Читать книгу Säkularer Buddhismus: ein Arbeitsbuch zu Stephen Batchelors "Jenseits des Buddhismus" - Winton Higgins - Страница 15
Unterrichtseinheit 3:
ОглавлениеMahānāma: der Konvertit
Kapitel 2 von Stephens Buch, „Mahānāma: der Konvertit“, führt einige zentrale Themen zusammen, die mit der vorrangingen Hinwendung zum Dharma in Zusammenhang stehen, und was Praxis und Gemeinschaft in dieser Tradition beinhalten. Diese Fragestellungen ergeben sich aus der Geschichte von Mahānāma, dem Cousin Buddhas und auserkorenen Oberhaupt der Sakiyer, ihrer gemeinsamen politischen Gemeinschaft.
Nach hergebrachter buddhistischer Sichtweise ist Mahānāma eine widersprüchliche Persönlichkeit, was durchaus erklären könnte, warum traditionelle Kommentarliteratur ihn ignoriert – trotz mehrerer bedeutsamer Hinweise auf ihn im Pali-Kanon. Er ist kein Entsagender. Vielmehr ist er beschäftigt mit den weltlichen Angelegenheiten seiner Gemeinschaft und den unkontrollierbaren fleischlichen Begierden, gleichzeitig geplagt von Existenz- und Todesangst. Und dennoch genießt er die Anerkennung des Buddhas als ein „in den Strom Eingetretener“ – einer Person, die den Dharma ganz und gar verkörpert.
Demgemäß hat er „klares Vertrauen“ (kein blindes Vertrauen, wie Sie feststellen werden) in Buddha, Dharma und Sangha und er „besitzt die Tugenden, die edlen Menschen teuer sind“, und all das verleiht ihm geistige Würde. Auf diese Weise erfüllt er die vier Kriterien des Buddha für den Stromeintritt (Sotāpatti).
Und nicht nur das. Die Verwirklichung dieser vier Attribute bedeutet, dass er „sich zu Nirvana neigt, gleitet und sich lehnt“, d.h. in Richtung eines Geisteszustands, der Reaktivität überwindet. Diese Eigenschaft beschert ihm eine weitere Anerkennung durch den Buddha: Er ist „ein Seher des Todlosen“, wobei der Tod selbst eine Metapher für ein Leben im Strudel unreflektierter und gewohnheitsmäßiger Reaktivität ist.
Nach traditioneller Sichtweise könnte ein „Weltkind“ wie er niemals den Eintritt in den Strom erreichen. Und doch, hier ist er, der von Buddha selbst bescheinigte Stromeintritt. Auf diese Weise wird er zu einer Person von besonderem Interesse, wenn wir uns mit einigen grundlegenden Fragestellungen beschäftigen, worum es bei der Dharma-Praxis wirklich geht.
Konkrete Menschenleben in konkreten Lebenslagen
Eine der Unzulänglichkeiten traditioneller Darstellungen von Buddhas Leben ist, dass sie dessen spezifischen Kontext zugunsten einer Mythologisierung ausblenden, etwa, indem er als Prinz von königlichem Geblüt in einer gefestigten Gesellschaft dargestellt wird. Aber im hier beschriebenen Kapitel erhalten wir einen Eindruck über die Turbulenzen, in die die Sakiyer (einschließlich des Buddha und seines Cousins) während der Agrarrevolution in der Gangesebene verwickelt waren.
Mahānāma würde sich die Gelassenheit des Mendikantenlebens als Mönch liebend gern zu eigen machen, aber er fühlt sich als Staatsbürger verpflichtet, seine Landsleute durch sehr unruhige Zeiten zu führen, wobei er durchaus Gefahr läuft, im Verlauf dessen ermordet zu werden. Er beklagt die leibliche Gefahr, in der ihn seine Situation gefangen hält, in Worten, die uns an Shakespeares berühmte Zeile in Heinrich IV., Teil 2 erinnern könnten: „Unbehaglich liegt das Haupt, das eine Krone trägt“. Auch dann, wenn die „Krone“ in diesem Fall eine republikanische ist. Für einen Menschen in seiner Lage, wäre das Leben eines Wandermendikanten mit einer Almosenschale und ohne weltliche Sorgen bei weitem angenehmer. Aber am Ende stirbt er in Erfüllung seiner Aufgaben als ein Held, der versucht, einen völkermordartigen Angriff der Streitkräfte von Kosala auf sein Volk abzuwenden.
