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ОглавлениеWolfgang Hartmann
«Durch und durch war dieser junge Mensch von Kultur getränkt.»
Ich begegnete Friedrich Glauser zum ersten Mal im Jahre 1916, also mitten im Ersten Weltkrieg, in Zürich. Wir beide kamen aus dem Ausland und suchten Schutz und Geborgenheit in der Heimat, nachdem es im Reiche Wilhelms II. ernährungsmäßig und in jeder Hinsicht kritisch zu werden begann.
Damals gab es im Café «Odeon» in Zürich eine Art europäische Literaturbörse. Dichter, Publizisten und Romanciers der kriegführenden Länder, unter ihnen Franz Werfel, Stefan Zweig, Klabund, Frank Wedekind, Leonhard Frank, Romain Rolland, Maxim Gorki, Barbusse und viele andere, waren zu uns gekommen, um in der freien und unkriegerischen Atmosphäre der Schweiz ihr Werk unbehindert von Chauvinismus und beginnender Not fortsetzen zu können. (So großzügig waren damals die jeweiligen Regierungen noch, dass sie diejenigen unter ihren schöpferischen Elementen, die mit dem Kriegsgeschehen nichts zu tun haben wollten oder aus Krankheitsgründen Erholung brauchten, über die Grenzen gehen ließen!)
In diesem Kreise im «Odeon» verkehrte auch Friedrich Glauser, dessen Vater damals noch, wenn ich mich nicht irre, amtierender Schweizer Konsul in Mannheim war. Der junge Schriftsteller, der sozusagen noch nichts Nennenswertes außer einigen Gedichten publiziert hatte, wirkte auf uns alle, die wir mit ihm zusammenkamen, irgendwie faszinierend. Er war zwar gebürtiger Berner, aber er hätte ebenso gut Franzose oder Welschschweizer sein können. Nichts spezifisch Alemannisches war an ihm. Schon seine Fähigkeit, zu plaudern und in einem leicht sarkastischen Tonfall über Dichter und deren Werke zu urteilen, treffsicher und tiefschürfend analysierend, muteten gallisch an. Glauser verfügte über einen romanischen Esprit, der ihm angeboren zu sein schien; und mühelos überschüttete er den jeweiligen Partner mit einer Fülle geistreicher Aperçus, mit denen er nicht selten seinen Diskussionsgegner, der nur sachlich zu argumentieren gewohnt war, in Verlegenheit brachte. Es war ein wirklicher Genuss, mit diesem jungen Literaten sich über die damalige europäische Dichtung auseinanderzusetzen. Glauser war ein begeisterter Anhänger der Modernen, die man heute als «Surrealisten» bezeichnet. Er schätzte einen Heinrich Mann höher ein als seinen berühmteren Bruder Thomas, über dessen Bürgerlichkeit er spöttelte. Leonhard Frank, Klabund, Franz Kafka unter den Jungen waren seine «Götter». Dabei war er selber durchaus Autodidakt geblieben und lachte über jene, die sich lernhungrig auf den Hochschulen abmühten, ein ordentliches Deutsch und eine gute Allgemeinbildung sich anzueignen. Er hatte dies alles in sich, er bezog sein Wissen und Können aus der Lektüre der Bücher, sein klares Urteil und seine ungewöhnliche Formulierungsgabe würden manchen Dozenten beschämt haben. Durch und durch war dieser junge Mensch von Kultur getränkt, und niemand aus seiner Umgebung zweifelte an seiner Berufung, als künftiger Autor einen großen Weg vor sich zu haben.
