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PAPENDIECK
ОглавлениеDreimal die Woche war Bootsmanöver. Dazu ging die ganze Wache zum Hafen am Ufer der Oste. Der bestand aus einem hohen, hölzernen Steg, auf dem die Rettungsboote hingen, und einer betonierten Rampe, auf der man die Dinghis zu Wasser lassen konnte. Dies waren kleine Holzboote, worauf man auch ein kleines Segel setzen konnte. Wir benutzten sie hauptsächlich, um Wriggen zu lernen, sich mit einem einzigen Ruder am Heck vorwärts zu bewegen. Das bedarf großer Geschicklichkeit. Durch meine Kindheit am Wasser konnte ich das schon, und ich war stolz darauf, den anderen mal etwas zeigen zu können!
Unsere Hauptaufgabe war, die Prüfung zum Rettungsbootsmann vorzubereiten und zu bestehen. Das bedeutete erst mal, mit allen Handgriffen vertraut zu werden, um ein Boot zu Wasser zu lassen. Und dann in einer Gruppe die Leute einzuteilen und die Kommandos zu geben, um das Boot schnell und sicher einsatzbereit zu haben.
Am Hafen
Im Unterricht hatten wir schon von den verschiedenen Davitsarten (Rettungsbootsaufhängungen) gehört. Hier waren sie vor uns. Einer der zwei Kutter hing in einem Spindeldavit, der andere in einem Schwerkraftdavit. Es gab noch eine dritte Art, die wir hier nicht besaßen, den Schwingdavit. Diesen findet man nur noch auf alten Segelschiffen. Sie bestehen aus zwei drehbar auf Deck befestigten galgenförmigen Armen, an denen an Taljen (Seilzügen) das Rettungsboot überm Deck hängt. Durch Vor- und Rückwärtsschieben des hängenden Bootes kann man diese Davits außenbords schwenken, um das Boot zu Wasser zu lassen. Da diese Art langwierig ist und bei Schlagseite schier unmöglich (Untergang der Pamir), ist auf Neubauten nur noch der Schwerkraftdavit erlaubt.
Der Spindeldavit besteht aus zwei ausschwenkbaren Armen, in denen das Rettungsboot ruht. Einmal die Sicherungslaschen los, werden diese Arme mittels Spindeln (Stangen, die mit einem Schneckengewinde versehen sind) durch Kurbeln ausgeschwenkt. So schwebt das Boot langsam ins Freie und kann zu Wasser gefiert werden. Eine etwas langwierige Sache, denn es bleibt einem bei Seenot oft nur wenig Zeit! Deshalb kommt auf neueren Schiffen nur noch der Schwerkraftdavit zur Anwendung. Bei diesem reicht es, die Sicherung frei zu machen und die Fliehkraftbremse zu lösen. Durch die Konstruktion bedingt und durch das Gewicht des Rettungsbootes klappen die Arme aus und das Boot ist in kürzester Zeit im Wasser. Zwei Leute müssen sich mindestens im Rettungsboot befinden, um die Taljen auszuhaken. Über dem Boot hängen an einem Stag mehrere Manntaue (Seile mit Knoten drin) zur Sicherheit der Männer im niedergehenden Boot.
Mit viel Zeit und viel Gebrüll lernte auch der urigste Bergler alle Handgriffe und alle Befehle auswendig: „Antreten zum Bootsmanöver“, „Klar zum Bootsmanöver“ und so fort. So lernten wir, wie es später in unserem Alltag sein würde: Du bekommst eine Order, wiederholst sie, führst sie aus und meldest die Ausführung. Nur so sind Missverständnisse weitgehend auszuschließen.
Links Spindeldavit – rechts Schwerkraftdavit
Das Boot zu Wasser lassen, das ist das eine. Etwas anderes ist es, es zu bewegen. Zum Glück konnte ich schon rudern. Aber rudern alleine ist was ganz anderes als rudern zu zwölft! Da war der Bootsführer. Anfangs Papendieck oder ein Offizier. Der stand am Steuer und gab den Takt an, oft indem er mit der herausgezogenen Ruderpinne auf die Ducht (Sitzbank) schlug. Wir saßen, je zwei nebeneinander, auf unseren Duchten, die schweren hölzernen Riemen mit beiden Händen an der verjüngten Stelle haltend. Auf dem Dollbord (dem oberen Rand des Bootes) lag das Ruder in seiner Gabel, der Dolle. Das Wichtigste ist, dass alle im gleichen Takt arbeiten. Anfangs glichen unsere Ruderversuche eher einer außer Kontrolle geratenen Windmühle. Holz schlug auf Holz, Wasser spritzte, ein Riemen glitt aus den Händen und entfernte sich langsam auf der Oste. Papendieck lief rot an, benannte uns mit allen möglichen Primatennamen. Doch langsam kam ein Anfang von Ordnung in die Sache. „1-2-3-4“. „1“ war die Riemen in waagerechter Stellung nach vorn zu bewegen, d. h., wir bewegten die Griffe der Ruder nach hinten. „2“ war drehen der Ruderblätter auf senkrecht und eintauchen. „3“ war wegholen, so fest wie möglich ziehen. „4“ Riemen aus Wasser und waagerecht drehen. Und dann das Ganze nochmal und nochmal und nochmal. Immer fester, immer schneller, immer harmonischer, bis zur Erschöpfung. Bald schon konnten wir stolz auf unsere Fortschritte sein, obwohl Papendieck weiterhin meckerte. Binnen kurzem wurde jede Bootsübung zu einem Wettrennen zwischen den zwei Kuttern. Es stellte sich heraus, dass der andere Kutter immer schneller war. Vielleicht war er leichter oder etwas schnittiger gebaut. Wir waren 6 Paar Ruderer. Die 2 Hintersten hießen die Schlagleute. Das waren die Kräftigsten, sie gaben in der Regel den Schlag an, also den Rhythmus und damit die Geschwindigkeit. Uns blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen, sonst gab es Riemensalat. Am Ende hieß es dann nur noch „eins und!“ Unsere Ruder flogen, das Wasser schoss quirlend weg, der Kutter jagte vorwärts. Bald dann nur noch „hol – weg! Hol – weg!“ und unser Bootsmann lachte.
