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Bernhard von Clairvaux – Genie oder Chimäre?
ОглавлениеUm das Geheimnis zisterziensischer Kirchen zu ergründen, müssen wir versuchen, die Geisteshaltung Bernhards zu erfassen. Er selbst nannte sich die Chimäre seines Jahrhunderts, und er wählte diese Selbstbezeichnung, den Namen eines antiken Mischwesens, mit Bedacht.
Friedrich Schiller schrieb am 17. März 1782 an Goethe:
»Ich habe mich dieser Tage mit dem heiligen Bernhard beschäftigt und mich sehr über diese Bekanntschaft gefreut. Es möchte schwer sein, in der Geschichte einen zweiten so weltklugen geistlichen Schuft aufzutreiben, der zugleich in einem so trefflichen Element sich befände, um eine würdige Rolle zu spielen. Er war das Orakel seiner Zeit und beherrschte sie, ob er gleich und eben darum, weil er bloß ein Privatmann blieb und andere auf dem ersten Posten stehen ließ. Er hasste und unterdrückte nach Vermögen alles Strebende und beförderte die dickste Mönchsdummheit. Auch war er selbst nur ein Mönchskopf und besaß nichts als Klugheit und Heuchelei; aber eine Freude, ihn verherrlicht zu sehen.«
Bernhard nahm eine frappierende Unterscheidung zwischen dem Mönchstum und der Weltgeistlichkeit vor. Er schrieb:
»Nun ist aber das eine Sache der Bischöfe, das andere die Sache der Mönche. Wir wissen, dass jene, da Wissenden und Unwissenden gleichermaßen verpflichtet, das fleischlich gesinnte Volk, die ganz am Sinnenschein hängende Volksfrömmigkeit mit materiellem Glanz zur Andacht ermuntern, weil sie es mit Geistigem nicht vermögen.«
Ganz anders aber die Mönche. Jene waren in ihrer Klausur völlig von der Außenwelt getrennt und damit vom profanen Leben ausgeschlossen. Da die konventualen Mönche auch mit den Konversen keinen Kontakt hatten und sich den eigenen konventualen Brüdern aufgrund des Schweigegebots bloß schwer mitteilen konnten, waren sie nur den Wissenden gegenüber verpflichtet und geöffnet.
Es gibt Meinungen, dass Bernhard von Clairvaux bewusst jedes fortschrittliche Denken unterdrückt haben soll. Das mag teilweise zutreffen, muss aber unter Berücksichtigung seiner Absichten beurteilt werden. Der Mystiker nutzte die Mittel der zisterziensischen Architektur außerdem, um Kaisertum und Papsttum voneinander abzugrenzen, derweil er die Eigenart des Ordens in einer besonderen Formensprache zu manifestieren wusste. Wahrscheinlicher ist daher, dass von Clairvaux seine persönlichen Vorstellungen von Gott und der Welt darstellen, sie konsequenterweise verbreiten wollte. Dass diese im Orden nicht immer verstanden wurden, erweist sich schon dadurch, dass seine Anordnungen und Vorschriften bereits unmittelbar nach seinem Tod kaum noch Beachtung fanden.
Zu Bernhards Lebzeiten war es allein seiner ungeheuer charismatischen Persönlichkeit zu verdanken, dass seinen Anweisungen schlussendlich auch Folge geleistet wurde. Die Illustration der Bibel von Clairvaux beweist darüber hinaus, dass er seine eigenen Bestimmungen oftmals recht großzügig auslegte. Es war unter anderem diese Eigenart des Mystikers, die dazu beitrug, dass er, mehr als Suger, den Geist Frankreichs darstellen konnte und auch sollte. Wir müssen hier berücksichtigen, dass Bernhard der Organisator des zweiten Kreuzzuges war und zudem die Regel des Templerordens aufgestellt hatte.
Da er König und Papst beraten konnte und das 12. Jahrhundert somit entscheidend politisch wie auch geistig prägte, können wir unter keinen Umständen davon ausgehen, dass seine Klostergründungen ausschließlich mönchischer Kontemplation dienen sollten.
