Читать книгу Junge Liebe mordet nicht: Berlin 1968 Kriminalroman Band 34 - Wolf G. Rahn - Страница 7

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Siegfried Krämer war von den Siebzig nicht mehr weit entfernt. In diesem Alter brauchte man nicht mehr so viel Schlaf. Und wenn man dann auch noch einen Hund besaß, der ausgerechnet immer nachts ein dringendes Bedürfnis verspürte, blieb einem nichts Anderes übrig, als diesem Bedürfnis nachzugeben.

Siegfried Krämer hörte sich das Jaulen seines Bullterriers eine Weile an. Dann schwang er seine Beine aus dem Bett und nörgelte halblaut: „Sei still, Helena! Du weckst ja die ganze Nachbarschaft auf: Deinetwegen hatte ich schon ’ne Menge Ärger. Wenn du so weitermachst, werde ich dich weggeben müssen. Die Polizei hat mich schon zweimal verwarnt.“

Helena unterbrach ihr Jaulen nur sekundenlang. Dann setzte sie es wieder fort. Ein Polizist konnte die Hundedame nicht beeindrucken. Besonders dann nicht, wenn er nur Wachtmeister war.

Allerdings hätte sie auch vor einem Inspektor keinen Respekt gezeigt. Hosenbein war Hosenbein. Darin konnte man sich so herrlich verbeißen. Zu dumm, dass ihr Herrchen so wenig Verständnis für ihre Lieblingsbeschäftigung aufbrachte. Das war auch der Grund, warum sie tagsüber nur an der Leine hinausdurfte und sie deshalb die Nachtstunden für ihre Erkundungen bevorzugte.

Siegfried Krämer zischte ärgerlich und suchte seine Pantoffeln. Natürlich hatte Helena sie wieder mal versteckt. Aber das machte nichts. Er musste sich ohnehin anziehen. Die Hündin bestand darauf.

In wenigen Minuten war er fertig und verließ mit dem Bullterrier das Haus. Vorläufig hielt er sie noch an der Leine. Man konnte ja nie wissen, ob nicht ein später Heimkehrer unterwegs war.

Aber die Straße war leer. Siegfried Krämer bückte sich, um Helena die Freiheit zu geben, als ihn ein Geräusch erschreckte.

Er hob den Kopf und sah, wie sich auf dem gegenüberliegenden Grundstück ein Schatten bewegte.

Das Grundstück gehörte Herrn Zeuner, nicht jedoch der Schatten. Das war ein jüngerer Mann, und der schwang sich jetzt über den Zaun und rannte direkt auf ihn zu.

Siegfried Krämer wollte keinen Ärger, aber er fand schon, dass er etwas tun musste. Der Bursche dort besaß kaum ein reines Gewissen. Man schwang sich nicht nachts über fremde Zäune. Da war etwas faul.

„ He! Sie da!“, rief der alte Mann. „Was wollten Sie denn bei den Zeuners? Bleiben Sie mal stehen!“

Aber der Bursche dachte gar nicht daran. Er stutzte nur kurz, dann lief er weiter, ohne die Richtung zu ändern.

Siegfried Krämer bekam es mit der Angst zu tun. Zum Glück hatte er Helena bei sich. Entschlossen trat er dem Jüngeren in den Weg.

Viel konnte er von dem Halunken nicht erkennen, denn er hatte sich eine Wollmütze tief ins Gesicht gezogen. Er sah nur einen Spitzbart, der irgendwie komisch wirkte, ein paar gehetzte Augen und einen verzerrten Mund.

„ Aus der Bahn, Opa!“, warnte der Kerl.

Siegfried Krämer breitete die Arme aus und stellte sich dem Flüchtenden entgegen.

Das hätte er nicht tun sollen. Er empfing einen Hieb, der ihn zur Seite fegte. Er stolperte und stürzte. Mit dem Kopf landete er auf dem Pflaster und blieb benommen liegen.

Er hörte Helenas wütendes Kläffen, und gleich darauf plärrte eine ältere Nachbarin aus dem Fenster: „Natürlich wieder dieses ekelhafte Hundeviech. Jetzt ist meine Geduld zu Ende. Das Biest muss weg. Bei Tage traut man sich schon nicht mehr auf die Straße, und nachts kann man nicht schlafen. Ich rufe die Polizei.“

Das Fenster wurde zugeknallt, aber deshalb trat keine Ruhe ein. Auch andere Bewohner waren wach geworden und ließen ihren Unmut über die Störung an Siegfried Krämer und seinem Bullterrier aus.