Einbringen der Dinghis
So rasten wir über die Oste, der schwere Kutter, in dem auch ich saß, meist hintendran. Papendieck versprach dem, der den Riemen (Ruder) abriss, 10 Mark, um uns anzufeuern, den anderen Kutter abzuhängen. Gerd, der Heizer, schaffte das zweimal. Das Geld bekam er nie, dafür aber einen Anschiss wegen Beschädigung von Schulmaterial. Manchmal ging unser Rennen bis zu dem kleinen Binnenschiffhafen von Bremervörde. Dann durften wir bremsen. „Halt Wasser!“ war das entsprechende Kommando. Oder „Ruder kreuzen!“, dann zogen wir die Riemen einwärts, bis die Griffe auf das gegenüberliegende Dollbord zu liegen kamen. „Segelstellung!“ Wir drehten sie senkrecht. Das bedeutete eine kleine Pause, in der der Kutter langsam von der Strömung oder vom Wind getrieben wurde. Das ließ uns Zeit, das ruhige Treiben in diesem Minihafen zu beobachten.
„Ruder an!“
Bis dann die Order „Riemen klar!“ uns aufschreckte, und wir die Ruder schnell in Bereitschaftsstellung brachten. „Ruder an an Steuerbord, streichen (rückwärts) an Backbord!“ war die Order zum Wendemanöver. Dann wieder Wettfahrt bis zum Landungssteg. Befehle wie „Ruder ein!“ oder „Ruder aufrecht!“ lockerten das mühsame Rudern auf. „Ruder ein!“ oder „Lass laufen! Aber nicht in die Hose!“ waren die Kommandos, wenn sich die Kutter zu nahe kamen oder wenn wir uns zum Anlegen vorbereiteten. Das Anstrengendste stand uns jetzt bevor: Das Aufhieven der Kutter in die Davits und diese dann einschwenken. Dieses artete natürlich in ein Wettkurbeln zwischen den 2 Kutterbesatzungen aus. Als ginge es um unser Leben, gaben wir dabei unser Äußerstes. Wir trieben dieses Spiel bis zur Erschöpfung, nur um Erster zu sein, oder einen neuen Zeitrekord aufzustellen. Denn all diese Manöver wurden unter Kontrolle von Stoppuhren ausgeführt.
Einmal hatte es länger geregnet, und die sonst so gemütliche Oste drohte über die Ufer und Deiche zu treten. Ein Teil von uns Schülern füllte am Hafen Sandsäcke auf, wir fuhren sie unter strömenden Regen in den Kuttern zu den Stellen, wo das Wasser überschwappte. Dort warfen wir sie an Land, wo sie von den Landhelfern an die gefährdeten Stellen gepackt wurden. Da kamen wir uns endlich mal nützlich vor. Wir waren völlig durch, bis auf die Haut. Wie tat das da gut, als uns die Landleute aus ihrer Thermosflasche einen steifen Grog servierten!
Ein andermal, es war auch Hochwasser, aber keine Überschwemmung, ruderten wir wie üblich. Nur hatten wir es geschafft, endlich mal den anderen Kutter achteraus zu lassen. Papendieck zog die Ruderpinne aus der Halterung und drehte sich zu dem knapp hinter uns fahrenden Boot um. Er schwenkte die Pinne in der Luft, begann einen Freudentanz, während er die anderen mit exotischen Vogelnamen beschimpfte. Da ja beim Rudern alle den Rücken nach vorne haben, folglich die Augen nach hinten, sahen weder wir, noch unser tanzender Bootsführer, dass unser Kutter unter die einzige Brücke glitt, die in der Gegend die Oste überspannte. Wir bemerkten plötzlich ihren Schatten über uns, und schon knallte Papendieck mit dem Hinterkopf dagegen! Fast wäre er über Bord gegangen. „Der ist hinüber!“, dachten wir. Zum Glück reagierten die Schlagleute schnell. Sie ließen ihre Riemen sausen, sprangen auf den Bootsmann und zogen ihn zurück ins Boot. Nur seine Mütze trieb auf dem Fluss. Aber Papendieck war zäh. Hatte eine Katze 7 Leben, so besaß er mindestens 8. Trotzdem blieb ihm eine gute Weile die Luft weg. Dann endlich tat er einen Atemzug. Doch anstatt normal auszuatmen, stieß er eine Salve von Schimpfwörtern hervor, gegen uns, die Schlagleute, die die Riemen hatten aus den Händen gleiten lassen und die verdammte Brücke.
