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Hinter der schmalen Tür verbarg sich ein Gang, an dessen beiden Seiten sich Tür an Tür reihte. Am Ende befand sich ein Fahrstuhl. Auf den steuerte Franz Fabricius zu.

Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. Es sah jetzt wütend aus. Dieser Croupier besaß also offensichtlich doch Gefühle.

Der dicke Läufer schluckte das Geräusch seiner Schritte. Alles lief in diesem Casino lautlos ab. Der Spielbetrieb genauso wie die notwendigen Aktivitäten hinter den Kulissen.

Typen wie dieser Knochige passten nicht hierher.

Die Fahrstuhltür schwang zurück und schloss sich hinter Franz Fabricius wieder.

Der Croupier wusste, dass er über Kameras beobachtet wurde. Das musste sein, sonst hätte ja jeder bis ins Allerheiligste vordringen können.

Nach kurzer Fahrt spie ihn der Aufzug wieder aus. Auch hier ging er über dicke Teppiche, doch in diesem Gang gab es nur zwei Türen.

Franz Fabricius wählte die linke.

Er brauchte nicht anzuklopfen. Ihm wurde geöffnet, kaum, dass er davorstand.

Während der Fahrt im Lift hatte er seine Kleidung wieder in Ordnung gebracht. Der Boss hasste nichts mehr als einen sichtbaren Makel.

Bevor Franz Fabricius den Raum betreten durfte, streckte sich ihm eine geöffnete Hand entgegen.

„Gib her!“, forderte eine schnarrende Stimme, die zu einem Kleiderschrank gehörte, auf dem ein Kopf saß.

Franz Fabricius griff wortlos in seine Hosentasche und holte eine 45er ACP mit Elfenbeingriffschalen hervor, die er dem menschlichen Kleiderschrank überließ.

„Der Boss ist schon ungeduldig, Fabricius.“

„Ich kann nicht schneller sein als der Lift“, giftete der Croupier. „Und wenn du mich jetzt auch noch aufhältst, dauert es noch länger, bis ich meine Meldung machen kann.“

„Zisch schon ab!“

Der Kleiderschrank, der sich bei näherem Hinsehen als Mann mit ungewöhnlichen Körpermaßen herausstellte, dessen Funktion keiner Erläuterung bedurfte, trat zur Seite und gab den Blick auf eine zweite Tür frei.

Er sagte: „Okay, Boss!“ in ein unsichtbares Mikrofon, und auch diese Tür öffnete sich von selbst.

Franz Fabricius ging selbstbewusst hindurch. Er kannte seinen Wert. Das glänzende Gehalt, das ihm gezahlt wurde, stand in keinem Verhältnis zu dem überdurchschnittlichen Gewinn, den er dem Unternehmen einbrachte. Das wusste auch der Boss.

Der Croupier sah mit blitzenden Augen die Frau an, die ihn erwartete.

„Sie wollen mich sprechen, Boss?“, fragte er überflüssigerweise.

„Setz dich, Fabricius!“

Die Stimme der Frau klang angenehm. Sie war fast wie Samt und passte nicht zu der stolzen Haltung der Schwarzhaarigen. Sie trug ein langes, türkisfarbenes Kleid ohne jeglichen Schmuck. Glitzernden Zierrat hatte Jasmin Winter nicht nötig.

Sie war eine schöne Frau, die ihre natürlichen Gaben durch diskrete Kosmetik noch zu verstärken verstand.

Ihr Gesicht war schmal, die Nase aristokratisch und doch weiblich. Ihre dunklen Augen betonte sie mit zwei raffiniert angelegten Strichen auf den Brauen. Der sinnliche Mund machte jeden Mann verrückt. Noch bevor er sich öffnete, verhieß er atemberaubende Dinge.

„Es hat Ärger gegeben, Fabricius?“

Der Croupier winkte lässig ab. „Nichts von Bedeutung Chefin. Ein alter Narr wollte den starken Mann markieren.“

„Der alte Narr besucht das Casino täglich seit drei Wochen.“

„Das gibt ihm nicht das Recht, mir unlautere Praktiken vorzuwerfen.“

„Hast du falschgespielt, Fabricius?“

„Natürlich nicht, Chefin.“

„Aber es hat so ausgesehen. Es hat auch so ausgesehen, als wolltest du zur Waffe greifen, als der Mann dich schlug.“

„Ich hatte mich in der Gewalt.“

„Ich schätze Männer, die sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und dadurch dem Ruf des Casinos dienen. Ich schätze aber keine Männer, die unsere Gäste hinauswerfen.“

Franz Fabricius verfärbte sich.

„Der Kerl hat die Ehrlichkeit Ihrer Angestellten angegriffen, Chefin“, verteidigte er sich.

„Irrtum! Er hat nur deine Ehrlichkeit in Frage gestellt.“

Jasmin Winter schlürfte an ihrem Glas. Sie trank stets Champagner. Ein anderes Getränk schien es für sie nicht zu geben.

