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I. Die Suche Kindheit und Familie Geburt und Vorfahren
ОглавлениеVon der Kindheit und Jugend ihrer Helden besaßen die antiken Biographen keine Nachrichten. Sie füllten die Lücke mit Anekdoten und Legenden: Wer ein Heros werden wollte, ließ dies schon früh erkennen. Der Weg zu historischer Größe war so dornig wie unausweichlich, vor allem aber war er fromme Erfindung. Allein über das frühe Leben des Demosthenes besitzen wir Quellen, die mehr sind als Fiktionen. Er ist – und dies im 4. vorchristlichen Jahrhundert – der erste Mensch seit Erschaffung der Welt, über dessen Jugendgeschichte wir etwas Genaueres wissen. Mit dieser Erkenntnis jedenfalls hat der Humanist und Altphilologe Werner Jaeger sein Buch über Demosthenes eröffnet.1 Vom jungen Demosthenes kennen wir, was in der antiken wie der modernen Demokratie aus ähnlichen Gründen am meisten verschwiegen wird: die finanziellen Verhältnisse. Die Auskünfte gibt Demosthenes selbst, aber er gibt sie nicht freiwillig. Sie stammen aus Gerichtsreden, mit denen er, volljährig geworden, gegen seine Vormünder wegen Veruntreuung des väterlichen Vermögens klagte.
Die Details, die Demosthenes gibt, verdienen nur begrenzt Glauben. Im Kampf um sein Erbe übertrieb, kaschierte oder beschönigte auch er, die Reden geben aber dennoch ein Bild von den Problemen, welche die Jugend eines durchaus reichen Mannes überschatteten. Während der junge Caesar – nach Plutarch – davon träumte, Alexander an Heldentaten gleichzukommen, war es Ziel des jungen Demosthenes, das verlorene Vermögen zurückzugewinnen.
Demosthenes war, als er im Oktober 322 auf der Insel Kalaureia Selbstmord beging, nach Ausweis eines byzantinischen Lexikons 62 Jahre alt. Er teilt damit Geburts- und Sterbejahr mit dem Philosophen Aristoteles. Die Familie, der er entstammte, gehörte zur reichen Oberschicht. Eine Galerie adliger Vorfahren, deren es noch bis in die Anfänge des Peloponnesischen Krieges bedurfte, um Karriere zu machen, besaß Demosthenes nicht. Dergleichen war unter den Bedingungen der neuen Demokratie nicht erforderlich. In einem Staat, in dem es allgemein an Geld fehlte, war der selten gewordene Besitz von Geld politischen Bestrebungen umso dienlicher.
Zwei der Großväter lassen sich identifizieren, väterlicherseits ein Mann namens Demomeles, von dem inschriftlich bezeugt ist, dass er Baumeister war und 421/20 eine Brücke über den Fluss Rheitos bei Eleusis errichtete. Der Großvater mütterlicherseits hieß Gylon, und mit ihm beginnen die genealogischen Schwierigkeiten. Zu den Gerichtsreden gehörte die Invektive, die persönliche Beschimpfung des Gegners, und so erfahren wir einiges über Gylon und nichts über Demomeles, denn dieser war offenbar ein angesehener Mann, dem Übles nachzusagen wenig Widerhall bei den Richtern fand. Anders verhielt es sich mit Gylon. Nach den Behauptungen seiner Gegner wurde Demosthenes’ Großvater von der Volksversammlung zum Tode verurteilt, weil er Nymphaion, einen Handelsplatz am europäischen Ufer des Kimmerischen Bosporos, an Satyros, den Regenten des Bosporanischen Reiches, verraten und dafür die Stadt Kepoi auf der asiatischen Seite des Bosporos als Geschenk erhalten habe. Dort habe Gylon auch eine reiche Skythin geheiratet, deren Tochter Kleobule dann Mutter des Demosthenes wurde. In diesen wenig berechtigten Vorwürfen – Nymphaion war offenbar kein Mitglied des Attischen Seebundes, Satyros kein Feind, sondern wichtigster Getreidelieferant Athens – steckte viel Klatsch und Verleumdung. Damit ließ sich Stimmung machen, zu Konsequenzen führte es nicht.
