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2.3.1 Die duale Ausbildung in Deutschland

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Neue gesellschaftliche Herausforderungen und Anforderungen werden durch die Politik beeinflusst. Die berufliche Bildung ist eng mit der Gesellschafts-, Sozial- und Wirtschaftspolitik verbunden (Leischner, 1993:7). Innerhalb der Europäischen Union ist die Berufsbildung durch die EG 1992 Art. 127 ein Politikfeld und wichtiger Zuständigkeitsbereich für alle EU-Länder: „Zwar sind die EU-Länder selbst für ihre Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung zuständig, doch die EU unterstützt sie bei der Festlegung gemeinsamer Ziele und beim Austausch bewährter Verfahren“ (Europäische Union, 2018: o. S.). Die EU-Länder sollen dabei im Sinne der Harmonisierung voneinander lernen.

1993 wurden des Weiteren Leitlinien für das lebenslange Lernen entwickelt (Piehl & Sellin, 1995:441ff.; siehe Kapitel 1). Die Bildungspolitik in Europa fordert Reformen im Bereich der beruflichen Ausbildung. In der beruflichen Bildung gibt es einen europäischen Handlungsstrang mit folgenden Zielen, der auch auf die berufliche Bildung in Deutschland übertragen wurde:

Erleichterung der Anpassung an die industriellen Wandlungsprozesse, insbesondere durch berufliche Bildung und Umschulung; Verbesserung der beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung zur Erleichterung der beruflichen Eingliederung und Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt; Erleichterung der Aufnahme einer beruflichen Bildung […] sowie Förderung und Zusammenarbeit in Fragen der beruflichen Bildung zwischen Unterrichtsanstalten und Unternehmen; Ausbau des Informations- und Erfahrungsaustausches über gemeinsame Probleme im Rahmen der Berufsbildungssysteme der Mitgliedsstaaten (Leischner, 1993:10).

Der Vergleich der Schulzeiten in den Bildungsbereichen Sekundarstufe I und Sekundarstufe II zeigt in Europa sehr unterschiedliche Schulsysteme: Die Sekundarstufe I erstreckt sich zwischen drei (wie in Belgien, Italien, Irland) und sechs Jahren (wie in einigen Bundesländern in Deutschland). Die Sekundarstufe II dauert zwei (wie in Großbritannien) oder bis zu fünf Jahre (wie in Italien sowie vereinzelt in Spanien) (Leischner, 1993:11). Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass die Schüler in Europa überwiegend bis zum Ende der Sekundarstufe I eine Gesamtschule oder Einheitsschule besuchen, ganz konträr zu Deutschland, welches sehr lange an der Dreigliedrigkeit von Haupt-, Realschule sowie Gymnasium festhielt, wobei die Förderschulen eigentlich als vierter Zweig ergänzt werden müssten (Leischner, 1993:15).

Die Mehrheit der Bundesländer trennt nicht mehr in Haupt- und Realschulen, sondern hat neue Schulformen mit Kurssystemen zur Fächerdifferenzierung entwickelt. Auch die gymnasiale Oberstufe wird durch diese Schulentwicklung nicht nur an Gymnasien, sondern auch an Gesamtschulen, Oberschulen oder Berufsbildenden Schulen angeboten. Der Terminus der Schulform ändert sich je nach Bundesland. Fakt ist jedoch, dass die allgemeine Hochschulreife nicht mehr nur am Gymnasium erreicht werden kann.

Es kann ferner ausgeführt werden, dass das deutsche Bildungssystem in Primarbereich (Klasse 1–4/6), in Sekundarbereich I (Klasse 5/7–10) diverser Schulformen, in Sekundarbereich II (ab Jahrgang 11 an diversen Schulformen wie Gymnasium oder berufliche Bildung an Berufsschulen) sowie in den Tertiärbereich, also die universitäre oder fach(hoch)schulische Aus- und Weiterbildung, aufgeteilt ist. Die Bildung ist im föderal organisierten Deutschland Ländersache, daher unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland die Zahl der Jahre in den verschiedenen Schulbereichen oder auch die Bezeichnungen und Formen der Schulen. In Niedersachsen wechseln die Grundschüler ab der fünften Klasse zur weiterführenden Schule im Sekundar-I-Bereich (Baethge, 2008).

