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Florio

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Das Marmorbild handelt von einem jungen und im Leben unerfahrenen Die männlichen AkteureMann namens Hauptperson FlorioFlorio, der zwischen dem sehnsüchtigen Begehren nach der makellosen und keuschen Kindfrau Bianka als einer Vertreterin christlicher Tugendhaftigkeit und dem verführerischen Venusbild als einem Ausdruck heidnisch-antiker Erotik hin- und hergerissen ist. Die Marmorstatue der Liebesgöttin wird für Florio zum Fixpunkt seiner Gedanken, Gefühle und Fantasien.

Über den Hinweis hinaus, dass er »ein junger Edelmann« (S. 3) und kurz vor der Ankunft in Lucca ist, erhält der Leser kaum weitere biographische Wenige biographische InformationenInformationen über den »schönen Jüngling[ ]« (S. 3), der im Zentrum der Novelle steht. Obwohl er einen hohen sozialen Stand einnimmt, bleibt Florios Familienname ebenso unbekannt wie die näheren Umstände, unter denen er »[a]uf dem Lande in der Stille« (S. 4) aufgewachsen ist, bevor er schließlich in die Ferne aufbrach. Das Geheimnis seiner Abstammung und seiner Herkunft erschließt sich auch nicht aus den Angaben des fremden Ritters Donati, der behauptet, in Florio »einen früheren Bekannten« (S. 11) wiederzuerkennen. Wenn Donati auch »über mancherlei Begebenheiten aus Florios früheren Tagen« (S. 11) zu berichten weiß, so verzichtet der Erzähler doch darauf, diese zu konkretisieren.


Abb. 4: Schenk Konrad von Limpurg bekommt von einer Dame einen Helm überreicht. Illustration aus der Manessischen Liederhandschrift, 14. Jahrhundert (Universitätsbibliothek Heidelberg)

Erst im Moment ihres dramatischen Höhepunkts enthüllt die Erzählung Details aus dem Leben des Protagonisten, als dieser sich an mittelalterliche Minnebilder sowie an Bilder höfisch-galanter Szenen erinnert, die ihn »zu Hause in früher Objekte kindlicher PrägungKindheit« (S. 38) faszinierten, wenn er sie »an schwülen Nachmittagen in dem einsamen Lusthause unseres Gartens« (S. 39) betrachtete. Im Rahmen seiner wenigen Reminiszenzen erwähnt Florio auch zum ersten und einzigen Mal seinen Florios VaterVater. Dieser habe ihm oft »manch lustiges« und wohl auch amouröses »Abenteuer« erzählt, »das ihm auf seinen jugendlichen Heeresfahrten […] begegnet« (S. 39) sei. Danach sei der Vater »gewöhnlich lange Zeit nachdenklich in dem stillen Garten auf und ab« (S. 39) gegangen.

Im Gegensatz zu der zumindest anekdotischen Andeutung der Jugenderinnerungen seines Vaters findet die Die MutterMutter überhaupt keine Erwähnung. Diese erzählerische Leerstelle gibt Anlass zu Spekulationen über das Ausmaß ihrer Bedeutung in Florios jungem Leben, das ja im Hinblick auf sein Frauenbild im extremen Spannungsfeld zwischen grenzenlosem Begehren und panischer Todesangst steht.

Der paradoxe Ambivalentes FrauenbildDualismus von Ekstase und Horror lässt sich beispielhaft an jener Mondnacht-Szene illustrieren, in der er erstmals das »marmorne[] Venusbild« (S. 15) entdeckt und »wie eingewurzelt im Schauen« stehenbleibt, denn

»ihm kam jenes Bild wie eine lang gesuchte, nun plötzlich erkannte Geliebte vor, wie eine Wunderblume, aus der Frühlingsdämmerung und träumerischen Stille seiner frühesten Jugend heraufgewachsen. Je länger er hinsah, je mehr schien es ihm, als schlüge es die seelenvollen Augen langsam auf, als wollten sich die Lippen bewegen zum Gruße, als blühe Leben wie ein lieblicher Gesang erwärmend durch die schönen Glieder herauf. Er hielt die Augen lange geschlossen vor Blendung, Wehmut und Entzücken. –« (S. 16)

Reagiert Florio hier auf die Vision der Verlebendigung einer steinernen Frauenstatue mit einem rauschhaften Schwebezustand der eigenen Erstarrung und FluchtErstarrung, so endet die erotische Überwältigung durch die nackte Schöne in einer eiligen Flucht, als »das Venusbild« auf einmal »fürchterlich weiß und regungslos« erscheint und ihn »fast schreckhaft mit den steinernen Augenhöhlen aus der grenzenlosen Stille« (S. 16) ansieht.

