Читать книгу Tödlicher Gin: Berlin 1968 Kriminalroman Band 31 - Wolf G. Rahn - Страница 10
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Reinhold Lange war ein Mann, der buchstäblich das Gras wachsen hörte. Das musste er auch, denn davon lebte er schließlich. Seine Honorare, wie er seine Einkünfte nannte, trafen zwar nur unregelmäßig ein, doch dafür waren die Summen umso höher.
Allerdings hatte er auch eine Menge Ausgaben. Sein Informationsnetz war kostspielig. Auch die Strohmänner, die er vorschickte, wenn es ihm zu heiß wurde, arbeiteten nicht für eine Molle und eine belegte Schrippe. Die langten ganz schön zu, und um sie bei Laune zu halten, war er gezwungen, ihre Forderungen in angemessenem Umfang zu erfüllen.
Dass er dafür saubere Arbeit erwartete, verstand sich von selbst. Wenn jemand pfuschte, konnte er stocksauer werden. Und manchmal auch handgreiflich.
Momentan war er stocksauer. Hunderttausend Scheine waren ihm durch die Lappen gegangen, und das hatte er nur einem Mann zu verdanken: Bernd Schuster.
Reinhold Lange war ein Mann von stattlicher Figur. Er absolvierte täglich zwei Stunden lang ein spezielles Krafttraining. Er hätte sich ohne Weiteres zugetraut, diesem Schnüffler zu zeigen, wer von ihnen beiden der Stärkere war, aber er verzichtete aus gutem Grund auf diesen Vergleich. Er dachte nicht daran, Schuster irgendeine Handhabe gegen ihn zu liefern.
Lange suchte nach einem Weg, die Partie endgültig für sich zu entscheiden, ohne sich eine Blöße zu geben. Er musste den Detektiv aus dem Weg haben. Sonst konnte er sich früher oder später nach einem anderen, weniger einträglichen Job umsehen.
Er überlegte, doch es fiel ihm im Moment nichts ein. Er wurde noch saurer und ließ seine schlechte Laune sogar an Gitte aus, die normalerweise Narrenfreiheit bei ihm hatte.
Gitte, eine aufreizende Rothaarige mit Schmollmund, räkelte sich auf dem französischen Bett. Sie zeigte sich in Posen, die bei Reinhold Lange eigentlich noch nie ihre Wirkung verfehlt hatten. Diesmal aber biss sie mit ihren Verführungskünsten auf Granit.
„Spar dir deine Verrenkungen“, fauchte er wütend. „Zieh dir lieber etwas an. Ich muss denken.“
Gitte besaß viele beachtliche Eigenschaften. Wenn man sie jedoch abschieben wollte, wurde sie taub.
Sie verstärkte ihre Bemühungen, ließ die letzte, ohnehin durchsichtige, Hülle fallen und zeigte sich nun von ihrer verlockendsten Seite. Sie glitt vom Bett und schmiegte sich an den breitschultrigen Mann, der sie jedoch keines Blickes würdigte. „Ich helfe dir beim Denken, Reinhold. Gemeinsam sind uns noch immer die hübschesten Sachen eingefallen.“
Er stieß sie grob von sich, so dass sie rückwärts auf das Bett fiel.
„Hast du nicht kapiert? Du gehst mir auf die Nerven. Schwirr ab. Ich melde mich wieder bei dir.“
Gitte starrte ihn entgeistert an, doch seine Miene ließ keinen Zweifel zu. Sie war momentan tatsächlich nicht erwünscht.
Sie kämpfte ihren Ärger nieder und dachte an die großzügigen Geschenke, die sie von Reinhold schon bekommen hatte. Mit einem solchen Verehrer verscherzte man es sich nicht. Auch dann nicht, wenn einem seine Launen manchmal auf die Nerven gingen.
Schmollend raffte sie ihre Kleidung zusammen, die im ganzen Zimmer verstreut lag, warf einen glutvollen Blick dem Mann noch zu, der aber gar nicht mehr auf sie achtete. Kopfschüttelnd rauschte sie durch die Tür, die sie mit theatralisch wirksamen Schwung hinter sich zuwarf.
Fast hätte sie vergessen sich anzuziehen, bevor sie das Apartment verließ. Danach kehrte sie den Räumen den Rücken, in denen sie derart gedemütigt worden war.