Beim Wriggen
Klar, dass unsere Kutter in keinster Weise einem Rettungsboot entsprachen. Sie besaßen keine Luftkammern, keinen Proviant und andere Ausrüstung. Doch kannten wir alle die Ausrüstung eines Rettungsbootes auswendig. Wozu hätte sonst der Unterricht gedient? Die Segel unserer Kähne lagen im Bootsschuppen. Leider setzten wir sie nur drei Mal. Natürlich gab das gleich wieder eine Regatta. Am Ende des Lehrganges kam ein extra Prüfer von der SBG (Seeberufsgenossenschaft), um unsere Kenntnisse als Rettungsbootsmann zu testen. Klar, dass wir alle den Bootsschein erhielten, die Befähigung zum Führen eines Rettungsbootes. Er ist eine der Voraussetzungen, um überhaupt auf einem Schiff anheuern zu können. „Ein Seemann kann alles! Wiederhole!“ Papendieck war stolz auf uns. Und wir auch!
So verging die Zeit. Freitagabend mussten wir alle in die Waschküche im Keller. Dort befanden sich ineinandergestellt die Baljen, halbe Holzfässer in denen man früher Heringe transportiert oder eingelegt hatte. Und hölzerne Schemel, die sowohl zum Sitzen beim Spleißen als auch beim Wäschewaschen dienten. Wir besaßen jeder doppelte Kleidung. Papendieck teilte jedem von uns so ein Heringsfass zu, worin wir unsere schmutzige Wäsche warfen. Er selber thronte hinter der Waschpulvertrommel, bewaffnet mit einem Messbecher. Wir standen in einer Schlange hinter unseren Baljen und rückten in dem Maße vor, wie er das Waschpulver austeilte. „Zauberpulver, Zauberpulver, werde Schaum!“, das war die Losung, sonst gab es keine Seife. Manche fanden das Quatsch. Was soll's? Dann die Balje unter den Wasserhahn geschoben, und aufschäumend lief sie voll. Anschließend war großes Duschen angesagt. Samstag war dann Waschtag. Natürlich alles mit Hand oder Bürste oder Schrubber auf dem Fußboden, wenn wir mit Öl oder Farben gearbeitet hatten. Dann ging's ans Spülen. Das Auswringen machten wir oft zu zweit, vor allem das der Arbeitshosen. Oder wickelten sie um ein Wasserrohr, um sie so mit beiden Händen besser verdrehen zu können. Gut glätten, damit es wenig Falten gab, dann ab auf die Leine. Das Bügeleisen war damals in Bremervörde noch unbekannt.
Samstags fiel der Unterricht aus. Reinschiff, Großreinemachen lag an. War die Woche über nur normales Fegen und Staubwischen an der Tagesordnung, so wurde heute nicht an Wasser gespart. Ich war während der ganzen Zeit im Speisesaal eingeteilt. Also erst mal alle Tische mit den Stühlen umgekehrt darauf auf eine Seite schaffen. Kehren. Mit Seifenwasser den Parkettboden schrubben, obwohl der gar nicht so schlecht aussah. Feudeln (Wischen), trocknen lassen, Tische rüber. Andere Seite desgleichen. Anschließend alles mit Bohnerwachs einschmieren, trocknen lassen. Nun folgte das Polieren. Zu mehreren, in einer Reihe, mit Bohnerbesen. „Wie heißt so ein Teil?“, hatte Wulf, der Erste, zu Anfang gefragt. Schweigen. „Dös is an Plocka!“, sagte Tschackert, unser Schwabe. So hatte er seinen Spitznamen weg. Meist hatte Papendieck die Aufsicht im Speisesaal. Er beförderte mich zum „Brummer“, dem Chef der Putzgang. Wenn er mich brauchte, rief er nach dem Brummer. Jede Gruppe von uns, die für eine bestimmte Aufgabe zusammengestellt wurde, hieß „Gäng“; ihr Chef „der Gänger“ oder „Brummer“. Meist waren dies „Straftäter“, denn bei so vielen Regeln, wie wir hatten, war man immer mit mindestens einer in Konflikt...