Im Jahr der Untersuchung (2013) konnte in Niedersachsen der Übergang zum Gymnasium, zur Hauptschule, zur Realschule, zur Gesamtschule oder zur Oberschule je nach Leistung des Kindes erfolgen. Doch schon zu diesem Zeitpunkt waren die eher leistungshomogenen Real- und Hauptschulen „Ausläufer“ und wurden durch Oberschulen oder Gesamtschulen ersetzt. In beiden Schulformen wird der Deutschunterricht nach einer anfänglichen Phase der Orientierung dennoch leistungshomogen in Kursen auf dem Realschul-, Hauptschul- oder Gymnasialniveau organisiert.

Ziel dieser bildungspolitischen Maßnahme ist die Erhöhung der Bildungschancen aller Kinder im Gegensatz zur jahrelang anhaltenden Stigmatisierung der Hauptschüler. Zehntklässler aller Schulformen schreiben die Abschlussprüfung in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch für den zentralen Mittleren Schulabschluss (MSA) in allen Bundesländern. Die darin geforderten Kompetenzen sollen Schülern eine gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. In den Klassen der Berufsschulen sind Schüler aller Schulformen anzutreffen. Dadurch sind die Berufsschulklassen sehr leistungsheterogen. Dennoch streben eher Hauptschul- und Realschulabsolventen eine duale Berufsausbildung an als Gymnasiasten, die mehrheitlich den Fokus auf ein Studium legen. Die berufliche Bildung in Deutschland innerhalb der Sekundarstufe II zeigt, dass Deutschland momentan überwiegend dual ausbildet, jedoch die meisten anderen europäischen Länder berufliche Vollzeitschulen oder eine vollbetriebliche Ausbildung vorweisen (Leischner, 1993:15):

Unter ‚dualem System‘ bzw. ‚dualer Berufsausbildung‘ versteht man eine Ausbildungsform, die die Ausbildung im Betrieb und den Unterricht in der Berufsschule umfaßt. Gemeinsames Ziel von Betrieb und Berufsschule ist die Vermittlung der geforderten Kenntnisse und Fertigkeiten für den zu erlernenden Beruf (Leischner, 1993:28).

Staaten mit überwiegend betrieblicher Ausbildung sind Deutschland, Dänemark, Österreich und die Schweiz, jene mit schulischer Ausbildung Frankreich, Belgien, Italien, die Niederlande, Finnland, Schweden, Norwegen und die Länder der ehemaligen Sowjetunion. Die betriebliche Ausbildung hat in Großbritannien, Luxemburg und Irland Bestand (Schaper et al., 2000:262). Deutschland hebt sich durch die duale Ausbildung in Europa besonders hervor:

Im Zusammenhang mit der Entwicklung des gemeinsamen europäischen Binnenmarktes wird das duale System im Vergleich mit dem Bildungssystem der übrigen europäischen Länder besonders hervorgehoben und sogar als ‚Exportschlager‘ der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet (Leischner, 1993:36).

Schon im Mittelalter gab es im deutschen Raum durch die Innungen, Zünfte und Gilden Regeln für die berufliche Ausbildung, rechtliche Mindestnormen wurden hingegen erst 1869 durch die Gewerbeordnung und 1897 durch das Handelsgesetzbuch eingeführt. Die Kammern bekamen 1897 durch das Preußische Gesetz ihre rechtliche Legitimität zur Regelung der Berufsbildung. 1930 wurde den Kammern noch mehr Selbstverwaltung für die berufliche Bildung gegeben. 1970 wurde dem Staat die berufliche Bildung als Aufgabe übertragen (Leischner, 1993:28f.). Das duale System hat sich in den letzten 200 Jahren erheblich verändert, aber ein Teil ist geblieben – die betriebliche Ausbildung und der berufsschulische Unterricht (Schaper et al., 2000:26), die auch im Grundgesetz rechtlich verankert sind:

Nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und den entsprechenden Verfassungen der Länder steht das gesamte Schulwesen unter Aufsicht des Staates. Schulen und Hochschulen sind in der Regel staatliche Einrichtungen der Länder. Im Bereich der beruflichen Bildung ist der Bund für die betriebliche Ausbildung zuständig, für das berufliche Schulwesen sind die Länder zuständig (Leischner, 1993:19).

