Читать книгу Säkularer Buddhismus: ein Arbeitsbuch zu Stephen Batchelors "Jenseits des Buddhismus" - Winton Higgins - Страница 11

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Worum geht es in

Jenseits des Buddhismus?

Stephen sah sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, die gleichermaßen allen Buchautoren begegnet – wie man das verdammte Ding nennen soll. Ein Buchtitel muss eine unmittelbare Botschaft transportieren und diese Botschaft in Beziehung zu allen anderen Büchern setzen, die in diesem Themengebiet gerade aktuell sind. Auf Anraten seines Herausgebers folgte er der heute gängigen Weisheit: Gib dem Buch einen griffigen „allgemeinen“ Titel, gefolgt von einem Untertitel, der informativer ist. Daher: Jenseits des Buddhismus: Eine säkulare Vision des Dharma.

Bei der Wahl des Titels folgte er (unter anderem) Gianni Vattimo, dem post-metaphysischen Philosophen, der sich dafür entschied, katholisch zu bleiben, wenn auch auf einer eigenwilligen Basis, der sein Buch, das diese Entscheidung untersucht, Jenseits des Christentums nannte. In beiden Fällen wird ein althergebrachtes Konzept einer Tradition ersetzt, die zwar Reichtümer birgt, die jedoch nun verschüttet sind unter veralteten oder unangemessen Ausdrucksformen und ritueller Praxis.

In diesem Zusammenhang sollten wir uns auch in Erinnerung rufen, dass das Konzept und der Begriff „Buddhismus“ eine europäische Erfindung des frühen 19. Jahrhunderts sind. Soweit ich weiß, gibt es dafür keine Entsprechung in irgendeiner asiatischen Sprache und ganz sicher nicht in den klassischen Sprachen der Überlieferung – Pali, Sanskrit, Chinesisch und Tibetisch. Wir können also aus Stephens Haupttitel (Jenseits des Buddhismus) herauslesen, dass er etwas in der Art bedeutet, wie „nachdem wir über das heute gebräuchliche Verständnis dessen, was Buddhismus ausmacht, hinausgegangen sind, einschließlich der Vorstellung, dass er nur für eine einzige starre Tradition steht“. Als Ganzes betrachtet, stellt sein Titel diesen „Buddhismus“ jener lebendigen Dharma-Tradition gegenüber, die Gotama (ca. 480-400 v.Chr.), „der historische Buddha“ im Ganges-Becken in Nordostindien begründet hat.

Das durch den Untertitel propagierte Projekt, den Dharma für ein säkulares Zeitalter neu zu überdenken, enthält mit ziemlicher Sicherheit einen impliziten Bezug zur Entwicklung eines säkularen Christentums im Verlauf des letzten halben Jahrhunderts. In seinem Vorwort erwähnt Stephen als eine seiner wichtigsten Quellen der Inspiration die progressiven protestantischen Theologen Paul Tillich und Don Cupitt, die in vergleichbarer Weise versuchten, das Christentum für unser säkulares Zeitalter neu zu überdenken.

Die Problemfelder beider Traditionen überschneiden sich. Zu diesem Punkt bitten wir Sie, im Internet die Transkription eines öffentlichen Gesprächs zwischen Stephen Batchelor und Don Cupitt aufzurufen, das 2012 von London Insight Meditation veranstaltet wurde – moderiert von der Guardian Journalistin Madeleine Bunting. Es ist online verfügbar auf

https://secularbuddhism.org/batchelor-cupitt/.

Hier spricht Don Cupitt – nach 50 Jahren als anglikanischer Priester – über Jesus als einen humanistischen, radikalen und diesseitigen Lehrer aus dem 1. Jahrhundert n.Chr., dessen Botschaft durch „die ersten Geistlichen“ Petrus, Jakobus und Paulus ca. 50 n.Chr. mystifiziert und mythologisiert wurde. Es hat nicht lange auf sich warten lassen! (Wie wir sehen werden, hat es auch im Fall des Dharma nicht lange auf sich warten lassen.) Danach entwickelte sich das kirchliche Christentum mit seinem sozialen Konservatismus und seinen Sorgen um das Jenseits.

Das Christentum für ein säkulares Zeitalter neu zu überdenken, bedeutet, mit dem zu beginnen, worum es ursprünglich ging, bevor die „Geistlichen“ auftauchten. Dies bedeutet keineswegs, Nützliches abzulehnen, was die vielen Generationen von Geistlichen im Laufe der Jahrhunderte entwickelt haben, aber es legt die Grundlagen der lebendigen Tradition frei und ehrt auf diese Weise jene Tradition auf bestmögliche Weise – nämlich auf eine intelligente und skeptische Weise

Die Parallele zum Dharma ist frappierend. Der Buddha war ebenfalls ein geerdeter, radikaler, diesseitig-existenzialistischer Lehrer, aber die hauptamtlichen „Geistlichen“ (mit Kassapa an der Spitze) traten nach seinem Tod schnell auf den Plan und überführten die Überlieferungen in jenseitige Gefilde, metaphysische Glaubensvorstellungen, ausgeklügelte Institutionen und Rituale. Wieder einmal besteht die Herausforderung für diejenigen, die den Dharma als eine lebendige Tradition praktizieren möchten, darin, zu versuchen, zur Quelle zurückzukehren, wie der Gründer ihn hinterlassen hat, und von dort ausgehend herauszufinden, wie man ihn in unserem eigenen säkularen Zeitalter anwenden kann, unter Beachtung nützlicher Beiträge, die andere in der Zwischenzeit geleistet haben.

