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2.1 Schreibkompetenz und ihre Entwicklung

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Eine Kompetenz beinhaltet Fähigkeiten und Fertigkeiten, die eine Person innehat und in bestimmten Situationen zeigen kann, was aber nicht immer als Performanz gesehen wird. Weinert (2001:27) spezifiziert ferner, dass Kompetenzen auch erlernt werden können und die zugrunde liegenden Fähigkeiten und Fertigkeiten mit motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften verknüpft sind, die in Situationen variabel eingesetzt werden.

Beispiel: Ein Skifahrer wird im Sommer die Fähigkeit des Skifahrens nicht am Strand zeigen können. Es ist eine Kompetenz, die er erlernt hat und in der Situation des Winterurlaubs mit Schnee als Performanz einsetzen kann.

Kompetenz ist somit ein gesichertes Wissen und Können (Thomas, 2007:94). Die Psychologen ordnen diesen Begriff als „Dispositionen“ (Sieland & Rahm, 2007:199) oder „latente Antwortbereitschaften“ (ebd.) ein. Ein gelerntes Verhalten kann folglich im „Verhaltensrepertoire“ (Winkel/Petermann & Petermann, 2006:191) vorhanden sein, wird aber erst in der „Verhaltensperformanz“ (ebd.) sichtbar. Ob diese Performanz gezeigt wird, hängt wieder von der intrinsischen Motivation ab. Diese Symbiose wird anhand folgender Definition erklärt:

Eine Person muss motiviert sein, ein Verhalten auszuführen; das heißt, es muss ein Beweggrund zum Handeln vorliegen. Die Motivation wird von der Erwartung bestimmt, durch das Verhalten eine Belohnung zu bekommen. Diese Erwartungen werden durch Erfahrungen gelernt (Winkel/Petermann & Petermann, 2006:191).

In der Sprachwissenschaft können die folgenden Definitionen festgehalten werden, die einerseits den Kompetenzbegriff und andererseits spezieller die kommunikativen Kompetenzen eingrenzen:

Kompetenzen sind per definitionem als kognitive Prozesse nicht direkt beobachtbar, sondern müssen anhand abgeleiteter Konstrukte untersucht werden. Sie werden dann an der (sprachlichen) Oberfläche in der Performanz sichtbar. Dieses ‚Zeigen‘ der Kompetenz muss in dem oben beschriebenen Rahmen für alle vergleichbar entsprechend initiiert und anhand gemeinsamer, festgelegter Indikatoren ausgewertet werden (Neumann, 2014:58f.).

Vor diesem Hintergrund lässt sich kommunikative Kompetenz als mehrmodulares Konstrukt in Teilkompetenzen untergliedern: in eine Sprachsystemkompetenz (grammatische Kompetenz), eine soziolinguistische Kompeten (Repertoire, Varietäten-, Registerbeherrschung und -bewusstheit, Fähigkeit zum flexiblen Code-Switching), eine pragmatische Kompetenz (zur Zielerreichung), eine Text-/Diskurskompetenz (Textstrukturierungskompetenz) sowie in eine strategische und eine soziale/soziokulturelle Kompetenz (Efing, 2015:21).

Zusammengefasst sind Kompetenzen nicht direkt beobachtbar, sondern erst in ihrer Performanz zu sehen. Unser Schulsystem wiederum beurteilt nicht die Kompetenz, sondern bewertet die Leistungsperformanz, ein Spezifikum der Performanz (von Saldern, 2011:38). Die Schreibkompetenz ist folglich ein latentes Konstrukt, da sie latente Merkmale besitzt, die nicht in Gänze beobachtbar sind (Grabowski, 2017:317). Darauf soll nun genauer eingegangen werden: Um die verborgene Schreibkompetenz zu messen, müssen manifeste Indikatoren gewählt werden: „Die Besonderheit der schreibdidaktischen Erforschung von Textkorpora besteht vor diesem Hintergrund darin, dass nicht einfach nur Texte untersucht werden, sondern Texte als Indikatoren für die Schreibkompetenz eines Individuums“ (Steinhoff, 2017:354) gelten. Schreibaufgaben können Textindikatoren durch die entstandenen Texte vorweisen: „Wie kompetent ein Schreiber oder eine Schreiberin ist, lässt sich am Schreibprozess, aber immer auch am Schreibprodukt erkennen“ (Steinhoff, 2017:352). Schreibkompetenz hängt somit mit der Textproduktion eng zusammen:

Der Begriff Schreibkompetenz fokussiert auf eine effektive, zielgerichtete und adressatenorientierte Textproduktion. Hierfür braucht es neben graphomotorischen und (meta- )kognitiven Prozessen, die den Kern des Schreibens bilden, eine gewisse Schreibmotivation, und Schreiben hat eine soziale Dimension insofern, dass man typischerweise für jemanden schreibt oder – zunehmend – mit jemandem (Philipp, 2015b: 9).