Die ersten drei Wochen hatten wir keinen Ausgang. Wir durften nicht aus dem Schulgelände raus. Heimfahrt war auch für Schüler aus der nächsten Umgebung untersagt. Wer trotzdem heimlich abzuhauen versuchte, wurde geschmissen. „Auf dem Schiff kann man auch nicht einfach aussteigen, wenn man mal Lust hat!“, war die logische Begründung. „Was brauchen wir an Land zu geh'n, wir könn' das Land von Bord aus seh'n! Wiederhole!“ Das sei der Wahlspruch der Tankerfahrer im Persischen Golf, brachte uns Schönfeld bei.
Doch es gab Ausgang: für Kirchgang. Sonntags früh beim Rapport hieß es „Kirchgänger vortreten!“ Diese waren sehr zahlreich in den ersten Wochen. „Katholen rechts, Evangelen links!“ „Brummer, du bist verantwortlich für die Kirchgänger. Alle heil in die Kirche bringen und vor allem wieder heil zurück! Und pünktlich! Wegtreten!“ So eine lange Order hatte ich noch nie bekommen. Ich hatte es schwer, sie zu wiederholen. Wir zogen nach dem Frühstück gemeinsam los. Wie teilten uns in zwei Gruppen. Nein. Da war plötzlich eine dritte! „Ihr bringt uns nicht in den Dom! Wir warten auf euch in der Kneipe!“ „Scheiße“, dachte ich und sagte „lasst euch ja nicht sehen! Und seid pünktlich wieder da!“ Als Treffpunkt machten wir die erste Kneipe aus, an der wir beim Herkommen vorbeigelaufen waren. Unsere zwei Gruppen gingen in ihre Kirche, die dritte ging dahin, wo die Gebetsbücher Henkel haben, wie man in Bayern sagt. Vielleicht wussten die Pfarrer von unserem Timing-Problem, denn die Messen hörten früh genug auf, so dass auch wir echten Kirchgänger noch Zeit zu einem Bier hatten. Ich zählte durch. Meist waren alle da oder stießen irgendwo auf dem Rückweg zu uns. Manche steckten noch eine Flasche ein, für schlechte Zeiten... So kamen wir ungefähr pünktlich zurück. Keine Strafdienste! Ich meldete „Alle Kirchgänger zurück!“ „Wegtreten!“ Zum Glück wurde nie der Zustand der Kirchgänger überprüft. So vergingen die ersten drei Sonntage. Anschließend war frei. Außer Posten, Küchendienst usw., wir konnten lesen, Hausaufgaben machen, aber nicht raus.
Nach vier Wochen erster Landgang! Nachmittags. Die Hauptattraktion war der ‚D-Zug‘, eine Kneipe mit Musik. Eine der ersten Diskotheken. Klar, dass alle anfangs dahin gingen. Mir war das etwas zu laut und vor allem zu teuer. Es gab aber in Bremervörde viele gemütliche Kneipen mit gemütlichen Leuten und gutem Bier. Mir schien, als hätten die Leute in den Kneipen uns Seemannsschüler gern. Oft gaben sie uns einen aus und noch einen... Es schien, die hätten einen Mordsspaß daran, uns abzufüllen... Unsere Kirchgänger-Gruppe hatte sich stark reduziert, seit es Landgang gab. Wie üblich trafen wir uns nach der Messe in unserer „ökumenischen Kneipe“ zu einem kleinen Bier vor dem Rückweg.
Man hatte uns gerade das Bier serviert, da geht die Tür auf und herein kommt Peters, der Ausbildungsoffizier der Backbordwache. Man sieht ihm an, er hat eine harte Nacht hinter sich! Er steht nicht ganz sicher und hat seinen doppelten Blick. Er begrüßt seine Kumpels, er scheint hier jedermann zu kennen. Wir standen am Tresen und wären zu gern unsichtbar geworden. Wir hofften, dass er so dicht wäre, dass er uns nicht erkenne, oder sich sage, heut' ist Sonntag, drücken wir mal ein Auge zu, oder besser beide. Außerdem war er ja gar nicht im Dienst. Er suchte wohl noch andere Kumpane, um ihnen von seiner durchgesoffenen Nacht zu erzählen, da fällt sein Blick auf uns. Er nimmt etwas Haltung an, zeigt mit dem Finger auf uns, „Jo wat mokt ihr denn do? Seid gar nich in die Kirche? Morgen früh Rapport!“ Wir tranken unser Bier schneller aus, als es gezapft worden war und verschwanden. Was machen? Der glaubte uns ja sowieso nichts. Am Montagmorgen, beim Rapport kamen wir uns vor wie die ersten Christen, als sie für ihren Glauben in die Arena geschickt wurden. Wir mussten Kapitän Neugebauer und seiner Bestie gegenübertreten: Eine Woche Kartoffeln schälen!
