Читать книгу Junge Liebe mordet nicht: Berlin 1968 Kriminalroman Band 34 - Wolf G. Rahn - Страница 8
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ОглавлениеChristiane Zeuner fuhr den altersschwachen Käfer in die Garage und stellte den Motor ab. Sie war froh, dass sie zu Hause war. Sie war nicht ganz nüchtern. Eigentlich wäre es vernünftiger gewesen, ein Taxi zu nehmen. Aber leider war man gerade dann nicht vernünftig, wenn es am nötigsten wäre.
Na, es war ja gut gegangen. Keine Polizeistreife hatte sie angehalten, und sie hatte auch keine Laterne gerammt.
Hoffentlich war Dad nicht wach geworden. Wenn er merkte, dass sie jetzt erst nach Hause kam, dass sie getrunken hatte und sich trotzdem hinters Steuer gesetzt hatte, war wieder mal der Teufel los. Dad war sehr streng mit ihr. Und seit sie ihm erklärt hatte, dass für sie außer Sascha kein anderer Mann in Frage käme, hätte er sie am liebsten in ihrem Zimmer eingesperrt. Es war zum Verrücktwerden.
Das Mädchen mit den schwarzen Locken und den dunklen, träumerischen Augen seufzte, als es das Garagentor schloss. Cecilia hatte es gut. Nächste Woche war sie verheiratet. Und zwar mit dem Mann, den sie liebte und den sie sich selbst ausgesucht hatte. Ob Sascha und sie das auch schaffen würden?
Vorläufig jedenfalls nicht. Sascha besaß kein Vermögen, und sie musste auch erst das Examen hinter sich bringen. Dann kamen das Studium und danach womöglich die Arbeitslosigkeit.
Dad wusste genau, dass er über sie bestimmen konnte. Sie war von ihm abhängig. Daran führte kein Weg vorbei.
Christiane Zeuner suchte den Hausschlüssel und sperrte die Tür leise auf. Sie hatte die Angeln erst vor ein paar Tagen selbst geölt, damit sie wenigstens hin und wieder ein Stück Freiheit genießen konnte, ohne gleich von ihrem Vater zur Rede gestellt zu werden.
Heute hatte sie zusammen mit ein paar Freundinnen das Glück von Cecilia gefeiert. Kein Wunder, dass es spät geworden war.
Cecilia war voller Optimismus. Sie freute sich auf die Ehe, obwohl die ihrer Eltern auf sehr hässliche Weise in die Brüche gegangen war. Einer hatte dem anderen misstraut. Privatdetektive hatten sich an ihnen eine goldene Nase verdient. Übelsten Schmutz hatten diese Leute ans Licht gekehrt. Mit Kamera und Notizblock, mit Fernglas und Tonbandaufnahmen hatten sie für die peinlichen Beweise gesorgt, die endlich zur Scheidung geführt hatten.
Cecilia glaubte trotzdem an ihr zukünftiges Glück, und auch Christiane wollte daran glauben, wenn es auch momentan nicht so aussah, als ließe sich ihr Vater erweichen.
Christiane Zeuner schloss die Tür leise hinter sich und verzichtete auf Licht, um ihren Vater nicht aus dem Schlaf zu reißen. Gerade in letzter Zeit war er ziemlich misstrauisch und nervös. Sicher würde er glauben, sie habe sich mit Sascha getroffen.
Sie zog ihre Pumps aus und schlich die Treppe hinauf. Ein leichter Nebel umwölkte noch immer ihr Gehirn. Am liebsten hätte sie gesungen, aber sie bezwang sich. Das hätte eine Katastrophe gegeben.
Sie erreichte ihr Zimmer und schaltete auch hier kein Licht an. Sie schnupperte. Bei Cecilia war viel geraucht worden. Ihre Kleidung hatte den Geruch aufgenommen. Und auch ihre Haare. Am besten war, wenn sie gleich duschte und sich die Haare wusch.
Aber davon würde ihr Vater wach werden. Wohl oder übel musste sie ihr Vorhaben auf morgen früh verschieben.
Seltsam! Es roch nicht nur nach Zigarettenrauch. Da war noch etwas Anderes. Etwas Fremdes, das sie nicht einordnen konnte.
Christiane wollte das Fenster öffnen, entdeckte jedoch, dass es bereits ganz offenstand. Merkwürdig! Sie wusste genau, dass sie es nur zur Hälfte geöffnet hatte. Das tat sie immer. Es war eine Angewohnheit von ihr.
Vielleicht drang der ekelhafte Gestank von draußen herein. Dann war es besser, wenn sie das Fenster schloss, obwohl sie gerade in ihrer augenblicklichen Verfassung frische Luft brauchte.
Sie näherte sich dem Fenster, als ein klirrendes Geräusch sie erschreckte. Sie war mit dem Fuß gegen ein paar Scherben gestoßen. Als sie sich bückte, stellte sie fest, dass es sich um die schöne Rauchglasvase handelte. Sie war zerbrochen.
Aber wieso? Durch einen Luftzug konnte sie kaum vom Tisch geworfen worden sein. Sie war ziemlich schwer.
Christiane Zeuner spürte etwas Klebriges zwischen ihren Fingern. Zu dumm! Jetzt hatte sie sich auch noch geschnitten.
