Читать книгу Der Drachenzahn - Wolf Awert - Страница 9
Tamalone
ОглавлениеEine raue Hand riss Tama den Mantel vom Kopf. Sie blinzelte in ein Herdfeuer. Daneben saß ein Mann, breiter als hoch und mit einem rasierten Schädel. Auf seiner Glatze spiegelten sich die Flammen des Feuers. Alle anderen Gestalten erschienen neben ihm wie schwarze Schatten ohne Substanz.
„Ah, das Mädchen mit dem Drachenzahn.“
Tama zuckte zusammen. Gerade noch hilflos herumgestoßen, ohne Orientierung und ohne etwas zu sehen, versuchte sie jetzt panisch, Sinn und Ordnung in die Schatten zu bringen. Doch die Wirklichkeit lief ihr davon und ließ nichts zurück als lähmende Angst. Sie schloss die Augen und sperrte den Schrecken aus. Dann atmete sie tief ein. Mit dem Atemwind die Angst wegzublasen half. Die Panik schrumpfte. Jetzt war sie bereit zu handeln. Die Übermacht ihrer Entführer brauchte sie nicht zu schrecken. Sie hatte nur einen einzigen ernstzunehmenden Gegner. Ohne ihre sonst übliche Vorsicht rammte sie sich einen Weg in das Gehirn des Glatzkopfs. Sollte er ruhig merken, dass er angegriffen wurde. Vielleicht würde ihn der Respekt vor ihren Fähigkeiten zum Nachdenken bringen. „Das Mädchen mit der Elfenmagie“, antwortete sie.
Was war das denn? Das konnte nicht sein. Der Glatzkopf blieb ungerührt wie ein von einer Felswand abgesprengter Felsbrocken, der auf den großen Regen wartete, damit er seine Reise fortsetzen konnte. Tama musste selbst über das Bild in ihrem Kopf lachen. Es löste sich langsam auf, während sie noch darüber nachdachte. Aber der Eindruck von Felsen und Härte blieb. Ein Steinschädel.
„Woher hast du den Zahn?“
„Das willst du nicht wissen“, antwortete Tama mit leiser, aber fester Stimme. „Es würde dich umbringen“ - … umbringen, - … umbringen. Das Echo unter der hohen Decke des Lagerraums waberte durch die Stille und ließ Schlangenauges Männer unruhig werden. Das war nicht gut, denn seine Männer durften sich nicht einmischen. Nicht mit der Kraft ihrer Arme, aber auch nicht mit Worten oder Rufen, denn Worte sind Gedanken und zu viele Gedanken auf einmal lassen sich nicht bändigen. Der Steinschädel war bereits hart genug. Tama hatte jedes Wort, das sie sprach, mit einem Gedanken begleitet, ihn gegen den Fels gehämmert und dafür gesorgt, dass er sich hinter der glänzenden Stirn ausbreitete.
„Du wolltest eine Scheibe dieses Zahns verkaufen. Ich gehe davon aus, dass es dir gelungen ist. Aber …“
Tama suchte nach dem Ort, wo Glatzkopfs Gedanken entstanden. Es waren gleich mehrere, eng benachbart und mit einigen Stellen verbunden, die den Gedanken Farbe schenkten. So wie das dunkle Violett der Drohung.
„…wo ist der Rest?“
Tama entfernte das Violett, ersetzte es durch ein kindliches Rosa der Neugier. Die Männer begannen zu tuscheln. Sie waren es gewohnt, dass Schlangenauge einen Wunsch nur auszusprechen brauchte, damit er erfüllt wurde. Jetzt aber hörten sie, wie die Stimme ihres Anführers sich veränderte.
„Gib ihn mir.“
Tama zog sich in das Dunkel zurück, suchte nach dem Licht der Vernunft um Schlangenauges Gestalt. Es war leicht zu finden, aber es leuchtete nicht heller als bei seinen Männern. Nur eine besondere Kraft in den Augen, die an ihrer Willensstärke saugte und darauf lauerte, losgelassen zu werden. Doch das Bild des Felsen kam von einem anderen Ort.