Eine willkommene Unterbrechung der Unterrichtsstunden war Seemannschaft. Wir standen im Kreis im Takelkeller und übten Knoten mit Papendieck. In diesem Raum schwebte ein Aroma von Tauwerk und Holzteer. Jeder von uns hatte einen Tampen in der Hand und versuchte, die Gebilde, die der Bootsmann uns zeigte, nachzuvollziehen. Seine und auch unsere Geduld wurden auf harte Proben gestellt. Vom halben Schlag bis zum doppelten Palstek wurde uns alles eingebläut. Vorwärts, rückwärts, hinterm Rücken, fast noch bei Kopfstand... Manchmal knipste er das Licht aus: „Doppelter Trossenstek“. Als es wieder hell war, machte er die Runde, spöttelte über unsere Gebilde, regte sich auf, wenn nichts geklappt hat. Gelobt wurde nie, nach seiner Devise: „Kein Tadel ist schon höchstes Lob!“
Wir lernten rechtsgeschlagenes von linksgeschlagenem Tauwerk zu unterscheiden, wussten bald, was ein Kardeel ist, ein Kabelgarn, eine Seele. Lernten den Unterschied im Schlag von Lotleine und Logleine, lernten wie herum Tauwerk aufzuschließen ist. Schlugen die englische Bucht, um Kinken zu verhindern und dass einem Drahttauwerk ins Gesicht springt. Wir wussten bald, wie man zwei Tampen miteinander verflicht (spleißen), „üüüber ein Kardeel, uuunter ein Kardeel, kann sehn? Wiederhole!“, lispelte Papendieck.
Wir arbeiteten mit Pricker und Marlspieker, spleißten Augen und Stroppen. Bald konnten wir Wurfleinen aufschießen, klar zum Laufen oder zum Verstauen. Wir flochten Wurfleinenknoten, Affenfäuste und schlugen Henkersknoten. Hüsing stecken („kann sehn Hüüsing?“) und Bootsmannsnaht waren uns bald geläufig und mit dem Segelhandschuh hantierten wir so gut wie unsere Mütter mit dem Fingerhut. Reff-Bändsel annähen, Taklinge setzen, nähen, flechten. Man lehrte uns, dass der Langspleiß auf den Schiffen nicht gern gesehen ist, gerade bei kurzem Gut (Bruchgefahr).
Die ‚Schiffsleitung‘
Wir lernten Taljen (Flaschenzüge) scheren und diese wieder zu enttüddeln, wenn sie durchgefallen waren. Wir lernten den Unterschied von laufendem und stehendem Gut („nur in eurer Hose ist es ein und dasselbe“). Papendieck zeigte uns, wie man eine Stelling (Planke für Arbeiten außenbords) ansteckt oder einen Bootsmannstuhl (kleinere Ausführung für Arbeiten im Mast). Lotsenleiter, Jakobsleiter, alles wurde uns gründlichst erklärt. Langeweile war ein Fremdwort hier im Takelkeller. Wenn irgendein Fachausdruck im Normalgebrauch eine obszöne Bedeutung hatte, dann wurde das so oft wiederholt, bis wir's intus hatten. „So behaltet ihr das wenigstens im Gedächtnis.“ Eines dieser Worte war „runterholen“.
Eines Morgens, beim Waschen, wurde überall getuschelt, dass Mayer nachts beim Wixen erwischt worden war. Ein Zimmerkollege hatte ihm mitten in der Nacht die Bettdecke weggezogen und ein anderer hatte schnell das Licht angemacht. So zum Spaß. Jetzt war der arme Mayer in aller Munde und wurde um halb 8 Uhr beim Rapport aufgerufen. Auf die Frage, was vorgefallen war, gestand er fast flüsternd, dass er sich einen runtergeholt habe. 1 Woche Kartoffeln schälen. Und nie wieder, sonst Rausschmiss! Der arme Mayer! Ich glaube, viele litten mit ihm. „Wer macht das nicht?“, hatte ich herausschreien wollen. Hätte ich sollen! Es war eine große Ungerechtigkeit! Die Jüngsten von uns waren 14 und irgendwie muss man den Druck doch rauslassen. Soll es einem denn den Sack zerreißen? Eher sollten die, welche die Decke weggezogen haben, bestraft werden! Aber wir schwiegen! Aus Angst vor Repressalien, und um nicht selber das nächste Opfer zu sein. Als Mayer zum Frühstück in den Speisesaal ging, rief die Grewer durch die Essensausgabe: „Da kommt er ja, Mayer, der alte Wixer.“ Als er Küchendienst hatte, fasste sie ihm an die Eier. „Lass mal sehen, ob du wieder einen Steifen hast, du Wixer!“ Diesen Namen behielt er bis zum Kursende.
Es ging das Gerücht um, dass auf dem Dachboden aus den Koffern Geld geklaut worden sei. Wir bekamen alle die Leviten gelesen, dass das von Anfang an verboten gewesen sei, und auch in seinem Schrank dürfe man keines aufbewahren. Die 2 Ex-Bundeswehrler und ein paar kräftige Burschen bildeten eine „Befragungskommission“, Gerd, der Heizer, war auch dabei. In seinem Kokskeller tagte dieses Gremium. Die Verdächtigen wurden (ich bin sicher, mit Zustimmung der Schulleitung) beiseite genommen und unter etwas kräftiger Weise dazu gebracht, die Wahrheit, nichts als die Wahrheit, zu sagen. Einmal landete ich durch Zufall in einer dieser Befragungen. Ich wollte eigentlich Gerd besuchen und öffnete die Kellertür. Da sah ich sie alle und dachte, was ist denn da los? Es war da auch einer der Verdächtigen. Sie hatten ihn im Schwitzkasten, einen Arm auf den Rücken gedreht. An diesem Abend hatten sie wohl vergessen, die Tür abzuschließen. Jetzt konnte ich mir auch so manches blaue Auge erklären, hatte es doch keine Schlägereien gegeben. Drei flogen von der Schule. Die „Befragungskommission“ war mehr eine geheime Sache. Niemand sprach darüber, weder die Schulleitung, noch wir. Jeder wollte Ärger vermeiden.
