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Immergrün

Der Führer des Hauses Barion hatte für den frühen Abend eingeladen. Warum es ging, wusste Immergrün nicht. Es war ihm auch gleichgültig, er würde es früh genug erfahren. Ungelegen kam es ihm nur deshalb, weil Barionstab vor dem Treffen immer seinen Beraterstab zu sich rief. Einzeln, damit sie einander nicht begegneten und sich absprechen konnten. Genau dafür hatte er aber heute keine Zeit und schaute deshalb zu, dass er unsichtbar blieb. Er wusste, in der Nähe der Gleise würden Barionstabs Diener nicht nach ihm suchen. Zu staubig, zu laut und viel zu weit entfernt von allen Dingen, die derzeit wichtig waren. Wichtig für Barionsstab, aber nicht für ihn. Etwas abseits, am Rand der Stadt und in der Nähe der Schienen stand eine Hütte, die ein Alltagsblick höchstens streifte. Was sollte auch an einer Hütte interessant sein, die zwar aus Steinen erbaut war, aber außer vier Wänden, einem flachen Dach und einer Öffnung, durch man sie betreten konnte, nicht aufzuweisen hatte. Noch nicht einmal ein Fenster. Damit Licht in die Hütte fiel, musste die Tür offenstehen. Doch bis jetzt gab es noch nicht einmal einen Türrahmen.

Immergrün schaute über die Schulter zurück, bog schnell um eine Hausecke, blieb plötzlich stehen und lehnte sich an die Wand. Er stand da, als wäre er in Gedanken, doch in Wirklichkeit lauschte er jedem Geräusch nach, das nicht in diese Umgebung hinein passte. Es war alles, wie er es sich wünschte. Niemand war ihm gefolgt, und die halbfertige Hütte vor ihm stand leer. Mit einigen raumgreifenden Schritten betrat er sie, machte einen schnellen Schritt zur Seite, damit ihn von außen niemand sehen konnte und überprüfte dann die Wände. Stein für Stein. Er konnte nichts entdecken. Mit einer so leisen Stimme, dass er nichts aufweckte, das schlief, fragte er in die Stille hinein: „Seid Ihr hier, Herr? Bitte, antwortet mir, wenn Ihr mich hören könnt.“

„Schön, dass du gekommen bist“, hörte er die Steine um sich antworten.

Immergrün drehte hilflos den Kopf. Außer ihm war niemand im Raum. „Es würde mir helfen, Herr, wenn Ihr Euch mir zeigen würdet. Dann könnte ich Euch und Eure Absichten besser verstehen.“

„Du musst nicht verstehen, nur tun, was ich sage. Aber ich verstehe die Neugier der Elfen und werde deshalb deinem Wunsch entsprechen.“

Auf der Wand gegenüber der Türöffnung bildete sich der Umriss einer Gestalt, der sich langsam mit einem silbrig blassen Licht füllte.

Ein Bild auf der Wand?

Das Bild trat aus der Wand heraus und wurde zum Körper.

„Was für eine Magie ist das, Herr? Eine einfache Illusion? Ein Lichtspiel mit übrig gebliebenen Strahlen des Mondes der letzten Nacht? Oder ein magisches Spiel, das ich nicht kenne?“

„Es ist ein Teil meines Selbst. Die Menschen nennen es Geisterscheinung. Sie wissen es nicht besser.“

„Geist? Das Wort kenne ich nicht. Was bedeutet es?“

„Was es bedeutet? Das, was du vor dir siehst. So nennen die Menschen ihre Toten, die nicht den vorgeschriebenen Weg gehen, die Welt nicht ganz verlassen können, aber ab und an zurückkommen und sich den Lebenden zeigen. Die Elfen kennen ähnliche Erscheinungen. Waldgeister nannten sie sie. Heute wissen die Waldelfen noch nicht einmal mehr, ob es solche Wesen jemals gab. Du siehst, Wissen kann auch verloren gehen.“

„Das macht mich nicht viel klüger. Ihr seid also ein Mensch, der schon lange gestorben ist.“

„Nein, das ist Unsinn. Du hast mich nach dem Wort gefragt. Ich selbst bin noch sehr lebendig. Immerhin weißt du nun, dass ich kein Drache bin und auch kein Gestaltwandler, denn Drachen und Tiere kennen keine Geister. Ich bin also eine Elfe oder ein Mensch. Mehr kann ich dir dazu nicht sagen.“