Auch die berufliche Ausbildung in Deutschland unterliegt einem ständigen Prozess, denn Theorie und Praxis werden aufeinander abgestimmt und von außen beeinflusst. Grundlegend dafür sind Interessengruppen der verschiedenen dualen Partner, nämlich „Ausbildungsplanung der Wirtschaft und Bildungsplanung des Staates“ (Leischner, 1993:36). Eine Herausforderung besteht darin, die hohe Qualität der dualen Berufsausbildung zu halten.

Berufliche Erstausbildung und Umschulung werden auf der Makroebene didaktischer Planung über Curricula zu steuern gesucht, die zentral von Ausschüssen des Bundesinstituts für Berufsbildung entwickelt werden. Sie bestehen für den betrieblichen Teil der Ausbildung aus der Ausbildungsordnung mitsamt Berufsbild und Ausbildungsrahmenplan, für den berufsschulischen Teil aus dem Rahmenlehrplan für die vier fachtheoretischen Kernfächer (Reetz & Seyd, 1995:205).

Drei bildungspolitische Akteure nehmen neben dem Betrieb und der Schule zudem Einfluss auf die duale Ausbildung: das Bundesministerium der Justiz, die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder und die Kammern.

Werden alle drei bildungspolitischen Akteure mit ihren Merkmalsbeschreibungen für die berufliche Bildung in der BRD zusammengefasst, kommen folgende Aufgabenschwerpunkte zum Vorschein: Das Bundesministerium der Justiz akkreditiert die Ausbildungsberufe, die Kultusministerkonferenz implementiert die Rahmenlehrpläne für die berufliche Bildung in den Berufsschulen und die Industrie- und Handelskammer ist für die Betreuung der Ausbildungsbetriebe und die Abnahme der Prüfungen verantwortlich (Giera, 2010:19).

Die Kooperation und das Zusammenspiel aller drei bildungspolitischen Akteure sind Voraussetzung für die Qualität und Struktur der dualen Ausbildung in der BRD. Für die Ausführung sind allerdings zwei weitere Kooperationspartner prägend: Die Berufsschulen in Deutschland sollen die Theorie und die Betriebe die Praxis vermitteln. Beide Kooperationspartner fokussieren die berufliche Handlungsfähigkeit (§ 14 BBiG, 2005, siehe Abb. 9).

Es wird von dualer Ausbildung gesprochen, da sowohl der Ausbildungsbetrieb als auch die Berufsschule kooperative Partner in der Ausbildungszeit eines Auszubildenden sind. Während der Ausbildungsbetrieb eher die fachpraktische Vermittlung von Fertigkeiten und Fähigkeiten im jeweiligen Berufsbild übernimmt, legt die Berufsschule ihren Fokus auf die fachtheoretische Vermittlung (siehe Abb. 9).

Abb. 9:

Kooperationspartner der dualen Ausbildung (eigene Darstellung)

Im Rahmen der dualen Ausbildung besteht Berufsschulpflicht, auch wenn die Auszubildenden volljährig sind. Damit soll die fachliche Qualität der Ausbildung gewährleistet werden. An den Berufsschultagen sind die Auszubildenden von der Arbeit im Betrieb befreit (§ 15 BBiG, 2005). Die Berufsschule besuchen die Auszubildenden entweder ein- bis zweimal pro Woche, im Ausbildungsbetrieb arbeiten sie an den restlichen drei bis vier Tagen. Alternativ kann Blockunterricht durchgeführt werden.

Die Unterrichtstage an der Berufsschule werden komprimiert, und in regelmäßigen Abständen finden reine Schulwochen statt. So gibt es in diesem Falle reine Berufsschulwochen und reine Arbeitswochen im Betrieb. Der Berufsschulunterricht wird nach den Vorschriften des § 26 BBiG in drei Phasen unterteilt: Das erste Jahr umfasst die Phase der Grundbildung (Grundfertigkeiten und Grundkenntnisse), darauf foglen die Phase der allgemeinen beruflichen Fachbildung und im dritten Jahr die Phase der Vermittlung.