Ein attischer Musterbürger war Gylon dennoch nicht, denn Demosthenes muss einräumen, dass dieser von Staats wegen mit einer größeren Geldstrafe belegt worden war. Das war ein dunkler Fleck, doch die hohe Mitgift, die Gylons Tochter mit in die Ehe gebracht hatte, überdeckte ihn. Zweifellos beruhte das relativ hohe Vermögen, das der ältere Demosthenes – Vater und Sohn führten den gleichen Namen – bei seinem frühen Tod hinterließ, auch auf dieser Heirat.2
Der Vater war im Demos Paiania beheimatet, einer Gemeinde, die östlich von Athen in der Mesogeia, der Mittelebene, lag. In den Demen wurden die Bürgerlisten geführt, und da das Demotikon, die Angabe des Heimatdemos als Zusatz zum Namen, seit dem 5. Jahrhundert erblich war, übernahm es auch der Sohn. Der Vater starb an einer Krankheit, als der junge Demosthenes etwa sieben, knapp acht Jahre alt war, und so musste für ihn und seine zwei Jahre jüngere Schwester ein Vormund gefunden werden. Es wurden dann deren drei, zwei Neffen des verstorbenen Vaters, Aphobos und Demophon, sowie ein älterer Freund des Hauses, der aus demselben Demos Paiania stammte, mit Namen Thersippides. Alle drei erhöhten später unser Wissen vom Bürgerleben in Athen, denn Demosthenes zog sie, wie eingangs gesagt, wegen Veruntreuung vor Gericht, und drei dieser Reden sind erhalten. Bevor er dies tun konnte, musste er mündig sein, und das wurde er mit 18, wenn sein Name nach entsprechender Prüfung in die Bürgerlisten der Demen aufgenommen wurde. Danach folgte der Ephebendienst, der aus einer zum Teil kasernierten militärischen Ausbildung in Attika bestand; gleichzeitig sollten die „Rekruten“ politisch und religiös auf ihre Polis verpflichtet werden.3
Abb. 2: Demosthenes-Büste
Demosthenes wuchs bei den Verwandten der Mutter auf und erhielt ungeachtet der schlechten finanziellen Lage die damals bestmögliche Ausbildung. Die Vormünder mögen zwar das Vermögen heruntergewirtschaftet haben, den Unterhalt für die Familie in Höhe von sieben Minen (700 Drachmen) pro Jahr scheinen sie zumindest regelmäßig gezahlt zu haben. Mit Stolz wird Demosthenes jedenfalls später in öffentlichen Reden auf seinen Schulbesuch verweisen.4
Kindheit und Adoleszenz des Demosthenes waren zumindest nach außen weitgehend die eines wohlhabenden und wohlbehüteten jungen Atheners. Dass die Sorgen um die Unterschlagungen der Vormünder, die gebrochenen Versprechen und das schwindende Vermögen die Mutter umtrieben und sich später auf den Sohn legten, steht auf einem anderen Blatt. Schroffheit und Unversöhnlichkeit des Redners wurden später auf diese Kindheitserlebnisse zurückgeführt. Das kann, muss aber nicht sein.
In Plutarchs Biographie trägt Demosthenes die Züge eines Mannes, der von Anfang an gegen die Widrigkeiten des Lebens zu kämpfen hat und dessen Größe in der ständigen Bewährung gegen Anfeindung liegt: per aspera ad astra. Dass es Demosthenes an einer „einem frei geborenen Knaben zukommenden höheren Bildung“ fehlte, wie Plutarch vermutet, ist sicherlich irrig, zumal der Biograph zum Beweis wieder Anekdoten und umständliche Etymologien bemüht: „Doch war auch seine körperliche Schwäche und Verzärtelung daran schuld, weil die Mutter ihm keine körperlichen Anstrengungen zumuten wollte und die Pädagogen ihn nicht dazu anhielten. Er war nämlich von Kind auf sehr mager und kränklich und soll daher seinen Schimpfnamen Batalos („Weichei“) von den Knaben, die ihn seiner Körperlichkeit wegen verspotteten, bekommen haben. Batalos war, wie einige sagen, ein schwächlicher Flötenspieler … Andere nennen Batalos einen Dichter ausgelassener und unanständiger Lieder.“5