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Recherchier mal

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Recherchier mal. Und wenn’s geht, lass die Mülltonnen und Nachbarn in Ruhe, verstanden“, sagte sie gleich morgens.

Nicole war schlecht drauf, man sah es ihr an, sie hatte dann dieses leicht Schattenhafte um ihre Augen, was sie noch energischer aussehen ließ. Dazu gehörten auch diese Tonlage und die schwarzen Jeans, die sie an solchen Tagen wie ein Symbol ihres inneren Zustands trug.

Ich wusste, worauf sie anspielte.

In meinem Kopf lag genug Erinnerung.

Ich verkniff mir eine Antwort; wir beide waren ohnehin nicht die besten Freunde.

Sie wandte sich der Post zu, durchforstete den Packen Briefe, den ihr Emmi, unsere Sekretärin, geordnet und gestapelt auf ihren Schreibtisch gelegt hatte, darunter Termine und Einladungen, und schaute nochmal kurz auf. „Ach ja, fast hätte ich es vergessen: Deine Mutter hat vorhin angerufen. Ich soll dir ausrichten, dass es schon seltsam sei, dass sich die Schwiegertochter mehr um sie kümmere als der eigene Sohn.”

Jetzt sah ich einen Gesichtsausdruck, der sich allmählich aufhellte.

Und in diesem Augenblick schien auch ein dünner Sonnenstrahl ins Büro.

Es war um eine heikle Sache gegangen, um den Verdacht auf ärztlichen Abrechnungsbetrug bei Hüftgelenken. Die Polizei hatte im Morgengrauen bei einem Arzt, einem bekannten Spezialisten, einer Koryphäe, wie die Boulevardblätter ihn bezeichneten, seine Villa durchsucht, und ich hatte dort ein wenig recherchiert, auch in die Mülltonnen geschaut, Nachbarn befragt, alles natürlich diskret, in der Hoffnung auf Beweisstücke.

Es wäre eine gute Geschichte geworden, sogar eine große, doch dann hieß es: keine Recherche mehr, kein Artikel.

Der damalige Redaktionsleiter, ein bärtiger Typ, früh ergraut, der Vorgänger von Nicole, musste mir die Botschaft überbringen. „Gute Arbeit”, hatte er gesagt, in meinen Aufzeichnungen geblättert, und dann in einem entschuldigenden Ton hinzugefügt, die Direktive von oben laute aber: kein Wort, nichts! Er hatte vorher bei einem Boulevardblatt gearbeitet, er wusste, was wir gerade beerdigen mussten und was es für mich bedeutete.

„Rien ne va plus?“, hatte ich gefragt und er hatte nur genickt. Danach gab er mir frei.

Es war Sommer, von Ferne leuchtete weiß die Zugspitze, wie ein Symbol der Freiheit auf einmal, ich hörte die Stimme meines Vaters auch, und gleichzeitig war ich so aufgebracht, dass ich mich urplötzlich im Klo des nahen Biergartenlokals wiederfand und dort übergeben musste. Der Kellner, der mich kannte, bot mir einen Slivovitz an, ich sei so blass, ein Slivovitz sei die beste Medizin, aber mein Magen wollte seine Ruhe.

Danach stieg ich ins Auto.

Ich fuhr offen, der Alfa und der Wind waren meine Freunde. Ich landete an einem anderen See. Im dortigen Strandbad sprang ich vom Zehner, die Jungs lachten, und der Bademeister rief: „Mein Respekt!“

Das war vor mehr als zehn Jahren.

Und Nicole hatte es gewusst, als wüsste sie über jeden Mitarbeiter genau Bescheid.

Die Banken melken, sagte er, wenn er wieder einmal einen Kredit für einen neuen Film brauchte.

Julia war endgültig ausgezogen und lebte jetzt bei ihrem neuen Freund im Westen Münchens. Ihr leeres Bett.

Geblieben als Erinnerung war nur ein unbestimmter Kopfschmerz. Er hatte sich eingenistet, irgendwann, nach einem Streit. Ich erinnerte mich nicht nach welchem. Wir hatten am Ende so häufig gestritten.

Ich schrieb viel zu dieser Zeit, nicht die größten Geschichten, wie Nicole meinte (ihr ständiger Vorbehalt), aber ich war fleißig, als wäre die Zeitung mein einziger Halt.

An manchen Abenden sah ich mir, wie aus einer schmalen Hoffnung heraus (oder Trost?), alte Filme an, meist Klassiker, in denen es um Liebe und um Liebesschwüre ging, auch Heimatfilme meines Vaters. Aus mir war ein sentimentales Tier geworden, aber ich schämte mich nicht.

Am Ende, im Bett, musste ich wieder an die finanziellen Möglichkeiten denken, die mir auf einem Silbertablett serviert wurden (Warum nicht zugreifen? Warum?!), und spürte nur Skrupel: Ich war nicht käuflich!

Inzwischen gab es Kaufempfehlungen von Banken und ich dachte, dass er seinem Ziel wieder einen Schritt näher gekommen war. Ich versuchte jedes Mal Ruhe zu bewahren, aber da war dieses nervöse Ziehen. Auf eine mir unbekannte Weise hatte mein Körper ein Sensorium für kommende Nachrichten und Ereignisse entwickelt.

