Читать книгу HIPPIE TRAIL - Band 1 - Wolfgang Bendick - Страница 6
HANS IM GLÜCK
ОглавлениеÜber drei Jahre schon hatte ich die Freiheit eingetauscht gegen eine Schulbank. Die Zeit floss träge dahin. Manchmal schien sie still zu stehen. Was für eine Idee, wieder auf die Schule zu gehen! Aber ich wollte frei sein. Und dazu gehörte auch die Möglichkeit zu studieren. Und dazu braucht man das Abi. Zum Glück hatte ich mir einen Fensterplatz gesichert. So konnte ich mir wenigstens vorstellen, ich sitze in einem Flugzeug. Ich sehe die Wolken nach Osten ziehen. Stelle mir vor, welche Länder sie überfliegen würden. Namen wie Istanbul, Teheran kommen mir in den Sinn, Kabul, Katmandu, Goa.
So wie andere in der Ferne Heimweh bekommen, so plagte mich daheim das Fernweh. Da sitze ich hier fest, wo doch das Abenteuer da draußen auf mich wartet! Noch ein paar Monate, noch ein paar Tage, jetzt nur nicht die Prüfungen verpatzen… Aber ich hatte schon hochgerechnet, mir könnte eigentlich nichts passieren. So wie andere eine Wallfahrt geloben, so hatte ich ein Spanferkel gelobt. Fast wäre dieses noch mit dem Leben davongekommen, denn der Schuldirektor fand, dass meine Lateinnote nicht mit meinem geringen Fleiß zu vereinbaren war, und haute mir, ungeachtet des mathematischen Mittelwertes, noch einen 5er rein. Da dies aber mein einziger war, ging es nur dem Schwein an den Kragen, nicht mir! Um mich zu ärgern, lud man mich trotzdem zum Mündlichen ein, für den nächsten Vormittag.
Mit ein paar Kumpels hatten wir schon die Vorfreude genossen. Am Abend dann fuhr ich zu dem Bauern, der mir das Ferkelchen reserviert hatte. Was verstand ich schon von Schweinezucht! Dieser suchte aus der quiekenden, in Panik in alle Richtungen davonlaufenden Meute eines heraus, ein schneller Griff ans Bein, und schon befand es sich im Kofferraum meines VW-Busses, wo es sich langsam beruhigte, wohlig zu grunzen anfing, und sich genüsslich entleerte. „Das ist nicht so dick wie die anderen, ideal als Spanferkel. Ich lass es dir für 30 Mark, anstatt 50, weil du es bist!“ Ich war gerührt.
Wie anders roch mein Wagen am nächsten Morgen! Sogar die Scheiben hatten sich beschlagen. Ich hatte meinen besten und einzigen Anzug angezogen, um wenigstens damit beim Mündlichen zu glänzen. Aber dass ein so kleines Schweinchen einen solchen Mief verursacht, hatte ich nicht gedacht! Ob es auch von meinem Geruch etwas angenommen hatte, konnte ich nicht feststellen. Jedenfalls wichen alle Kumpels vor mir zurück, als ich aus dem Auto stieg. Zum Glück war da der Geiger Matthies, vor seiner Berufung zu Höherem war er Metzger von Beruf. Der packte das Vieh und wir sperrten es erst mal in die Dusche. Da kam einer ganz aufgeregt an, „Mensch, Moses (das war ich), wo bleibst du denn, du musst in 5 Minuten zum Mündlichen!“ Mir blieb gerade noch die Zeit, mich mit dem Rasierwasser vom Uli einzuschmieren und ich stürzte in den Chemiesaal, wo mich die ungeduldige Lehrerschaft erwartete. Diese rümpften die Nasen, dachten wohl, ich hätte zu viel vorgefeiert, weil ich so nach Kotze roch. Wie hätten die denn auch wissen können, dass ich gerade dabei war, ein Gelübde einzulösen!