„Vielleicht.“
Da war eine Verbindung zum linken Arm. Nein, zur linken Hand. Finger. Kleiner Finger. Ring. Schlangenauge Steinschädel trug ein Artefakt.
„Gib mir den Ring und ich sage dir, wo der Drachenzahn ist.“
„Nein!“
Kriegsglocken läuteten in Tamas Gehirn, so laut schlug dieses eine Wort gegen sie an.
„Gib mir den Zahn. Jetzt.“
Was hatte dieser Mann für eine Kraft. War das nur sein Ring oder verfügte er über eine eigene Magie? Wenn nicht, dann musste der Ring ein Vermögen wert sein. Mutter, hilf mir. Tama beschwor ein Bild von Mutter, hoffte auf einen Magiestoß, eine von ihr noch unentdeckte Kraft oder einen Schild, der sie schützte. Mutters Bild stand leibhaftig vor ihren Augen. Schlank und doch kräftig. Ein Mensch, keine Elfe. Gut roch sie, weich waren ihr Arme, als sie diese schützend um ihre Tochter legte, und Tama spürte all ihre Liebe und Güte. Ihre Stärke und sogar ihr Wissen. Aber keine Magie.
„Wird’s bald?“
Tama warf Schlangenauge Steinschädel entgegen, was sie hatte. Ihren Willen und die von Mutter geliehene Liebe. „Gib mir deine Hand, mein Sohn“, flüsterte sie dem Mann zu, der gut ihr Vater hätte sein können. „Gib mir die Linke, die Hand des Herzen. Nicht die Rechte, die die Waffe schwingt.“
Durch den Körper des bulligen Glatzkopfs ging ein Zittern und seine Augen wurden rund, als würde er staunen.
„Vergiss den Ring, ich bin es, die dir wichtig ist.“ Mehr Liebe, mehr Güte, mehr Duft. Blumen und Milch, weiche Kinderhände, runde Augen.
„Nein.“ Aber es war schon zu spät. Mutters Hände hatten die Herzhand ergriffen, umfasst, streichelten sie jetzt und die Verbindung von Ring und Schädel verblasste - erlosch.
Tama verließ sich jetzt ganz auf die Kraft ihrer Gedanken. Mochte Schlangenauge ihre Worte nicht verstehen, sein Verstand fügte sich ihrem Willen. „Kein Drachenzahn“, befahl Tama in Gedankensprache, drückte ihren Willen gegen die Felswand, der Stein wurde weich, ließ sich jetzt zusammendrücken wie feuchte Erde. „Kein Drachenzahn. Nein!“
Das letzte „Nein“, nur ein Wort, kam so laut und deutlich aus Tamas Mund, dass Schlangenauges Männer zusammenzuckten. Wie ein Turm auf einer Bergspitze stand es da. Hoch, breit, massiv und unangreifbar ließ es jedes weitere Begehren von sich abprallen. Ein Widerstand wie Schlangenauge ihn nicht mehr gewohnt war, seit er dem früheren Anführer dieser Bande mit einem einzigen Faustschlag die Schädeldecke zertrümmert hatte. Jetzt, wo die Illusion mütterlicher Güte zerfallen war, ballte sich Wut in seinem Körper zusammen, dehnte sich aus und blieb doch im eigenen Fleisch stecken.
„Du willst. Ich will nicht. Nur was ich will, zählt“, sagte Tama in der Sprache des stillen Mundes und ließ die Worte ihrem Willen folgen, der sich tiefer und tiefer bohrte.
