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a) Der rationalitätstheoretische Kern der Gyges-Parabel

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Um die rationalitätstheoretische Grundstruktur des Glaukonschen Vortrags deutlich zu machen, sollte man einen Blick auf eine Spielsituation werfen, auf eine Entscheidungssituation also, in der die rationale Strategiewahl der Spieler unter Berücksichtigung möglicher Strategiewahlen der Mitspieler erfolgt. Verallgemeinern wir angemessen, so kristallisiert sich als Kernentscheidung die Wahl zwischen kooperativen und unkooperativen Verhaltensweisen heraus. Vor dem Hintergrund dieser Hauptwahl lassen sich dann folgende vier Strategien unterscheiden: einseitige Kooperativität, beidseitige Unkooperativität, beidseitige Kooperativität, einseitige Unkooperativität. Diese Strategien stehen in einer eindeutigen präferenzlogischen Ordnung: die am wenigsten vorzugswürdige ist die der einseitigen Kooperativität, und die am meisten vorzugswürdige ist die der einseitigen Unkooperativität. Die erste nennt man auch sucker’s payoff; ihre Auszahlung ist so gering, daß nur ein Dummkopf darauf verfallen kann, sie zu wählen; die zweite bezeichnet man auch als punishment, denn alle sind gleichermaßen bestraft, wenn sie sie anstelle der folgenden wählen; diese, die der allseitigen Kooperativität, ist die reward-Strategie; sie heißt darum so, weil sie für alle, die die Kooperationsdisziplin aufbringen, eine Rationalitätsrendite ausschüttet; noch besser freilich sind die dran, die im Falle einer bestehenden Kooperation der Versuchung der Unkooperativität nicht widerstehen können, die die Vorteile der allgemeinen Kooperativität einstreichen, selbst aber den Kooperationsbeitrag nicht entrichten; diese kooperationsparasitäre Strategie bezeichnet der Spieltheoretiker voller Verständnis für die menschlichen Schwächen auch als temptation-Strategie.

Die einzelnen Positionen und Optionen, die Glaukon diskutiert, gewinnen in der Beleuchtung dieses spieltheoretischen Viererschemas aufschlußreichen rationalitätstheoretischen Zuschnitt. Die Nähe zwischen der Glaukonschen Rekonstruktion der Meinung der Leute und der nüchternen entscheidungstheoretischen Sichtweise zeigt sich bereits beim Charakter der Gerechtigkeit selbst, die ja wesentlich durch Normenkonformität und Regeltreue bestimmt ist, von Glaukon also im Sinne einer äußerlichen Kooperationsbereitschaft ausgelegt wird. Wichtig ist aber, daß dieses Schema in der Lage ist, die Optionen des Unrechtleidens, des Unrechttuns und der Gerechtigkeit als präferenzlogische Trias genau abzubilden und die moralisch widersinnige These von der Vorzugswürdigkeit der Ungerechtigkeit gegenüber der Gerechtigkeit mit Sinn auszustatten. In beiden Fällen haben wir es mit einer rationalen, Moralität mediatisierenden Einschätzung zu tun, die die Moral resp. die Gerechtigkeit resp. Gesetzestreue und Kooperationsdisziplin als Strategien der Interessenverfolgung beurteilt und damit sich von Anfang an gegen das Selbstverständnis von Moral und Gerechtigkeit richtet, im Kollisionsfall höherrangige Gründe bereitzustellen. Und in beiden Fällen wird der Moral resp. der Gerechtigkeit zum einen das Prädikat relativer rationaler Vorzugswürdigkeit verliehen, zum anderen aber auch bescheinigt, keine rationalitätsmaximale Option zu sein. Daher sieht sich die Moral- und Gerechtigkeitsposition hier mit der Tatsache konfrontiert, daß nach demselben Kriterium, das ihr Vorzugswürdigkeit gegenüber Positionen der Anarchie und Ordnungslosigkeit bescheinigt, sie selbst als rationalitätsunterlegen gegenüber parasitären Strategien erscheint. Es gibt keinen konzeptuellen Zugriff, der der rationalitätstheoretischen Rekonstruktion der Glaukonschen Darstellung überlegen wäre: wir brauchen eine begriffliche Währung, die die vielfältigen Äußerungen über die Vorzugswürdigkeit des Unrechttuns gegenüber dem Unrechtleiden, der Gerechtigkeit gegenüber dem Unrechtleiden und der Ungerechtigkeit gegenüber der Gerechtigkeit ineinander konvertierbar macht – und nur die Theorie der nutzenmaximierenden Rationalität ist dazu in der Lage, denn sie bietet einen Bewertungsrahmen, in dem auch die moralexterne Beurteilung moralischer Positionen Platz hat.

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