Читать книгу Junge Liebe mordet nicht: Berlin 1968 Kriminalroman Band 34 - Wolf G. Rahn - Страница 6
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ОглавлениеBernd Schuster erstarrte, als er aus dem großen Fenster der Detektei blickte.
Das hatte er nun wirklich nicht erwartet!
Glücklicherweise war Franziska Jahn nicht anwesend, so dass dieses Geheimnis zunächst auch eins bleiben würde.
Schuster riss die Ladentür auf und stand vor dem Mechaniker, der stolz auf den glänzenden Lack des alten Käfers deutete.
„ Mensch, Ecki, das ist ja wohl ein Traum! Wie bist du denn an einen Brezel-Käfer gekommen?“
Der gelegentliche Helfer des Privatdetektivs hob lächelnd die Schultern und deutete dann auf Schuster.
„ Du bist der Detektiv und musst dich anstrengen, um das herauszufinden. Aber ich sage doch immer – Berlin ist wie eine Insel. Was hier einmal landet, geht nicht wieder so schnell verloren.“
Bernd war einmal um den Käfer mit aufmerksamen Blicken gegangen, dann nickte er und klopfte dem Freund auf die Schulter.
„ Perfekt! Lucy wird sich nicht mehr einkriegen vor Begeisterung!“
„ Naja, ist ja noch ein wenig hin bis zu ihrem 18. Geburtstag. Und bis dahin habe ich noch einiges zu tun. Lack ist top geworden, der Motor läuft, wie man es vom Käfer gewohnt ist. Aber leider hat die Innenausstattung doch arg gelitten, und ich will auch den Himmel neu bespannen.“
Bernd blickte in das Wageninnere und staunte.
„ Du, die Flecken auf der Rückbank wären aber ein Grund, den Wagen meiner minderjährigen Tochter nicht zu überlassen, wenn ich die Wahl hätte!“
Ecki lachte vergnügt und deutete auf den Himmel des Fahrzeugs.
Bernd bückte sich und erkannte durch das hintere Seitenfenster deutlich die schmutzigen Fussabdrücke, stutzte kurz, und als Ecki immer heftiger lachte, bemerkte er nur trocken: „Wozu doch die Haltegurte alles herhalten müssen! Nee, nee, Ecki, lass das schnell verschwinden, und dann werden wir uns rasch handelseinig!“
„ Billig wird es aber nicht, Bernd!“, lachte der Mechaniker.
„ Weiß ich wohl, außerdem kenne ich dich, altes Schlitzohr. Macht aber nichts, ich bin schon jetzt begeistert, und bei Lucy wirst du damit schwer Eindruck schinden!“
„ Ich denke, da wird ihr Papa wohl das Rennen machen!“
Die beiden brachen in fröhliches Gelächter aus, Ecki stieg ein und wenig später knatterte der Käfer um die Ecke, gerade, als Franziska mit ein paar Einkäufen zurückkam.
„ Nanu – war das etwa ein Brezelkäfer, dessen Lack noch in der Sonne zu glänzen scheint?“, erkundigte sie sich, als ihr Bernd die Tür aufhielt.
„ Wie? Ach so, ja, der Käfer. Nettes Ding!“, erwiderte er so gleichgültig wie nur irgend möglich.
Franziska schenkte ihm einen seltsamen Blick, aber Bernd schien ihn nicht zu bemerken. „Machst du uns einen schönen Kaffee, Franzi?“
*
Sascha Berger kannte das Fenster genau. Oft genug hatte er darunter gestanden und sich den Hals verrenkt, bis Christiane endlich auf ihn aufmerksam geworden war. Ihr Vater leider auch, und der hatte mit Romantik nicht viel im Sinn. Besonders dann nicht, wenn sich ein Hungerleider in seine Tochter verliebte.
Sascha erinnerte sich mit Unbehagen an die unerfreuliche Auseinandersetzung mit Gerhard Zeuner, in deren Verlauf kränkende Worte gefallen waren. Eigentlich besaß er ein dickes Fell. Ihn konnte so schnell keiner beleidigen. Aber wenn es um seine Eltern ging, die sich schließlich nicht mehr rechtfertigen konnten, konnte auch er laut werden.
Leider hatte Lautstärke bei Christianes Vater nichts bewirkt. Der Aufforderung, gefälligst seine Tochter in Ruhe zu lassen, war das strikte Hausverbot gefolgt. Und, wie Christiane ihm unlängst berichtet hatte, sah sich Zeuner sogar nach einem geeigneteren Lebensgefährten für seine einzige Tochter um.
Sascha Berger grinste amüsiert. Dass es so etwas heutzutage noch gab, war eigentlich unvorstellbar. Doch was war nicht alles in Berlin möglich? Ein Blick auf die Straßen mit ihren Demonstranten, ein Blick in die Morgenpost oder die Nachrichten – ganz Berlin schien kopfzustehen – naja, zumindest West-Berlin.
