Читать книгу Der Weg in die Vergangenheit - Wolf Awert - Страница 7
ОглавлениеBarionstab
Immergrün traf etwas zu spät bei Barionstab ein. Er klopfte an, trat ein, ohne das kurze Zögern des Anstandes einzuhalten, lächelte in die Runde und sagte: „Hier bin ich.“ Das Arbeitszimmer ließ sich von der Größe her durchaus als Zimmer eines Herrschers ansehen, hätten nicht alle Kleinigkeiten gefehlt, mit den man gemeinhin Pracht und Macht in Verbindung brachte. So ähnelte es eher einem Feldherrenzelt aus Stein und Holz als einem Teil eines zukünftigen Palastes.
Barionstab saß in einem gewaltigen Armsessel, hatte einen Arm über die Lehne gelegt, schaute über die Schulter aus dem Fenster und hob lediglich die freie Hand zu einem nachlässigen Gruß. Immergrün blieb in der Tür stehen und schätzte die Situation ab. Steindorn warf er einen schnellen Blick zu. So sieht ein Verlierer aus, dachte er und lächelte dabei. Und König Nachtnebel? Ein Pappkönig aus jenem getrockneten Papierbrei, in dem man leicht zerbrechliche Waren versendet. Du bist ebenfalls ein Verlierer. Und du, Barionstab? Bei dir kommt es noch darauf an, mein Lieber. Wir werden sehen.
Immergrün gönnte Barionstab das Herrschertum über die Komposits. Sie spielten in der Zukunft der drei Könige, die diese Welt einmal beherrschen würden, die kleinste Rolle und würden zwischen den Menschen und Elfen aufgerieben werden. Dafür würde er schon sorgen. Und wenn das mit den Elfen nicht so schnell ging, wie er sich das vorstellte, warum sollte er dann nicht die Komposits übernehmen. Floss durch ihre Adern nicht auch vorwiegend Waldelfenblut? Dass ihr Blut durch eine zu große Nähe zu den Menschen befleckt war, würde er ihnen verzeihen können.
Er sah dafür einen ausreichend großen Spielraum. Der Geist würde wohl kaum seinen Fuß aus dem Nacken der Menschen nehmen, da war er sich sicher, aber für die Elfen oder Komposits brauchte er Statthalter. Und Barionstab diente ihm als Kriegsherr. Gut so. Sollte der doch die Arbeit tun. Aber leider gab es außer dem Haus Barion noch andere Häuser in Centrell.
Barionstab wedelte mit der Hand. „Tretet mal alle ans Fenster und sagt mir, was ihr da seht.“
Steindorn und Nachtnebel folgten dieser Anordnung, Immergrün setzte sich langsam in Bewegung und blieb mitten im Raum stehen, ihm reichte der freie Raum zwischen den Köpfen, um genug zu sehen. Steindorn schwieg und auch Immergrün sagte nichts. Sie hatten in ihrer langen Laufbahn selbst oft genug solche scheinbar dummen Fragen gestellt, um zu wissen, wann man sprach und wann es besser war zu schweigen. Nachtnebel wusste das nicht, und so war er es auch, der antwortete:
„Einen Hügel, den man bei dieser Größe durchaus als den ersten Berg zu den Drachenbergen hinauf bezeichnen könnte. Und er ist vom Hangfuß bis zum Gipfel mit einem Wald bedeckt, durch den sich nicht hindurchsehen lässt.“
„Ausgezeichnet, Nachtnebel.“
Dafür hätten wir nicht alle aus dem Fenster blicken müssen, dachte Immergrün, setzte sich auf seinen angestammten Stuhl und wartete darauf, dass die beiden anderen es ihm gleichtaten. Das würde wieder ein langer und quälender Abend wären.
„Schön, dass auch Ihr noch kommen konntet. Immergrün, Euch habe ich heute Nachmittag vermisst. Wo hattet Ihr Euch versteckt?“
Das war keine Frage, die jemanden wie Immergrün in Verlegenheit bringen konnte. „Ich war hier – und vielleicht da und dort. Aber nie weit weg. Keine Ahnung, warum ich Eurer Aufmerksamkeit entging. Es war keine böse Absicht.“ Immergrün verzog seinen Mund zu einem spöttischen Lächeln. Ich bin ein Sieger, drückte dieses Lächeln aus, und keines Mannes Diener.