Die moderne Wissenschaft hat einen weiteren interessanten Punkt zutage gefördert: Die Sakiyer waren animistische Sonnenanbeter. Sie standen nicht unter der Knechtschaft des Brahmanismus mit seinem Glaubenssystem und starren sozialen Spaltungen, auch nicht zwischen Frauen und Männern. Brahmanische Gemeinschaften und Wanderer waren ihnen bekannt und vorherrschend in den benachbarten Gebieten, aber das ist auch schon alles.
Der Buddha-Dharma grenzte sich von Zeit zu Zeit gegen den Brahmanismus ab, aber da er aus Sakiya kam, stellte das keine Rebellion gegen ihn dar. Diese Tatsache erklärt die Sonnen-Symbolik im Pali-Kanon: Wie die Sonne, so erleuchtet und belebt auch der Dharma ein Leben, das sich sonst in Dunkelheit und Erstarrung entfalten würde. Dies ist etwas, das zum Kern dessen führt, was Wandel und Stromeintritt bedeuten.
Konversion und Stromeintritt
Im traditionellen (insbesondere Theravāda) Buddhismus bezieht sich Stromeintritt auf eine fortgeschrittene meditative Erfahrung, die einem (fast ausnahmslos) klösterlichen Praktizierenden einen hierarchischen Status verleiht. Es ist ein Rang, den man erreicht: der niedrigste von vier Rängen in der „edlen Gemeinschaft“ (Ariyasangha), ein Rang, von dem man zum Einmal-Wiederkehrer, zum Nicht-Wiederkehrer und schließlich zum vollständig erwachten Arahant voranschreitet. Die Ariyasangha bezieht sich traditionell auf alle, die die erste ernsthafte meditative Erweckungserfahrung gemacht haben.
Diese Laufbahn ist ähnlich wie in der Armee, vom Brigadier zum Generalmajor, zum Generalleutnant, zum höchsten Rang - dem Feldmarschall. Basierend auf seinen Erfahrungen als Mönch schildert Jason Siff in seinem satirischen Roman, Seeking nibbana in Sri Lanka, die Obsession, mit der dort in klösterlichen Kreisen das Erreichen des Stromeintritts angestrebt wird.
Aber in der Lebenswelt des Buddha und der Art und Weise, wie er sie gebrauchte, hatten diese Begriffe völlig andere Bedeutungen. Die „Strom“-Metapher bezieht sich auf eine frei fließende, hindernisfreie Seinsweise in der Welt. Ein Strom fließt frei, weil er auf beiden Seiten von Ufern gestützt wird, die ihn leiten und zurückhalten. Die Ufer beziehen sich auf die Dharma-Praxis und insbesondere auf ihre ethischen Grundlagen. Wie „tritt man in den Strom ein“? Wie bei jedem natürlichen Fließgewässer tut man dies, indem man sich zwischen diesen Ufern verortet.
Dies bedeutet Wandel oder Konversion im bereits erwähnten Sinne: „klares Vertrauen“ in Buddha, Dharma und Sangha erlangen und ein stimmiges ethisches Leben führen. Es bedeutet, sich eine Sicht- und Lebensweise zu eigen zu machen, die man zuvor nicht kannte, „die über die begrenzten Interessen von Familie und Clan hinausging und ihn dazu inspirierte, nach einem universellen Wertekanon zu leben“, schreibt Stephen (S. 77). Eine bedeutungsgleiche Metapher für diesen Strom ist der achtfache Pfad.
