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3. Klaus

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Ich bin sauer und koche vor Wut. Wenn ich den Lumpen erwische, springe ich ihm ins Gesicht. Dieses Miststück! Dieser hundsgemeine Dieb. Klaus, der neue Moses, Schiffsjunge, der Jüngste an Bord, ist verschwunden und mit ihm mein neuer Mantel und 20 Mark aus meinem Portomonaie. Keine vier Wochen hat Klaus es auf dem Schiff ausgehalten.

Gestern Abend kamen wir aus Kings Lynn/ England hier in Hamburg an, machten noch im Dunklen das Schiff ladeklar, damit heute morgen pünktlich die Arbeit der Schauerleute beginnen kann. Die „Angela D.“ ist ein altes Schiff mit schweren Holz-Lukendeckeln und steifen Persennings. Die Arbeit ist mühsam. Müde fielen wir alle in unsere Kojen, zu müde, um noch in der Kneipe gegenüber ein Bier zu trinken. Und heute Morgen ist Klaus weg. Mit ihm mein schöner dunkler Mantel, der eine ganze Monatsheuer gekostet hat. Außerdem fehlen 20 Mark aus dem Portomonaie, das in der Schublade liegt.

Dieser Diebstahl hat für den Dieb Folgen. So nicht Bürschchen!

Als Kapitän und Steuermann nach dem Ladebeginn etwas Luft haben, erzähle ich denen, was anliegt. Sauer gibt der Kapitän Order an seinen Offizier: „Gib dem Willi die Adresse von seinen Eltern und ruf die Heuerstelle an, dass wir bis heute Abend einen neuen Schiffsjungen brauchen. Das Seefahrtsbuch von Klaus halten wir hier fest. Das bekommt er erst zurück, wenn er formell gekündigt hat.“

Der Steuermann erwidert darauf: „Ich habe ihn heute Morgen gehen sehen - Richtung Stadt. Allerdings nur von hinten und schon dort drüben bei den Speichern. Es mag so halb sieben gewesen sein. Es war noch dämmerig. Ich dachte aber, der Klaus kann es ja nicht sein - `ne Verwechslung.“

Ich zockele los. Nach meinen Berechnungen bin ich in einer guten halben Stunde bei den Eltern von Klaus. Auf dem Weg male ich mir aus, wie ich Klaus zur Rede stellen und eine Ohrfeige oder einen Kinnhaken verpassen werde. Boing! Danach wird der sich überlegen, ob er so etwas noch einmal macht. Nehme ich seine Entschuldigung an?

Ich steige in den dritten Stock eines alten Hauses, das möglicherweise bereits den Bombenhagel der Kriegszeit überlebt hat, Klo auf halber Treppe. Tief durchatmen - klingeln.

Die Tür wird von einer zierlichen kleinen, etwa 45/50-jährigen Frau aufgemacht. Sie schaut mich freudlos, verhärmt und abweisend an.

„Ich möchte gern Klaus sprechen.“

„Klaus ist nicht da.“

„Meines Wissens ist er aber hier.“

„Nein! Er ist nicht da. Er fährt zur See.“

„Jetzt nicht mehr. Deshalb glaube ich auch, dass er hier ist.“

„Moment mal! Wer sind sie und was wollen sie von Klaus.“

„Ich bin Willi, ein Kollege von Klaus und will mein Geld und meinen Mantel zurück.“

„Und wieso ausgerechnet von Klaus?“

„Weil der mir Geld und Mantel gestohlen hat.“

„Kommen sie doch bitte herein und erzählen sie mir alles.“

Sie führt mich an der geöffneten Küche vorbei ins Wohnzimmer, das mit seinen preiswerten Möbeln einen zwar ärmlichen, aber bemüht bürgerlichen Eindruck macht. Als ich mich in den Sessel setze, stöhnt dieser knarrend auf.

„Bitte verstehen sie mich. Ich bin in Sorge um meinen Sohn. Kann ich uns eine Tasse Kaffee machen? Das geht schnell.“

„Darf ich mir eine Zigarette anstecken?“

„Ich bin Nichtraucherin und mag den Gestank gar nicht. Aber das hier ist eine besondere Situation. Tun sie es.“

Sie verschwindet in der Küche und ruft von dort:

„Erzählen sie doch mal, wie es auf Ihrem Schiff zugeht und was Klaus dort zu arbeiten hat.“

„Als Klaus vor vier Wochen an Bord kam, nahmen wir gerade Stückgut auf, so Kisten mit Maschinenteilen. Bestimmungsort: Mellila in Nordafrika. Dann fuhren wir nach Casablanca und ließen uns voll Phosphat schütten. Das brachten wir nach Kings Lynn in England. Und jetzt nehmen wir Stückgut für Stockholm auf.“

„Und was macht Klaus dabei?“

„Wir sind ein kleines Küstenmotorschiff. Außer dem Käptn und dem Stürmann gibt es noch den Matrosen, den Leichtmatrosen, einen Jungmann, das bin ich - und natürlich Klaus, den Schiffsjungen, den Moses. Der muss jedem zur Hand gehen, wenn zwei Hände nicht reichen und manchmal muss er für alle kochen.“

„Was? Der Klaus muss kochen? Das ich nicht lache. Hier zu Hause war ihm das Schmieren der Butterbrote zu viel.“

„Wir haben es gemerkt. Auf so einem kleinen Schiff müssen alle alles machen.“

„Deshalb glaubte ich auch, Seefahrt würde ihm gut tun.“

Sie kommt mit zwei Tassen Kaffe aus der Küche und setzt sich auf das Sofa, das ebenfalls aufstöhnt, obwohl diese kleine, zierliche Person kaum etwas wiegen kann.