Friedrich Glauser aber war zu kompliziert und seinem innersten Wesen nach ein zu zwiespältiger Charakter, um das halten zu können, was er damals versprach. Statt zu arbeiten und sein Wissen auf solider Basis zu erweitern, verlor er sich immer mehr in einem tüftelnden und bizarren Ästhetizismus. Damit aber nicht genug, warf er sich dem Laster in die Arme und begann zu «schnupfen und zu spritzen». Soviel ich weiß, hat der damals noch unbekannte Filmschauspieler Konrad Veit, der mit Max Reinhardts Truppe nach Zürich gekommen war, den genusssüchtigen Glauser auf dem Gewissen. (Ich erinnere mich an eine Szene, wo Veit, von dem gleichfalls eine faszinierende Wirkung ausging, seinen neuen Freund in einen Ätherrausch versetzt hatte und nun den verzweifelten Versuch unternahm, ihn wieder wachzubekommen.)
Glauser war eine Art schweizerischer Rimbaud, sowohl in die reine Poesie als in das Leben und Abenteuer gleicherweise verliebt. Seine Leidenschaften hatten exaltierten Charakter, er hätte eine Figur aus den lasziven Romanen Heinrich Manns sein können. Er war geistig immerzu in einem Rauschzustand, seine Augen glänzten fiebrig, und seine Phantasie verlor sich im Makabren, Kranken.
Ich sehe ihn noch, nachdem wir einige Monate gleichzeitig in Ascona verbracht hatten, wo man sich in den verschiedensten Kreisen ständig traf und stritt oder aus dem Wege ging, auf dem Perron in Bellinzona mit einer großen Schreibmaschine in der Hand nervös, zigarettenrauchend und auf den Zürcher Zug wartend, auf- und abgehen. Ich stand mit einer jungen Dame etwas abseits, und so grüßte Glauser nur flüchtig und zugleich abwesend zu mir herüber, innerlich zerrissen, wie mir schien, auf der Flucht vor sich selber und vor lästigen Gläubigern, wie ich später erfuhr. Damals ging er nach Genf, kam dort in größtes Elend, wurde Milchausträger und fuhr, der Verzweiflung vollends in die Arme getrieben, nach Frankreich, um sich von der Fremden legion anwerben zu lassen.
Ich habe Friedrich Glauser nach jenem Begegnen auf dem Bahnhof in Bellinzona nie mehr wiedergesehen. Ich weiß nichts oder nur das, was mir gemeinsame Freunde berichteten, aus seinem späteren Leben und abenteuerlichen Dasein, da ich bald darauf wieder ins Ausland ging. Ich las dann seine Novellen aus Afrika und die nachfolgenden Kriminalromane, erstaunt und befremdet über diesen «Abstieg» des einst so Hochgemuten, dem nichts gut genug war, wenn es sich um Dichtung oder Kunst handelte. Thematisch hatte nun also dieser schwergeprüfte und herumgeworfene Abenteurer in ihm kapituliert und sich dem gängigen Reißer und Unterhaltungsroman zugewendet. Sein großes Können aber und seine Fabulierbegabung waren ihm auch auf diesem etwas abschüssigen Gebiet der Asphaltwirkungen treu geblieben. Zweifellos hatte die Seele dieses ungewöhnlichen Schriftstellers im Leid der Jahre und der Not gelitten, dazu kam die Krankheit, und während schon die Todesfahnen seinen flackernden Geist umwehten, schrieb er noch diese gefeilten psychologischen Detektivromane, die ihm nun durch deren Verfilmung posthumen Ruhm verschaffen, dessen er zu Lebzeiten so dringend bedurft hätte! Wie anders wäre sein Werk wohl ausgefallen, hätte dieser übersensible, hochkultivierte und künstlerisch begnadete Dichter einen geruhsameren Weg gehen dürfen! Auch in Friedrich Glauser selber «regierte Matto»! Ein kranker, ewig sehnsüchtiger, nach den Sternen des Lasters und der Verzückungen greifender Geist sprengte in diesem genialen Literaten immer wieder die Bande der Vernunft und trieb ihn jeglichem Exzess in die Arme! Die Dämonen in seinem Blute waren stärker als die Engel zu seinen Häupten, und so verstummten die Musen und überließen den Todgeweihten jenen dunklen Mächten, die heute mehr denn je unsere Welt beherrschen.