Am Mittag war alles vorbei. Wir wollten das Ferkelchen holen. Doch es war weg. So klein, dass es unter der Duschtür hätte durchkriechen können, war es doch auch nicht… Dann brachte jemand von den unteren Kursen die Nachricht: „Eine Kiste Bier, oder ihr kriegt es nicht wieder!“ Was blieb mir also anderes übrig, als der Lösegeldforderung nachzukommen. Dann das arme Tier aus den Händen der Kidnapper befreien und in die Hände des Schlachters übergeben. Dieser stellte fest, dass der Bauer mir sein mickrigstes Tier, zudem noch völlig verwurmt, angedreht hatte. Gerade noch gut für den Abdecker. Zum Glück hatte er ein anderes da, das er mir anbot, und so kam es dann doch noch zur feierlichen Einlösung meines Gelübdes.
Ich lag, wie üblich in meiner freien Zeit, unter meinem alten VW-Bus und schraubte herum. Ich war dabei, ihn reisefertig zu machen. Seit langem hatte mich die Idee, eine Reise nach Indien zu unternehmen, über die langweilige Schulzeit hinweggeholfen. Jetzt war es endlich so weit!!! Ich war dabei, die Bodenwanne wegzuschrauben, um das Spiel in der Lenkung einzustellen, als ich ein Motorrad kommen hörte. Es hielt gerade neben mir an. Ich kroch halb unter meiner Karre hervor, um zu sehen, wer mich da störte. Als er umständlich Brille und Helm entfernt hatte, erkannte ich ihn. Es war Walter, ein Motorradkumpel meines Bruders. „Ich hab‘ gehört, du willst nach Indien fahren. Ich will nach Südafrika. Da können wir ja zusammen fahren!“ Ich staunte. Bevor ich den VW-Bus gekauft hatte, war ich nur Moped gefahren. Die kleinen, die nur 40 Stundenkilometer machten. Das reichte mir. Nie hatte jemand aus der Clique meines Bruders mit mir gesprochen oder mich gar gegrüßt. Sie sahen mich gar nicht! Umso mehr war ich überrascht, dass jetzt gar einer anhielt und mit mir sprach! Ein richtiger Rocker verachtet Autofahrer, Mopedfahrer, Radfahrer und Fußgänger gleichermaßen. Einmal hatte mir einer gestanden, wenn er einen Fußgänger am Straßenrand sieht, würde er am liebsten den Fuß raushalten und ihm in den Arsch treten! Ich kroch ganz unter dem Auto hervor und gab ihm meine schmierige Hand zum Gruß. Welch eine Ehre, kam es mir in den Sinn!
„Das ist nicht ganz dieselbe Richtung“, warf ich ein. „Indien liegt von uns aus im Osten, Südafrika im Süden!“ „Ja, aber so ungefähr schon“, meinte er, „was denkst du, könnten wir uns heute Abend mal treffen, bei einem Bier? Vielleicht im Rössel in Martinszell? Ich hab‘ noch ein paar Kumpel, die würden auch mitkommen.“ Ich war eher abgeneigt. Was sollte ich in dieser Rockerbande, und dann noch mit anderen? Trotzdem sagte ich zu, nur mal so um zu sehen…
Am Abend trafen wir uns in der Kneipe. Sie kamen auf ihren aufgetunten Kisten angedonnert, ich in meinem doppelscheibigen Bulli. Bald saßen wir ums erste Bier und prosteten uns zu. Zwei von ihnen kannte ich etwas. Ich hatte sie mit meinem Bruder gesehen. Eines hatten wir gemeinsam, wie ich feststellte, die schwarzen Fingernägel! „Willkommen im Club der Schrauber!“ sagte Walter. Die anderen waren Gert und ein anderer Wolfgang. Es stellte sich bald heraus, dass wir noch etwas gemeinsam hatten: Wir alle hatten den Film „Easy Rider“ gesehen, mit Peter Fonda und Dennis Hopper. Ein Roadmovie mit schlimmem Ende. Wir teilten unsere Begeisterung für den Film. Dieser Film war ihnen auch der Auslöser gewesen, eine größere Motorradtour unternehmen zu wollen. „Auto? Das ist was für Spießer! Motorrad, das ist echte Freiheit!“
Es war ein feuchter, heiterer Abend, bei dem sich herausstellte, dass der andere Wolfgang ein ziemlicher Spaßvogel war, und auch Gert war ein netter Bursche. Gar nicht so übel, die Rocker, wenn man sie etwas näher kennt! Wir trennten uns mit einem Kompromiss: Sie verzichteten auf Südafrika und würden mit nach Indien fahren, ich verzichtete auf meinen VW-Bus und würde mir ein Motorrad zulegen.