Seine eigentliche Bedeutung erwächst dem Florio als AntiheldHelden hier also nicht aus der eigenen, im Dunkel bleibenden Vergangenheit, sondern aus der Gegenwärtigkeit seiner Abenteuer. Deren auffälligste Besonderheit ist zugleich, dass sie nicht in der aktiven ritterlichen Auseinandersetzung, sondern in der primär passiven Begegnung mit übermächtigen Kräften bestehen. Florio ist kein kriegerischer Kämpfer mehr, der sich noch in der Tradition des mittelalterlichen Ritters für die Verteidigung eines (vermeintlich) christlichen und sozialen Wertekatalogs einsetzt, sondern er ist ein ganz und gar unheroischer Mensch, welcher der eigenen Triebhaftigkeit ausgesetzt bleibt, bis er sie in einem äußersten Moment der drohenden Selbstvernichtung überwindet. Erst mit den flehentlichen Worten »›Herr Gott, lass mich nicht verloren gehen in der Welt!‹« (S. 40) gelingt es ihm, sich aus dem alptraumhaft-zerstörerischen Sog der Selbstpreisgabe an die Erotik des Schönen und Lustvollen zu befreien.

Wie in einem Entwicklungsroman durchläuft die Hauptfigur einen Prozess der Auf dem Weg zum ErwachsenseinReifung vom naiven Romantiker und süchtigen Erotomanen zum bindungs- und beziehungsfähigen Realisten. Ist Florio zu Beginn ein junger und unerfahrener Mann, der »unschuldig in die dämmernde Welt« (S. 3) hinaussieht und in Italien, dem »Land der Poesie«, die Erfüllung seiner sentimentalen Sehnsucht nach Ferne und Glück zu finden glaubt, so öffnen sich ihm erst am Ende die Augen, als er in dem »zierliche[n] Knabe[n]« (S. 48), der die Reisegruppe nach Mailand begleitet, »mit Erstaunen Fräulein Bianka« Erkenntniserkennt: »Mit Wohlgefallen ruhten Florios Blicke auf der lieblichen Gestalt. Eine seltsame Verblendung hatte bisher seine Augen wie mit einem Zaubernebel umfangen. Nun erstaunte er ordentlich, wie schön sie war!« (S. 48)

Der »Blöde[ ]« (S. 6), wie der Erzähler Florio anfänglich einmal nennt, nimmt die neue Welt, in die er aufgebrochen ist, wie ein Kind vor allem ›mit Erstaunen‹ wahr (S. 4 f., 11, 13), bevor er schließlich nach der ersten Begegnung mit dem Venusbild in einen Chaos der GefühleZustand der inneren und äußeren Destabilisierung gerät. Im rauschhaften Dreiklang von »Blendung, Wehmut und Entzücken« (S. 16) schwankt er von nun an zwischen »blühende[n] Träume[n]« (S. 21) und »Grausen« (S. 16). So erblickt er beispielsweise auf einmal in der ›Griechin‹ (S. 26 ff.) das Doppelgesicht von Liebe und Tod: »Es war die wunderbare Schöne, deren Gesang er in jenem mittagschwülen Garten belauscht. – Aber ihr Gesicht, das der Mond hell beschien, kam ihm bleich und regungslos vor, fast wie damals das Marmorbild am Weiher.« (S. 31)

Erst nach einer längeren krisenhaften Phase der inneren Blindheit und SehenDesorientierung und Blindheit gelangt er zum Bewusstsein der Realität, die er zuvor übersehen oder verkannt hat. Indem er mit einem Mal Bianka als Person ›erkennt‹, erkennt er auch ihre existenzielle Bedeutung für seine eigene Person (S. 48 f.).

Das Marmorbild von Joseph von Eichendorff: Reclam Lektüreschlüssel XL

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