Seit den 1970er Jahren ist das Curriculum in der beruflichen Bildung geprägt vom Leitbegriff der handlungsorientieren Berufsbildung (Arnold et al., 1995:13). Bis heute hat an Berufsschulen die Handlungsorientierung im Unterricht eine besondere Stellung inne. Rückblickend zeigt die Historie der beruflichen Bildung schon im Mittelalter, dass das Handeln und Tun während des Ausbildungsprozesses nichts Neues sind (Czycholl & Ebner, 1995:41). Vielmehr wird durch diesen Begriff daran erinnert, in der beruflichen Ausbildung Lernarrangements zu schaffen, die „[…] authentische, simulierte und/oder symbolisch repräsentierte Arbeitshandlungen ermöglichen“ (Czycholl & Ebner, 1995:40). Dabei wird der Lehrer an Berufsschulen eher als Lernberater gesehen. Er ist für ein selbstgesteuertes und entdeckendes Lernen verantwortlich, um Lösungen entwickeln und auszuprobieren zu lassen. In dieser Rolle hat er eine hohe Verantwortung für die Planung, muss sich jedoch bei der Durchführung zurückhalten (Pätzold, 1995:169). Im Anschluss sollten in einer Reflexionsphase die Handlungen bewertet werden. Durch dieses Vorgehen werden das Denken, Können und Wissen vereint (Pätzold, 1995:168). Folgende Methoden empfiehlt Pätzold (1995:168) dabei: problemorientiertes Lernen, entdeckendes Lernen, situatives Lernen, Modellieren, Projektlernen sowie Lernen in Gruppen, Planspiele, Experimente und Erkundungen.

In Betrieben sind das Vorzeigen bestimmter Fertigkeiten und das Nachahmen mit mehreren Übungsphasen und verbalen Wiederholungen üblich (Pätzold, 1995:164). Im Gegensatz zur Berufsschule kann das entdeckende Lernen ein Risiko sein, wenn betriebliche Abläufe dadurch gestört werden. Das Vorführen von neuen Arbeitsabläufen erfordert vom Auszubildenden eine hohe Aufmerksamkeit und weckt seine Sinne durch das Hören und Sehen. Die verbale Wiederholung memoriert jeden Arbeitsschritt und das Nachahmen selbst ergänzt somit das Lernen mit allen Sinnen. „Häufige Wiederholungen des Lernvorgangs führen dazu, dass sich das Lernergebnis – das heißt das neu gelernte Verhalten – stabilisiert“ (Winkel/Petermann & Petermann, 2006:119). Die praktische Unterweisung am Arbeitsplatz erfolgt u.a. durch eine Vielzahl an Methoden, wobei die Vier-Stufen-Methode von Ch. R. Allen (USA) aus dem Jahr 1919 bis heute benutzt wird, gerade in kleineren handwerklichen Betrieben. Die vier Schritte der Unterweisung lauten wie folgt:

„1. Vorbereitung des Auszubildenden und des Arbeitsplatzes,

2. Vormachen des Ausbildungsinhaltes durch den Ausbilder,

3. Nachmachen des Ausbildungsinhaltes durch den Auszubildenden,

4. Üben der erworbenen Fertigkeiten durch den Auszubildenden“ (Schaper et al., 2000:123).

Immer mehr haben sich gerade in Großbetrieben als Vorreiter auch andere handlungsorientierte Methoden durchgesetzt, z.B. die Simulation oder Rollenspiele. So gibt es in vielen Betrieben das Projekt, dass die Auszubildenden ein Unternehmen für einen Tag im operativen Geschäftsbereich leiten. Das selbstständige Lernen gilt dabei als Grundprinzip der Handlungsorientierung, welche seit 1995 Leitbild in der beruflichen Bildung ist (Schaper et al., 2000:134). Schlüsselqualifikationen während der Berufsbildung sind insbesondere: 1. Berufliche Handlungsfähigkeit, 2. Problemlösefähigkeit, 3. Kooperations- und Beteiligungsfähigkeit (Schaper et al., 2000:132). Im Beruf wird somit ein Bündel an Kompetenzen gefordert, die auf eine Weiterentwicklung nach der Schule abzielen: „Wenn Bildung auf Persönlichkeitsentfaltung und Selbstverwirklichung und Kompetenz auf gesellschaftliche Handlungsfähigkeit zielt, dann ist jedem Individuum beides zu wünschen“ (Efing, 2013a: 13).