Beim nächsten Treffen wurde beschlossen, dass wir alle mit 250er BMWs fahren würden, genauer der R 25/3, weil dieses, ihrer Meinung nach, das zuverlässigste Motorrad war, das je gebaut worden ist. Sozusagen der Traktor unter den Motorrädern. Natürlich sind die Kisten inzwischen schon alt, aber eben deshalb haben sie sich beweisen können! Außerdem, wenn jeder die gleiche Maschine hat, kann man im Fall eines Totalschadens alle noch heilen Teile als Ersatzteile benutzen. Logisch!
Es folgten weitere Treffen. Es wurde Ende März als Abfahrtstermin festgelegt, weil bis dahin der andere Wolfgang seinen Militärdienst fertig hätte. Das gab uns noch genügend Zeit, die Maschinen zu besorgen und die Vorbereitungen zu treffen. Auch wollten wir früh genug weg, um nicht in den Monsunregen zu geraten, der ab Juli in Indien niedergeht.
Im „Käsblättle“ fand ich die gesuchte Maschine, ein tolles Teil. Ich versuchte sie gleich, trotz tiefen Schnees und baute einige wunderschöne Stürze. Ein Vorgeschmack auf den Himalaya! Auch Walter und Wolfgang waren bald stolze Besitzer eines solchen Gefährts, das sie liebevoll „meine Braut“ nannten. Bald sprachen wir nur noch von unseren Bräuten. Wer uns reden hörte dachte, die müssen verrückt sein, hatten wir doch nicht lange zuvor Wetten abgeschlossen, nicht zu heiraten. Nur Gert war noch ledig. Als wir eines Abends zu unserem Treffen fuhren, überholte uns eine 600 BMW und ließ uns den Auspuff riechen. Der Fahrer hob grüßend die Hand. „Angeber!“ rief Walter ihm hinterher und hob die Faust. Bei der Ankunft vor unserer Stammkneipe sehen wir, dass die 600er davorsteht. Als wir in die Stube kommen, sitzt Gert da am Stammtisch und lacht uns hämisch an. Die Kumpels sind sauer. „Verräter! es war doch ausgemacht, alle die gleiche Maschine!“ Er lacht: „Da kann ich Euch wenigstens abschleppen, wenn ihr in Panne seid!“ „Das fehlt gerade noch, dass wir die nächsten 10 000 km deinen Staub schlucken sollen!“ Mit Mühe konnte ich eine Schlägerei verhindern. Sofortige Abstimmung, und Gert ist aus der Bande ausgeschlossen.
Im Laufe der Treffen kommen andere dazu. Walter hat in die Zeitungen Inserate gesetzt. Das passt mir gar nicht. Ich will nicht mit einer Reisegruppe unterwegs sein! Doch so viele, wie dazukommen, so viele schmeißen auch wieder das Handtuch, und letztlich bleiben wir Drei. Außerdem wollen die anderen Sponsoren finden und ich schreibe Briefe an BMW und andere Firmen. Auch klappere ich die Zeitungen ab, um ihnen Berichte anzubieten. Doch die Antwort ist immer die gleiche: „Macht erst mal die Reise, dann reden wir weiter…“
Wir malen inzwischen unsere Maschinen an: schwarzer Rahmen, weiße Schutzbleche, roter Tank. Walters Bruder, der Spritzlackierer ist, hilft uns dabei. Unsere Helme sprühen wir Schwarz/ Rot/ Gold. In senkrechten Streifen in Fahrtrichtng. Einen ganzen Abend hatten wir darüber diskutiert. Waagerecht sieht beschissen aus, wurde mehrheitlich beschlossen, selbst wenn man unsere Truppe für Belgier halten könnte. Ich lasse den Motor meiner Braut vom Poschenrieder, dem Speedway Champion, der in unserem Dorf wohnt, generalüberholen. Dieser hatte eine Zylinderschleiferei. Sicher ist sicher.
