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Delegation / Erst fördern, dann fordern!
ОглавлениеEin Betriebsrundgang ließ nur eine Erkenntnis zu, der Malerbtrieb war wohlgeordnet. Alles war an seinem Platz, eine große Anzahl von Maschinen gesäubert und einsatzbereit. Ein ordentliches Büro verstärkte diesen Eindruck. Ein Auftrags- und Terminplaner hing an der Wand und wurde sogar fortgeschrieben und täglich aktualisiert. Ein großer Chefschreibtisch dominierte den Raum. Darauf ein 17-Zoll-Monitor umrahmt von Papierstapeln und Ordnungsschüben. Die Mitarbeiter, 15 an der Zahl, übten beim Betreten des Büros Zurückhaltung, ja wirkten eher schüchtern und waren dem Inhaber-Chef stets beflissentlich zu Diensten. Dieser wiederum war ein großgewachsener, freundlich und sehr aktiv wirkender Mittvierziger. Erst später sollte ich dann hören und auch selbst erfahren, dass dieser Mann mit nur als cholerisch zu bezeichnender Urgewalt und hyperaktiv „sein Reich regierte“. Da flogen durchaus auch einmal die gefüllten Farbeimer den Gesellen hinterher, begleitet von derben Sprüchen, die mir heute noch in den Ohren klingen. Die noch harmlosesten lauteten: „Ich bin doch nur von Idioten umgeben!“ oder „Ihr Dilettanten, alles muss ich selber machen!“ oder „Für diesen hirnlosen Scheiß bezahl ich euch auch noch!“ Täglich wurde mehr klar, hier war ein „Selbermacher“ am Werk, der keinem etwas zutraute und natürlich alles besser konnte. Nur irgendwo hat der Eigeneinsatz dann auch seine Grenzen und so war mein Auftrag denn auch auf Stressminderung und Verbesserung der Lebensqualität auf Inhaberebene durch Restrukturierung ausgerichtet und natürlich stand hinter der Befürwortung zu Vergabe dieses Beratungsauftrages wieder einmal eine frustrierte Ehefrau die sich z.B. an einem Sonntagnachmittag Anderes vorstellen konnte, als das Sortieren von Farbeimern und Werkzeugen. Und tatsächlich drehte sich alles um den Chef. Er teilte Fahrzeuge und Leute auf die Aufträge ein. Er kontrollierte alles und jeden. Er war die Telefonzentrale, der Lagerleiter, der Einkäufer und Disponent. Er ging täglich als Letzter und kam immer als Erster. Eigentlich vorbildhafte Tugenden, die allerdings ganz leise signalisieren, dass er sein Unternehmen nicht so wirklich im Griff hat. Unternehmer müssen delegieren können! Permanente Anwesenheitspflicht kann nicht die vornehmste unternehmerische Aufgabe sein. Einerseits kannte er alle Programme seiner EDV und das Heiligtum, sein Kalkulationsprogramm, konnte nur er bedienen. Waren- und Arbeitspreise waren geheim und niemandem zugänglich, andererseits aber warf er seinen Leuten immer wieder Unwissenheit vor, wenn es um Auskunftsfähigkeit in Richtung Kunden, um Kalkulationen, Bewertungen von Arbeitszeit und Gewerken, ging. All dieses schien sein Selbstverständnis zu stabilisieren. Die unbewusste Pflege seiner vordergründigen Überlegenheit überforderte ihn aber zunehmend und wirkte zerstörerisch auf Betrieb, Psyche, Gesundheit und letztendlich auch auf seine Ehe. So drehte er sich im Kreis. Forderte Unterstützung und Hilfe und ließ beides doch nicht zu. Nach Gesprächen mit Inhaber, Mitarbeitern und auch der Ehefrau kam der Tag der Wahrheit. Anlass war eine hitzige Diskussion zwischen Inhaber und Geselle um Auftragsinhalte und kalkulatorische Zeit- und Mengenwerte und die wiederholte Beschwerde vom Chef, dass keiner seiner Gesellen einen blassen Schimmer habe und er sich „im Tal der Ahnungslosen befinde“. Später fragte ich den Chef, was er denn meine, woher die geforderte Ahnung seiner Mitarbeiter wohl kommen solle, wenn das gesamte Betriebsgeschehen stets in seinem Kopf und seiner „EDV-Kiste“ vergraben bleibt und nur scheibchenweise per Anweisung weitergegeben wird? Setzen sie doch einen Gesellen an den Computer und lassen sie den einmal kalkulieren! Da brach es heraus: Das kann der nicht! Der hat gar keinen Computer! Die Preise sind nicht im Kalkulationsprogramm hinterlegt, die habe nur ich im Kopf! Kalkulationsfehler machen den Auftrag kaputt, ruinieren das Unternehmen! Der soll keine Büroarbeit machen, sondern auf der Baustelle arbeiten! Der Unternehmer als Einzelkämpfer ohne Entlastungs- oder Vertretungsmöglichkeit. Und was passiert bei Urlaub und Krankheit oder sonstigen, unvermeidlichen Abwesenheitsgründen oder Schicksalsschlägen? Als Antworten kamen, wie aus der „Pistole geschossen“, die Standards, die ich schon von vielen Unternehmern gehört habe: „Urlaub ist nichts für mich!“ „Krankheit kann ich mir nicht leisten!“ „Unvermeidliche Abwesenheitsgründe kenne ich gar nicht!“ Nun liebe Unternehmer, ohne Vertrauen in die Leistungsfähigkeit Eurer Mitarbeiter funktioniert es nicht! Wenn Ihr also Eure Mitarbeiter als unwissend, verantwortungslos, unbeteiligt, umständlich und unfähig einstuft, dann gibt es nur einen, der das ändern kann, Sie selbst! Schulen und informieren Sie, weisen Sie ein und übertragen Sie Stück für Stück Verantwortung, kontrollieren Sie Ergebnisse und Pflichterfüllung, anfangs verstärkt, später immer weniger, nur noch sporadisch und münden Sie ein, in das Vertrauen zur Leistungsstärke Ihrer Mitarbeiter. Im vorliegenden Fall wurde für einen Gesellen ein Computerarbeitsplatz eingerichtet. Der Inhaber hat die Handhabung der Programme erklärt und diese um die fehlenden Kalkulationsparameter ergänzt. Probekalkulationen und stetige Chefkontrolle führten zur angestrebten Kalkulationssicherheit. Die Baustellenleiter hatten endlich die dringend benötigte Übersicht um einen Auftrag auch ergebnisgesteuert durchzuführen. Nachtrag:Nach langer Zeit hatte ich noch einmal Kontakt mit dem Unternehmen. Die Ehe war inzwischen geschieden aber ein Chef-Vertreter war aufgebaut und der Inhaber hat sich mehr und mehr zurückgezogen, wenn auch nicht ganz und endgültig, das können „Selbermacher“ wohl nicht.