„... Aber - was sie eben sagten versetzt mir einen Schock. (Fängt an zu weinen.) Ich hatte so gehofft, dass er es schaffen würde und sich bewährt. Ich hatte keinen Einfluss mehr auf ihn. Er ließ sich von mir nichts mehr sagen.“

„An Bord muss sich ein Moses von allen etwas sagen lassen.“

„Wie hat er sich denn bei der Arbeit verhalten? Machte er seine Sache gut? Wie verhielt er sich den anderen gegenüber?“

„Hören sie, gute Frau. Ich bin nicht hier, um einen Arbeitsbericht abzugeben. Ich bin hier, um Klaus zur Rechenschaft zu ziehen und mir Geld und Mantel wieder zu holen. Für den Mantel habe ich eine Monatsheuer ausgegeben. Und wissen sie, was Kameradendiebstahl ist? Das Schlimmste, was es unter Kameraden gibt - eine Schweinerei.“

„Bitte haben sie Nachsicht. Klaus ist jetzt 19 Jahre alt. Seit mein Mann vor sieben Jahren verstorben ist, fehlt ihm der Vater, an dem er sich orientieren kann. Und Geld fehlte und fehlt auch an allen Ecken und Enden. Witwenrente bedeutet nun mal: Zum Leben zu wenig - zum Sterben zu viel.“

„Unser Käptn, der Herr Block, ist ein prima Mensch und eine Vaterfigur, wie man sie sich wünschen kann. Ich habe nie bemerkt, dass das irgendeine Bedeutung für Klaus hatte. Bei der Arbeit war er willig, aber nicht sehr geschickt. Erfahrung kann ein Moses ja noch gar nicht haben.“

„Und wie war er als Kamerad?“ Sie bemerkt selbst das Fettnäpfchen und schiebt etwas lahm nach: „Ich meine sonst so?“

„Das fragen sie nach diesem Vorfall? Er hat mitgetrunken, aber selten mitgelacht. Na ja! Muss er auch nicht. Ich will nur sagen, dass er noch nicht richtig zu uns gehörte. Aber das ist kein Grund, stickum abzuhauen und Kameraden zu bestehlen. Heute morgen war seine Koje leer und er selbst verschwunden. Der Stürmann hat ihn noch von weitem gesehen - mit meinem Mantel.“

„Das tut mir sehr leid und ich entschuldige mich tausend Mal bei ihnen. Ich werde es ihnen wieder gutmachen. Der Monat ist leider bald zu Ende und ich habe nicht mehr viel Geld. Darf ich ihnen eine kleine Anzahlung geben?“

Sie steht mit Tränen in den Augen auf, geht ins Schlafzimmer und kommt einen Augenblick später mit einem Umschlag zurück, dem sie ein Zehnmark-Schein und ein Fünfmark-Stück entnimmt.

„Darf ich ihnen das schon mal als Anzahlung geben? Ich habe wirklich nicht mehr. Es ist meine eiserne Reserve.“

Als ich zögere, sagt sie schnell: „ Bitte nehmen sie es. Es erleichtert mich. Ich will alles tun, um den Schaden meines Sohnes wieder gut zu machen. Geben sie mir bitte ihre Adresse. Ich überweise den Rest.“

„Die werde ich ihnen schreiben. Ich weiß nicht, wie lange ich noch auf diesem Schiff erreichbar bin.“

Seit sie das Wort „Witwenrente“ aussprach, fühle ich mich zunehmend unwohler. Wahrscheinlich gebe ich in einer Woche mehr Geld für Tabak und Alkohol aus, als diese verhärmte Frau für Lebensmittel.

In der nächsten Kneipe bestelle ich mir ein Bier. Statt am Tresen zu hängen und blödes Zeug mit dem Wirt zu quatschen, setze ich mich an einen Tisch, schaue auf den regen Straßenverkehr und lasse das Gespräch noch nachwirken. Die Wut ist verraucht und ich sehe nur noch die kleine, schmächtige, verhärmte Frau, die traurig ihren letzten Groschen aus dem Schlafzimmer holt.

Meine Mutter!

Ja, die Mutter von Klaus erinnert mich in vielem an meine Mutter. Ob sie wohl auch als wirksamstes Erziehungsmittel ihren großen Kochlöffel für die Koch-wäsche bezeichnet? Ob sie wohl auch mit der Erziehung so überfordert war, dass sie Wirksames von Unwirksamen nicht mehr unterscheiden konnte und Drohungen für die Tat nahm? Ich kann sie mir auch still leidend als lebendige Schuldzuweisung gut vorstellen. Nein, denke ich: Da kannst du nur weglaufen.

Ich bitte den Wirt, mir einen Umschlag zu geben. 10 Pfennig will er dafür haben. Ich lege die 15 Mark hinein und werfe ihn der armen Frau in den Hausbriefkasten. Im Nachhinein staune ich über mich selbst. So eine blöde Reaktion! Für die Eier hätte ich einige Bierchen trinken können. Dem Klaus kann ich nur raten, meine Route nicht mehr zu kreuzen.

Taube zwischen Seevögeln

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