Unsere Abreise verzögert sich. Walter muss noch eine Baustelle fertigmachen. Er fragt mich, ob ich ihm dabei helfen will. Warum nicht, denn ich könnte für die Reise gut etwas mehr Geld brauchen als das, was ich mir im Laufe der Schulzeit mit Nachhilfeunterricht und jeden Mittwoch bei der Arbeit in einer Plastikfabrik zusammengespart habe.
So verging der März. Ich arbeitete als Handlanger mit Walter auf dem Bau, wo wir die Heizung installierten. Gleich gegenüber lag das Mädchengymnasium, wo Marion, meine Freundin, in die 12 Klasse ging. Wir teilten unsere Brotzeitpausen so ein, dass sie mit den Pausen der Schülerinnen zusammenfielen. Dann saßen wir beide oben auf dem Flachdach des 5ten Stocks, ließen unsere Beine im Leeren baumeln und machten „Fleischbeschau“, wie wir das nannten. Nur, dass unsere Pausen bald länger wurden als die der Schülerinnen. Walter trödelte und schien es nicht mehr eilig zu haben, wegzukommen.
Wir hatten Mitte April. Wolfgang kam nicht mehr zu den Treffen. War plötzlich unerreichbar für seine besten Freunde! Wir lauerten ihm auf. Er druckste etwas herum und gestand dann ein, dass man ihm angeboten hätte, Beamter zu werden. Das wäre doch die Gelegenheit. „Da kann ich dir jetzt schon deinen Lebenslauf sagen“, bemerkte ich: „Ich wurde geboren, ging in die Schule, wurde Beamter und trat in den Ruhestand ein!“ Ein Postbote mehr, ein Mitfahrer weniger.
Walter nannte ihn Drückberger und Spießer. Ich drängte auf Festlegung des Abreisetermins. Wir einigten uns auf den 2. Mai. Nach dem Feiertag. Doch am 5. sollte die Heiz-Anlage, die wir installiert hatten, abgedrückt werden (auf Dichtheit geprüft). Also erneuter Aufschub. Er schickte mich in den Keller zum Schieber aufdrehen und wollte mich oben zur Brotzeit und „Fleischbeschau“ erwarten. „Nach der Brotzeit wird die Anlage voll sein, ein paar kleine Korrekturen, und du wirst staunen.“ Die Brotzeit war vorbei, die Mädchen wieder in ihren Klassenzimmern, die Ausdehnungsgefäße noch trocken. Plötzlich ein Schrei von unten, aus dem Keller. „Sauerei! Der ganze Keller steht unter Wasser, kommt sofort runter ihr Pfuscher!“ Es war der Wasserinstallateur, der in den Keller gegangen war, um ein paar Gewinde zu schneiden. Wir rasten hinunter. Knöcheltief stand da das Wasser. Es war gerade mal bis ins Erdgeschoß gekommen, wo es seinen weiteren Weg durch die schlechten Schweißnähte suchte! Damit war der Bauabschluss wieder in unbekannter Ferne gerückt. Ich sagte, jetzt reicht‘s mir, denn ich hatte gemerkt, dass Walter keine Eile zeigte. „Wenn du nicht mehr willst, dann fahre ich alleine. Aber länger rumzutrödeln, habe ich keinen Bock mehr!“ Da gab er zu, dass er keine große Lust mehr hatte, aber vor allem nicht genug Geld. Letzteres nahm ich ihm nicht ab. Ich ging zur Chefin und kündigte. Sie wollte mich unbedingt behalten und bot mehr Lohn. Doch sah ich meine Zukunft nicht als Klempner. Ich kam mir vor wie das letzte der ‚zehn kleinen Negerlein‘ aus dem Kinderlied…Jetzt nur aufgepasst, dass ich nicht auch noch auf der Strecke bleibe!