„Du wirst …“ Was immer der Glatzkopf sagen wollte, seine Worte verkümmerten in seinem Mundraum, ohne dass er es bemerkte. Er hatte verstanden, worum es ging. „Du willst gegen mich kämpfen?“
Die schwarzen Schatten bewegten sich nicht. Schlangenauges Männer hörten, was ihr Anführer sagte, suchten nach einem Sinn und erkannten, endlich, dass es zu einem Duell gekommen war, bei dem einer sprach und eine schwieg. Eine schlanke Frau gegen ihren bulligen, stärksten Mann, der mit geballten Fäusten und hervorspringenden Muskeln zwischen ihnen saß. Die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen, die Haut jetzt schweißnass.
„Gib!“, sagte Schlangenauge. Die Lippen bewegten sich nur wenig. Sie waren so sehr gespannt, dass sie kaum noch zu sehen waren. „Gehorche, mach, was ich sage! Ich befehle!“ Sein Blick war starr geworden. Er verließ sich jetzt allein auf seine Augen, die ihm seinen Namen gaben. Aber er war bei aller Stärke nur ein Mensch bar jeglicher Zauberkraft mit einer besonderen Gabe, die sein Ring aufnahm. Und es war schon lange zu spät. Tama stand nicht mehr nur vor ihm. Sie war bereits in seinem Kopf. Jetzt verdrehte sie seine Sätze, wiederholte, was er gerade noch gedacht hatte, aber gab seinen Gedanken eine andere Richtung.
„Mach, ich gehorche“, flüsterte Schlangenauge. „Befehle, ich gehorche. „Sage was, befehle.“
Ein Raunen ging durch die Reihen seiner Männer, als Tama antwortete: „Befiehl mir zu gehen.“
„Geh“, sagte Schlangenauge.
„Befiehl, dass niemand mir folgt.“
„Geh allein.“ Schlangenauge wusste, dass er das Duell verloren hatte. Noch nicht einmal über seine Stimme konnte er mehr gebieten, aber seinen Verstand hatte er noch nicht verloren. Darin gab es Nischen und Taschen, in denen er Wissen gespeichert hatte. Das reichte gleich für ein Dutzend Zauberer und war viel zu viel, als dass ein anderer allein darüber bestimmen konnte.
Tama wusste, dass sie gewonnen hatte. Sie nahm etwas Druck zurück, wurde liebenswürdig und fröhlich, blieb aber wachsam. „Wie komme ich zurück? Das könnt Ihr mir bestimmt noch verraten“, sagte sie.
„Geradeaus, links, rechts, links, links.“ Schlangenauge wurde schwindelig, er benötigte seine letzte Kraft, um das, was Tama ihm an Gedankenfreiheit gegeben hatte, zu nutzen. Noch einmal. Jedes Wort zählte. Die Kraft reichte für ein letztes Flüstern: „Geh geradeaus, dann links, rechts. Links und links. Immer weiter. Geh.“ Sein Kampfgefährte, der neben ihm saß, bewahrte ihn davor umzukippen.
Tama ließ Schlangenauge in Ruhe, hob den Kopf, drehte ihn, als würde sie jeden Mann einzeln anschauen und stieß dann einen Schrei aus. Es war ein Schrei der Wut, ein Brüllen der Löwin, begann tief in ihrer Brust und wurde immer lauter, bis sich die Männer die Ohren zuhielten. Es war ein Schrei ihrer Stimme, nicht ihrer Gedanken, aber ein wenig hinterlegte sie ihn doch mit Magie. „Ich danke Euch, dass Ihr mir Euren Stützpunkt gezeigt habt. Ich werde ihn von nun an immer wiederfinden. Selbst dann, wenn ihr euch einen neuen Unterschlupf auswählt. Und ich war gnädig mit Euch. Bewahrt diese Erinnerung gut auf und es geschieht Euch nichts.“ Sie drehte sich um und verließ das Lager, querte einen freien Platz und wandte sich nach links. Die stärksten der Männer schauten ihr nach. Die jüngeren lagen immer noch auf der Erde und hielten sich die Ohren.