Die Handlungskompetenz ist folglich der Indikator für beruflichen Erfolg. Diese wird u.a. durch das Modell der vollständigen Handlung gefördert: 1. Informationsphase, 2. Planungsphase, 3. Entscheidungsphase (wer macht was im Team), 4. Ausführungsphase (oft Vier-Stufen-Methode), 5. Kontrollphase mit Selbstkontrolle und 6. Bewertungsphase (Ausbildungsnachweis wie Lerntagebuch als Zeichen der Reflexion) (Schaper et al., 2000:140).

Damit die Ausbildung rechtlich abgesichert ist, ist folgender Ablauf sehr gängig: In einem Berichtsheft hält der Auszubildende den Ausbildungsablauf als Wochen- oder Tagesbericht schriftlich fest. Dieses Heft wird dem Prüfungsausschuss sowohl bei der Zwischenprüfung in der Mitte der Ausbildungszeit als auch zur Abschlussprüfung vorgelegt. Alle staatlichen dualen Berufsausbildungen werden nach den jeweiligen Ausbildungsverordnungen vollzogen. Der Ausbildungsbetrieb plant die Ausbildung nach dieser Verordnung und muss dies transparent im Berichtsheft dokumentieren, damit der Auszubildende weiß, in welchem Ausbildungsjahr welche Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben sind (BMBF, 2010a: 3, 13; § 13 BBiG, 2005).

Die Berufsschulen hingegen orientieren sich an den Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz (§§ 4,5; § 25 HwO, 1998). In den meisten Fällen dauert die duale Berufsausbildung zwischen zwei und vier Jahren und endet nach dem Bestehen der Abschlussprüfung (§ 37 BBiG, 2005; § 31 HwO, 1998). In dieser wird die berufliche Handlungsfähigkeit der Auszubildenden geprüft (BMBF, 2010:25).

Zugelassen werden die Auszubildenden zur Abschlussprüfung, wenn sie erfolgreich an der Zwischenprüfung teilgenommen haben, die schriftlichen Ausbildungsnachweise durch den Berichtshefter vorweisen können und die Ausbildung in der vorgeschriebenen Ausbildungsdauer absolviert haben (BMBF, 2010:25). Die Abschlussprüfung setzt sich aus einer schriftlichen und einer praktischen Prüfung zusammen (BMBF, 2010:26). Die schriftlichen Abschlussprüfungen der kaufmännischen Prüfungen der Industrie- und Handelskammern werden z.B. zentral und bundeseinheitlich durch die Aufgabenstelle für kaufmännische Abschlussprüfungen und Zwischenprüfungen (kurz: AkA), die Zentralstelle für Prüfungsaufgaben der Industrie- und Handelskammern (ZPA-Nord-West) sowie von der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart (IHK, 2010) geplant:

Die AkA ist eine Gemeinschaftseinrichtung zur überregionalen Erstellung von Prüfungsaufgaben für kaufmännische und kaufmännisch-verwandte Ausbildungsberufe, wie zum Beispiel der Ausbildungsberuf Kaufmann für Versicherungen und Finanzen. Die Geschäftsführung hat die IHK Nürnberg für Mittelfranken inne (AkA, 2011). Die Mehrheit der IHKs bezieht ihre schriftlichen Abschlussprüfungen von dieser Stelle. So sind dem AkA-Verbund schon 45 IHKs von 10 Bundesländern beigetreten (ebd.). Auch die Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg nutzt von dieser Einrichtung einen Teil ihrer Prüfungen (ebd.).

Die Zentralstelle für Prüfungsaufgaben der Industrie- und Handelskammern (ZPA-Nord-West) ist eine Gesellschaft mit Sitz in Köln, die mit den Bundesländern Berlin, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein bundeseinheitliche Zwischen- und Abschlussprüfungen für die IHKs erstellt. Des Weiteren organisiert sie auch den Druck und die Verteilung dieser Aufgaben an die IHKs (ZPA-Nord-West, 2011).