Unterhalb von mir, in der Siedlung, wohnten ein paar andere Motorradfans. Die Eltern eines guten Freundes, Gespannfahrer: Elefantentreffen, Nürburgring, die alte Generation. „Was, mit dieser Kiste willst du eine solche Reise machen?!,“ sagten sie, als sie meine BMW sahen. „Die ist ja viel zu klein und zu schwach für sowas.“ Sie hatten eine Zündapp KS 601 mit Seitenwagen. „Das ist das einzige für eine solche Reise: robust, stark und zuverlässig.“ Mir waren selber auch schon Zweifel gekommen, als ich meine Maschine hergerichtet hatte. Auf jeder Seite hatte ich hinten zwei große Blechkoffer angeschraubt, an denen seitlich in einem geschweißten Rahmen zwei Benzinkanister steckten, die dem Gefährt eine Breite von über einem Meter verliehen. Ich hatte alles schon in den Bergen ausprobiert und Proviant auf eine Freizeithütte transportiert. Dabei wurde der Motor enorm heiß. Aber ich schaffte es. Das Schwierigste war immer das Anfahren. Das ging auf Kupplung und Reifen. Ich war mir nicht sicher, all meine Ausrüstung auf ihr unterzubringen. „Aber wo kriegt man so schnell eine andere Maschine her?“ fragte ich. „Es könnte sein, dass wir die unsere verkaufen. Man wird älter, und wenn man ein Auto hat, nimmt man meistens das… Komm mit! Sie befindet sich in einer Garage beim Sportplatz.“
Bald standen wir vor dem Tor. Sie schlossen die Kette auf und öffneten die Torflügel. „Ojemine!“ entfuhr es mir, „das sind ja nur noch Einzelteile!“ Da lag alles durcheinander, als wäre die Maschine explodiert: Rahmen, Motor, Räder, Sitzbank, Seitenwagenrahmen und Boot. „Das machen wir jeden Winter, wenn wir mal nicht am Nürburgring sind. Generalüberholung! Keine Angst, wir helfen dir, falls du nicht alles zusammenbringst! Und schau her, wir haben da noch 2 Ersatzmotoren, wie neu, 3 Getriebe, ein paar Räder, und hier eine ganze Kiste mit Zündspulen, Kondensatoren, Kerzen… genug Teile, um zweimal um die Welt zu fahren!“ „Und was soll das ganze kosten?“ „Dir lassen wir‘s für 700 Mark. Sonst würden wir das nicht unter 1000 verkaufen.“
Ich ließ mich überzeugen und sagte zu, vor allem, weil mich ein Schulfreund kurz zuvor gefragt hatte, ob ich nicht eine BMW für ihn wüsste. Ich überließ ihm also meine für den Preis, den ich hingelegt hatte. Und nochmal dasselbe, und die Zündapp war mein. Ich fühlte mich wie Hans im Glück! „Da hast du einen guten Deal gemacht! Für den doppelten Preis hast du mehr als das Doppelte an PS!“
Wiederum verschob sich mein Abreisetermin. Marion, meine Freundin, freute sich. So konnten wir fast allabendlich weiter unsere Spaziergänge unternehmen, uns umarmen, alle Kussarten durchprobieren. Oft saß sie auf einem Zaun, ich stand zwischen ihren Beinen und umschlang sie sehnsüchtig. Viel mehr trauten wir uns nicht. Wir redeten über die kleinen Bergtouren, die wir unternommen hatten und noch machen wollten. Schliefen manchmal zusammengekuschelt im Matratzenlager einer Almhütte und ertrugen den Gestank der Schweißfüße anderer und deren Gegenwart, obwohl ich lieber alleine mit ihr nur eine einzige Matratze geteilt hätte. Überall sprach man von freier Liebe, Women’s Liberation, Pussy Power. Und wir waren noch die Sklaven mittelalterlicher Scheinmoral und wagten nicht, die Ketten abzuschütteln. Die Antibabypille war nicht für uns erfunden worden.