Eines Morgens, beim Antreten, hisste der Posten feierlich wie immer die Flagge. Während die deutsche Flagge langsam emporstieg, wurden die zwei anderen, die von der Seemannschule und von Hamburg ‚aufgetucht vorgeheißt‘, und in dem Augenblick, wenn die deutsche an der Spitze der Gaffel angekommen war, durch einen kurzen Ruck an der Leine geöffnet. Doch plötzlich wurden die einen starr vor Schreck, andere lachten, denn an der Stelle der Flagge der Seemannsschule flatterte ein Putzlumpen aus der Küche! Es dauerte etwas länger, bis die Schulleitung das entdeckte. Ein schriller Pfiff vom Kapitän, seine Worte überschlugen sich. „Runterholen!“ Wir dachten an Meyer und mussten innerlich lachen. Betraf das uns oder den Lumpen? Anweisungen wurden in alle Richtungen gebellt und übertrieben langsam, so schien uns, kam das Tuch wieder zurück zur Erde. Wutentbrannt, den Kopf knallrot, entfernte sich der Kapitän mit seinem Hund am Schlepptau. Die Lösung des Problems überließ er seinen Offizieren: Rausschmiss der beiden ‚Übeltäter‘! Mit anderen Worten: Ende der seemännischen Laufbahn, bevor sie richtig angefangen hatte.
Als wir die Schule begonnen hatten, waren wir alle gemessen und gewogen worden. Diese Prozedur wiederholte sich jeden Monat. Es gab da eine Regelung, die besagte, dass Jan Maat (der Seemann) mindestens 1,50 Meter groß sein muss und 50 Kilo schwer. Sonst bestünde Gefahr, dass der Wind ihn fortpuste. Einer von unserer Wache wog nur 46 Kilo. Zum Glück war er aber 1,50 Meter groß, sonst hätten wir ihn in die Länge ziehen müssen. So kümmerte sich nur die Grewerin, unsere Köchin um ihn. Nicht, dass sie ihn mit ins Bett nahm oder die Brust gab, nein, sie verpasste ihm täglich eine doppelte Portion Muschelsuppe. Seine Muscheln nahmen zwar nicht zu, dafür aber sein Bauch. Das sahen wir beim Duschen. Sein Bauch wölbte sich zusehends über seinem kleinen Pimmel und begann Ringe zu bilden.“ Morfi Pipifax“ wurde er von offizieller Seite ab dem ersten Tag benannt und von uns auch. Dieser Name hat ihn bestimmt noch lange begleitet.
Manchmal zog Peters, der AO (Ausbildungsoffizier) der Backbordwache, sein Schifferklavier heraus. Das und die Kneipen waren sein Element. Das geschah oft abends. Bei diesen kameradschaftlichen Ausbrüchen lernten wir 'ne Menge Shantys. Tagelang gingen sie mir nachher durch den Kopf, wie Ohrwürmer. Oft summte oder sang ich sie vor mich hin, wenn ich Posten Tor oder Hafen ging. Ich kannte alle Texte auswendig. In mir erstanden Bilder von Klippern und Seegang, überkommenden Wellen und Maloche.
Es gab in Bremervörde den Gesangsverein „Harmonie“. Der lud unseren schnell von Peters gegründeten Schulchor zur Feier seines 100-jährigen Bestehens ein, ins Hotel „Schützenhof“. Peters gab sich größte Mühe, unsere Stimmbänder salonfähig zu machen. Den Rest machte unsere Begeisterung. Wir lernten „Rolling Home“, „Wo die Nordseewellen“, „Drunken Sailor“, „Die Hoffnung“ und so viele andere Songs. Mir war, als vermittelte er mir mehr Wissen über die Segelschifffahrt, als aller Unterricht zusammen. Klar, dass wir an diesem Abend nicht um 10 Uhr in der Schule waren. Fast alle Schüler haben an diesem Gesangsabend teilgenommen, auch wenn viele, wie ich, kaum singen konnten. Nach Mitternacht ging es zurück an Bord. Nur Peters hielt die Stellung und zeigte diesen Landratten, was ein Seemann aushält!