Stromeintritt hat somit nichts mit einer besonderen Art meditativer Erfahrung zu tun; es bezieht sich einfach (aber bedeutungsvoll) auf einen existenziellen Wendepunkt, eine Neuorientierung, die den neuen Anhänger sofort in die edle Gemeinschaft aufnimmt, in die Ariyasangha, die aus all jenen besteht, die die gleiche Wende vollzogen haben. Laut Aussage des Buddha, gehört sogar der städtische Trunkenbold, Sarakāni, ihr an.
Konversion und Stromeintritt sind die entscheidenden Momente in der Dharma-Praxis. Sie bereiten uns auf flüchtige Einblicke ins Nirvana vor – d.h., einen Vorgeschmack darauf, was es bedeutet, ohne Reaktivität zu leben. Das Nirvana ist also auch keine Art Endziel oder Status. Vielmehr ist es eine Erfahrung (wenn auch nur eine flüchtige): ein Wegweiser, wie man sie manchmal sieht, wenn man in einem Nationalpark spazieren geht. Sie versichern Ihnen, dass sie auf Kurs sind.
Was nun ist ein Anhänger? fragt Mahānāma den Buddha. Die Antwort des Buddha kann, wie Stephen anmerkt, auch in unserer heutigen Zeit zur Beschreibung von Dharma-Anhängern herangezogen werden: Ein Anhänger ist jemand, der Zuflucht genommen hat zu Buddha, Dharma und Sangha; der Töten, Stehlen, sexuelles Fehlverhalten, Lügen und Rauschmittelkonsum unterlässt. Er „wohnt zu Hause mit einem Geist ohne Geiz, ist großzügig und freigiebig“ und sein „Verständnis in Bezug auf das Entstehen und Aufhören ist edel und durchdringend“ (S. 76). Letzteres impliziert einen deutlichen Bezug zur Bedingtheit (herkömmlich als „abhängiges Entstehen“ bezeichnet) und Unbeständigkeit.
Genauer einzuordnen, was „Anhänger“ bedeutet, führt uns möglicherweise zur Frage, was die Alternative, „Mendikant“, beinhaltet. Wandermendikanten waren zu Buddhas Zeiten in der Gangesebene üblich. Sie folgten Lehrern– oder waren selbst Lehrer – unterschiedlichster Couleur und hatten dem „Leben als Haushälter“ entsagt. Sie folgten vielen verschiedenen Regelwerken. Der Buddha entwickelte auf sehr pragmatische Weise nach und nach einen Kodex (den Vinaya) für seine eigenen Mendikanten-Anhänger. Er stellte die Regeln auf, um Probleme zu lösen, wenn diese auftraten.
Wie Stephen betont, ist dieses Szenario weit von den großen massiven klösterlichen Institutionen entfernt, die später nachfolgen sollten. Die Unterscheidung zwischen Anhängern und Mendikanten zu Zeiten des Buddha war somit lediglich eine zweckmäßige Unterscheidung; sie sollte nicht mit dem krassen religiösen Kontrast gleichgesetzt werden, der später mit der Zweiteilung in Laien und Mönchstum verbunden ist. Anhänger und Mendikanten traten in den gleichen Strom ein, kultivierten den gleichen achtfachen Pfad, beteiligten sich in der gleichen Gemeinschaft.
Und beachten Sie die erfreuliche Ausgewogenheit zwischen Gemeinschaft und Individualität, die in diesem Kapitel zum Ausdruck kommt. Der Buddha betonte, dass der Praktizierende „sich den Pfad zu eigenen machen“ und in der Lage sein muss, „unabhängig von anderen“ zu praktizieren. Und doch ist die Praxis in all ihren Aspekten eine gemeinschaftliche. Die Gemeinschaft ist die Grundlage, auf der die Einzelne ihre eigene authentische Individualität kultiviert.