Die Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart erstellt im Rahmen der Prüfungsaufgaben- und Lehrmittelentwicklungsstelle (PAL) Aufgabensätze für die gewerblich-technischen Berufe, wie zum Beispiel für den Elektroniker für Automatisierungstechnik (IHK Region Stuttgart, 2011) (Giera, 2010:24).

Während der Ausbildung werden sowohl vom Rahmenlehrplan für die Berufsschulen der Kultusministerkonferenz als auch von der Ausbildungsverordnung durch das Bundesministerium der Justiz das Schreiben in bestimmten beruflichen Situationen und die damit verbundenen Textsorten vorgeschrieben (BMJ, 1998). Auch in bestimmten Abschlussprüfungen kommt das Schreiben von Textsorten zum Tragen. Ergänzend dazu soll der Ablauf einer Abschlussprüfung näher veranschaulicht werden – der Ablauf und Inhalt der Abschlussprüfung der Hotelfachleute im IHK-Bezirk Lüneburg-Wolfsburg:1

Beispiel: Zunächst müssen die angehenden Hotelfachleute an einem Tag eine schriftliche Abschlussprüfung ablegen. Diese Prüfung besteht aus mehreren Prüfungsteilen, u.a. WISO (Wirtschaft und Soziales), Fachrechnen sowie Fachtheorie. Mehrere Wochen danach beginnt der praktische Teil der Prüfung. Am zweiten Prüfungstag erhalten die Prüflinge eine komplexe Prüfungsaufgabe, welche vom Prüfungsausschuss erstellt wird. Es wird eine Situation im Beruf vorgegeben. Die Prüflinge müssen zunächst ein Marketingkonzept für ein Arrangement mit zwei Übernachtungen, Verpflegung und Extras für ein bestimmtes Datum und eine Zielgruppe mit einer genauen Preisangabe und Auflistung aller Aktivitäten erstellen. Daraufhin muss im nächsten Schritt ein unverlangtes Angebot (in der Aufgabe Werbebrief genannt) am PC erstellt und ausgedruckt werden. Des Weiteren kann eine weitere Aufgabe, wie z.B. die Erstellung einer Zimmercheckliste, ergänzt werden. Der Prüfungsausschuss bewertet zeitnah am gleichen oder darauffolgenden Tag dieses Marketingkonzept sowie die Erfüllung der weiteren genannten Aufgaben. Für das Bewerten des unverlangten Angebots gibt es eine Checkliste. Zwei Prüfer bewerten unabhängig diese Briefe und führen ihre Ergebnisse zusammen. Ein paar Tage später erscheint der Prüfling zum dritten Tag. An diesem muss er zwei fachpraktische Aufgaben an einem Vormittag lösen. Das kann das Checken (mit seiner selbsterstellten Checkliste) eines Zimmers mit dazugehörigen Fragen, das Arbeiten an der Rezeption mit einer berufstypischen Situation wie das Ein- oder Auschecken oder ein Telefonat mit einem Gast sein, der das schriftliche Angebot erhalten und nun Fragen hat, die er vor der Buchung beantwortet haben möchte. Als weitere Option ist auch das Arbeiten im Restaurant möglich, in das Gäste aus der Region eingeladen werden, wobei die Prüflinge den Restaurantfachleuten als Commis (Helfer) zuarbeiten müssen. Bei allen Prüfungsaufgaben ist die situative und möglichst authentische Aufgabenstellung das Ziel. So gibt es in vielen Berufsschulen eine nachgebaute Rezeption, ein Hotelzimmer sowie eine funktionsfähige und voll ausgestattete Küche, eine Bar und ein nachgebautes Restaurant. Der Ausbildungsvertrag endet mit erfolgreichem Bestehen der Abschlussprüfung. Die Auszubildenden erhalten zunächst am letzten Tag der Prüfung vom Prüfungsausschuss eine schriftliche Bestätigung darüber. Das Prüfungszeugnis hingegen wird von der regional bezogenen Industrie- und Handelskammer für kaufmännische Berufe erstellt und durch die Zeugnisübergabe im feierlichen Rahmen die Ausbildungszeit beendet (BMBF, 2010b: 27).

Die Struktur und der Ablauf der dualen Ausbildung zeigen im ersten Fazit, dass diese von der Bildungspolitik und den rechtlichen Rahmenbedingungen abhängig sind. Der Einblick in einen prototypischen Ausbildungsverlauf demonstriert die Zusammenarbeit mehrerer Ausbildungspartner und das Anwenden von handlungsorientiertem und selbstständigem Lernen.