„Du schaust nicht gerade gesund aus”, sagte Bene zu mir, der mich zufällig entdeckt hatte, als ich vor mich hintrottete.

Ich konnte nicht nach München fahren, ich musste irgendwohin, ins Offene und Weite. Ich wollte mich auf den großen Badesteg stellen, der weit in den See reichte, das alte feuchte Holz riechen, übers Wasser blicken, auf die Dämmerung warten.

Ich würde warten, bis es dunkel war – und alles würde verschwinden.

„Job oder Frauen?“ fragte er.

„Bitte?“

„Job oder Frauen, großer Journalist?“, wiederholte er etwas lauter.

„Beides”, antwortete ich, noch leicht benommen von der ganzen Grübelei.

Er parkte an der Bushaltestelle vor dem Landratsamt, sein Roller wollte nicht mehr. Der Motor war ausgegangen, irgendwas mit dem Ritzel, meinte er, hoffentlich sei da nichts festgegangen. Ich verstand kein Wort.

Er hatte die Motorklappe, die am rundlichen Heck der Maschine angebracht war, abgebaut, jetzt sah man die Eingeweide. Mit bloßen Händen fingerte er im Inneren des ölverschmierten, staubsaugerartigen Metallklotzes herum.

Ich stellte mir vor, wie er vor wenigen Minuten noch hübsche Frauenköpfe bearbeitet hatte und nun mit dem gleichen Ehrgeiz und Feingefühl diesen Motor zum Leben wiedererwecken wollte.

Um uns herum brauste der Abendverkehr, die Autobahn begann nach ein paar hundert Metern, es war die lebendigste Meile der Stadt.

„Bei dir läuft’s auch nicht rund, kann das sein?”, sagte ich.

Wir lachten, wenn auch nicht wirklich gut.

„Ruf doch den Pannendienst.”

Er ging erst gar nicht auf meinen Vorschlag ein.

Pannenhelfer waren ihm zuwider. Mechaniker auch. Überhaupt Fachleute. Bene brauchte keinen Rat, schon gar keinen technischen. Er analysierte und danach offenbarte sich die Technik. Warum er sich für den Frisörberuf entschieden hatte, blieb mir unerfindlich.

Er hatte sich jetzt ganz auf dem Boden hingestreckt.

„Sag mal, was ich dich die ganze Zeit fragen wollte: Die Aktie deines Finanzhais wird ja überall zum Kauf empfohlen. Kaufen oder nicht?”

Er muss wohl meinen Blick gesehen haben.

„Okay, vergiss es, es war ja nur eine Frage”, fasste er die Sache zusammen. „Werden halt andere reich und wir dürfen ihnen zuschauen. Ist ja nichts Neues.“

„Oder arm und krank!”, antwortete ich ziemlich laut.

„Hey, dir geht es wirklich nicht gut. – Was anderes: Hast du gesehen, da steht wieder ein Geschäft in der Innenstadt leer. Super Lage.”

„Dann lieg‘ hier nicht rum, sondern mach‘ deinen Laden auf, verdammt.“

Auch das Gerede um die Krise nervte mich.

Hier waren Geld und Glück zuhause, egal was in der Welt geschah.

Seine Arme waren jetzt ganz in den Eingeweiden des Motors verschwunden.

Irgendein Metallstück zogen sie heraus, Bene betrachtete es und warf es ins Gebüsch.

„Macht 30 Euro Bußgeld”, sagte ich.

„Dein Landrat ist schon lange durchgefahren. Keine Chance, mein Freund.”

Er schaute um sich: „Du hast nicht zufällig ein Taschentuch?“

Seine Hände und Arme waren bis zu den Ellenbogen mit Öl verschmiert.

Ich warf ihm ein zerfleddertes Päckchen Tempos hin.

„Merci, und noch dazu ein Museumsstück.“ Er betrachtete es kurz.

Nach zwei Tritten auf das Anlasserpedal meldete sich der Motor seines Rollers wieder.

Bene schaute so, als hätte er nichts anderes erwartet.

„Deinem Roten geht’s gut?”, fragte er

Wir umarmten uns und er knatterte davon.

Ich blieb noch eine Weile, sah seiner Silhouette nach, die schneller verschwand, als ich erwartet hatte.

Damals, als junger Mann, besaß mein Vater auch eine Maschine, eine PS-starke. Auf einer Landstraße, die neben einer Bahnstrecke verlief, machte er sich den Spaß, mit den Schnellzügen um die Wette zu fahren.

Am Ende dieser Geraden befand sich ein Bahnübergang, und er versuchte, noch vor dem Zug die Gleise zu queren. Wenn es gelang, zeigte er dem Lokomotivführer ein blaues Band, als Zeichen seines Sieges, und er war sich sicher, dass der Mann auf der Lok sich ärgerte.

Das war vor seinem schweren Unfall. Und deshalb erzählte er die Geschichte uns gern und viele Male.

Fürstensee

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