„Ihr wisst alle, dass ich Euch nicht anbinden will, aber Ihr würdet mir die Sache erleichtern, wenn Ihr mir Eure künftigen Hiers und Dorts rechtzeitig mitteilen würdet“, sagte Barionstab in einer Mischung aus sanfter Rüge und Gönnerhaftigkeit. „Um diesen Berg da draußen geht es. Doch bevor ich die neuen Aufgaben verteile und Euch von unserem nächsten Schritt unterrichte, möchte ich Euch die Gelegenheit geben, selbst noch Dinge anzuregen, die getan werden müssen.“
Nachtnebel schaute um sich, ob außer ihm noch jemand etwas zu sagen hatte. „Die Artefakte, Barionstab. Bisher stellen wir sie in Centrell her, und unsere Geschäfte laufen gut. Doch wenn Neustadt sich weiterhin so schnell entwickelt, sollten wir über einen Ausläufer nachdenken.“
„Einen Ausläufer? Unterirdisch durch die Erde und dann an anderer Stelle durchbrechen? Ihr verwendet seltsame Bilder, Nachtnebel, die …“
„Die jede Waldelfe versteht. Aber ja, das meine ich. Eine große Werkstatt für den Massenbedarf unserer Arbeiter, Soldaten und Kampfmagier. Und eine kleine Stelle darin, an der etwas Forschung und Entwicklung betrieben wird.“ Nachtnebel senkte die Stimme. Für einzelne, ganz besondere Artefakte. Artefakte, die selbstverständlich nur für uns und Leute unseres Vertrauens vorgesehen sind.“
Aufgeblasener Wichtigtuer, dachte Immergrün, aber immerhin, die Idee mit den Artefakten bietet Möglichkeiten. „Ich möchte diesen Vorschlag unterstützen“, sagte er deshalb schnell, wenn auch ohne viel Überzeugung.
„Dann werden wir das angehen. Nachtnebel, kümmert Euch darum. Sonst noch etwas?“
Barionstab genoss das Schweigen. Er wusste, sie warteten auf den Berg. Er würde ihnen den Gefallen tun. Jetzt kam seine Stunde. Er räusperte sich.
„Diesen Berg könnte man einen Erzberg nennen. Würde ich nur ein klein wenig übertreiben, könnte ich sagen, dass er mehr Erz enthält als taubes Gestein. Wir werden den Berg von oben nach unten abtragen. Keine Schächte, keine Stollen. Einfach nur abtragen, bis nichts mehr davon übrig bleibt. Doch bevor wir das tun können, muss der Wald weg.“
Barionstab machte eine kurze Pause, bis sich die Überraschung über die Gesichter der Anwesenden ausgebreitet hatte und wieder erlosch. Dann erst fuhr er fort: „Wir schlagen alle Bäume und lassen nichts stehen.“
Steindorn hustete. „Ich gebe zu bedenken“, sagte er, „dass der Hang stellenweise recht steil ist. Ohne den Schutz der Bäume wird er sich nach einem starken Regen in Bewegung setzen können.“
„Auf so etwas hoffe ich. Das erspart uns jede Menge Arbeit.“
„Und dass der Schlamm Neustadt unter sich begräbt, fürchtet Ihr nicht?“
„Nein, der wird sich eine andere Richtung suchen. Ich habe mir das Gelände gut angesehen.“
„Die Elfen werden das nicht erlauben.“
„Nein, das werden sie sicher nicht. Sie werden sich beschweren. Dann wird eine Handvoll von ihnen zu uns kommen und uns drohen. Und dann werden sie uns angreifen. Aber was können sie schon tun? Wenn sie zwanzig Krieger zusammenziehen können, sind das viel. Wir haben mehr als dreimal so viele Magier hier versammelt und zusätzliche Krieger und Kämpfer des Menschenvolkes. Was sie aber völlig hilflos macht, sind ihre Grundsätze. Den Waldelfen ist das Leben heilig. Wie wollen sie denn so einen Krieg führen?“
Barionstab lachte lauthals los. Endlich hatte das Warten ein Ende. Die Waldelfen ziehen in den Krieg und dürfen nur Gefangene machen. Dieser Unfug war durch nichts zu überbieten.
„Aber seid Ihr als Distar nicht selbst eine Waldelfe? Es könnte Eurem guten Ruf schaden“, wandte Steindorn ein.