Im Folgenden werden die aktuellen Daten und Fakten zur dualen Ausbildung in Deutschland näher erläutert: Die Ausbildungskammern wie die IHK und HWK (Handwerkskammer) ringen um geeignete Bewerber: „Bis 2030 wird es drei Millionen mehr Akademiker geben und eine Million weniger Fachkräfte“ (Schmickler, 2016:3). Momentan sind die Ausbildungschancen in Deutschland gut. Dennoch kritisieren auch immer wieder Ausbilder die mangelnden Schulleistungen der Ausbildungsplatzbewerber – Lehrstellen bleiben dadurch unbesetzt (ebd.). An vielen Orten Deutschlands gibt es Ausbildungsmessen, Speeddatings mit Bewerbern, teilweise in den Schulen selbst, Schnuppertage wie den Zukunftstag, vielfältige Praktikumsangebote in Ausbildungsbetrieben sowie außerschulische Projekte mit Ausbildungsbetrieben und Kammern. Vor mehr als zwanzig Jahren war das nicht vorstellbar. Die Ausbildungsplatzsituation war deutlich anders als heute. Schon Realschulabsolventen standen damals in Konkurrenz mit Abiturienten um einen Ausbildungsplatz. Die Ausbildungsbetriebe hatten eine breite Auswahl an Bewerbern. Genau dieser Punkt änderte sich, als sich die Zahl der Studierenden erhöht hat. Die neue bildungspolitische Linie setzt auf eine höhere Anzahl von Abiturienten und Studierenden. Die in Deutschland stark verbreitete Dreigliedrigkeit des Schulsystems in Sekundarstufe I (Hauptschule, Realschule und Gymnasium) wurde zugunsten von mehr Gemeinschaftsschulen,2Oberschulen, Gesamtschulen immer stärker aufgebrochen. Das Ziel besteht darin, das Schulsystem noch durchlässiger zu gestalten und den Schülern mehr Chancen zu geben, sich im Laufe der Schulzeit zu entwickeln. Ergebnis ist, dass die Oberschulen weniger Ansehen haben, wenn auf diesen kein Abitur angeboten wird. Die Gesamtschule mit ihrem breiten Angebot an Abschlussmöglichkeiten hat hingegen einen großen Zulauf, und auch die Gymnasien sind weiterhin attraktiv. Viele Eltern sind bestrebt, ihren Kindern die bestmöglichen Wege zu offerieren, auch wenn das Leistungsvermögen des Kindes unter den Anforderungen der jeweiligen Schule liegt.

Während die Schullandschaft mit ihren schulischen Möglichkeiten, einen Abschluss zu erwerben, immer mehr aufblüht, ringen die Ausbildungsbetriebe um Auszubildende. Die Attraktivität, eine duale Ausbildung zu absolvieren, nimmt ab. Allein 2016 wurden in Deutschland ca. 480.000 Ausbildungsverträge abgeschlossen. Zwischen 2009 und 2017 sank die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge in betrieblichen Ausbildungen von 518.505 (2009) auf 507.772 (2017) leicht (Bundesagentur für Arbeit, 2018). Der Rückgang der abgeschlossenen Ausbildungsverträge zwischen 2006 bis 2015 kann auf 50.000 beziffert werden (BiBB, 2016). Doch die deutschen Unternehmen benötigen Fachkräfte, obwohl nach Schätzungen nur noch jede fünfte Firma in Deutschland auch Ausbildungsplätze anbietet (Schmickler, 2016:2). 80.000 Ausbildungsplatzbewerber bleiben ohne Lehrstelle und 270.000 Jugendliche absolvieren Praktika oder Kurse (AGJ, 2017). Einige Branchen wie die Hotellerie und Gastronomie liegen weniger im Interessenfeld der Schulabgänger und können daher ihre freien Ausbildungsstellen kaum besetzen (Schmickler, 2016:3; BiBB, 2018).