Die Schreibkompetenz ist somit der empirische Zusammenhang zwischen Textprodukt und Textproduktionsprozess (Philipp, 2015b: 33). So ist das auch beim Schreiben. Textsorten wie die Einladung, die im beruflichen Alltag weniger zum Tragen kommen, werden in der Schule oder im Elternhaus erlernt. Dennoch kann diese Kompetenz in der Situation einer Geburtstagsfeierplanung eingesetzt werden.

Die Deutschdidaktik berücksichtigt in den Bildungsstandards (KMK, 2004, 2005) neben der Förderung der Schreibkompetenz auch die Schreibentwicklung der Schüler. Diese wird wie folgt definiert:

Der Begriff Schreibentwicklung fasst die Entwicklung der Schreibfähigkeit als einen kontinuierlichen Prozess ,nach dem Erwerb‘ grundlegender Fähigkeiten in den ersten Schuljahren, welche für das Erstlesen und das Erstschreiben ausschlaggebend sind. Er umfasst die Prozesse und Entwicklungen, welche für das weiterführende Schreiben konstitutiv sind (Bachmann, 2002:59).

Ein bis heute grundlegendes Modell für die Schreibentwicklung ist das Schreibentwicklungsmodell nach Bereiter (1980; siehe Abb. 1).

Abb. 1:

Schreibentwicklungsmodell (Bereiter, 1980: 85)

Bereiters Modell zeigt, dass die Schreibentwicklung nach dem Ende der Schulzeit nicht abgeschlossen ist. Dieses Schreibentwicklungsmodell sollte daher nicht linear aufgefasst werden, sondern fokussiert diverse Parameter wie den Prozess, das Produkt oder den Leser und setzt sie zu kognitiven Entwicklungsschreibphasen in Beziehung. Diese Orientierung initiiert diverse Schreibmodi – wie das assoziative, performative, kommunikative oder das epistemische Schreiben. Dabei werden verschiedene kognitive Aufgaben gelöst:

In der kognitiv orientierten Lern- und Gedächtnisforschung stehen statt einfacher Zusammenhänge zwischen Reizen und Reaktionen – wie im Behaviorismus – komplexe Konzepte wie Wahrnehmung, Problemlösen, Entscheidungsverhalten und Informationsverarbeitung im Mittelpunkt (Winkel/Petermann & Petermann, 2006:145).

Dieses Zitat kann das Modell von Bereiter in Bezug auf die kognitiven Aufgaben erklären. So kann beispielsweise der Schreiber seine Leserschaft fokussieren, dabei werden sozial-kognitive Aufgaben erfüllt, die ein kommunikativ orientiertes Schreiben hervorbringen. Bereiters Modell ist immer wieder eine Vorlage für die Schreibforschung, wie auch Fix (2000) sie aufgegriffen hat:

Fix (2000:316) bestätigt in seiner Studie, dass bei einer freien Schreibaufgabe die Schüler „epistemische Schreibfunktionen nutzen, ohne kommunikatives Schreiben zu praktizieren“. „Die einzelnen Komponenten sind prinzipiell auf allen Erwerbsstufen möglich, aber eben auf verschiedenen Niveaus“ (ebd.).

Somit ist Schreibkompetenz auch eine Form der Problemlösekompetenz, denn medial verfasste Texte beziehen sich je nach Kommunikationsrahmen auf eine Situation, ein Problem, das gelöst werden soll. In diesem Zusammenhang muss der Adressat angemessen angesprochen werden (Antos, 2008:241). Schreiben erfordert daher vielerlei Kompetenzen, wie u.a. die Textproduktion und das damit einhergehende Formulieren (Antos, 2008:242). Der schulische Schreibprozess beginnt dabei mit einer Aufgabe. Schreibaufgaben indizieren den Beginn eines Schreibprozesses. Sie steuern den Schreibvorgang durch eine geforderte Funktion, die erfüllt werden muss, Adressaten und das Problem sind erkennbar, Weltwissen und sprachliches Wissen sind angeeignet, der Text sollte im sozialen Kontext entstehen und die Wirkung auf Leser überprüft werden, z.B. mithilfe von Schreibkonferenzen (Bachmann, 2014:47). Bei Revisionen wird auf die Aufgabenstellung zurückgeblickt. Sie ist Dreh- und Angelpunkt aller Überarbeitungsschritte.