Langsam bekam mein neues Motorrad Gestalt. Wie ein dreidimensionales Puzzle fügten sich alle Teile zusammen. Und das Ganze sollte am Ende dann auch noch rollen, sogar von selber - ich war gespannt! Gespannt wie die Speichen, die ich alle nachdrehen musste, bis sie klangen wie die Zunge einer Maultrommel. Noch ein paar Kabel verlöten, Dichtungen wechseln sowie Kohlen und Öle. Die Mutter eines Freundes nähte mit ihrer Nähmaschine einen neuen Sitzbankbezug, Dann Benzin in den Tank und kicken. Kicken bis zum Geht-nicht-mehr! Nochmals Vergaser auf, ausblasen, Filter in beide Benzinleitungen. Am Ende suche ich bei den Veteranen um Rat. Ungern. Die lachen. „Das ist normal. Das dauert. Wenn du wüsstest, was wir im Leben schon gekickt haben! Gut Ding will Weile haben!“ Nur mir reicht langsam die Weile! Es ist schon Mitte Mai vorbei. Zum Glück geht vor der Garage die Straße eine Weile bergab. Wir schoben das Gespann hinaus. Zu dritt mussten wir schieben. Als dann endlich das Ganze leicht rollt, aufspringen, Kupplung ziehen, loslassen. Das Rad blockiert. Gang wieder raus - erneuter Versuch, diesmal mit dem Zweiten Gang. Ein Knall, und wieder blockiert das Rad. Neuer Versuch, diesmal mit dem dritten Gang. Als der Motor dreht, schnell unter Krachen den zweiten rein. Unter dem Blubbern des drehenden Motors schieben wir mit letzter Kraft weiter. Bald wird die Straße flach! Da! Ein paar Fehlzündungen. Wieder aus. Doch dann überlegt er sich’s und spotzt eine Weile unter fürchterlichem Qualmen. Dann dreht er ruhiger. Ich drehe am Gas. Er reagiert. Alle klopfen mir auf die Schulter. „Wir haben’s ja gesagt! Läuft wie ein Uhrwerk!“
Eine Runde zu dritt bis nach Mumholz, die Maschine hat noch keinen TÜV, also Vorsicht! Und dann rein in die Garage zur Feineinstellung.
Sofort machte ich einen TÜV-Termin aus. Bis dahin vervollständigte ich die Maschine. Ich strich den Seitenwagen weiß an, malte darauf in Schwarz die Weltkarte und da hinein in Rot meine geplante Reiseroute. Denn für mich stand jetzt fest, einmal in Indien, dann auch gleich weiter ganz um die Kugel rum! Ich machte mich an die Auswahl der Ersatzteile. Was könnte auf der Fahrt kaputt gehen? Der Motor? Möglich. Er hatte da irgend so ein komisches Geräusch. Das hörte sogar ich als früherer Zweitaktfahrer! Der Verkäufer meinte, das sei das typische Geräusch der KS 601. Ein ganzer Motor war mir zu schwer zum Mitnehmen. Ich baute lieber die Kolben aus und zwei Zylinder mit den zugehörigen Köpfen. Die Getriebe waren nicht so sperrig. Ich probierte sie auf Spiel und wählte das Beste aus. Dann eine Menge Kleinkram wie Lichtmaschine, Regler, Unterbrecher, Kerzen, Birnen, 4 Räder, Bremsbacken und weiteres. Den Rest, und das war ‘ne ganze Menge, packte ich in Kartons, beschriftete sie und verstaute sie im Keller meiner Eltern.
