentlich entwickeln die sich erst ab Orkan und weiter draußen im Atlantik. So ein Apparat würde uns glatt das Ruderhaus abreißen.“
Wir drei von der Decksmannschaft kommen auch nicht mehr nach vorn in unsere Unterkünfte. Tradition ist: Holger schläft in der Kapitänsmesse auf der Couch, Erik beim Bootsmann und ich, als Neuer, auf einer Luftmatratze in der Mannschafts-messe.
Drei Tage nach Verlassen des NO-Kanals erreichen wir Hull. Die stinkendste und dreckigste Industrie ist in der Hafengegend konzentriert. Weil sich unsere Ankunft erheblich verspätet hat, werden wir sofort gelöscht, damit die Anlegestelle für den nächsten, bereits wartenden Pott frei wird. Wir haben nur einen Abend und eine Nacht zur freien Verfügung. Hans erwartet, dass sich alle schnellstens landfein machen, um Restaurant und Pub in der Seemannsmission zu beglücken. Erik wird als Deckswache eingeschärft, gut auf die Leinen zu achten. Die normale Tide steht hier bei drei Meter, im Extremfalle können es aber auch sechs Meter werden
Im „Sailors Home“ sieht es anfangs nach einem Reinfall aus. Hans ist schon sauer. Als wir gegen 20 Uhr dort ankommen, sitzen etwa zwei Dutzend Männer an sechs Tischen, essen , trinken und rauchen wie in einem normalen Restaurant. Drei Frauen hängen irgendwie zwischen ihnen. Die Atmosphäre entspricht der eines billigen Wartesaales. Ein Lichtblick sind drei junge, relativ gut aussehende Serviererinnen. Ich wundere mich, dass sie von allen Anwesenden nur sachlich und respektvoll angesprochen werden. Später erfahre ich, dass es Studentinnen eines kirchlichen Sozialseminars sind, die sich zum einen etwas Geld verdienen und zum anderen um 22 Uhr eine Gitarre hervorzaubern, um erst ein Kirchenlied und danach die Nationalhymne zu singen. Dann sind sie verschwunden. Mit einer von denen wäre ich auch gern verschwunden.
Nach einer Weile kommt eine der drei Frauen an unseren Tisch, dem Hans vorsitzt, streichelt mir über das Haar und fragt mich so allerhand: Wo wir herkommen, was wir machen, wie lange wir bleiben und ob wir es hier schön fänden? Um mir ihre volle Zuwendung zu signalisieren, setzt sie sich mit dem Rücken zu Hans auf dessen Stuhlkante. Sie ist nicht mein Typ. In Sekundenschnelle ist klar, dass die Chemie zwischen uns nicht stimmt. Während ich noch zögerlich distanziert auf sie eingeht, fängt Hans schon an, bei ihr zu fummeln und überschlägt sich fast, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Hans spricht eine Mischung aus englisch, friesisch und skandinavisch, was die Frau offensichtlich drollig findet. 30 Minuten später sind beide weg. Hans will ihr mal zeigen, wie ein Kapitän auf seinem Schiff eingerichtet ist.
Meine Sonne geht eine halbe Stunde später auf. Obwohl viele alten Gäste gegangen sind, wird der Laden immer voller. Viele Jüngere, auch Pärchen, lassen sich cliquenweise nieder. Discomusik dröhnt aus Lautsprechern. Mobilar wird mit viel Krach verschoben und einige Paare beginnen zu tanzen. Ich fühle mich beobachtet und suche das Augenpaar. Als ich es gefunden habe, bleibt mir die Luft weg. Die könnte eine Traumfrau sein! Ich blinzele ihr zu und stelle mich an die Theke. Nun ist das auch der Weg zur Toilette, den die Frau zwei Minuten später nimmt. Als sie zurück kommt, laufe ich kommunikativ zur Höchstform auf, bekomme glänzende Augen und rote Backen. Kate, my angel, is very amused, obwohl ich tapsig wie ein Bär tanze. Ob Geld bei ihr eine Rolle spielt, (ich habe viel zu wenig für so eine Frau) bekomme ich durch einen kleinen Test `raus: „Ich habe nur noch Geld für ein Bier, dann muss ich gehen.“ Darauf sie: „Lass uns noch ein bisschen tanzen und schwätzen. Gehen wir dann zu mir oder zu dir?“ Ich mache ihr vor, wie klein meine Koje ist. Kopfschüttelnd lacht sie: „Also dann zu mir! Let`s engage us!“ Endlich kommt diese Formel, von der ich gehört habe, dass sie an Englands Küsten Frauen öffnet. Kate ist Bankangestellte, stammt aus Bristol und ist mit zwei anderen Kolleginnen hier, um einen Seemann abzuschleppen. „Jack! Meine Sterne stehen erstklassig - und nicht nur die!“
Am nächsten Morgen schleiche ich mich mit weichen Knien an Bord. It was a very nice night. Indead!