Die Aufgabendefinition bildet die Basis aller Revisionen. Der Autor muss die Schreibaufgabe innerhalb seines Wissenshorizonts (long term memory) und unter Einbezug des Aufgabenumfeldes (task environment) für sich interpretieren und daraus ein Schreibziel ermitteln, das während der Revisionsprozesse die Rolle des Monitors übernimmt. Ohne ein definiertes Schreibziel fehlt den Überarbeitungen eine klare Linie, es kann dadurch zu Textverschlechterungen kommen (Fix, 2000:29).

Dieses Zitat unterstreicht, dass die Aufgabenstellung für das Schreiben immens wichtig ist. Je konkreter die Aufgabenstellung, desto eher kann der Schreiber auf diese zurückgreifen und sich daran orientieren. Schreibaufgaben erfüllen jedoch auch noch eine andere Funktion – die Schreibmotivation kann durch sie gelenkt werden. Gerade situierte Aufgabenstellungen, die es in der beruflichen Bildung durch die Arbeit mit Lernfeldern längst gibt, führen den Schreiber in eine bestimmte Situation, in die er sich hineindenken muss. In diesem Zusammenhang führte einst Bachmann den Begriff „Aufgaben mit Profil“ in die Schreibdidaktik ein:

Unter ‚Aufgaben mit Profil‘ werden Schreibaufgaben verstanden, die das Schreiben als soziale Praxis in einen möglichst ‚authentischen‘ Kontext sozialer Interaktion einbetten, indem das Schreiben einen für die Schüler/innen erkennbaren Sinn bekommt und – auf Produktebene – in plausibler Art und Weise auf textuelle Qualitäten hin befragt und beurteilt werden kann (Bachmann, 2014:46).

Er untersuchte für das Bereiter-Modell Indikatoren für die Schreibentwicklung. Mit seinem siebenwöchigen Projekt „Aufgaben mit Profil“ ließ er Schüler (n = 78) aus dem vierten, achten und zehnten Jahrgang sechs instruktive Texte, wie z.B. Zimmerbeschreibung, Spielablauf oder Faltaufgabe verfassen. „Die Texte der Stichprobe wurden daraufhin untersucht, ob bzw. in welchem Ma[ß]e das Auftreten kohärenzstiftender Elemente und der Einsatz von Kohäsionsmitteln in den Texten Indikatoren für Schreibentwicklung sein können“ (Bachmann, 2002:15; [geändert von W.-K. G.]). Seine Stichprobe mit 12 Probanden und 36 Texten zeigt, dass die Häufigkeit eingesetzter kohärenzstiftender Elemente kein Indikator für die „Ausdifferenzierung der sozialen Kognition und der Schreibfähigkeit“ ist (Bachmann, 2002:158). Allerdings sei ein Fehlen oder ein lapidares Auftreten dieser Elemente vor allem im vierten Jahrgang zu beobachten. Dies zeige aus Bachmanns Sicht eher den Beginn einer sozialen Kognition an. Wenn jedoch diese Elemente verwendet werden, dann eher aufgrund von Normorientierung, Konventionen sowie Textmuster und weniger aufgrund von Adressatenorientierung, da die Schüler vorwiegend noch in der Phase des normorientierten Schreibens sind, wie aus Bereiters Modell hervorgeht. Im zehnten Jahrgang zeigen die Schüler einen eher geringen Einsatz dieser Elemente. Dies ist mit der Annahme verbunden, dass Zehntklässler im Gegensatz zu jüngeren Schreibern kritischer seien. Die Verteilung der Kategorien Anleiten, Positionen, Differenzieren und Verweisen sind laut Bachmann zuverlässige Indikatoren für die Schreibentwicklung. In allen drei Altersgruppen bestätige sich, dass das Positionieren „voraussetzungsreicher“ als das Anleiten ist. Das Differenzieren sei der schwächste Indikator. Der Autor zeigt, wie auch schon Fix, dass es keine lineare Schreibentwicklung zu einem Texttyp oder Textmuster gibt:

Entwickelte Schreibfähigkeit kommt nach Bereiter/Scardamalia in einer grundlegenden anderen Strategie der Textproduktion zum Ausdruck. Wissen wird nicht einfach abgerufen und ohne weitere Bearbeitungsprozesse weitergegeben. Es wird im Prozess des Schreibens transformiert (knowledge transforming). Diese Transformation des Wissens setzt mindestens zweierlei voraus: (a) eine Aufgabenrepräsentation, welche die Bedürfnisse des Lesers antizipiert, und (b) die Definition von Zielen, die mit dem Text im jeweiligen Handlungskontext erreicht werden sollen […] (Bachmann, 2002:44).