Gewisse Berufe sind durch die Ausbildungsinhalte, -zeiten und -entgelte nicht attraktiv genug für die Jugendlichen (Schmickler, 2016:2). So sehe Schmickler (2010:2) die Angebot-Nachfrage-Relation seit mehr als einem Jahrzehnt unausgeglichen. Die Ursache sei jedoch auch auf Seiten der Unternehmen zu suchen. Schulabgänger mit Hauptschulabschluss werden von den Unternehmen immer noch ungern für eine Ausbildung genommen, obwohl gerade diese sich um den Fachkräftenachwuchs kümmern müssten (Schmickler, 2016:3). Die Abbildung 10 verdeutlicht dieses Manko visuell.

Abb. 10:

Aktuelle Ausbildungssituation in Deutschland (eigene Darstellung)

Des Weiteren erscheint vielen Jugendlichen mit höherem Bildungsabschluss ein Studium aufgrund der besseren finanziellen Zukunftsaussichten und des höheren Ansehens in der Gesellschaft attraktiver (Schmickler, 2016:3). Begünstigt wird dieser Wandel u.a. durch die zunehmende Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems, welches z.B. in Niedersachsen unter bestimmten Bedingungen wie Ausbildungsabschluss und Facharbeiterjahre auch ein fachbezogenes Studium ohne Abitur erlaubt. Des Weiteren unterliegt der deutsche Arbeitsmarkt einem Wandel. Viele Jobs gibt es nun nicht mehr im Handwerk, sondern in der Dienstleistung.

Die aktuellen Zahlen und Daten zum Status quo der Berufsausbildung für die Jahre 2014 bis 2017 zeigen, dass eine Zunahme an unbesetzten Ausbildungsstellen zu beobachten ist. Waren es im Zeitraum 2014/15 noch 41.040, stieg die Zahl 2016/2017 auf 48.984 (Bundesagentur für Arbeit, 2017). Der heutige Schulabgänger hat somit eine breite Auswahl an Ausbildungsmöglichkeiten. Um den Fachkräftenachwuchs zu sichern, wurde bereits 2004 der Nationale Ausbildungspakt (Bundesagentur für Arbeit, 2009; KMK, 2010) beschlossen, der die Ausbildung auf dem Markt der Schulabgänger wieder attraktiv gestalten sollte, 2006 verlängert wurde und bis heute besteht. Dabei sind Betriebe angehalten, mehr Ausbildungsplätze anzubieten, um damit den fehlenden Fachkräftenachwuchs abzumildern. Weitere Kennzahlen der beruflichen Bildung zeigen, dass es insgesamt 1,3 Millionen Auszubildende in Deutschland gibt, davon sind 770.100 im Bereich Industrie und Handel und 362.400 im Handwerk tätig. Die Landwirtschaft verzeichnet 33.000 Auszubildende, der Öffentliche Dienst 37.500, die Freien Berufe 110.100 und die Hauswirtschaft 5.600 Auszubildende (Statistisches Bundesamt, 2017a). Die Zahl der Studenten liegt deutlich höher, nämlich bei 1,7 Millionen, Tendenz steigend (ebd.). Der jährliche Ausbildungsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit zeigt seit dem Beratungsjahr 2012/2013 (jährlich vom 01.10. bis 30.09. des Folgejahres), dass die Mehrheit der Schulabgänger keine Studienberechtigung hat und diese somit im Sekundar-II-Bereich an berufsbildenden Schulen sind, wobei nicht alle Schulabgänger sofort ein Studium oder eine Berufsausbildung beginnen (Statistisches Bundesamt, 2017a). Wird nach Rangfolge sortiert, liegen auf dem ersten Rang die Kaufleute für Büromanagement, auf dem zweiten die Einzelhandelskaufleute und auf dem dritten Verkäufer (BiBB, 2017).

Aus den Zahlen und Fakten zur Verteilung der Schulabschlüsse und der Berufsausbildung kann geschlussfolgert werden, dass die Mehrheit der Schulabgänger keine Studienberechtigung vorweisen kann und sich daher für eine Berufsausbildung entscheidet. Sofern eine Berufsausbildung angestrebt wird, fällt die Wahl eher auf eine duale Ausbildung im Bereich der Industrie- und Handelskammer. Es zeigt sich, dass aus Sicht der Schulabgänger eher kaufmännische Berufe und damit IHK-Ausbildungen begehrt sind.

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