Von den vielen Erlebnissen an den Küsten der Nord- und Ostsee soll nur noch von drei weiteren einschlägigen berichtet werden:
In Udevalla, nördlich von Göteborg, will Hans unbedingt vom Tivoli, also von der lokalen Kirmes, ein junges Ding abschleppen. So an die 700 - 1000 SKr hatte Hans bereits in das Mädchen und ihre Freundin investiert (100 - 130 DM). Eintrittsgelder, Schleckereien, Erlebnisbuden usw.
„Hans“, sage ich, „das Mädchen ist noch zu jung. Die braucht nur `nen Shuggar- Daddy zum Melken. Lass die Finger davon.“
„Was sagst du? Die ist noch zu jung? Schön - warte ich noch `n Stündtchen! Bald habe ich sie so weit.“
Jack und ich vergnügen uns an der Schießbude, wo sich ein Witzbold und ein verbissen soldatischer Typ ein Wettschießen liefern. Hans taucht mit den zwei Mädchen auf: „Sie wollen das Schiff kennenlernen. Du kommst doch mit!“ Das ist keine Frage, sondern eine Order. „Du kannst mit der hier auf der Couch in meiner Messe bumsen.“ Im Allerheiligsten!
Hans ist verblendet. Je näher wir dem Schiff kommen, desto unglücklicher sehen die beiden Kleinen aus. An Bord spielt Hans den großzügigen Gastgeber. Er stellt eine Flasche Glenfittich auf den Tisch (den die Mädchen ohnehin weder kennen, noch zu würdigen wissen), füllt Zahnputzbecher halbvoll, umarmt seine Eroberung, animiert zum Trinken und säuft sein Glas in kürzester Zeit leer. Zugegeben, zu diesem Zeitpunkt hielt ich die in jämmerlichem Ton gemurmelten Sätze für Stoßgebete oder irgend etwas Ähnliches. Hans bugsiert sein Mädchen mit sanfter Gewalt in den Nebenraum, sein Schlafzimmer. Keine zwei Minuten später, ich sitze noch unschlüssig und blöd-grinsend vor meinem Qualitätswisky, als mein Täubchen mit einem schrillen Schrei aufspringt, mir den Tisch vor den Bauch stößt, dass der Wisky umfällt, rast zum Nebenzimmer, reißt ihre Freundin mit heftiger Gewalt aus der Koje und Hansens Armen, kreischt dabei schlimmer als eine Alarmsirene und schreit uns unverständliche Worte zu. Beide verhalten sich hektisch, als wenn ihr letzter Zug in zwei Minuten abfährt und sie noch einen 100-Meter-Lauf dorthin vor sich haben.
Hans steht verdattert im zerknitterten Ausgehhemd ohne Hose in der Tür und hält einen BH in der Hand.
Ich fange an zu lachen, lachen - über Hans, die beschissene Situation und vor Erleichterung. Die beiden Kleinen waren Klasse. Was ich für jämmerliche Stoßgebete hielt, war ein Austausch ihrer künftigen Strategie. Hans schreit wütend: „Du Arschloch! Warum hast du deine nicht festgehalten? Mit meiner alleine wäre ich fertig geworden!“
„Von wegen Arschloch! Morgen früh wäre die Polizei hier gewesen und hätte dich als Kinderschänder ins Loch gesteckt. Sei froh, daß die beiden Täubchen uns ausgetrickst haben. Das waren bestimmt noch Schülerinnen.“
„Recht hast du. Lass uns den restlichen Wisky verputzen.“
„Soweit noch welcher vorhanden ist.“
In Skelefteahamn, einem kleinen Städtchen tief in den Schären und südlich von Stockholm gelegen, stehe ich auf dem Ruderhaus und putze die Messinghaube des Ersatzkompasses, als unten an der Pier ein vielleicht 18-20-jähriger junger Mann hochruft: „Hej! Sejmann! Ein Geschäft mit dir!“ Ich klettere runter an Deck. Das Geschäft heißt: eine Flasche Schnaps, egal welche Sorte, gegen 30 SKr.