Bachmann plädiert zum Schluss für den Einsatz von Peergroup-Gesprächen über Textmuster, damit Textmusterwissen als Teil der Schreibkompetenz aufgebaut werden kann. Schreibkonferenzen sollten von Lehrern nicht als zeitraubend empfunden werden, sondern geben den Schülern die Möglichkeit, ihre Texte realen Lesern vorzustellen, über Texte zu sprechen und von ihnen zu lernen. „Damit Sprache aber erworben und entwickelt werden kann, müssen ihre Mittel, Strukturen, Formen und Muster verinnerlicht, mit je individuellem Vorwissen verknüpft und in dieses integriert werden“ (Bachmann, 2002:85). In diesem Kontext prägte Feilke den Begriff der Textprozeduren:

Literale Prozeduren sind Textroutinen. Sie sind funktional bezogen auf rekurrente kommunikative Aufgaben; literal sind diese Routinen, soweit sie typisch oder […] sogar spezifisch für eine Kommunikation mittels schriftlicher Texte sind (Feilke, 2010:4).

Textprozeduren sind sozial schematisierte Handlungszüge in Texten, die als Werkzeuge des Schreibens in den kulturell etablierten Praktiken des Umgangs mit Texten angeeignet werden (Feilke, 2014:15).

Der Begriff leitet sich lernpsychologisch vom „prozeduralen Lernen“ (Winkel/Petermann & Petermann, 2006:219) ab: „Beim prozeduralen Lernen werden kognitive oder motorische Fertigkeiten durch Übung schrittweise erworben, indem bewusste Prozesse allmählich durch unbewusste Prozesse ersetzt werden“ (ebd.). In Bezug auf die profilierten Schreibaufgaben stellt er fest: „In diesem Fall verweisen Aufgabenschemata auf Textprozeduren als in der Kompetenz verfügbare Handlungsschemata, die für das Schreiben textliche Lösungsalternativen bereitstellen“ (Feilke, 2014:17). Somit sei die Aufgabe selbst (task) nicht nur auf der Kontrollebene anzusiedeln, sondern auch als Ressource anzuerkennen, denn „kompetente Schreiberinnen und Schreiber verfügen über textprozedurale Handlungsschemata, denen sie differenzierte Inventarien textueller Gliederungsmuster, syntaktischer Konstruktionen und lexikalischer Kollokationen zuordnen können“ (Feilke, 2014:19f.). Daher stehen in der Deutschdidaktik auch Textprozeduren im Interesse der Forschung. Dabei wird das routinierte Vorgehen beim Schreiben mit dem Begriff Schreibstrategie von Feilke gleichgesetzt (Feilke, 2014:20). Textprozeduren beziehen sich jedoch auf den Text selbst:

Geht es um ein Bewerbungsschreiben, ist sogar die normative Vorgabe von Mustervorlagen legitim, weil damit Sozialchancen verbunden sind; die Konventionen sind dann Spielregeln, die den Schreibenden als Kenner der Regeln und damit potentiellen Mitspieler ausweisen (Fix, 2000:329).

Fix plädiert ausdrücklich für die Nutzung von musterhaften Textbausteinen und Mustertexten (Fix, 2000:339), die im professionellen Kontext üblich sind und die Textprozedur unterstützen (Wergen & Wörner, 2005). Es ist an dieser Stelle genauer auf das deklarative und implizite Lernen einzugehen (siehe Abb. 2), um die Relevanz von Mustern in Form von Textbausteinen und Texten zu verstehen. Die Abbildung 2 visualisiert daher die Lernprozesse und -ergebnisse.

Abb. 2:

Lernprozesse (Winkel/Petermann & Petermann, 2006: 229)

Textmusterwissen und Textsortennormen können als deklaratives Wissen (‚knowing that‘) eingeordnet werden, denn dies zählt zum Welt- oder Sachwissen. „Prozedurales Lernen bezieht sich auf den Erwerb motorischer und kognitiver Fertigkeiten“ (Winkel/Petermann & Petermann, 2006:16). Implizites Lernen passiert unbewusst und ist Teil des Lernprozesses (ebd.). An der Abbildung 2 fällt auf, dass durch die Übung und Prozeduralisierung, Strategien sowohl implizit als auch deklarativ gelernt werden können. Für den Unterricht bedeutet dies, dass das Regellernen auch implizit durch die Unterrichtssituation geschieht. Das Textmusterwissen allein zeichnet jedoch keinen erfolgreichen Schreiber aus (Fix, 2000:333). Junge Schreiber verfassen Texte eher „just-in-time“ und im „flow“, sie schreiben linear, Satz für Satz, und kommen schwer von dieser Strategie ab (Ortner, 2013:69f.). Schreibstrategien sind daher relevante Parameter der Schreibkompetenz und Lösungshilfen für die Aufgabenstellung, wie Nitz (2010) in seiner Studie verdeutlicht:

Nitz’ (2010:123f.) Studie über die Fähigkeit, dass Dritt- und Viertklässler Texte in Schreibkonferenzen überarbeiten können, zeigt: Schon Viertklässler machen deutlich, dass sie nicht jede Hilfe zur Textverbesserung annehmen. Der ‚Autor‘ wählt selbst. Eine Schreibkonferenz hilft, Texte zu überarbeiten, auch hinsichtlich der Kohärenz. Nicht alle Schwierigkeiten können jedoch beseitigt werden. Das kann auch nicht allein durch die Anregung der Lehrperson entstehen, vielmehr ist es eine höchst emotionale Angelegenheit, ob ein Rat angenommen wird oder nicht. Das Wer und Wie sind dabei mitentscheidend: „Die Berater zeigen sich in den Schreibkonferenzen als äußerst kritische Leser und verhelfen den Texten durch intensive Diskussionen über bestimmte Textstellen in vielen Fällen zu mehr Kohärenz“ (Nitz, 2010:124). „Die ‚Autoren‘ setzen sich meist sehr intensiv für die Qualität ihrer Texte ein, auf die sie offensichtlich stolz sind und die sie zu einem zufriedenstellenden Ende bringen wollen“ (Nitz, 2010:125). Kohärenzprobleme konnten schon gelöst werden, auch wenn Fix (2000) interessanterweise Schreibkonferenzen in seiner Studie als weniger erfolgreich für den Schreiberfolg bewertet. Dennoch ist die Vermittlung von Musterwissen als Teil einer Strategie anerkannt:

Da Musterwissen auch als Schreibstrategie genutzt werden kann, kann es zugleich ein Handlungswissen (‚knowing how‘) sein, das entweder bewusst zur Bewältigung der Problemsituation eingesetzt wird (Problemlösewissen) oder bereits automatisiert ist (prozedurales Wissen). Versteht man Text im Fall des kommunikativen Schreibens als Makro-Sprechakte, wird dieses Wissen als Illokutionswissen mit dem Ziel angewandt, für einen Adressaten funktional angemessen zu schreiben. Im traditionellen Aufsatzunterricht ist die deklarative Komponente dieses Vorwissens überbewertet worden (Fix, 2000:332).

Fest steht, dass die Schreibkompetenz auf verschiedenen Wegen gefördert und gelenkt werden kann. Die Aufgabenstellung und die Schreibstrategie sind wichtige Einflussfaktoren für die Schreibkompetenz. Diese Erkenntnis hat in die Rahmenlehrpläne für das Schreiben im Fach Deutsch Einzug gehalten. Die Herausforderung dabei ist, mit einer leistungsheterogenen Klasse Schreiben zu unterrichten. Gerade an Grundschulen, Oberschulen, Gesamtschulen, Sekundarschulen etc. wurden von den Regelstandards hin zugunsten von mindestens drei Kompetenzniveaus inhaltliche, prozessuale und soziale Kompetenzziele formuliert. Dabei sei außer Acht gelassen, dass auch für die Schüler mit einem Integrationsstatus noch weitere Kompetenzniveaus formuliert wurden. Somit können Deutschlehrer in ihren Deutschklassen eine heterogene und inklusive Schülerschaft unterrichten, die sich nicht selten Aufgaben für vier Kompetenzniveaus (Mindest-, Regel-, Expertenstandard sowie mindestens ein Niveau für die Integrationsschüler) stellen müssen.

Neben der Anwendung aus dem Kompetenzstufenmodell empfiehlt es sich, für die jeweilige Schreibaufgabe ad hoc Kriterien der Analyse bereitzustellen und diese dann auf die Kompetenzbeschreibungen zurück zu beziehen […] (Eichler, 2017:151).

