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1.2.2 Gibt es ein christliches Menschenbild?

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Wenn auch explizite Menschenbilder als Leitvorgaben, wie sie die anthropologischen Debatten in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg dominierten, weithin der Kritik anheimgefallen sind, so läßt sich in den letzten Jahren doch beobachten, daß das Thema erneut erscheint – wohl aus analogen Gründen: War es die Suche nach einer neuen Fundierung der Ethik und der Politik nach der Katastrophe des Nationalsozialismus und des Weltkrieges, so ist es erneut die offensichtliche Orientierungslosigkeit des Denkens und Handelns, wie sie sich nicht zuletzt in den Diskussionen um die Biotechnologie manifestiert, aber auch die Wahrnehmung einer ethischen Bedrohung, die aus einem grenzenlosen Pluralismus folge. Beidemal erscheint auch der Rekurs auf ein christliches Menschenbild, das in dieser Situation Orientierung bieten kann. So erkennt Karl Lehmann darin eine Stärke des christlichen Glaubens, „daß er inmitten einer vielfachen Sinnkrise und eines immer größeren pluralistischen Angebots auf ein solches Menschenbild zurückgreifen kann“. (251: 51)

Lehmann benennt freilich auch die Problematik der Rede vom ‚christlichen Menschenbild‘: Nicht nur können Menschenbilder als normative Setzung, wie nicht zuletzt die pädagogische Diskussion zeigte, selbst totalitär werden; auch zeigt der Blick auf die Geschichte, daß theologische Menschenbilder allemal historisch bedingt sind, so daß die Vorstellung von dem einen christlichen Menschenbild in die Irre führen muß. Es gibt „kein – zahlenmäßig – einziges konkretes theologisches Menschenbild. Es gibt deren unendlich viele“ (251: 56; im Original kursiv), was nach Lehmann allerdings nicht bedeuten müßte, daß dieser auch im Horizont des christlichen Glaubens feststellbaren Pluralität der Menschenbilder keine gemeinsame Struktur zugrunde liege.

Bilderverbot

Die Rede vom ‚christlichen Menschenbild‘ erweist sich schon von daher als fragwürdig, weil sie Erwartungen weckt, die nicht einlösbar sind. Neben der bereits skizzierten Problematik des Konzepts ‚Menschenbild‘ sind es aber auch spezifisch theologische Gründe, die hier große Vorsicht nahelegen: Schließlich verbietet das zweite Gebot des Dekalogs eindrücklich, „ein Bildnis noch irgendein Gleichnis sich zu machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist“ (Ex 20,4; vgl. Dtn 8,8, aber auch Dtn 4,16.23). Auch wenn hier sicher zunächst von Götzen und Götterbildern die Rede ist – die Rede von „Gottesbildern“, wie sie auch in der Theologie gängig ist, sollte sich von daher verbieten –, so ist dabei nicht nur ein Strukturmerkmal jüdischer und christlicher Rede von Gott (vgl. dazu 253) benannt, sondern auch ein grundlegendes Moment theologischer Anthropologie berührt: Ein ‚Menschenbild‘ als Idealvorstellung dessen, was Menschen aus sich machen sollten, ist solchen Götzenbildern allemal nahe.

Max Frisch

Im literarischen Werk von Max Frisch wird auf eindrückliche Weise dargestellt, wie das Bild eines Menschen, das sich andere von ihm machen, ihn festlegt und gefangen nimmt: Das Menschenbild, nun das Bild eines individuellen Menschen, legt ihn auf seine Vergangenheit fest und auf die Vorstellungen, die man sich von ihm gemacht hat; es stellt das individuelle Leben fest und beengt es. So weigert sich im Roman „Stiller“ die Hauptfigur, die sich „White“ nennt, letztlich vergeblich, mit dem Anatol Stiller identisch zu sein, als den ihn die anderen Personen erkennen – seine Ehe scheiterte wiederum an dem Bild, auf das Stiller seine Frau festlegen wollte. Das Drama „Andorra“ zeigt die politische Konsequenz an der Figur des Andri, der den Bürgern als Jude gilt und schließlich dieses Bild selbst akzeptiert und an der Stigmatisierung zugrunde geht. Gegen solche Bilder opponiert die Liebe: „Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, daß sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen. … Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis. Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, daß wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden: weil wir sie lieben; solang wir sie lieben.“ (120: 31) Und in einer Vorstudie zu „Andorra“ schreibt Frisch: „Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es, von Gott. Es dürfte auch in diesem Sinn gelten: Gott als das Lebendige in jedem Menschen, das, was nicht erfaßbar ist. Es ist eine Versündigung, die wir, so wie sie an uns begangen wird, fast ohne Unterlaß wieder begehen – Ausgenommen wenn wir lieben.“ (120: 37)