„Schnaps hat nur der Kapitän!“ „Dann ruf ihn - bitte!“
Hans kommt und hört sich den Jungen an. Dann geht ein Leuchten über sein Gesicht: „30 Kronar und ein Mädchen, das sich mit mir eine Viertelstunde auf meine Couch legt!“
„Welche Sorte Schnaps?“
„Wenn das Mädchen so alt ist wie du, dann Jonny Walker.“
„Ich gehe, mit Kameraden besprechen.“
„Siehste,“ ruft Hans zu mir hoch, „so schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe. Habe ich das nicht schön ausgedrückt?“
„Unwiderstehlich!“ antworte ich.
Vom Waldrand löst sich eine Gruppe Jugendlicher: Vier junge Männer, drei Mädchen kommen die Gangway hoch. An Deck ist es sehr eng. Dauernd verändern die Besucher ihre Positionen. Mal stehen die Mädchen vorn, dann nur eine und ein großer kräftiger Bursche, dann der Sprecher. Die Regie wirkt ziemlich chaotisch.
Ich bin wieder auf das Dach des Ruderhauses geklettert und habe vollen Überblick. Deshalb ahne ich schon, was die Truppe vorhat und wie Hans gleich reingelegt werden soll. Ich gönne es diesem armen „Möchte-gern“. Ina vom „Hellvele“ hat ihn schon richtig eingeschätzt.
Hans kommt aus der Messe, zeigt die Flasche und hält sie hinter sich: „So! Jetzt muss ein Mädchen nach vorn.“
Ruft der Sprecher: „Warum versteckst du die Flasche auf dem Rücken? Hast du Tee eingefüllt? Ist der Verschluss noch O.k.?“
Hans lacht und streckt die Flasche dem Sprecher entgegen, damit dieser genau hinschauen kann. Der große Kräftige reißt ihm die Flasche aus der Hand, reicht sie schnell nach hinten weiter und brüllt: „Trüger! The cap is broken!“ Der Sprecher lässt die Geldscheine fallen. Die zwei Vordersten machen sich breit und gehen in Boxerstellung, bis die Kameraden hinter ihnen von Bord sind. Dann rasen sie selbst hinterher und zwar so überhastet, dass sie sich auf der schmalen Gangway selbst behindern. Die ganze Gruppe schreit uns unentwegt schwedi-sche Schimpfworte zu. Ich schmeiße die Plastikflasche mit dem Messingreiniger hinter ihnen her und treffe einen der Frontmänner im Rücken, auf dessen dunkelblauer Windjacke plötzlich ein bizarrer weißer Fleck aufscheint. Hans brüllt denen hinterher:
„Verdammte Saubande! Seht zu, mit wem ihr in Zukunft eure Geschäfte macht. Lasst euch hier nie wieder sehen!“
Am späten Nachmittag sind Hans und Jack bei einem Frachtagenten eingeladen. Sie hoffen auf einen anschließenden Restaurantbesuch. Matrose Holger und Erik gehen in die Stadt, Schuhe und Jeans kaufen. Ich habe Leinenwache und beschließe, in aller Ruhe meine Ausgeh- und Arbeitsjeans zu nähen. Weil es sonnig und mild ist, setze ich mich auf einen Poller an Land. Ich fühle mich von einem Mädchen am Waldrand beobachtet und tue so, als sehe ich nichts und sei völlig in meine Arbeit vertieft.
Das Mädchen stellt sich vor mich hin und sagt auf deutsch: „Guten Tag!“ Ich erwidere den Gruß und bemühe mich, die Bootsmannsnaht so ebenmäßig und vollkommen hinzukriegen wie sonst, wenn ich alleine bin.
Sie: „Ich heiße Chris. Du kannst aber schöne Verzierungen machen.“
„Verzierungen?“ Ich halte die Hose hoch, dass Chris den Schaden in voller Länge sehen kann. „Die Naht muss halten. Eine neue Hose kann ich mir noch nicht leisten.“ Dabei bemühe ich mich, charmant zu lächeln. Sie lächelt etwas unsicher zurück. Richtig süß!
„Meine Kameraden haben deinen Kapitän um ein Vergnügen gebracht.“
„Das stimmt! Sie haben ihn ganz schön geleimt.“
„Es war aber auch unmoralisch, was der Kapitän wollte.“
„Das stimmt! Er hat es versucht und es hat nicht geklappt. Vielleicht war es auch nur ein Scherz.“
„Das glaube ich nicht. Die Jungen erzählen es anders. Du kannst toll nähen. Kommst du von einem Segelschiff?“
„Nein! Soll ich dir mal die Persenning zeigen, die ich gestern genäht habe?“
Wir gehen an Bord und Chris ist begeistert über eine Naht von etwa drei Meter Länge, mit der ich letzte Woche ein sehr zerfetztes Teil wieder brauchbar gemacht habe.