Einige Studienseminare, z.B. in Verden (Niedersachsen), bereiten sehr präzise auf die Formulierung der Kompetenzniveaus und auch deren Evaluierung während des Referendariats vor dem Zweiten Staatsexamen vor. Dafür wird die Kompetenzformulierung von Kessler und Ziener (2004) hinzugezogen, die in Abbildung 3 dargestellt wird. Kessler und Ziener haben für alle Fächer vier Anforderungsbereiche für die Kompetenzformulierung mit Bezug auf die Bildungsstandards herausgearbeitet: Die Kategorie I „Wahrnehmen, Wissen und Verstehen“ (Kessler & Ziener, 2004:1) wird dem kognitiven Bereich, Kategorie II „Sprechen und Auskunft geben“ (ebd.) dem kommunikativen Bereich, Kategorie III „Erarbeiten und Gestalten“ (ebd.) dem methodisch-kreativen Bereich und Kategorie IV „Planen und Zusammenarbeiten“ (ebd.) dem personalen und sozialen Bereich zugeordnet.

Abb. 3:

Kompetenzraster nach Kessler & Ziener (2004, eigene Darstellung)

Beide Mitautoren der Baden-Württembergischen Bildungsstandards haben für diese Kategorieeinteilung die Bildungsstandards untersucht und alle Operatoren (auch Prädikate genannt) in diese vier Kategorien eingeteilt (ebd.). Anschließend erfolgt für jeden Kompetenzbereich eine dreistufige Niveaueinteilung, wobei Anforderungsbereich A das niedrigste Niveau und C das höchste Niveau ist (ebd.; Ziener & Kessler, 2012:29). Es ist der Einteilung nach dem Mindeststandard, Regelstandard und Expertenstandard ähnlich. Das Ziel des Modells besteht darin, Schüler kompetenzorientiert, kooperativ und selbstorganisiert lernen zu lassen (Giera, 2014:5f.). Bezugnehmend auf dieses fächerübergreifende Kompetenzraster wurde in Deutschland am Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (kurz: IQB) ein Kompetenzstufenmodell für den Bereich Schreiben entwickelt (Böhme et al., 2017:57ff.). Grundlage dafür waren der Mittlere Schulabschluss in der Sekundarstufe I sowie die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz für das Unterrichtsfach Deutsch des Jahres 2004.

Die Idee der Stufen ging aus den Kompetenzstufenmodellen der naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächer hervor. Die Normierung erfolgte durch eine Stichprobe im Jahre 2011 mit 2.996 Schülern aus dem neunten und zehnten Jahrgang mit zwölf entwickelten Schreibaufgaben. Für jede Aufgabe, die in 20 Minuten bearbeitet wurde, liegen 500 Schülertexte vor. Die Texte wurden zunächst auf einer holistischen fünfstufigen Globalskala bewertet. Anschließend erfolgte eine Schätzung der Aufgabenschwierigkeiten, wobei auch die Hintergrundvariablen wie das Alter berücksichtigt wurden. Somit entstanden Grenzwerte für die einzelnen Stufen und letztendlich fünf gleich breite Stufen. Diese einzelnen Stufen wurden genauer beschrieben und als Niveaus gekennzeichnet – von Mindeststandard verfehlt über Mindeststandard, Regelstandard, Regelstandard plus bis hin zum Optimalstandard. Für die argumentativen Texte wurden diese Standards als Kompetenzstufen genau beschrieben und bepunktet. Als Ergebnis konnte festgehalten werden: „Etwa ein Viertel der Neuntklässlerinnen und Neuntklässler mit dem Ziel MSA oder höher erreicht allerdings noch nicht die in den Bildungsstandards der KMK formulierten Erwartungen (Regelstandard)“ (Böhme et al., 2017:69).

Es gibt eine weitere hervorzuhebende Studie, die die Schreibkompetenzentwicklung der Schüler empirisch untersucht hat, jedoch nicht im Querschnitt, sondern im Längsschnitt: Um die Textsortenkompetenz in der Schreibgenese von Schülern zu testen, untersuchten Augst, Disselhoff, Heinrich, Pohl sowie Völzing (2007) in einer Langzeitstudie Grundschüler mit den Textmustern Erzählung, Bericht, Instruktion, Beschreibung und Argumentation über mehrere Jahre. Die Frage der Textsortenentwicklung stand mit 39 Schülern und 585 Schülertexten im Fokus dieser Untersuchung, da Bereiters Schreibentwicklungsmodell bis dato nicht empirisch überprüft wurde. Jeder Schüler schrieb 15 Texte jährlich über einen Zeitraum von drei Jahren: eine Erzählung nach einem Bildimpuls, einen Bericht über das Weihnachtsfest, eine Instruktion zum Lieblingssport, eine Beschreibung des Klassenraums sowie eine Argumentation mit einem Vorschlag. Im Laufe der Jahre war zu beobachten, dass die Grundschüler längere und komplexere Texte schrieben. Die Vielfältigkeit der Satzstrukturen nahmen zu. Am Ende der vierten Klasse gelingt das Erzählen am besten. Im Mittelfeld bleiben das Beschreiben und das Argumentieren sowie zum Schluss das Berichten:

Auf jeden Fall ist es für die Kinder wichtig, die Arbeit am Text als etwas Natürliches und Selbstverständliches zu erleben, das dem schriftsprachlichen Prozess eigen ist. […] Deshalb kann das Gespräch der Kinder über Texte (oder sogar eine Schreibkonferenz) sehr förderlich sein; dies auch aus einem ontogenetischen Grund: die Kinder werden auf ihrer jeweiligen Entwicklungsstufe das ‚Schreibkind‘ erfahrungsnäher (kindgemäß) befragen und anregen, als es ein Lehrer vielleicht angesichts des normativen Musters kann (Augst et al., 2007:359f.).

Das Forscherteam hält fest, dass alle Textsorten in der Grundschule für die Entwicklung der Schreibkompetenz gefragt sind. Dabei ist auffällig, dass ein erkanntes Strukturmerkmal in einer Textsorte auf eine andere Textsorte übertragbar ist (Augst et al., 2007:358). „Einen Text mit einer bestimmten Textqualität zu produzieren ist folglich Resultat, d.h. Ausdruck, der je individuellen Schreibkompetenz von Schreibenden“ (Schmitt & Knopp, 2017:239).

Dieser Exkurs zeigt, dass Schüler einer Klassenstufe auf verschiedenen Niveaus schreibkompetent sind und die Kompetenzraster mit diversen Stufenbeschreibungen immer mehr Vorrang für die Planung des Schreibunterrichts haben müssen. Eine Lernausgangslage ist unbedingt erforderlich. Den Studienergebnissen war zu entnehmen, dass die Schreibkompetenz je nach Textsorte unterschiedlich ausfallen kann. Um Schreibkompetenz in den Klassen zu messen und zu fördern, müssten pro Textsorte mehrere Aufgaben gestellt und getestet werden (Böhme et al., 2017:70ff.). Die dadurch entstandenen Schreibprodukte sind Indikatoren der Schreibkompetenz. Des Weiteren sind der Schreiber, der Schreibprozess, die Schreibprozedur und der potenzielle Leser Parameter einer ganzheitlichen Schreibkompetenzmessung und -förderung. Diese Komplexität zeigt sich in einer Zusammenfassung von Feilke (2017:158), welche schreibdidaktische Impulse subsumiert, die für die Lehrer und Schreibforscher relevant sind. Grundlage Feilkes „Parameter schreibdidaktischer Konzepte“ (Feilke, 2017:158) ist das Schreibentwicklungsmodell nach Bereiter (1980), jedoch wurden die Ebenen Prozess, Leser und Produkt um die Ebenen „Prozedur“ (ebd.) und „Schreiber“ (ebd.) ergänzt (Feilke, 2017:157). Die Anzahl der Schreibebenen lässt erkennen, wie komplex die Parameter der Schreibkompetenzentwicklung in der Schreibdidaktik sind. Allein die Kombination der Ziele, Aufgabentypen, Aufgabenmodi und der schreibdidaktischen Konzeptionen verlangt eine immense Forschungsarbeit, aber auch die Schaffung eines Freiraums vieler Unterrichtsstunden im Fach Deutsch.

Folglich beeinflussen mehrere Faktoren die Schreibkompetenz und damit verbunden die Textqualität und können somit als Prädiktor wirken, wie die folgende Definition und die dazugehörige Abbildung 4 verdeutlichen und meines Erachtens gut zusammenfassen, da sowohl die grundlegenden Schreibmodelle als auch die dazugehörigen Prädiktoren in Beziehung gesetzt werden. Die Bereiche Volition, Motivation und Metakognition verknüpfen sich mit der Schreibmotivation und Selbstregulation, die für diese Arbeit tragend sind:

Schreibkompetenz ist, wie die dargelegten Ergebnisse zeigen, ein (höchst) komplexes Konstrukt, welches sich aus zahlreichen, ensembleartig zusammenwirkenden Teilfähigkeiten aus verschiedenen Fähigkeitsbereichen zusammensetzt (konstitutioneller, kognitiv-fähigkeitsbezogener, motivational-volitionaler und metakognitiver sowie spezifisch sprachbezogener Bereich) (Schmitt & Knopp, 2017:248).