Wenn aber in der biblischen Tradition die Menschen als Ebenbild Gottes verstanden werden, so folgt daraus, daß das Verbot eines Bildnisses auch hier zur Geltung gebracht werden muß. Der Verweis auf das Bilderverbot kann auch dadurch nicht entkräftet werden, daß die mittelalterliche Katechismustradition und in ihrem Gefolge auch Luther in seinen Katechismen eben dieses Gebot aus der Fassung des Dekalogs strich. Liegt die theologische Begründung dafür weniger in der Anpassung an die Faktizität des Bildgebrauchs in den Kirchen – ein antikünstlerischer Affekt läßt sich in der Tat nicht mit diesem Gebot begründen –, als vielmehr in einer dezidiert christologischen Argumentation, so ist diese von grundlegender anthropologischer Bedeutung. Wenn nämlich etwa in Kol 1,15 sprachlich zugespitzt von Christus als dem „Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ die Rede ist, so kommt darin zum Ausdruck, daß in Christus und nicht in einem irgendwie zu bestimmenden natürliches Wesen des Menschen die Ebenbildlichkeit anschaubar wird. Daraus folgt aber, daß ein christliches ‚Menschenbild‘ im Sinne einer abschließenden oder zu verwirklichenden Bestimmung des Menschen eben unmöglich ist, weil erst die in Christus eröffnete Zukunft das ans Licht bringt, was der Mensch ist.

Für die theologische Anthropologie ist es daher höchst problematisch, die Auseinandersetzung um das Menschsein so zu führen, daß sie ein ‚christliches Menschenbild‘ aufstellen und gegen konkurrierende Modelle zur Geltung zu bringen versuchen würde. Dies gilt um so mehr, als in der öffentlichen Diskussion gerade die Begründungszusammenhänge und Verstehensbedingungen abgeblendet werden müßten, die allererst erlauben würden, von einem christlichen Verständnis des Menschen zu sprechen. Was in der Öffentlichkeit als ‚christliches Menschenbild‘ vertreten wird, weist darum auch in aller Regel nichts davon auf, was es als spezifisch christlich kennzeichnen würde; vollends im politischen Rekurs erweist sich das ‚christliche Menschenbild‘ als affirmative Sammlung weithin allgemeiner und unspezifischer Behauptungen, die sich in ihrer Unbestimmtheit auch der Kritik durch das Evangelium entziehen. Die politische Beteuerung eines ‚christlichen Menschenbildes‘ suggeriert eine Einheitlichkeit und Verbindlichkeit, die es nicht gibt, und isoliert sich gegen das, was eigentlich erst christlich heißen könnte. Christoph Bizer betont mit Recht: Jede Aussage, die sich auf das Bild des Menschen als eines Geschöpfes Gottes bezieht, „setzt das Verhältnis zum Schöpfergott voraus und müßte sich erst zu religiöser Anschauung und Gestimmtheit entfalten, bevor Prozesse in Gang kommen, die produktiv nach Konsequenzen für das Menschenbild fragen. Deshalb erscheinen Berufungen, meist kirchlich-gesellschaftspolitische, auf das christliche Menschenbild als ideologische Setzungen.“ (231: 114)

uneinlösbare Erwartung

Die theologische Anthropologie kann darum nicht auf der ohnehin uneinlösbaren Erwartung der Entfaltung eines christlichen Menschenbildes bestehen; ein solches Projekt wäre auch abgesehen von allen Schwierigkeiten seiner Durchführung gar nicht wünschenswert. Gerade um der Freiheit des Menschen willen, die aus ihrem Bezug zum Heilsgeschehen in Christus erwächst – wie anders wäre ein ‚christliches Menschenbild‘ sonst zu qualifizieren? –, ist die Aufgabe vielmehr die Kritik fixierter Menschenbilder.

Zur Aufgabe der theologischen Anthropologie gehört wesentlich die kritische Analyse der handlungsleitenden Menschenbilder im Lichte des Evangeliums. Nicht die Setzung von – wie auch immer gearteten – Menschenbildern, sondern ihre Überprüfung und Entmächtigung ist darum vonnöten.

Wenn mithin überhaupt von einem ‚Menschenbild‘ die Rede sein kann, dann kann der angemessene Sinn dieses Begriffs keine normative Vorstellung sein, sondern vielmehr die kritisch zu analysierende Konstellation von handlungsleitenden Vorstellungen, wie menschliches Leben beschaffen sein soll. Die pädagogische Diskussion hatte gezeigt, daß in diesem Sinn alles Handeln solche zumeist unbewußten Bilder enthält. Der aufgezeigten Gefahr kann nur begegnet werden in der Kritik der Verfestigung von Menschenbildern, die gleichwohl als immer neu zu problematisierender Vorgriff den Umgang miteinander erst ermöglichen. Der Begriff des ‚Menschenbildes‘ ist demnach allenfalls kritisch zu gebrauchen, indem er die Aufmerksamkeit auf die Leitüberzeugungen im Handeln lenkt und zu deren Offenlegung und kritischen Diskussion herausfordert.

Einführung in die theologische Anthropologie

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