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Der Tote wurde erst gegen Mittag gefunden. Er löste keine Überraschung aus. Nur die üblichen Formalitäten. Gewalttaten waren keine Seltenheit in diesem Stadtteil, ein Mord mit Schusswaffe schon. Kriminalhauptmeister Wilhelm Krone hatte Dienst, als man das Dezernat LKA 11, Tötungsdelikte, Entführungen, erpresserischer Menschenraub und ärztliche Kunstfehler mit Todesfolge verständigte. Sein direkter Vorgesetzter, Inspektor Horst Südermann, war in einen anderen Fall verwickelt, und das sah Krone als seine persönliche Chance an, mit der Lösung eines Mordfalles innerhalb kürzester Zeit einen Karriereschub zu fördern.

Krone stellte auch schnell fest, dass Norbert Gerstner mit einer Pistole vom Kaliber .45 erschossen worden war, ein weit verbreitetes Kaliber, das auch bei den Alliierten in West-Berlin verwendet wurde. Krone führte vom Dezernat aus verschiedene Telefongespräche, um die letzten Stunden des Unglücklichen rekonstruieren zu können, und entdeckte, dass er sie fraglos im inzwischen schon berühmt-berüchtigten Casino in der Oranienstraße verbracht hatte.

Von da an war alles klar.

Norbert Gerstner hatte mit dem Croupier einen Streit angefangen. Er hatte ihn angeblich sogar geohrfeigt und des Falschspiels bezichtigt.

Der Croupier war noch in der gleichen Nacht von der Direktorin, einer Frau Winter, gefeuert worden. Da er zu allem Überfluss auch noch im Besitz einer 45er ACP war, wie die ehemaligen Kollegen zu berichten wussten, konnte kein Zweifel daran bestehen, dass Franz Fabricius den Mann getötet hatte. Die Bezeichnung ACP bedeutet Autmatic Colt Pistol, die Munition wurde bereits 1911 entwickelt und eignet sich besonders gut für die Verwendung einer Waffe mit Schalldämpfer. Auch das wies auf eine mögliche Herkunft aus dem Bestand der Alliierten in West-Berlin hin.

Kriminalhauptmeister Krone sprach sich mit seinem Chef, Inspektor Südermann, ab und fuhr dann mit seinen Kollegen hinaus zur Wohnung von Fabricius. Einen Haftbefehl brachte er gleich mit.

Trotzdem musste er unverrichteter Dinge wieder abziehen. Statt des Verdächtigten fand er lediglich einen Zettel auf dessen Bett. Auf dem Papier standen hastig hingeschmiert die vier Worte: Ich war es nicht!

Diese Unschuldsbeteuerung erhärtete nur hoch den Verdacht, denn woher wusste der Croupier, dass er eines Verbrechens beschuldigt wurde? Warum entzog er sich durch eine Flucht der Verhaftung, wenn er unschuldig war?

Wilhelm Krone dachte an die siebzehn prall gefüllten Ordner im Dezernat. In den Ordnern waren lauter ungeklärte Verbrechen abgeheftet, die in seinen Zuständigkeitsbereich fielen. Es war kein Wunder, dass er aufatmete, wenn er endlich einmal einen Mörder überführen konnte.

Franz Fabricius hatte einen Fehler begangen. Er hätte, wie andere Verbrecher auch, sein Opfer irgendwo in einem Kanal verschwinden lassen sollen, anstatt die Leiche am Tatort zu belassen. Oder noch besser: Über die Demarkationslinie in das Gebiet der DDR schaffen. Unbemerkt natürlich. Für Krone war der Fall ziemlich klar, wenn auch der Verdächtige derzeit flüchtig war. Ihn jetzt in West-Berlin aufzutreiben, hielt der Polizist nicht für sonderlich schwer. Eine Überwachung der Bahnhöfe und der Flughäfen Tempelhof und Tegel wurde selbstverständlich sofort eingeleitet, sicherheitshalber auch die Behörden im anderen Teil Berlins informiert in Bezug auf den Flughafen Schönefeld. Man wollte nichts unversucht lassen. Seit April des Jahres zogen nahezu alle großen Fluggesellschaften nach Tegel um, Air France und Pan Am hatten hier ein eigenes Terminal.