Abb. 4:

Übersicht der Kandidaten für Prädiktoren (Schmitt & Knopp, 2017: 241)

Noch wird die Schreibkompetenz vorrangig im Unterrichtsfach Deutsch vermittelt. Norwegen zeigt jedoch, dass die Basiskompetenz Schreiben in allen Fächern curricular verankert sein sollte: „Every teacher, regardless of subject, is now responsible for the teaching of writing“ (Berge et al., 2016:180). Dafür entwickelten die Skandinavier das theoriebasierte Schreibmodell „The Wheel of Writing“ in zwei Varianten (Berge et al., 2016). Alle Ringe sind gegeneinander verschiebbar (siehe Abb. 5 und 6).

Abb. 5:

Wheel of Writing I (Berge et al., 2016: 180)

Die Abbildung 5 wird wie folgt gelesen: Der äußere Ring konzentriert sich auf die sechs Schreib- bzw. Sprachhandlungen to interact, to reflect, to describe, to explore, to imagine und to convince. Der mittlere Ring fokussiert sechs Schreibzwecke: Persuasion oder Knowledge development sind nur zwei Beispiele. Das Rad wird wiederum durch die semiotische Vermittlung zusammengehalten. Es ist kulturellen und situativen Kontexten ausgesetzt und wird von diesen beeinflusst. In der folgenden Abbildung 6 des Wheel of Writing sind der äußere und innere Ring gleich, der mittlere Ring hingegen fokussiert vier tools and resources for writing.

Abb. 6:

Wheel of Writing II (Berge et al., 2016: 182)

Modalities beinhaltet einerseits die Buchstaben, aber auch die Abbildungen, Piktogramme, Tabellen und Bilder. Text structure meint die lokalen und globalen Kohäsionsmittel. Writing tools schließt die Schreibmedien ein, ob Stift oder PC sowie weitere. Vocabulary and grammar bezieht sich einerseits auf den Wortschatz und andererseits auf die Grammatik. Darin enthalten ist auch die Syntax, welche in der Schriftsprache komplexer ist als im mündlichen Gebrauch.

Zusammengefasst setzt das Wheel of Writing zunächst beim Schreiber selbst an. Dieser zielt auf eine Schreibhandlung ab, was gleichzeitig auch mit dem Schreibziel gleichgesetzt werden könnte. Für die Erreichung dieses Schreibziels stehen ihm verschiedene personale, sprachliche und mediale Ressourcen zur Verfügung, die er nutzt, um durch das Schreiben einen Schreibzweck nicht nur für sich, sondern auch im Leseinteresse eines Adressatenkreises zu erfüllen.

Für dieses Kapitel kann festgehalten werden, dass Kompetenzen ein gesichertes Wissen und Können in problembehafteten Situationen bedeuten. Sie sind entweder als Zielvorstellung oder als Operationalisierung funktional einzuordnen. Bezogen auf die Schreibkompetenz knüpfen sie an die Schreibaufgaben und die damit verbundenen Schreibanlässe an, wie durch die Aufgaben mit Profil und dem Wheel of Writing präsentiert wurde. Die Prädiktoren von Schmitt und Knopp heben jedoch hervor, dass die Schreibkompetenz durch weitere Indikatoren wie das Arbeitsgedächtnis, die Lesefähigkeit, die Perspektivübernahme, die Schreibmotivation, die Selbstregulation, die Schreibflüssigkeit, das Textmusterwissen, den Wortschatz sowie durch die Kohärenzherstellung u.a. beeinflusst wird. Bereiters Modell verdeutlicht, dass die Schreibentwicklung diverse Phasen durchläuft, die eine grobe Orientierung bieten, jedoch muss der Schüler mit seiner Schreibgenese und seinem prozeduralen sowie deklarativen Schreibwissen allein betrachtet werden. Gerade nach der Schule entwickeln die ehemaligen Schüler eine „Ich-Entfaltung“ (Koch & Pielow, 1984:82): Aus Schreibfrust kann Schreiblust werden, die für die Genese der Schreibkompetenz ein Motivationsfaktor ist. Soll die Schreibkompetenz unterstützt werden, zeigt Feilke in seiner Aufstellung, dass diese durch verschiedene Aufgabentypen, Arbeitsmodi und Schreibziele gefördert werden kann. Die Definitionen von Efing und Neumann zeigen zwar Definitionen zum Begriff Kompetenz, jedoch ist der Terminus Schreibkompetenz sehr komplex, wie dieses Unterkapitel verdeutlicht. Daher sollen die zwei folgenden Unterkapitel die Schreibkompetenz vor und während der beruflichen Ausbildung vertieft behandeln und auch zeigen, was die Schreibdidaktik für den Unterricht empfiehlt, was in Kapitel 2.1 nur angerissen werden konnte.

Berufsorientierte Schreibkompetenz mithilfe von SRSD fördern

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