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NAGETIERE

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Inzwischen weiß ich sogar, dass wir die Schotten vorher noch mit dem Frischwasserschlauch hätten entsalzen müssen. Es ist fast eine Kunst, ein Schott richtig zu waschen, oder unter Deck. Danach sieht alles fast wie ein Neuanstrich aus. Aber manchmal hilft Waschen auch nicht mehr. Dann heißt es Brille auf die Augen und Rosthammer in die Hand. Und dann klopfen wir um die Wette, dass selbst die in der Maschine denken, da ist ein Specht am Werk. Millimeterweise nagen wir den Rost von den Lukendeckeln und vom Deck. Wir suchen mit Rostkratzern, 30 Zentimetern langen Flacheisen, an einem Ende abgewinkelt, beidseitig mit Klingen versehen, nach Rostbeulen unter den vielen Farbschichten. Wir stechen die Ränder der so entstehenden Löcher glatt, damit nichts absteht und kein Seewasser unter lose Farbschichten gelangen kann. Weiterhin gibt es die Roststecher, eine dreieckige Klinge auf einem langen Stiel, mit denen man das Deck vom Rost freisticht. Gerade das Deck ist am meisten vom Rost befallen, weil durch die Deckslast der Schutzanstrich verletzt wird. Innerhalb von ein paar Tagen hat man uns zu Rostspürhunden dressiert, die sogar unter millimeterdicken Farbschichten ein einzelnes Rostmolekül erschnüffeln, wie ein Zollhund eine Droge... Instandhaltung heißt das im Fachjargon. Wir nannten es Beschäftigungstherapie. Bis hierher alles noch echte Handarbeit.

Ging es an größere Flächen, griffen wir zur Artillerie. Das war die Rostmaschine. Am einen Ende befand sich ein starker Elektromotor, der über eine fast zwei Meter lange biegsame Welle einen runden Hammerkopf antreibt, welcher mit flachen Stahlhämmerchen bestückt ist. Niemand kannte das Wort Gehörschutz. Funken spritzen bisweilen, sonst nur Staub und ein unerträglicher Lärm. Wir binden uns Tücher vor den Mund, schwitzen unter der Schutzbrille, die sich mit Staub und Schweiß zusetzt. Uns brennen die Augen vor salzigem Schweiß und Dreck. Wir haben rote Augen und brechen in Lachen aus, wenn wir einander ansehen. Ein lautes Rasseln erfüllt die Luft und selbst auf dem Achterschiff verspürt man die vom stählernen Rumpf bis hier geleiteten Vibrationen. Dann werden diese bloßgelegten Flächen mit einem Stahlborsten-Schrubber vom Feinrost befreit. Inge, ein Kadett, hatte die grandiose Idee, seine Bürste mit einem dicken Schäkel zu beschweren, den er am Stiel festbändselt. Somit brauchte er wenigstens nicht mehr auf den Schrubber zu drücken. Hans-Dieter holte sich im Kabelgatt einen noch größeren. Sachsenberg holte sich gleich einen 10-Tonnen-Schäkel, mit dem Ergebnis, dass der Stiel bricht. Dazu trinken wir kannenweise Kujambelwasser, Himbeersirup mit Wasser verdünnt. Das ist unser Hauptgetränk, es kostete nichts, machte nicht besoffen und ist kalt.