„Wie ein Baum mit Stamm, Ästen und Zweigen.“ Chris schaut mich bewundernd an: „Kannst du mir so eine Naht in meine Jeans nähen?“
„Sicher! Möchtest du mal unsere Unterkunft sehen?“
Neugierig kommt sie mit unter die Back. Sie strahlt und hat Spaß an der winzigen Puppenstube. Lachend legt sie sich in meine Koje und sagt dann mit gerümpfter Nase: „It dont smells well?“
„Ich weiß, die Koje müffelt. Sie hätte schon längst gelüftet werden sollen und die Bettwäsche ist auch überfällig.“
Zurück an Deck sind wir beide unschlüssig. Ich sage: „Ich kann dir die Naht aber nicht machen, wenn du die Hose an hast.“
„Ja! Aber hier kann ich sie schlecht ausziehen.“
„Warte mal. Ich schaue nach, ob der Alte den Schlüssel zu seiner Messe an Ort und Stelle liegen hat.“ Hat er.
Wir verschwinden in der repräsentativen Kajüte. Sie zieht die Hose aus und wird dabei rot. Entzückend rot.
„Du hast schöne Beine.“
„Findest du? Lass dich nicht ablenken!“
Sie stellt sich an das Bullauge, von dem aus sie den Weg zum Schiff und die Gangway beobachten kann. Sie hat einen niedlichen Hintern. Ich kann kaum weg schauen. Die Naht wird längst nicht so gut wie sonst.
Ich beeile mich. Sie schaut dabei zu und grinst. Ihr scheint die Naht zu gefallen.
„Die Luft ist clean. Ich möchte etwas Schönes mit dir - Zärtlichkeit!“ Dabei legt sie sich auf die Couch, die schon eine Menge mitgemacht hat.
Chris ist ein Engel und ich träume noch eine zeitlang von ihr. Hans hat nicht bemerkt, dass seine Couch ein neues Abenteuer erlebt hat.
Einige Tage später, wir sind bereits in der Nordsee, taucht mir der Gedanke auf: War das nun ein reiner Liebesakt, oder von Chris aus gesehen ein Akt ausgleichender Gerechtigkeit? Blödsinn! Is`nt it? Ich verbanne ihn in den tiefsten Ballasttank.
Es ist Ende August und ich habe mich bereits entschieden, in Kürze abzumustern.
Zum einen hat sich die Stimmung an Bord verschlechtert, weil Hans eifersüchtig ist. Ina hat mich bereits zweimal über Nacht zu sich nach Hause eingeladen. Ina ist eine Frau voller Lebensweisheit und Erfahrung. Wir können stundenlang miteinander schwätzen. Das zweite Mal habe ich Hans sogar verschwiegen und auf direktes Befragen verleugnet. Seine Phantasien gehen bei dem Gedanken daran durch. Zum anderen, ich brauche Abwechslung und auch so etwas wie Herausforderung. So angenehm das Familiäre dieser Crew ist, es ist auch eng und spießig. Hans ist für mich zwischenzeitlich ein erotischer Don Quichote und ich möchte nicht sein Sancho Pansa werden. Da passiert noch ein weiteres seiner Husarenstücke.
Sommer in den Stockholmer Schären ist wirklich eine Reise wert. Die „Antje“ fährt in meiner Fahrenszeit häufiger diese Strecke, zweimal davon an Wochenenden und bei schönstem Sonnenschein. Der Sonnenhunger der hiesigen Frauen scheint unbegrenzt. Hansens Risikobereitschaft aber auch. An den entsprechenden Felseninseln lässt Hans einen Kurs steuern, dass ich den Kopf einziehe und das Ruder fester umklammere, weil ich jeden Moment mit dem Geräusch und der Erschütterung von Bodenberührung rechne.
Es stimmt, was meine Kameraden von den Sonnenanbeterinnen erzählt haben - vielleicht mit dem Unterschied, dass weiter entfernte Inseln und Frauen in stoischem Gleichmut die Schiffe vorbeiziehen lassen, trotz ihres Wissens, dass alle Ferngläser auf sie gerichtet sind. Es gibt vier Inseln, an denen bei dem geringen Tiefgang des Schiffes in Rufweite vorbei gefahren werden kann und auf einer davon halten sich die beiden Male an den Wochenenden zwei junge Frauen auf, die von der „Antje“ genau so elektrisiert zu sein scheinen, wie Hans von denen. Sie beobachten das Schiff bereits von weitem mit Ferngläsern und produzieren sich bei kürzester Distanz entweder als Porno-Stars oder als Striptease-Tänzerinnen. Natürlich fährt Hans nur „half speed“ an denen vorbei, um möglichst lange etwas von diesem Privat-Theater zu haben. Und er brüllt sich die Kehle heiser, um eine Telefon-Nummer zu bekommen oder einen Treffpunkt auszumachen. Mit papierumwickelten Steinen haben wir von Bord aus versucht, in näheren Kontakt zu kommen, aber nur einmal hat Jack es geschafft, einen Stein mit Botschaft hinüber zu werfen. Alle anderen Versuche scheiterten.