Sie verließ ihr Zimmer, um sich im gegenüberliegenden Bad die Hände zu waschen. Als sie die Schnittwunde suchte, konnte sie nicht den leichtesten Kratzer finden, sooft sie ihre Hände auch drehte.
Jetzt bekam sie es mit der Angst zu tun. Sollte sie ihren Vater wecken? Besser wohl nicht. Das hätte alle möglichen Fragen zur Folge gehabt, und sie wollte im Moment nichts weiter als schlafen.
Sie kehrte in ihr Zimmer zurück und knipste nun doch das Licht an, um wenigstens die Scherben wegzuräumen.
Ihr Schrei gellte durch das ganze Haus. Mitten auf dem Fußboden lag ein junger Mann in seinem Blut. Sie kannte diesen Mann genau, wenn sein Gesicht jetzt auch wächsern war. Es war Sascha Berger.
Ihre Beine drohten ihr den Dienst zu versagen. Sie konnte das Furchtbare nicht fassen. Sie begriff nur eins: Es würde für sie kein Glück an Saschas Seite geben.
Wieso sich Sascha in ihrem Zimmer befand und was sich während ihrer Abwesenheit abgespielt hatte, konnte sie sich nicht erklären. Aber durch die Tränen, die ihren Blick trübten, sah sie in dem grauen Blouson, den Sascha so gerne getragen hatte, ein hässliches Loch mit versengtem Rand. Sogar sie, die sich mit derartigen Dingen nicht auskannte, wusste, dass es sich um eine Schusswunde handeln musste. Und da war ihr klar, dass man ihren Sascha ermordet hatte.
Schluchzend sank sie neben dem leblosen Körper nieder.
Minutenlang kauerte sie auf dem Teppich und weinte. In ihr war eine grenzenlose Leere. Das Leben war zu Ende. Nicht nur für Sascha. Auch sie selbst sah keinen Sinn mehr darin.
Welcher Schuft hatte das getan? Und warum? Sascha war zu allen freundlich. Er besaß keine Feinde.
Sie musste einen Arzt verständigen. Vielleicht konnte er noch helfen.
Obwohl sie sich sagte, dass dies nur eine trügerische Hoffnung war und die Enttäuschung hinterher umso größer sein würde, mobilisierte sie ihre letzten Kräfte und kroch buchstäblich zu dem Tischchen, auf dem der Telefonapparat stand. Sie zog sich an der Tischkante hoch. Ihre Hand griff nach dem Hörer.
Da sank sie erschrocken zurück.
Auf der Treppe hatte sie ein schlurfendes Geräusch gehört. Es kam von unten. Befand sich der Mörder noch im Haus? Kam er zurück, um auch sie umzubringen?
Sie sagte sich, dass es am besten war, zusammen mit Sascha aus dem Leben zu scheiden. Wenn sie aber den verkrümmten Körper ansah, packte sie kalte Angst vor einem solchen Tod. Es war schrecklich, auf diese Weise zu enden. Von der Hand eines Mörders.
Die Schritte kamen näher. Eine eisige Klammer legte sich um ihre Kehle. Sie wollte schreien, konnte es aber nicht. Gebannt starrte sie auf die Tür, unfähig, wenigstens hinter dem Tisch Schutz zu suchen.
Warum hatte sie nicht die Polizei verständigt? Dann würde die Sirene den Mörder vielleicht jetzt verjagen. So aber war sie ihm schutzlos ausgeliefert.
Angstvoll sah sie sich nach einer Waffe um. Da war nichts, was ihr geeignet erschien. Sie konnte sich nicht mit einem Schuh eines zum Töten entschlossenen Verbrechers wehren!
Da weiteten sich ihre Augen. Drei Schritte vor ihr auf dem Fußboden lag etwas Metallenes, das ihr nicht gehörte. Für eine Pistole sah es etwas ungewöhnlich aus. Der lange, bauchige Lauf erschien ihr fremd.
Christiane überlegte nicht lange, was es mit dieser Waffe auf sich hatte. Wahrscheinlich war sie auch gar nicht geladen, aber zur Not konnte sie den Angreifer damit in die Flucht jagen. Vermutlich kam er auch nur deshalb zurück, weil er den Verlust der Waffe gemerkt hatte.
Das Mädchen stürzte regelrecht auf das Schießeisen zu und riss es an sich. Mit zitternden Händen hob es die Pistole auf, schaffte es aber nicht, sie ruhig zu halten.
Sie zielte auf die Tür, durch die der Gangster kommen würde. Sie nahm sie lediglich verschwommen wahr.
Ihr Zeigefinger suchte den Abzug. Sie hatte noch nie so ein Mordinstrument in der Hand gehalten und keine Ahnung, ob es genügte, einfach abzudrücken. Sie zweifelte, ob sie dazu überhaupt in der Lage war.
Sie dachte an Sascha und hämmerte sich immer wieder ein, dass er tot war und dass der Kerl, der jetzt vor ihrer Tür zögernd verharrte, sein Mörder war. Da fiel ihr der Gedanke, ebenfalls zu töten, leichter.
Die Tür wurde aufgestoßen.
Christiane schrie leise auf und ließ die Waffe fallen.
Der Mann in der Tür starrte erst sie an. Dann wanderte sein Blick durch den Raum. Seine Stimme klang blechern, als er hervorstieß: „Um Himmels willen, Christiane! Was hast du getan?“