Der Mann hielt sich den Kopf. Zum Glück blutete er nicht. Auch sonst schien er nichts gebrochen zu haben. Er fühlte nur einen Schwindel. Und Angst, dass man ihm Helena wegnehmen könnte.

Wo war sie nur?

In seinem Schreck hatte er die Leine losgelassen, und die Hündin war auf und davongerannt. Er hörte sie in der Ferne bellen.

Was sollte er tun? Den Nachbarn traute er ohne Weiteres zu, dass sie ihm die Polizei auf den Hals hetzten. Was nützte es da, wenn er etwas von einem Einbrecher bei den Zeuners erzählte? Er würde sich von Helena trennen müssen.

Er musste etwas erfinden. Etwas, was die Nachbarn umstimmen würde.

Wenn er zum Beispiel behauptete, jemand habe versucht, in ein Haus einzudringen und Helena habe den Ganoven verjagt, mussten sie dem Tier dankbar sein.

Siegfried Krämer erhob sich und schüttelte seine Benommenheit ab. Ganz wollte es ihm nicht gelingen. Mit unsicheren Schritten ging er zu dem Haus, in dem eine Frau Zukowsky ganz allein wohnte, und läutete an der Tür. Sie war eine von den Nachbarn, die sich am meisten über Helena aufrege.

Im Haus wurde es hell. Die unverkennbare, keifende Stimme schrie von oben: „Was ist los? Wer ist da?“

„ Ich bin’s, Frau Zukowsky. Siegfried Krämer. Ich muss Ihnen etwas Wichtiges sagen.“

„ Sie? Bilden Sie sich nur nicht ein, mich umstimmen zu können. Das Biest muss weg. Das ist ja lebensgefährlich. Bestimmt ist es bissig.“

Längst nicht so bissig wie du‘, dachte Krämer und schüttelte sich. Er konnte nicht begreifen, warum die Frau so ekelhaft war. Vielleicht lag es daran, weil sie schon seit vierzig Jahren Witwe war. Seitdem lebte sie allein in dem großen Haus. Allein wie er. Aber er hatte wenigstens Helena.

„ Hören Sie mich wenigstens an, Frau Zukowsky. Bei Ihnen wollte jemand einbrechen.“

„ Waaas?“

Das Fenster wurde zugedonnert. Sekunden später stand die Zukowsky vor ihm. Sie trug ein bodenlanges Flanellnachthemd und darüber einen selbst genähten Morgenmantel, der ihre nicht vorhandenen Reize verdecken sollte.

Ihr Gesicht war das einer Eule. Auch ohne dass sie ein Wort sagte, wirkte sie wie die Hexe aus dem Märchen. Sie funkelte den Mann durch ihre Brillengläser an, und Siegfried Krämer fürchtete, dass sie seine Lüge längst durchschaute.

„ Ein Einbrecher?“, fragte sie. Ihre Stimme klang überraschend kläglich. „Bei mir im Haus?“

Krämer nahm seinen ganzen Mut zusammen, als er bestätigte: „Helena hat ihn gehört und keine Ruhe gegeben, bis ich mit ihr vors Haus ging. Sie hat ihn vertrieben, als er gerade eine Fensterscheibe bei Ihnen einschlagen wollte. Ihnen ist doch hoffentlich nichts passiert?“

Frau Zukowsky öffnete ihren Mund, bekam aber außer einem Krächzen keinen Ton heraus. Sie wurde grün im Gesicht und fiel in Ohnmacht.

Siegfried Krämer fing sie auf und sah sich bereits vor neuen Komplikationen. Wie er die Zukowsky kannte, würde sie ihm unterstellen, sie während ihrer Bewusstlosigkeit geschändet zu haben.

Er schüttelte sich vor Entsetzen.

Durch diese heftige Bewegung kam die Frau wieder zu sich. Sie schlug die Augen auf, fand sich in den Armen eines Mannes und seufzte auf: „Oh, endlich!“ Dann schlang sie ihre dürren Arme besitzergreifend um ihn und zog ihn ins Haus.



Junge Liebe mordet nicht: Berlin 1968 Kriminalroman Band 34

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