Warum sollte man da nicht auch mal ins finsterste Mittelalter zurückfallen?
Die Hauptsache war, dass Christiane dieses Theater nicht mitmachte. Sie hielt zu ihm, auch wenn er ihr keine Reichtümer bieten konnte. Sie würde sich niemals zu einer Ehe zwingen lassen. Notfalls trennte sie sich von ihrem Elternhaus und brannte mit ihm, Sascha Berger, durch.
Durchzubrennen hatte der junge Mann in Jeans und leichtem Blouson nicht vor. Jedenfalls jetzt noch nicht. Er hoffte immer noch, einen offenen Bruch mit Gerhard Zeuner vermeiden zu können.
Aber er wollte Christiane sehen. Jetzt auf der Stelle. Zwei lange Tage hatten sie sich nicht mehr getroffen, weil Christiane für ihr Examen büffeln musste. Länger hielt er es nicht aus. Er musste mit ihr sprechen. Und wenn es nur ein paar Worte waren.
Sascha war ein sportlicher Typ. Das Fenster in der oberen Etage des Bungalows stellte ihn vor keine Probleme. Zumal sich ein alter Kirschbaum in unmittelbarer Nähe befand, der eine Leiter voll und ganz ersetzte.
Im Haus war alles dunkel. Kein Wunder. Es war bereits weit nach Mitternacht. Zeuner arbeitete in einer Firma für elektrische Anlagen. Er musste frühmorgens zeitig aufstehen. Seine Frau hielt sich nicht in Berlin auf. Sie war viel unterwegs. Die Ehe ging nicht besonders gut. Vielleicht war auch das ein Grund, warum Zeuner glaubte, den Partner seiner Tochter besonders sorgfältig aussuchen zu müssen. Fräulein Scholz, die Haushälterin, hielt sich nur tagsüber im Zeuner'schen Haus auf. Und Christiane schlief natürlich ebenfalls schon. Die bevorstehenden Prüfungen und der Ärger mit ihrem Vater nahmen sie ziemlich mit.
Sascha blickte sich noch einmal nach allen Seiten um, ob ihn auch kein zu fälliger Passant beobachtete, aber auch die Straße lag ruhig. Hier draußen herrschte ohnehin nur wenig Verkehr. Es war eine ideale Wohngegend.
Der junge Mann rieb sich die Hände. Dann begann er, auf den Kirschbaum zu klettern. Um die untersten, starken Äste zu erreichen, musste er sich schon ein wenig anstrengen.
Vor allem hatte er auf das Baumharz zu achten, das klebrig aus der Rinde quoll.
Aber er schaffte es spielend. Wenig später kauerte er vor Christianes Fenster, das halb geöffnet war. Christiane brauchte viel frische Luft.
Auch darin passten sie gut zueinander.
Um sie nicht zu erschrecken, hätte er gerne an die Fensterscheibe geklopft. Doch Gerhard Zeuner schlief gleich nebenan. Wenn er die Geräusche hörte, war der Teufel los, und alles wurde nur noch verfahrener.
Also verzichtete Sascha Berger darauf, sich bemerkbar zu machen, und drückte das Fenster vollends auf. Er zog sich durch die dunkle Öffnung, während unter ihm der nachfedernde Ast leicht gegen die Mauer schlug und ein schleifendes Geräusch verursachte.
Der junge Mann duckte sich und verharrte. Hoffentlich hatte Zeuner das nicht gehört.
Aber ein Baum wurde auch vom Wind bewegt. Er schöpfte bestimmt keinen Verdacht.
Sascha war noch nie in diesem Zimmer gewesen. Das hätte Zeuner auch vor dem Streit niemals zugelassen. Aber Christiane hatte ihm oft erzählt, wie sie sich eingerichtet hatte. Aus diesem Grund wusste er, an welcher Stelle die Schlafcouch stand. Er musste nach links hinübergehen.
Von dort vernahm er auch den leisen Atem. Christiane schlief.
Der Junge richtete sich auf und bewegte sich geräuschlos vorwärts.
Da zuckte dicht vor ihm ein greller Blitz auf. Gleich darauf traf ihn ein grässlicher Schlag, der glühendes Feuer in seine Brust trieb.
Sascha Berger schrie auf und taumelte ein paar Schritte bis zum Fenster zurück. Er wollte einen Halt finden, warf aber dabei eine Vase um, die klirrend auf dem Boden zerbrach.
Gleichzeitig starrte er in den nächsten heimtückischen Blitz. Die Detonation des Schusses war wie beim ersten Mal stark gedämpft. Nur der Schmerz tobte ungebremst.
„ Christiane!“, röchelte Sascha. Das Bild des geliebten Mädchens stieg vor ihm auf. Eine unsagbare Schwäche ergriff ihn. Die Beine sackten unter ihm weg. Alles drehte sich um ihn. Er begriff nicht, was mit ihm geschehen war. Nur eins war ihm klar. Das Schicksal hatte nicht gewollt, dass er mit Christiane glücklich wurde.