Die Kiste war angemeldet und versichert; ich konnte damit zum TÜV fahren, aber nicht mehr. Die Zeit bis zum Termin verbrachte ich damit, das Gespann auszuprobieren und mich damit vertraut zu machen. Meist auf Feldwegen und Bergstraßen. Denn ein Seitenwagengespann will beherrscht werden! Und wenige konnten mir da Ratschläge geben! Der Termin war gekommen. Ich düste also zum TÜV. Mit mulmigem Gefühl. Wer hätte das nicht? Könnte doch dessen Urteil meine Reise zunichtemachen oder zumindest hinausschieben. Der Prüfer ging um das Gerät herum. „Ist so neu ja auch nicht mehr“, war seine erste Feststellung. „Zweiundfünfziger Baujahr, 4 Jahre weniger als ich“, bemerkte ich. „Gut! Wollen mal näher sehen wie sie beieinand‘ ist. Fahren sie mal auf den Prüfstand“. Zum Glück sprang der Motor schon beim fünften Kick an. Es schien, als ob die Halle alle Geräusche verstärke. Auf der Grube mache ich den Motor aus. Der Ingenieur rüttelt überall rum, putzt mit einem Lappen hier und da um Nummern zu finden und die Schweißnähte zu prüfen. Ich kreuze meine Finger. Bis jetzt scheint er zufrieden. „Sogar die Seitenwagenbremse geht“, stellt er fest. Ich muss den Motor wieder starten. Er hält den Kopf schräg und scheint zu lauschen. Dann sitzt er auf, legt sein Testblatt in den Seitenwagen und fährt eine Runde über das Gelände. Bremsversuche, links herum, rechts herum. Hupe, Licht. Dann kommt er neben mir zum Stehen. Er steigt ab. Zeigt auf den linken Zylinder und auf die Weltkarte auf dem Seitenwagen. „Mit diesem Motor schaffen sie diese Strecke nicht!“ „Ich habe da auch schon was gehört“, sage ich, „aber der frühere Besitzer meint, das sei das normale Laufgeräusch!“ „Das sagen sie alle. Ansonsten ist alles in Ordnung.“ Er presst den Stempel auf das Nummernschild, stempelt die Papiere. „Auf jeden Fall eine gute Reise!“
Puh! Ich war froh, dass ich das hinter mir hatte. Nur das Geräusch…
„Was verstehen die denn schon von Motoren!“ meinte der Verkäufer, als ich ihm vom TÜV berichtete, „nichts als Fachidioten! Und außerdem warst du es ja, der die Maschine unbedingt haben wollte. Ich wollte sie eigentlich gar nicht verkaufen!“ Wie man die Dinge verdrehen kann… Alles, was ich jetzt wollte, das war nichts wie weg! Weg aus dieser Welt der Heuchler, der Falschspieler! Ich fing an, alles zu verstauen. Das, was nicht reinging, band ich auf den Seitenwagen und hinten auf das Motorrad. Das war eine Menge Zeug. Wollte man alle Pannen einkalkulieren, bräuchte ich noch zusätzlich ein Begleitfahrzeug! Der Postbote brachte einen Einschreibebrief. Ich machte ihn auf. Darin stand, dass ich in ein paar Tagen meinen Ersatzdienst anfangen sollte, in Memmingen, in einem Behindertenheim. Und ich hatte gedacht, weil ich so alt war und zur See gefahren bin, dass die mich in Ruhe lassen! Ich stopfte den Schrieb in einen Umschlag, fügte drei Zeilen hinzu: „Da ich mich für längere Zeit im Ausland befinde, kann ich leider den Dienst nicht antreten“ und schickte alles zurück an die Zivildienststelle. Das müsste reichen.
Während der letzten Vorbereitungen kamen nach und nach auch meine Freunde vorbei. „Bis bald!“ waren meistens ihre letzten Worte. Ich drückte mich etwas vorsichtiger aus: „bis später, vielleicht!“ Denn zu viele Kilometer lagen vor mir. Den letzten Abend verbrachte ich mit Marion im Altwasser. Als ich mich von meinem Vater verabschieden wollte, kriegte der wieder seine Krise und brüllte Dinge, die ich, wenn ich könnte, gerne ungehört machen würde. Meine Mutter war in Tränen. Sie umarmte mich, wünschte mir alles Gute und fügte sich in ihr Schicksal, wie schon so viele Mütter vor ihr…