Shanty-Abend mit Peters
Manchmal saßen wir abends im Takelkeller, ein paar Kumpels, um etwas weg vom Lärm zu sein. Ich hatte meine Mundharmonika dabei und versuchte, die bei Peters gelernten Shantys zu spielen, um uns die Zeit zu verschönern. Janke spielte auf seiner Gitarre. Es ging auf Weihnachten zu, es begann zu schneien. Auf Posten Tor durfte man Ölzeug überziehen, aber nicht die Hände in die Taschen! Diese zog ich in die Ärmel zurück, wie eine Schildkröte ihre Flossen in ihren Panzer. Zu dieser Gelegenheit durften wir den Reißverschluss unseres Rollkragens ganz zuziehen. Wie kam ich mir manchmal einsam vor! Ich sang vor mich hin „Aft on the quarterdeck, walking about, there is the starbordwatch so sturdy and stout. Thinking of his mother, and he hopes she is well... and I wish that you will hurry up and strike the bell, strike the bell, second Mate let us go below.....“ Ich glaube, Traurigkeit ist fast dasselbe wie Glück. Fernweh dasselbe wie Heimweh. Zumindest bei mir... Meine Hände waren kalt, und ich wischte mir einen Tropfen von der Nase. Ich war glücklich.
Im Hof stand, wie schon berichtet, ein mehr als 20 Meter hoher Mast, an dessen Gaffel und Rah morgens die Flaggen gehisst wurden. Hinten dran war ein Ladebaum befestigt, mit einer Winde, wie auf einem Schiff. Diente dieser, um uns mit der Ladetechnik vertraut zu machen, so diente der Mast eher als Mutprobe. Wir durften ihn nur unter Aufsicht besteigen, angeblich, weil die Takelage nicht mehr sehr solide war. Als wir das erste Mal die Wanten hoch kletterten, wurde so manchem mulmig in den Knien. Morfi Pipifax schaffte es nur eskortiert von zwei Großen. Seine Beine waren zu kurz zum Steigen. Das Schwierigste war, auf die Saling zu steigen, um den Mast auf die andere Seite zu gehen und dann rückwärts wieder runter zur Mutter Erde. Wenn wir uns das Ganze dann mehr als doppelt so hoch vorstellten und noch schief dazu und in Bewegung, dann konnten wir uns in etwa denken, wie es auf den Seglern zuging! Alle mussten darüber. Ohne Mast kein Schiff! Kein Schiff ohne Mast.
Der Ausgang am Wochenende wurde etwas verlängert, wegen guter Führung. Bis zum Abendessen. Doch das dauerte nicht lange. Denn die Gelegenheit macht den Dieb, oder hier bei uns, den Säufer. Das wäre alles unbemerkt verlaufen, wie schon so oft. Doch die unfehlbare Schulleitung hatte beschlossen, die Zugangstüren für die Toiletten und Waschräume von 20 Uhr bis Mitternacht zuzuschließen. Auch für die Nichtausgeher. Wohl, damit wir unsere Blasen trainieren konnten. Was blieb uns anderes übrig, als durch die offenen Fenster in die Dachrinnen zu pinkeln. Ein paar Wochen blieb das unbemerkt, wenngleich es anfing, im Obergeschoss nach Latrine zu stinken. Je mehr man lüftete, umso mehr roch es...
„…mit sechzehn hat man noch Träume!“
Kritisch wurde die Situation erst, als ein paar von uns durch nächtliche Magenrevolten veranlasst (egal warum), sich in die Dachrinne übergaben. Nicht schlimm für das Dach. Das ließe sich mit ein paar Eimern Wasser klären. Es fiel leider etwas von unserem mit Bier verdünntem Mittagsessen in den Hof. Genau auf die Stufen des Haupteinganges, über die morgens die ganze Mannschaft, einschließlich Schulleitung, zum Rapport in den Hof ging. Skandal. Selbst der Schäferhund des Kapitäns geriet in Erregung, waren da doch noch ein paar schöne Brocken Sonntagsbraten drin! Da die Urheber sich nicht meldeten, sei es wegen Hirnausfalls, oder weil sie befürchteten, geschmissen zu werden, und weil die Verpetzer ausnahmsweise die Klappe hielten (vielleicht waren sie es, die keinen Alkohol vertrugen?), wurde die ganze Steuerbordwache, deren Schlafräume sich da oben befanden, bestraft. Da es gar nicht so viele Klos gab, die wir hätten putzen können, verdonnerte man uns alle zu einer Woche Geländeputzdienst. Somit wurde das Gelände um den Bootshafen und danach das um die Schule einer gründlichsten Reinigung unterzogen.
Im Speisesaal und im Hauptflur standen ein paar Schiffsmodelle unter Glasvitrinen. Wir drückten uns daran die Nasen platt, um alles genauestens zu betrachten, hatten doch viele, auch ich, noch nie ein richtiges Schiff gesehen. Wir stellten uns vor, wir seien darauf und schon auf See. Die drei Monate Schule waren wirklich eine lange Wartezeit! Es wurde das Gerücht verstreut, dass, wenn wir alle gute Noten hätten und uns gut benähmen, wir noch vor Weihnachten die Prüfungen hätten und frühzeitig nach Hause fahren könnten. Nicht erst am 5. Januar, wie vorgesehen. Mich berührte das nicht, wollte ich doch gleich hinterher aufs Schiff gehen.