Immergrün war unzufrieden. Er war es gewohnt, dass man seine Fragen beantwortete. Jetzt war er nicht schlauer als zuvor. Und dass der Geist nicht wusste, wer er selber war, konnte er jemandem erzählen, der zu dumm war, um ein Vogelei zu zerbrechen. Es gab Menschen, es gab Elfen und es gab Komposits, diese verachtenswerten Wesen unreines Blutes, denen das eigene Volk nicht gut genug war. Und jeder von ihnen wusste, wer er war. So einfach war das. Aber zu welcher Gruppe gehörte ein Geist? Immergrün kannte keinen Zauber, der so ein Bild erzeugte.

„Genug gestaunt und gewundert, Waldelfe. Wäre ich nicht allen anderen überlegen, könnte ich nicht ausführen, was ich mir vorgenommen habe. Und das allein zählt. Barionstab wird dich zu einer Sitzung bestellen, wenn er es nicht bereits getan hat. Du wolltest doch schon immer wissen, warum ich dir befohlen habe, dich in Barionstabs Dienste zu begeben. Bist du immer noch neugierig?“

„Es sind Eure Pläne. Es steht mir nicht zu, danach zu fragen.

„Ah, du hast dazugelernt. Aber ab heute sind es auch deine Pläne, denn Barionstab wird vorschlagen, den Krieg gegen die Waldelfen zu beginnen. Ich gehe davon aus, dass die Komposits ihn gewinnen werden. Nach dem Sieg der Komposits über die Waldelfen werde ich die alten Königreiche der Menschen zurückrufen. Mit all ihrer Pracht, Macht und Herrlichkeit. Genau, wie sie einmal bestanden haben. Oh ja, das Volk der Menschen wurde von den Waldelfen und Drachen immer als ein minderwertiges Volk angesehen. Dabei konnten es ihre Magier selbst mit den Drachen aufnehmen. Nur ihre eigene Unvernunft brachte sie zu Fall, zerstörte alles, was sie bis dahin aufgebaut hatten. Aber lassen wir die alten Geschichten ruhen.

Dieser Teil meines Planes wird sich leicht umsetzen lassen, weil sich die Menschen nach ihrer alten Größe sehnen. Da gilt es nur, den rechten Mann zu finden, der über sie herrschen wird. Ist nicht deine Angelegenheit. Für dich ist etwas anderes vorgesehen.

Für das Königreich der Komposits habe ich Barionstab als Herrscher vorgesehen, auch wenn er eine Elfe ist. Es hat sich das verdient, denn schließlich führt er diesen Krieg, der uns alle reich und mächtig machen wird. Allerdings bin ich mir noch nicht völlig sicher, ob er in der Lage ist, sich gegen die anderen Familien durchzusetzen. Für alle Fälle wirst du deshalb, wenn ich dich hier nicht mehr brauche, nach Centrell zurückkehren und herausfinden, was in dem Haus der vier Winde und dem kleinen Haus Blau vorgeht. Vor allem das Haus Blau. Es hat alle Höhen und Tiefen überstanden. Dafür gibt es einen Grund. Finde ihn heraus.

Am schwierigsten wird es werden, dich als die Erste Elfe in ein Herrscheramt zu setzen. Ob du dem Beispiel der anderen Völker folgen wirst und ein Königreich daraus machst oder etwas anderes, überlasse ich dir. Elfen kennen keine glorreiche Vergangenheit, an der sie sich ausrichten können. Sie bevorzugen das Jetzt. Solltest du das allerdings vorhaben, müssen wir den Elfenrat zerstören und die Institution des Ersten Beraters abschaffen. Erst dann kann ich dich krönen.“

„Sumpfwasser ist ein starker Gegner, an ihm vorbeizukommen, wird nicht einfach sein.“

Der Geist lachte leise. „Sumpfwasser ist nicht mehr als eine alte Elfe, deren letzten Tage längst gekommen sind. Mach dir über ihn keine Gedanken. Es wird ihn nicht mehr geben, wenn du an der Reihe bist zu herrschen.

Der Weg in die Vergangenheit

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