Seine Flucht half ihm lediglich momentan. Das Schwierigste war getan, sobald man den Mörder kannte. Ihn zu finden, blieb dann nur noch eine Frage der Zeit.

Selbstverständlich ließ Krone die Transitstrecken besonders überwachen.

Aber natürlich wusste er auch, dass es für dieses Manöver längst zu spät sein konnte. Der Mörder besaß immerhin einen Vorsprung von ungefähr zehn Stunden.

Die Nachforschungen am Flughafen blieben erfolglos, was aber nichts zu sagen hatte. Verbrecher benutzten falsche Namen, falsche Pässe und zur Not sogar falsche Gesichter. Wer wollte sich an einen großen blonden, gutaussehenden Mann mit feinen Manieren erinnern, wenn dort täglich viele gutaussehende, große Männer die Abfertigungsschalter passierten?

Krone nahm mit seinen Kollegen in den Polizeirevieren Kontakt auf. Er gab Beschreibungen und Daten durch und wartete geduldig auf eine positive Antwort.

Er wartete genau eineinhalb Tage und eine Nacht. Dann kam eine Antwort, allerdings aus einer Richtung, aus der er sie gar nicht erwartet hatte.

Ein Beamter meldete ihm, dass ein gewisser Karl Lohmüller beim Betreten seines Hotels in Berlin erschossen worden sei. Zwei Patronen steckten in seiner Brust. Eine der Hülsen war ebenfalls gefunden worden. Sie wies das Kaliber .45 auf.

„Er hält sich also noch in der Stadt auf“, stellte Krone fest.

„Sieht so aus. Der Halunke ist verdammt kaltblütig“, antwortete einer seiner Kollegen.

„Der ist clever. Hier fühlte er sich sicherer als an jedem anderen Ort. Die Gesichter wechseln ständig. Man kann leicht untertauchen. Aber mir scheint, dass er aus einem anderen Grund Berlin nicht verlässt.“

„Und welcher wäre das?“, fragte der Polizist.

„Der gleiche, aus dem es auch andere Gangster hierherzieht. Berlin mit seiner Inseleigenschaft inmitten der DDR hat seine eigenen Vorteile. Nehmen wir mal an, der Bursche verfügt über mehrere Identitäten, sprich, die dazugehörigen Papiere. Er wechselt über die Grenze nach Ost-Berlin, sieht sich dort ein wenig um und kommt zurück. Das könnte er selbst als Tagestourist.“

„Da scheint was dran zu sein, Kollege“, erwiderte Tucher, der Beamte vom Erkennungsdienst. „Dieser Lohmüller hatte, wie uns die Kollegen aus Kreuzberg mitteilten, kurz vor seiner Ermordung mehr als zehntausend Mark gewonnen. Das Geld ist natürlich verschwunden.“

„Im neuen Casino in der Oranienstraße? Oder etwa in einer dieser Spielhallen?“, wiederholte Krone überrascht.

„Dort, wo Franz Fabricius beschäftigt war.“

„Bis die Winter ihn feuerte. Da könnte natürlich auch noch ein zweites Motiv dahinterstecken. Der Halunke will sich an der Frau rächen, die ihn auf die Straße gesetzt hat, indem er ihr Casino in Verruf bringt.“

„Eine ziemlich makabre Art, sich zu rächen, indem man völlig unbeteiligte Leute umbringt“, fand Tucher.

„Jeder Mord ist makaber, für den, den es trifft. Aber jetzt wissen wir wenigstens, dass sich unser Mann noch bei uns wohl fühlt. Er hat den Bogen ein bisschen überspannt. Anscheinend will er sich über die Polizei lustig machen, weil er seine Opfer offen liegen lässt. Aber ihm wird der Spaß schon noch vergehen. Jetzt kommt er aus Berlin nicht mehr raus. Dafür werde ich sorgen.“

Mord ist kein Glücksspiel: Berlin 1968 Kriminalroman Band 35

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