Sie dachte allerdings daran, wie sie sich für diese Kränkung revanchieren könnte. Deshalb war sie so in Gedanken, dass sie auf der Treppe mit einem Mann zusammenstieß, obwohl dieser alles tat, um die Kollision zu vermeiden.
Gitte riss die Augen auf, als sie den gutaussehenden, dunkelhaarigen Burschen dicht vor sich sah. Sie war ihm noch nie begegnet, und doch wusste sie im selben Augenblick, um wen es sich handelte. Reinhold hatte oft genug von ihm gesprochen und ihn auch ziemlich exakt beschrieben. Es war Bernd Schuster, der Schnüffler, der daran interessiert war, ihre beste Einnahmequelle hinter Gitter zu bringen.
Sie schaltete sofort und lachte kokett.
„Sie sind aber stürmisch, Herr“, meinte sie, die Tatsachen schamlos verdrehend. „Gehen Sie immer so ran?“
„Nur, wenn es sich lohnt“, antwortete Bernd doppelsinnig.
„Und bei mir lohnt es sich?“ Gitte verdrehte ihre Kulleraugen. Sie waren äußerst beweglich, waren sie doch in der Lage, gleichzeitig einen Mann anzuhimmeln und den Inhalt seiner Brieftasche abzuschätzen.
„Im Allgemeinen sicher“, vermutete Bernd. „Gerade jetzt scheine ich aber einen ungünstigen Moment erwischt zu haben. Ich komme nämlich einem alten Freund nur ungern ins Gehege.“
„Einem Freund?“, fragte die Rothaarige mit gespielter Ahnungslosigkeit.
„Kommen Sie nicht gerade von Reinhold? Reinhold Lange?“
Gitte kniff die Augen zusammen. Ihr Verstand arbeitete schnell, und ihre Wut auf den Mann, der sie aus seiner Wohnung geworfen hatte, war noch längst nicht verraucht.
„Allerdings“, gab sie zu. „Er hat mir nicht gesagt, dass er Besuch erwartet.“
„Natürlich“, sagte Bernd rasch. „Herbert wollte auch kommen. Oder ist er etwa schon da?“
„Herbert?“ Sie konnte mit diesem Namen nichts anfangen.
Bernd half ihr nicht auf die Sprünge. Er wusste ja selbst nichts über diesen Mann, dessen Name so ziemlich das letzte war, woran der ermordete Meier gedacht hatte.
„Welcher Herbert?“, bohrte sie.
Bernd überging die Frage. „Also hat er sich wieder mal verspätet“, erklärte er. „Typisch für ihn. Also nichts für ungut, gute Frau. Und entschuldigen Sie meine Ungeschicklichkeit.“
Sie schenkte ihm ein rätselhaftes Lächeln. In diesem Augenblick glich sie einer Sphinx.
Dieser Schuster war ein Traummann. Sie hätte ihn sich durchaus unter ihrer Dusche vorstellen können. Aber zweifellos warf er nicht so großzügig mit den Scheinchen um sich wie Reinhold. Und das gab den Ausschlag.
Reinhold war ihr Genugtuung schuldig. Sie würde die Summe selbst festsetzen. Und damit Reinhold sich auch einverstanden erklärte, trotz seiner momentanen miesen Laune, musste sie ihn überzeugen. Sie wusste auch schon, wie.
Schade um Schuster. Er sah wirklich phantastisch aus. Jedenfalls jetzt noch. Das würde sich aber wohl schon sehr bald ändern.
Bernd hörte ihre Absätze die Treppe hinunter klappern. Er war nicht ganz sicher, ob die Rothaarige ihm nur Theater vorgespielt hatte, ob sie wirklich keinen Herbert aus Langes Umkreis kannte, oder ob der Erpresser mit seinen Helfern gar nichts mit dem Mord zu tun hatte.
Drei Möglichkeiten. Eine war so wahrscheinlich wie die andere. Beweise hatte Bernd noch für keine der Theorien.
Die sollte ihm Reinhold Lange liefern. Dieses gefährliche Schlitzohr würde zwar wieder alles ableugnen und fraglos mit einer Handvoll Alibis zum Aussuchen aufwarten können, aber Lange war zur Zeit der einzige Punkt, an dem er den Hebel ansetzen konnte. Vielleicht beging er diesmal einen Fehler.
Bernd war voller Hoffnung, als er an der Tür mit dem protzigen Namensschild läutete. Er ahnte nicht, dass er hier ins offene Messer laufen sollte.