Mahānāmas Anliegen
Stephen beginnt das Kapitel mit Mahānāmas Sorge, dass sein Geist bei einem plötzlichen Tod, z.B. bei einem Unfall oder Angriff, möglicherweise weit vom Dharma entfernt sein könnte, und er dann eine unglückliche Wiedergeburt erleiden würde. Gewisse Vorstellungen von Wiedergeburt, die durch den Geisteszustand zum Zeitpunkt des Todes bedingt werden, waren in Buddhas Zeit und Umgebung weit verbreitet und der traditionelle Buddhismus führt dies fort. Wir sehen die gleiche Befürchtung im traditionellen Katholizismus: Das Leben nach dem Tod kann ziemlich düster sein, wenn kein Priester an Ihr Sterbebett kommt und Ihnen die letzte Ölung erteilt, bevor Sie Ihren letzten Atemzug nehmen, ganz zu schweigen von dem Fall, dass Sie nicht einmal getauft sind.
Die Antwort, die Buddha seinem Cousin gibt, macht mit solch äußerlichen (um nicht zu sagen abergläubigem) Glaubensvorstellungen kurzen Prozess. Entscheidend ist, wie wir uns als menschliche Wesen im Laufe unseres Lebens entwickeln, was er mit dem Winkel, in dem ein Baum wächst, vergleicht. Wenn wir die Verantwortung für unsere zugrunde liegende Entwicklung übernehmen, brauchen wir nichts von den zufälligen Umständen, die unseren Tod begleiten, zu befürchten.
Aber Mahānāma zeigt hier eine weitergehende Schwäche: seine Angst und sein damit verbundenes Verlangen nach Gewissheit, welches das Potenzial in sich birgt, ihn zu einem Dogmatiker, einem Fanatiker werden zu lassen. Das macht es ihm schwer, in die Ungewissheit und Ratlosigkeit einzutauchen, die (wie wir in der letzten Unterrichtseinheit gesehen haben) der Sichtweise des Dharma über die menschliche Existenzweise innewohnt.
Darüber hinaus ist er hin- und hergerissen zwischen fleischlichen Begierden auf der einen Seite und anschließender Reue (Selbstbestrafung) auf der anderen. Beide sind Sackgassen, sagt ihm der Buddha. Er muss lernen, sich ungehindert dazwischen zu bewegen. Wir können hier einen Querverweis zur erste Lehrrede des Buddha ziehen, die mit der Beschreibung des Pfads als ein Vermeiden der Sackgassen von Süchtigsein nach Sinnesfreuden und Süchtigsein nach Selbstkasteiung beginnt.
Allgemeiner ausgedrückt, der Strom fließt ungehindert, wenn er auf keine Widerstände trifft – die Widerstände der Reaktivität, die den Fluss behindern und Turbulenzen erzeugen.
Persönliche Befreiung oder eine neue Gesellschaft?
Betrachten wir all die Punkte, die der Buddha gegenüber und in Bezug auf Mahānāma dargelegt hat, können wir spüren, dass es bei der Dharma-Praxis nicht so sehr um einen mühevollen persönlichen Pfad geht, der irgendwann ein paar Vollzeit-Religiöse zur persönlichen Heiligkeit und Befreiung führt, sondern vielmehr um eine Seinsweise in der Welt, die die Menschen im täglichen Leben teilen und kultivieren können.
Diese Sichtweise ist etwas völlig Neues („zuvor nicht bekannt“, wie der Buddha es ausdrückte). Sie bietet ihren Anhängern einen kohärenten, ethischen, kontemplativen und philosophischen Ansatz, um ihr Leben zu leben, und um miteinander in Beziehung zu treten. Dieser Ansatz befreit sie aus der Sackgasse einer sich wiederholenden, unreflektierten, beschränkten Existenzweise und bringt sie mit universellen Werten in Berührung. Auf diese Weise können sie ihre Menschlichkeit vollständig verwirklichen.
In Stephens Worten: „Der Dharma Gotamas öffnete eher eine Tür zu der Entwicklung einer Zivilisation und Kultur statt zur Gründung einer „Religion“.“ (S. 78)