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Das Wesen der zisterziensischen Architektur
Was sollte eine frühmittelalterliche Kirche überhaupt darstellen? Eusebius von Caesarea erklärte:
»Es ist die Ekklesia, die Gemeinschaft der Gläubigen mit Christus, die im Bau zum Bilde wird.«
Augustinus erkannte im Tempel Salomos das typologische Vorbild der Kirche und des Leibes Christi, Hieronimus sah die Stadt der Heiligen. Auch als das neue Paradies verstand das christliche Mittelalter seinen Kultbau; im Kirchengebäude machte es sich ein Bild davon. Texte zu den Weiheriten drückten aus, dass man den Heiligen die neue Kirche, die Stadt Gottes erbaut hatte. Beim Bau der Kathedrale sollte die mystische Verwirklichung des Himmlischen Jerusalems zu erkennen sein.
Hier manifestierte sich das Analogieprinzip: Wie oben so unten. Die Kathedrale war das Abbild des Universums. Sie konnte von ihrem Betrachter aber visuell nicht als Einheit erkannt werden, sie entzog sich aufgrund ihrer Dimensionen dessen Erfassungsvermögen und blieb dem Nichteingeweihten somit ein Geheimnis.
Ganz anders die Gemeindekirche. Das in der Regel als Basilika errichtete Gebäude war für jeden Besucher überschaubar und der Sinn der Architektur konnte vom Betrachter leicht erfasst werden. Der Gläubige wurde in die Liturgie miteinbezogen und es war ihm somit möglich, am mystischen Erleben teilzunehmen, obschon ihm ein tieferes Verständnis fehlte. Auch den Mönchen wurde ein Gebäude gestellt, das mit einem Blick vollständig überschaubar war, das den Charakter einer übersichtlichen Einheit und Abgeschlossenheit zum Ganzen natürlich wiedergab. Die Klosterbrüder sollten an der Wirksamkeit des Modells des Himmels teilhaben, allerdings ergab sich für sie eine liturgische Raumordnung, die nicht mit der bekannten architektonischen Ordnung übereinstimmte.
Wenn man die Klosterkirche von Loccum aus der Sicht des damaligen zisterziensischen Wirkens betrachtet, bemerkt man, dass es sich eigentlich um zwei Kirchen in einem Gebäude handelt. So wie die beiden Mönchsgruppen – betende und arbeitende – voneinander getrennt waren, hatten auch ihre jeweiligen Kirchen unterschiedliche architektonische und liturgische Aussagen.
Das Sakralgebäude als solches war für den Betrachter nicht vollständig überschaubar und die heute erkennbare architektonische Raumordnung ließ sich auf keine der beiden Einzelkirchen anwenden. Die westliche Laienkirche hatte eine andere Bedeutung und Funktion als die östliche Kirche der Professen. Die arbeitenden Mönche befanden sich in einer Welt, die im Hinblick auf den leidenden Gottmenschen Jesus über der Lettnermauer eine Hoffnung auf ein besseres Dasein im Jenseits andeutete. In der östlichen Kirche hatte man, gleich dem HERRn, die Welt bereits überwunden und befand sich in einem paradiesnahen Zustand. Der Abt und der Prior saßen mit dem Rücken zum Christuskreuz und blickten auf die Himmlische Stadt der Heiligen; sie befanden sich geistig bereits außerhalb der materiellen Welt.
Aus diesem Grund war es den Ordensbrüdern auch nicht erlaubt, darstellende Bilder zu verwenden. Das allegorische Denken dieses Zeitalters ließ ein Gewordenes im Seienden nicht zu. In der Kirche der Chormönche spiegelt sich erkennbar neuplatonisches Denken wider.