„Der Flegel war im Unrecht.“

„Der Flegel war Norbert Gerstner.“ Jetzt war die Stimme der schönen Frau plötzlich schneidend. „Weißt du, was das bedeutet?“

„Ich kenne natürlich seinen Namen.“

„Den Namen zu wissen, heißt noch lange nicht, den Mann zu kennen“, erwiderte Jasmin Winter scharf. „Du hast ihn an die Luft setzen wollen. Weißt du, wie das ist, wenn man hinausgeworfen wird?“

„Das hat sich jeder selbst zuzuschreiben“, konterte der Croupier trotzig. Er fand, dass er genug Gleichmut bewiesen hatte, als er sich schlagen ließ.

„In diesem Punkt hast du recht, Fabricius“, flötete die Frau. „Das hat sich jeder selbst zuzuschreiben. Also wirst du die Schuld wohl auch nicht bei einem anderen suchen, nicht wahr?“

Franz Fabricius wurde kreidebleich. „Sie schmeißen mich raus, Chefin? Haben Sie vergessen, was ich für das Casino geleistet habe?“

„Du bist auch nicht schlecht dafür bezahlt worden“, entgegnete die Schwarzhaarige kühl.

„Ich bin Franz Fabricius. Mein Name ist eine Garantie für überdurchschnittlichen Umsatz.“

„Du bist einer von vielen Croupiers“, korrigierte die Frau, „der bei mir angestellt war. Im Moment allerdings bist du ohne Job.“

Franz Fabricius schoss senkrecht in die Höhe. Mit seiner Beherrschung war es vorbei.

„Das bereuen Sie!“, keuchte er. „Das können Sie mit mir nicht machen.“

„Willst du mir drohen?“

Der Blonde wurde verwirrt.

„N...nein, natürlich nicht. Es ist nur ... ich bin enttäuscht. Das habe ich nicht verdient.“

„Vielleicht versuchst du es mal in einer der neuen Spielhallen in Berlin. Oder aber, du nimmst die Chance wahr und fliegst mal nach Las Vegas. Es gibt derzeit sehr günstige Flüge ab Düsseldorf“, meinte die Frau spöttisch.

Franz Fabricius‘ Augen sprühten Funken.

„In Berliner Spielhallen?“, schrie er. „Dort würde ich nicht arbeiten wollen. Die Kerle, die sich da Croupier nennen, schaffen es nicht mal, von einer Schicht zur anderen die Spielregeln zu behalten. Es sind lauter verkrachte Existenzen. Und Vegas? Das meinst du doch nicht im Ernst!“

„Das passiert einem manchmal schneller, als man glaubt, Fabricius. Bitte! Der ehemalige Kollege möchte gehen.“

Die letzten Worte sagte Jasmin Winter, nachdem sie einen Knopf auf ihrem Schreibtisch betätigt hatte. Ein zweiter Drücker öffnete die Verbindungstür.

Franz Fabricius starrte die schöne Frau ungläubig an. Es war, als würde er von einer Sekunde zur anderen um zehn Jahre altern.

Der Kleiderschrank an der Tür räusperte sich nachdrücklich.

„Los, Fabricius!“, knurrte er. „Der Boss hat noch mehr zu tun.“

Wie in Trance verließ der gefeuerte Croupier das Allerheiligste, in dem er bisher stets mit Anerkennung für sein Geschick bedacht worden war. Er nahm seine Pistole in Empfang, von der er wusste, dass ihr Magazin inzwischen geleert worden war. Reine Vorsichtsmaßnahme.

Er taumelte auf den Gang und betrat den wartenden Lift, der ihn in sausender Fahrt nach unten brachte.

Im Kellergeschoss befanden sich die Garderobenräume für die Angestellten. Er hatte nicht viel zu holen. Er zog sich gar nicht erst um, sondern stopfte seinen Straßenanzug in eine große Tasche.

Wenig später verließ er das Casino durch einen Hinterausgang und gelangte erst nach zwei Ecken auf die Oranienstraße.

Als er sah, dass ausgerechnet in diesem Augenblick Norbert Gerstner sichtlich gut gelaunt das Casino verließ, prallte er zurück. Er drängte sich in einen Winkel. Schatten gab es bei dieser Lichtfülle um das Kristallpalast-Casino und Varieté nirgends.

Er beobachtete, dass der Mann, dem er diesen schmählichen Rausschmiss zu verdanken hatte, sich nach Norden wandte. Dort befand sich der Bahnhof. Franz Fabricius ließ seinen Wagen stehen und folgte dem Knochigen in einigem Abstand zu Fuß. Seine Zähne pressten sich gegeneinander, bis die Kiefer schmerzten.

Als Norbert Gerstner seine Schritte beschleunigte, erhöhte auch Franz Fabricius sein Tempo, und bei jedem Schritt schlug die 45er ACP in der Tasche gegen seinen Schenkel.

Mord ist kein Glücksspiel: Berlin 1968 Kriminalroman Band 35

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