Bei unserer letzten Ausfahrt Richtung Ostsee, lässt Hans die Fahrrinne kreuzen,
um der Insel ganz nahe zu kommen. Dafür spielt er etwa eine Viertelstunde einen maritimen Geisterfahrer. Die beiden Hübschen liegen nackt vor dem Garten-häuschen. Sie haben sich aufgerichtet und beobachten die Szene. Hans lässt über die Bojenmarkierung hinaus fahren, verlässt den Seeweg und fährt etwas um die Insel herum. „Leggo Anker!“ Dabei reibt er sich voller Vorfreude die Hände: „Jungs, wir haben in diesem Quartal noch nicht das vorgeschriebene Rettungs-bootsmanöver gemacht. Auf! Auf! An die Arbeit!“
Die beiden Damen haben uns genau so scharf im Auge, wie Hans sie. Als sie merken, dass sie eventuell mit einem Besuch rechnen müssen, kreischen sie wild los und rennen ins Häuschen, um sich anzuziehen. Hans befiehlt: „Zieht eure Hemden aus und zeigt eure gebräunten und gestählten Oberkörper!“ Er selbst hat über seinen nackten Oberkörper die verwaschene Kapitänsjacke offen und lose gehängt. Unter der fleckigen Kapitänsmütze quillt sein volles Haar nach allen Seiten heraus. Mit seinem rundlichen, kleinen Bäuchlein wird er längst nicht bei jeder Frau Eindruck machen können. „In die Riemen - eins und zwei, eins und zwei!“ Hans gibt den Rudertakt an und steuert das Rettungsboot in Richtung Landungssteg hinter der Insel. Die beiden Frauen rufen von der Insel aus: „Landung verboten! Wie phonen de Poließ!“ Hans fragt uns, natürlich scherzhaft: „Habt ihr hier schon mal `nen Telefondraht gesehen?“ Dabei wirkt er sehr sicher.
„Nee,“ sage ich ironisch, „aber das Transatlantikkabel läuft auch nicht über Tele-
grafenstangen.“
Darauf Hans: „Klugscheißer!“
Während die beiden jungen Frauen mit Steinen nach uns werfen und sich mit langen Stangen bewaffnet haben, befiehlt Hans: „Wir umrunden einmal die Insel und halten Ausschau nach dem Kabel. In die Riemen, Jungs!“
Wenn man sich mit eigener Körperkraft bewegt, bekommt man ein realistisches Gefühl für Entfernungen. Da merkt man erst, dass die stinkenden Motoren zwar eine Erleichterung sind, aber auch das Raumgefühl verzerren. Wir brauchen etwa eine halbe Stunde, die Insel zu umrunden. Das Kabel sehen wir im Westen der Insel im Wasser verschwinden. Hans meint: „Schade, daß wir so leicht zu identifi-zieren sind. Unser Schiffsname ist ja nun wirklich gut zu lesen. Mit Vergnügen würde ich das Kabel kappen.“
Wir sehen schon die „Antje“, als dahinter ein Polizeiboot auftaucht und auf uns zu steuert. Hans: „Scheiße! Jungs! Ein bisschen eleganter die Riemen eintauchen. Nehmt euch zusammen! Bootsmanöver sollen euch trainieren. Gleichmäßiger Jungs! Gleichmäßiger! Wir fahren den Blauen entgegen.“
Die zwei Polizisten hören sich Hansens Erklärung grinsend an: Ja, ja! Sie hätten einen Notruf von den zwei Damen bekommen. Sie gingen davon aus, dass Hans mit zwei Flaschen Wisky die Angelegenheit aus der Welt schaffen werde.
Klar, macht Hans gute Mine zu diesem Spiel. Das Polizeiboot ist kaum außer Hörweite, da spuckt Hans „Gift und Galle“: „Satan, Dübel, Plexen, Jävla fifan de Hellvelle!“ Das Boot fährt direkt zum Landungssteg zu Hansens gescheiterten Eroberungen. Noch stundenlang flucht Hans vor Enttäuschung, die in seiner Phantasie noch größer wird, weil er sich vorstellt, dass die Polizisten mit den beiden Frauen gemeinsam die Flaschen leeren.