„Unsere Magier kümmern sich um die Magie. Blankes Metall, Pfeil und Kugel sind eine Angelegenheit der Menschen. Die sind nicht so ehrpusselig und räumen ab, was wegmuss.“
„Aber Ihr seid als Oberbefehlshaber für jede tote Waldelfe persönlich verantwortlich.“
„Bah, als Oberbefehlshaber bin ich von allen Kampfhandlungen viel zu weit entfernt, als dass man mir eine Mitschuld anlasten könnte.“
„Und Euer Gewissen?“
„Mein was?“ Barionstab lachte dröhnend. „Steindorn, Ihr macht mir heute wirklich Spaß.“
„Ich habe eine ganz andere Frage.“ Immergrün furchte die Stirn. „Das ganze Unternehmen wird enorm viel Geld kosten. Ihr müsst die Arbeiter und die Krieger bezahlen. Und sie ausrüsten. Das alles zu einem Zeitpunkt, an dem jeder Gewinn noch in weiter Ferne liegt. So schwach der Gegner auch sein mag, in drei Tagen habt Ihr ihn nicht beseitigt. Das wird sich ziehen wie gekautes Baumharz. Wie wollt Ihr das leisten?“
„Kriege sind immer teuer. Früher, bei den Menschen, als noch König gegen König kämpfte und oft der gewann, der das größte Heer aufbieten konnte, haben die Könige sich verschuldet. Heute gibt es zwar nur noch einen König und der heißt Nachtnebel und sitzt hier unter uns …“ Barionstab lachte wieder auf, er hatte eine dauerhaft gute Laune – „aber die Abläufe haben sich nicht verändert. Ich verfüge über ein eigenes Vermögen, meine Verwandten verfügen über ein eigenes Vermögen und ich werde Schulden machen. Am Ende wartet eine unvorstellbar reiche Beute auf mich. Wenn alles so einfach wäre wie die Finanzierung …“
Immergrün hatte genug gehört. Hinter Barionstab stand offenbar viel Geld. Dadurch war er als Heerführer unangreifbar geworden. Doch das focht ihn nicht an. Erst kamen die Elfen an die Reihe. Der Rest würde sich finden. Und er würde dafür sorgen, dass dieser Rest gut vorbereitet würde. Immergrün war sehr zufrieden mit sich selbst und seinen Aussichten. Immerhin glaubte er den Geldgeber zu kennen. Der Geist, dessen Günstling er war. Dieser Gedanke war ihm sehr sympathisch. Geld war ein recht weltliches Konzept, für das Wesen aus Fleisch und Blut gebraucht wurden.
Barionstab blickte Immergrün an, wartete, bis er sich sicher war, dessen volle Aufmerksamkeit zu haben, und sagte dann:
„Unser Angriff beginnt morgen in aller Frühe. Wir schlagen eine Schneise durch den Wald den Hang hinauf bis zum Gipfel des Berges und beginnen dort umgehend mit dem Bau einer Mine und der dazugehörigen Erzaufbereitung. Wir werden den Berg von oben nach unten abtragen. Keine Schächte. Nur Erde und Gesteinsschutt, den wir einfach in Richtung Drachenberge den Hang hinunterwerfen. Auch dort wachsen Bäume. Die Elfen werden sich freuen.“
„Ein grandioser Plan“, sagte König Nachtnebel.
Immergrün verzog verächtlich sein Gesicht, als er den Viertelelfen Schleim verspritzen hörte. „Wenn es schnell gehen soll, müssen wir den Abtransport der Stämme organisieren und brauchen Leute, die sich um das Buschwerk kümmern. Die Schneise wird unsere Straße zu Mine, wenn ich das richtig verstanden habe.“
Barionstab nickte anerkennend. „Jetzt wisst Ihr, warum ich Euch bei mir haben wollte. Ihr seid ein guter Organisator. Ihr werdet Euch darum kümmern. Und auch um den Abtransport des Holzes. Wir können nicht alles vor Ort verbauen.“
„Die Elfen werden verrückt spielen.“ Steindorn schien nicht begeistert zu sein.
„Sollen sie doch. Ich glaube nicht, dass sich mehr als zwei oder drei Elfen in dieser Gegend aufhalten. Es wird also kaum Gegenwehr geben. Unsere Arbeiter sind schnell, die Soldaten werden sie schützen, und unsere Kampfmagier werden die Soldaten schützen. Wir werden die Schneise schnell nach oben treiben und unten ständig verbreitern. Im Wald sind die Elfen gefährlich, aber nicht in der offenen Fläche. Und Eure Männer, mein lieber Steindorn, werden sich immer vorn aufhalten. Dort, wo die Bäume geschlagen werden.“
„Gut überlegt“, sagte Steindorn, „aber es ist Euch bewusst, dass meine Leute für Spezialaufgaben wie ‚rasch handeln und noch rascher verschwinden‘ ausgebildet wurden.“
„Das ist mir bewusst, und ich will das nicht weiter diskutieren. Wer bezahlt Eure Leute, Steindorn?“
„Alle klar“, antwortete dieser.
„Und Ihr, Nachtnebel, Ihr sorgt dafür, dass die Produktion von Artefakten in Gang kommt. Wir haben unsere Kampfmagier damit auszurüsten.“
Barionstab stand auf. „Geht schlafen, ruht Euch aus, amüsiert euch. Aber denkt daran, dass wir morgen alle früh rausmüssen.“