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1.2 Der Streit um das Menschenbild

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Besteht der Kern des anthropologischen Interesses und die öffentliche Relevanz der Anthropologie im Streit um das Menschsein, so ist hier auch ihre zentrale theologische Bedeutung zu erkennen. In diesem Streit wird in der Theologie, aber auch in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit häufig auf das ‚christliche Menschenbild‘ Bezug genommen. Dabei werden freilich zumeist weder der genaue Inhalt noch die Legitimität eines ‚christlichen Menschenbildes‘ reflektiert. Der folgende Abschnitt bearbeitet eben diese Fragen.

Offensichtlich stehen gesellschaftlich konkurrierende Vorstellungen vom Menschen zueinander im Widerspruch, teilweise auch unverbunden nebeneinander. Dabei sind theologische, religiöse und philosophische Bestimmungen nur einige von mannigfaltigen Vorstellungen vom Menschen, wie sie das Denken und Handeln formen. So hat z.B. die Alternative, ob der Mensch überwiegend genetisch oder gesellschaftlich und kulturell bestimmt sei, massive Handlungskonsequenzen: Wenn die Intelligenz eines Menschen genetisch feststeht, dann kann die Aufgabe des Bildungssystems nicht die Förderung der Intelligenz sein, sondern allenfalls deren Formung und faktisch ihre Selektion. Wenn der Mensch aber wesentlich durch seine Sozialisation geprägt ist, dann liegt wiederum die Verantwortung für das Scheitern von Bildungsbiographien vorrangig bei den sozialen Strukturen.

falsche Alternativen und echte Konflikte

Bereits dieses Beispiel zeigt aber auch, daß die unterschiedlichen Bestimmungen des Menschseins keineswegs immer als ausschließliche Alternative erscheinen: In deskriptiver Hinsicht ist offensichtlich, daß beide Perspektiven ihr relatives Recht besitzen. Daß in verschiedenen Kontexten unterschiedlich vom Menschen die Rede ist und sein muß, liegt auf der Hand. Darum schließen auch zentrale theologische Aussagen über den Menschen andere Vorstellungen nicht notwendigerweise aus. Hier ist sorgfältig zu unterscheiden, damit notwendige Auseinandersetzungen nicht durch Scheinkonflikte verdeckt werden, wie sie nicht zuletzt aus Fehlinterpretationen der christlichen Tradition entstehen. Wird etwa ‚Schöpfung‘ als Alternativkonzept zu ‚Weltentstehung‘ verstanden – eine sowohl von Christen wie auch in der wissenschaftlichen Diskussion nicht seltene vertretene Fehlinterpretation –, so kann der Kern des Schöpfungsglaubens kaum mehr in den Blick kommen. Auseinandersetzungen um astrophysikalische Theorien und die Evolutionstheorie basieren darum in der Regel auf theologisch irrigen Voraussetzungen und sind sachlich unergiebig.

Konflikte werden freilich dann unvermeidbar, wenn mit den verschiedenen Vorstellungen vom Menschsein der Anspruch verbunden ist, das Ganze des Menschseins zu erfassen und nicht nur Teilaspekte zu beschreiben. So muß die biologische Beschreibung des Menschen als Produkt der Evolution zur biblischen Rede vom Menschen als dem ‚Ebenbild Gottes‘ ebensowenig in Widerspruch stehen wie die Beschreibung als Wirbeltier. Ein unvermeidlicher Konflikt bricht aber dann auf, wenn – um zwei für die Gegenwartskultur besonders bezeichnende Konzepte anzuführen – im Gestus der Wissenschaftlichkeit behauptet wird, Eigennutz sei unsere biologische Natur oder der Mensch sei im Grunde ein nutzenoptimierender homo oeconomicus. Solchen Behauptungen, die eben keine bündigen Ergebnisse wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern vielmehr weltanschauliche Voraussetzungen sind, muß nicht nur aus theologischen Gründen widersprochen werden.

Es ist weder ein Zufall, daß in diesen Vorstellungen biologische und ökonomische Kategorien vermischt werden, noch daß damit oft ein Pathos verbunden ist, das die Grenzen wissenschaftlicher Deskription deutlich überschreitet: Eben in dieser Melange scheinbar objektiver Wissenschaft und ethisch-politischer Ansprüche ist die Aufmerksamkeit begründet, die solche Äußerungen in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit finden. Dabei ist jedoch festzuhalten, daß die eigentliche anthropologische Fragestellung erst dort erreicht ist, wo die Grenzen des Geltungsbereichs wissenschaftlicher Aussagen überschritten werden. Arnold Gehlen hat diesen Zusammenhang knapp benannt:

„Das von nachdenkenden Menschen empfundene Bedürfnis nach einer Deutung des eigenen menschlichen Daseins ist kein bloß theoretisches Bedürfnis. Je nach den Entscheidungen, die eine solche Deutung enthält, werden Aufgaben sichtbar oder verdeckt. Ob sich der Mensch als Geschöpf Gottes versteht oder als arrivierten Affen, wird einen deutlichen Unterschied in seinem Verhalten zu wirklichen Tatsachen ausmachen; man wird in beiden Fällen auch in sich sehr verschiedene Befehle hören.“ (85: 3)

Diese „Deutung des eigenen menschlichen Daseins“, die die Richtung des gesamten Lebens bestimmt, wird üblicherweise als das jeweilige Menschenbild‘bezeichnet, das Denken, Erfahren und Handeln bestimmt; unter diesem Titel wird in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit am offensichtlichsten die anthropologische Thematik verhandelt. So ist die Rede vom ‚Menschenbild‘ der Ökonomie, der Biologie, aber auch vom ‚Menschenbild‘ der Historiker und des Ingenieurs, wie von dem des Grundgesetzes, aber auch vom biblischen und dem christlichen ‚Menschenbild‘. Die Reihe der Kombinationen ließe sich fast beliebig erweitern. Dabei fällt freilich auf, daß der Begriff gebraucht wird als sei er selbstverständlich, aber kaum genauer reflektiert wird: So fehlt das Stichwort in den einschlägigen Lexika. Dabei ist bereits bei den genannten Beispielen durchaus fraglich, ob der Ausdruck jeweils in derselben Weise benutzt wird. Vorerst kann festgehalten werden, daß der Ausdruck ‚Menschenbild‘ zwei Komponenten enthält: Er kann verstanden werden als die Abbildung dessen, was der Mensch ist, aber auch als (Ideal)-Bild dessen, was ein Mensch sein und wie mit Menschen umgegangen werden soll, um seiner spezifischen conditio humana zu entsprechen.

Einführung in die theologische Anthropologie

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