Zisterziensische Klöster waren Areale hochdisziplinierter Kontemplation und gleichzeitig unabhängige Wirtschaftszentren, des Weiteren bildeten sie Stützpunkte von außerordentlichem logistischem Wert und strategischer Wirksamkeit. Sie waren ständig in der Lage, eine große Anzahl von Armen zu speisen, Kranke zu pflegen und Durchreisende aufzunehmen. Genauso gut konnten sie auch jederzeit durchziehende Tempelritter verpflegen, verletzte Soldaten behandeln sowie Kriegsgerät und Fahrzeuge reparieren. Aus militärischer Sicht waren diese Anlagen hervorragend durchorganisierte Garnisonsstandorte mit einer disziplinierten Besatzung.
Dazu passt auch die von Bernhard verfasste Regel für den Templerorden. Dieser Orden unterschied sich von dem der Johanniter und vergleichbaren karitativen Rittervereinigungen, war er doch von Anfang an ein rein militärischer Bund mit betenden Rittern und kämpfenden Mönchen; sein unbeschreiblicher Erfolg lag unter anderem darin. So gesehen gliederte sich die kirchliche Macht, wie schon in der karolingischen Weltanschauung formuliert, in eine geistige, eine kämpfende und in eine arbeitende Dreiteilung. Schon bei Adalbert von Laon, 1030, heißt es:
»Triplex ergo Dei domus est quae creditur una. Nunc orant, alii pugnant aliique laborant.« – »Dreigeteilt ist das Haus Gottes, das doch für eins gehalten wird. Die einen beten, andere kämpfen und andere arbeiten.«
Diese drei Stände unterlagen einer hierarchischen Stufung, wobei die Geistlichen an oberster Position standen, da sie die Verantwortung für die spirituelle Leitung der anderen Stände trugen und, indem sie für alle beteten, geradezu einen öffentlichen Dienst (gr. leitourgia) leisteten. Darauf folgten die Krieger oder Ritter, die das Gemeinwesen schützen mussten. Dieser Stand schloss die gesamte Hierarchie weltlicher Herrschaft ein: König, Landesfürst und kleinerer Grundherr, die in gegenseitigen Treueverhältnissen einander verpflichtet waren. Den dritten und niedrigsten Stand bildeten die Bauern, Handwerker und Hörigen, die immer an das Lehnsgut gebunden waren, wo sie arbeiteten und lebten; sie ernährten die beiden anderen Stände.
Das passte schon eher zu dem Charakterbild und der Geisteshaltung Bernhards von Clairvaux. Bekanntlich war dieser aber auch Mystiker und Anhänger des damaligen Zeitgeistes. Aus dieser mystischen Sicht müssen wir den Auf- und Ausbau der zisterziensischen Klosterkirche betrachten, aber wohlgemerkt nur den der Klosterkirche. Da die Kirche des Ordo Cisterciensis hinsichtlich ihrer Ikonographie und der bildnerischen wie skulpturalen Darstellung keine Aussage postulieren kann, muss ihre metaphysische Bedeutung und Aussage anderenorts erkennbar sein. Der symbolische Gehalt einer Zisterzienserkirche ergibt sich aus der Nutzung und nicht aus der Gestalt.
Zisterziensische Baumeister haben nach den Grundsätzen der damaligen Kathedralbaukunst gewirkt und trotz Reduktion und Negation alle geheimen Künste der Bauhütten- und Kirchenbaukunst in ihre monastische Architektur eingebracht. Für Bernhard bedeutete das Leben in der Zisterze Abbild und Vorahnung des Paradieses. Er hat den Ausdruck Paradisus claustris geprägt, und zitiert dabei Genesis 28,17:
»Wie schrecklich ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes denn Gottes Haus und hier ist die Pforte des Himmels. Der Herr ist wirklich an diesem Ort!«
Diesen Spruch finden wir im Loccumer Kloster über der Tür im Lesegang zur Kirche. Ebenda, die Eigenheit des Gebäudes und der Liturgie bezeichnend, erhält dieser Spruch eine ganz besondere Bedeutung.