Stephens Buch ist somit keine säkulare buddhistische Polemik und noch weniger ein Versuch, eine neue Orthodoxie zu etablieren. Vielmehr ist es eine erfrischende Untersuchung dessen, was der große und unsystematische Pali-Kanon tatsächlich enthält. Es ist eine Rückbesinnung auf die zentrale Frage, die der Dharma aufwirft (um die traditionelle Ch’an-Formulierung zu verwenden): wie sollen wir „dieser großen Angelegenheit von Leben und Tod“ begegnen? Wie können wir instinktiv unser Leben als verletzliche, sterbliche Wesen, die mit Bewusstsein ausgestattet sind, verstehen? Wie gestalten wir dieses Leben sinnhaft und würdevoll – vollständig menschlich? Wie sollen wir das menschliche Vermögen bestmöglich ausnutzen?

Stephen bringt seine eigene Suche auf einfache und persönliche Weise zum Ausdruck: „Als praktizierender Buddhist betrachte ich die Lehrreden nicht als bloße Mine, in denen ich nach weiteren intellektuellen Erkenntnissen schürfe, sondern ich will mit meiner eigenen Geburt und meinem Tod ins Reine kommen“ (S. 39).

In Jenseits des Buddhismus präsentiert er uns u.a. einen neuen Ansatz, aus dem Pali-Kanon zu schürfen. Ein Aspekt seines Ansatzes besteht darin, jene Lehren hervorzuheben, die ureigen vom Buddha stammen und nicht einfach aus der Kultur seiner Zeit und seiner Umgebung, solche, die jeder beliebige zeitgenössische spirituelle Lehrer formuliert haben könnte. Ein zweiter Aspekt von Stephens Ansatz besteht darin, den Geschichten einiger der interessanteren Charaktere des Kanons zu folgen. Der frühe Dharma wird nicht nur von uniformen, heiligen Entsagenden bevölkert – es gibt dort auch eifrige Laien wie uns und einige von ihnen waren Verwandte und enge Freunde des Buddha.

Diese Menschen waren in ihrem Alltag und ihren inneren psychologischen Verstrickungen mit erheblichen Anforderungen konfrontiert, erlangten aber dennoch die Anerkennung des Buddha als „Sehende des Todlosen“. Dies bedeutet, dass sie, zumindest zeitweise, in einem Empfindungsvermögen weilten, das von der Einsicht in die Bedingtheit („abhängiges Entstehen“) und der Erfahrung des Nicht-Selbst durchdrungen war. Ihre Begegnungen mit ihm und sein Feedback an sie waren außerordentlich berührend. Sie erzählen uns viel darüber, wie der Dharma ein gewöhnliches menschliches Leben durchdringt und es außergewöhnlich werden lässt.

Und auf diese Weise lernen wir Mahānāma kennen (den Cousin des Buddha, der unter schwierigen Begleitumständen zum Oberhaupt der kleinen Republik Sakiya wurde – zuvor hatte Buddhas Vater Suddhodana diese Position inne), Pasenadi (den König von Kosala) und Jīvaka (den Arzt am Hofe von Magadha). Solche Menschen übten grundlegende Funktionen in der Gesellschaft aus und die Art und Weise, wie der Buddha sie beriet, spiegelt seine eigene Vorstellung einer intakten Gemeinschaft und einer vorbildlichen Gesellschaft wider.

An dieser Stelle können wir ein Gefühl für die bürgerliche Rolle eines Dharma-Praktizierenden bekommen. All dies bildet einen Kontrast zur herkömmlichen Beschäftigung des Buddhismus mit dem gleichmütigen Ordensmitglied, das politische oder andere weltliche Verpflichtungen beim Streben nach persönlicher Befreiung scheut. In ähnlicher Manier greift Stephen die Erfahrung, den Dharma zu praktizieren, heraus und die niemals endende Herausforderung, eine Lebensweise zu kultivieren, die dessen Werte verwirklicht. Im Fall eines Mönchs, dem wir hier begegnen, Sunakkhatta, erweist sich die Veränderung als zu tiefgreifend und er wirft resigniert hin.

Er stellt die Frage: Spricht eine säkulare Herangehensweise an die Dharma-Praxis gegen Religion? Nicht, wenn man Paul Tillichs Vorstellung akzeptiert, worum es grundlegend in der Religion geht – ein „unbedingtes Anliegen“ zu verfolgen, wie die oben genannten existentialistischen Fragen.

Wie oben erwähnt, umfasst Stephens unbedingtes Anliegen die existentialistischen Fragen, die auftauchen, wenn er sich mit seiner eigenen Geburt und seinem eigenen Tod auseinandersetzt. Gemäß seiner Interpretation bietet der Buddha vier zentrale einzigartige Leitgedanken für dieses Vorhaben an: seine „vier Ps“:

 das Prinzip der Bedingtheit

 die Praxis der vierfachen Aufgabe

 die Perspektive des achtsamen Gewahrseins

 der Primat (Kraft, power im Original) der Eigenständigkeit (S. 48)

Gut, fangen wir an.

Säkularer Buddhismus: ein Arbeitsbuch zu Stephen Batchelors

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