Читать книгу Tödlicher Gin: Berlin 1968 Kriminalroman Band 31 - Wolf G. Rahn - Страница 5
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Der Motor heulte auf und ließ ein paar Köpfe der Passanten herumfahren.
Dann grinsten sie, als sie gleich darauf die Ursache erkannten.
Dicht an ihren vorüber fuhr auf der Kurfürstenstraße ein junger Mann auf seiner blaumetallenen Zündapp Citation – natürlich ohne Helm. Um seine Haare hatte er ein buntes Seidentuch geschlagen, deren Enden um ihn flatterten. Dazu trug er eine an den Rändern bunt bestickte Jacke und eine großformatige Sonnenbrille. Hinter der Sitzbank hing an einer dünnen Metallstange ein Fuchsschwanz, der jetzt lustig im leichten Wind wehte.
Der Fahrer lenkte das Moped auf den Parkstreifen, stellte es großspurig auf einen freien Platz, klopfte sich die Cordhose ab und öffnete die Tür zur Detektei.
Franziska Jahn lächelte zur Begrüßung.
„Na, du Rocker, wieder mit dem ollen Mopped unterwegs? Ich dachte, du bist eher ein Freund der schweren Maschinen!“
Ecki, der Kfz-Mechaniker und gelegentliche Helfer Bernd Schusters grinste.
„Bin heilfroh, dass sie wieder läuft, Franziska! Ist vom Zustand ein Sahnestück, das ich einem Opa abgeluchst habe nur für ‘nen Hunni!“
„Was? Hundert Mark für eine Zündapp?“, sagte Franziska erstaunt.
„Aber ja doch, das Ding ist so gut wie neu, Opa ist ein paarmal um den Block gedüst, dann wurde er krank und die Karre stand schön trocken und aufgebockt in einer Garage. Als ich davon erfuhr, bin ich hin, habe die Zündkerze getauscht, ein paarmal angekickt und der Brummer läuft wie verrückt. Ich bin sicher, wenn ich die Maschine überarbeite, hängt sie in der Stadt jeden PKW ab.“
Franziska sah ihn ungläubig an, dann wies sie mit dem Daumen über die Schulter.
„Wenn du zu Bernd wolltest, musst du dich etwas ranhalten, er will gleich wieder los.“
„Gut, kann ich bitte einen Kaffee haben, Franzi?“
„Klar, bringe ich dir rein, geh in Bernds Büro rüber. Er arbeitet verbissen an dem Fall Reinhold Lange.“
„Immer noch!“, antwortete Ecki mit breitem Grinsen. „Braucht er da nicht Hilfe?“
„Wozu brauche ich Hilfe?“, erkundigte sich Bernd Schuster, der eben die Tür zu seinem Büro geöffnet hatte und seinen Helfer auf die Schulter schlug.
„Fall Lange, denke ich!“, antwortete Ecki spontan.
„Mal sehen, vielleicht später. Jetzt will ich erst einmal zu ihm fahren.“
„Ich kann doch mitkommen!“, meinte Ecki.
Bernd hatte die glänzende Zündapp vor der Schaufensterscheibe bemerkt und deutete darauf.
„Damit etwa?“
Beide lachten, und Bernd hob die Hand zum Abschied.
„Dann trinke ich den Kaffee gern bei dir, Franzi!“, sagte Ecki und hockte sich auf eine Ecke ihres Schreibtisches.
„Ich habe aber nicht sonderlich viel Zeit zum Quatschen, Ecki. Der Chef hat mir jede Menge Schreibarbeit aufgebürdet!“
Damit wies sie auf die Schreibmaschine, in der sie gerade einen neuen Bogen eingespannt hatte.
„Der Chef!“, antwortete Ecki grinsend und probierte den Kaffee vorsichtig. Er fand ihn genau trinkrichtig und leerte mit Genuss die Tasse aus.
*
Der Mann hatte jede Menge Zeit. Auf eine Stunde kam es ihm nicht mehr an. Er hatte gelernt, nach Jahren zu rechnen. Was er vorhatte, musste unbedingt klappen. Einen Fehler durfte er sich keinesfalls erlauben. Sonst war er geliefert.
Er kniff die Augen zusammen und merkte, dass die Glut seiner Zigarette erloschen war. Unwillig spuckte er sie aus, änderte aber sofort seine Meinung und hob den Stummel auf. Sorgfältig schob er ihn in die Tasche seiner zerschlissenen Jane. Spuren würde er keine hinterlassen. Der Bursche sollte sich die Zähne an ihm ausbeißen.
Ein tückisches Grinsen ging über seine Züge. Er hatte ein schmales, bleiches Gesicht, das von vielen Falten zerfurcht wurde. Aber hinter diesem Gesicht befand sich ein eiserner, wilder Entschluss. Diesmal würde er es ihnen zeigen.
Er zündete sich eine neue Zigarette an, aber sie schmeckte ihm nicht. Angespannt starrte er in ein und dieselbe Richtung. Er hatte es auf das Wohn- und Geschäftshochhaus an der Ecke Kurfürstenstraße und Bayreuther Straße abgesehen. Keine menschenleere Gegend, doch das spielte keine Rolle. Keiner der zahllosen Autofahrer oder Fußgänger würde etwas merken. Nicht mal die beiden Polizisten dort drüben. Das war das Hübscheste an seinem Plan. An der Ecke gab es einen großen Baumarkt, vor dem Hochhaus gab es eine eigene Parkstraße, die jetzt überwiegend für die Anwohner reservierte Parkplätze aufwies. In einen der seit längerer Zeit leerstehenden Läden war Bernd Schuster mit seiner Detektei eingezogen und hatte sie ganz nach seinem Stil eingerichtet. Bis auf den heutigen Tag hatte der ehemalige Feldjäger aus Frankfurt seiner Gehilfin Franziska verschwiegen, dass ihn eine Erbschaft vor seinem Wechsel nach Berlin finanziell unabhängig gemacht hatte. Und das auf Lebenszeit.
Unwillkürlich griff er in seine Brusttasche. Was er dort fühlte, gefiel ihm. Achtzig Mark hatte ihn der Revolver gekostet. Für ihn eine Menge Geld, doch es sollte seine lohnendste Investition sein.
Als er den silbergrauen Mercedes 450 SEL gewahrte, der sich aus der Tiefgarage des Hochhauses in den Verkehr einfädelte, atmete er auf.
Sein hagerer Körper straffte sich.
Endlich!
Er hustete krampfartig. Zum Teufel! Er vertrug die Luft von Berlin nicht mehr. Sie bereitete ihm Übelkeit. Aber das machte nichts. Er hatte nicht vor, hierzubleiben.
Wenn alles vorüber war, konnte er sich das hübscheste Fleckchen Erde aussuchen, auf dem es weder stank noch die Hitze im Sommer unerträglich war.
Die Bremsleuchten des Silbergrauen leuchteten an der nächsten Kreuzung kurz auf, während der Mann hastig die Straße überquerte.
„Gute Fahrt, Schuster!“, murmelte er. „Wenn du zurückkommst, wirst du dein blaues Wunder erleben.“