Für die großen Flächen nehmen wir den Hammerkopf ab und schrauben eine runde Bürste auf die Welle. Diese muss normalerweise mit beiden Händen gehalten werden, weil sie Tendenz hat, wegzurollen. Nur, wenn man stundenlang mit der Bürste an Deck sitzt uns die Sonne auf deine Rübe donnert, geht einem so manches durch den Kopf: Warum macht man das Ganze? Warum geht der Motor einfach nicht kaputt? Wie kann man das einfacher machen? Mickymaus holt einen leeren Farbeimer und setzt sich darauf. Motor an, ein Fuß auf die Welle, knapp hinter der Bürste, und er kriegt schon mal weniger Staub ab als im Knien. Es funktioniert! Bloß läuft ihm die Bürste manchmal weg und sucht sich hüpfend ihre eigene Bahn. Und bis er den Schalter erwischt auf der inzwischen tanzenden Maschine, kann schon was passiert sein. Dieses ‚System Mickymaus‘ verbessern wir noch, indem wir ein Seil zwischen Fuß und Bürste an die Welle binden. Mit dem Fuß drücken wir, mit dem Seil ziehen wir. So haben wir die Bürste voll unter Kontrolle und kommen gut voran.

Irgendwann, es bleibt noch Rost für mindestens 2 Monate zu klopfen, steht der Scheich hinter uns. Wir haben ihn nicht kommen hören, wie hätten wir auch, bei dem Krach. Er schaltet die Maschinen aus. „Aufhören! Schluss!“, meint er. „Gerade jetzt, wo es richtig Spaß macht! Nein, bitte nicht!“, feixt Inge. „Nix da, Schluss mit dem Dreck! Jetzt wird imprägniert!“ Und da hat jeder Bootsmann sein eigenes Rezept. Unserer schwor auf Bleimennige. Die sieht orange aus und wird in 2 Schlägen aufgetragen. Mit der Rolle. Pinsel wäre besser, aber wir müssen vorwärtskommen. In der Hitze benebeln einen die Lösungsmitteldämpfe. Die Rolle schleudert Spritzer um sich. Bald siehst du aus, als hättest du Masern! Und unser Schiff wie ein Seenotrettungskreuzer. Ist das trocken, folgt ein Schlag flüssiger Teer. Dazu bräuchten wir Masken. Aber außer dem Dräger-Atemschutzgerät für Brandfälle haben wir nichts an Bord. Doch wir haben's überlebt! Wie sieht unser Schiff jetzt schick aus, mit dem glänzenden, neuen Teeranstrich!

Manche Arbeiten fanden wir überflüssig. Aber sie dienten alle der Instandhaltung unseres Wohnortes und Arbeitsplatzes und garantierten uns eine gewisse Sicherheit auf unserer Nussschale. Manchmal beugte ich mich über die Reling und versuchte mir vorzustellen, was da unter mir ablief. Was da für Lebewesen ihr Unwesen trieben, vielleicht fuhren wir gerade über ein Unterwassergebirge, 6000 Meter unter meinen Füssen... Ein Schiff auf Zigarettenlänge reduziert, hat ungefähr eine Rumpfstärke wie das Zigarettenpapier. Und ich schwimme da in dem Zigarettenpapierröllchenschiff und wiege mich in Sicherheit. Alles ist relativ.

Eines nachts durchfuhren wir ein riesiges Gebiet mit Leuchtplankton. Dort, wo die Bugwelle sich überschlug, leuchtete es hellgrün auf. Bis weit hinaus leuchtete das Meer in hellen Streifen. Nach der Wache schleiche ich mich auf die Back, lehne mich über die Verschanzung überm Steven, dem Wasserpflug und versenke meinen Blick in das weiß-grünlich sich teilende Wasser der entstehenden Bugwelle. Die See ist still. Wie ein weiter, riesiger Fächer sieht das Meer aus, hier von der Back betrachtet. Die Luft ist warm. Es geht kein Hauch. Die Maschine hört man hier vorne nicht. Ich spüre nur den leichten Herzschlag des Schiffes, bedingt durch die Drehung der Schraube am Heck. Ich erlebe einen Augenblick, der mich alle Mühen der letzten Wochen vergessen lässt. Am liebsten würde ich die anderen wecken und ihnen das zeigen. Doch die würden nur sagen: „Schmeiß deinen Geheimsender über Bord und besauf' dich mal richtig...“


Schiffsglocke auf der Back

Vorm Mast

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