Unsere Meute war eine Zusammenfassung aller möglichen Berufe und Schulabschlüsse. Eine knappe Hälfte der Schüler war vorher schon berufstätig gewesen: Bankkaufmann, Reedereikaufmann, Installateur, Angestellte, 2 Soldaten.... Die andere Hälfte kam, wie ich, direkt von der Schule, manche mit, manche ohne Abschluss. Einige waren helle, aufgeweckt, andere etwas langsam, einfältig. Sie forderten geradezu heraus, verarscht zu werden. So wie Klaus. Franz, unser Oberwitzbold, hatte einen Regenwurm gefunden. Er war aus Ostdeutschland. Und da es dort an manchem mangele, hätte man den Regenwurm zu einer Spezialität entwickelt. Frikadellen würden daraus hergestellt. Sehr bekömmlich und nahrhaft, sollte man ihn mal der Köchin vorschlagen, vielleicht um die Muschelsuppe zu verbessern! Klaus staunte. Franz tat, als verschluckte er einen. Mmmh, war der gut! „Lass mich auch mal“, sagte Klaus und probierte einen. Er fand, dass sie nicht so übel sind, und aß gleich noch welche. Danach erzählte er die Geschichte überall herum. Sie kam auch an die Ohren der Schulleitung. 1 Woche Kartoffeln schälen für beide. Das war der Spaß aber wert gewesen! Klaus hieß seitdem „Würmi“.
Da war Kalli, ein etwas komischer Kerl. Nicht nur, dass er sich hauptsächlich von seinen Fingernägeln ernährte (bei unserer Diät vielleicht eine nützliche Beigabe), sondern er war auch sehr sparsam mit Wasser. Eigentlich eine gute Eigenschaft auf See. Doch mit der Zeit nahm er einen etwas herben Geruch an. Man roch ihn schon, bevor er überhaupt da war. Das brachte unsere „Spezialeinsatztruppe“ dazu, ihn nicht unter die Lupe, sondern unter die Dusche zu nehmen. Mitsamt Klamotten! Von jetzt an musste er regelmäßig unter Aufsicht duschen. Wir hofften, so würde er seine Gewohnheiten ändern.
Weihnachten rückte näher. Außer den Prüfungen musste Großreinschiff gemacht werden. Der Speisesaal wurde vollständig ausgeräumt. Mit Glasscherben zogen wir den Parkettboden ab, bis er nur noch blankes Holz war. Das Essen musste improvisiert werden. Dann Bohnern und Plockern. Diese Arbeit nahm einen ganzen Tag in Anspruch. Die Fenster im ganzen Haus wurden gewaschen und anschließend mit Zeitungspapier blank gewienert. Das Kompasshaus im Flur wurde mit Sidol auf Hochglanz gebracht. Die Flure wurden gescheuert, der Keller umgekrempelt. Fast hätten wir noch im Kokskeller Staub gewischt! Zu Glück verlangte das niemand.
Nichts entkam unserem Sauberkeitsrausch. Jeder gab sein Äußerstes, sowohl beim Putzen, als auch in den Prüfungen. Auch die Offiziere machten mit. Gegen Ende der Schulzeit kam ein Brief von der Reederei ‚Hamburg-Süd‘ und ein anderer von den ‚Deutschen Afrika- Linien‘. Der Erste las sie vor. Jeder sagte das Gleiche: Beide Reedereien hatten ein Schiff umgerüstet zum Ausbildungsschiff. Sie suchten Decksjungen, die mit Ausbildungsvertrag anheuern wollten... Für erstere war das Fahrtgebiet Südamerika, für die andere besagte es ja schon der Name: Afrika. Nach kurzem Überlegen entschied ich mich für die Afrika-Linien, weil deren Schiff, die „Natal“ schon am 6. Januar auslaufen sollte. Hans-Dieter, ein Wache-Kamerad, war mit von der Partie. Es war die Aussicht auf 6 Monate Fahrtzeitverkürzung bis zum Matrosen, die mich lockte und die Tatsache, dass es ein Ausbildungsschiff war. Ich wollte möglichst viel lernen, hatte ich doch etwas gefunden, für das ich mich wie geboren fühlte: die Seefahrt.
Unser Ausbilder und die Zukunft der Seefahrt…
Eigentlich waren die gesteckten Ziele erreicht: Wir hatten alle die Prüfungen bestanden, hatten den Rettungsbootsschein in der Tasche, und Morfi Pipifax brachte 51 Kilo auf die Waage! Die Schule glänzte mehr als damals, als sie höhere Töchter beherbergte. Der Wachoffizier holte den Dachbodenschlüssel. Wir stürzten uns auf unsere Koffer und stopften sie voll mit den gestern noch säuberlichst gefalteten Wäschestücken. Die Grewer nahm ihre vorsegelgroßen Schlüpfer von der Leine, wir das letzte Mal die deutsche Flagge.
Wir waren frei!
Auf Papendiecks Wahlspruch vertrauend „Ein Seemann kann alles“ gingen wir endlich auf See.