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Der Logograph

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Demosthenes’ erste Tätigkeit, die sich als Beruf bezeichnen lässt, war diejenige eines Redenschreibers, eines Logographen. Seine forensischen Auftritte waren offenbar erfolgreich, und so fand er bald Zuhörer, die sich seines Talentes bedienen wollten. Ein Logograph trat nicht selbst auf, er schrieb im Auftrag, und der Klient hielt dann die bestellte Rede im eigenen Namen. Freilich konnte der Logograph durch Publikation der Reden für sich und sein Können werben. Dass er sich mit der Sache identifizierte, wurde nicht erwartet, lediglich, dass er sie geschickt vertrat. Je nach Streitwert und Vermögen des Klienten konnte er gut oder weniger gut verdienen.


Abb. 5: Das Lysikrates-Monument Mitte des 18. Jahrhunderts, Zeichnung von Le Roy

Möglicherweise begann Demosthenes seine Tätigkeit aus finanziellen Gründen, in den späteren Jahren war dies aber ein untergeordneter Aspekt oder jedenfalls nicht mehr der einzige. Angesehen waren die Logographen zumindest bei den reichen Athenern nicht, doch mag dies auch nur für die Gruppe gelten, die allein mit Redenschreiben ihren Unterhalt bestritt. Wie die Zöllner der Bibel in einem Atemzug mit den Sündern genannt wurden, so verbanden sich Logographos und Skythe zu einem Schimpfwort.2 Als Redenschreiber und bezahlter Advokat sei er zum reichsten Mann Athens geworden, moniert später einer von Demosthenes’ Feinden,3 doch machten solche Vorwürfe wenig Eindruck und fochten den Getadelten kaum an.

Aus der frühen Phase als Redenschreiber, vielleicht noch aus der Zeit vor 360, sind zwei kleinere Reden erhalten, eine gegen einen Mann namens Spoudias, eine gegen einen namens Kallikles. Behandelt werden in ihnen die in Athen üblichen Zänkereien, zum einen unter Verwandten, zum anderen unter Nachbarn. Es ging in dem einen Prozess um Erbschaft, Mitgift und Mietzins, um die Überschwemmung eines Grundstücks im anderen. Die Summen, um die gestritten wurde, waren verhältnismäßig gering, für den Logographen also wenig Geld und Anerkennung zu erwerben.4

Das mag sich bald geändert haben, denn im Nachlass des Demosthenes fanden sich weitere Reden, die meisten aus den vierziger Jahren, die er im Auftrag einer wohl überwiegend wohlhabenden Klientel für Geld oder zur politischen Unterstützung geschrieben hatte.5 Anders als der Publizist Isokrates hat er diese Tätigkeit nicht aufgegeben.

Ein Fall, in dem Demosthenes die Verteidigungsrede beisteuerte, erregte besonderes Aufsehen. Er betraf das ehemalige Bankhaus des Pasion, und es ging um die erkleckliche Summe von 20 Talenten (120.000 Drachmen). Es war das Jahr 350/49, Philipp II. bereitete seinen Angriff auf Olynth vor, Demosthenes zeigte sich auf der Höhe seiner Redekunst. Die Rede, die er für den ehemaligen Sklaven Phormion schrieb, der zum Banker und attischen Bürger aufgestiegen war, gilt als seine beste Auftragsarbeit. In jedem Fall war sie äußerst erfolgreich, denn der Gegner bekam nicht einmal ein Fünftel der Stimmen und musste deswegen die dafür festgelegte Buße bezahlen.

Pasion hatte 370/69 kurz vor seinem Tod Bank und Schildmanufaktur an Phormion verpachtet, bis sie sein Sohn Pasikles nach Eintritt der Mündigkeit übernehmen konnte. Dies war im Jahre 361. Phormion, der auf Wunsch des Verstorbenen auch dessen Witwe geheiratet hatte, gründete ein eigenes Bankgeschäft, Streitigkeiten mit Pasikles’ Bruder Apollodor wurden gütlich beigelegt. So überraschte es, als Apollodor 350/49 Phormion plötzlich auf die Herausgabe eines von seinem Vater übernommenen Betriebskapitals von 20 Talenten verklagte. Demosthenes unternahm es, die Klage als unberechtigt und formal unzulässig zu erweisen. Das offenkundig Unplausible einer so späten Klage scheint es ihm auch leicht gemacht zu haben, und dennoch spart er nicht mit Kritik an Apollodor als einem Mann, der sein Vermögen vergeudet und verschwendet habe, und – dies vor allem für die patriotischen Geschworenen – der sich zwar mit aufwändigen Trierarchien und Choregien brüste, realiter aber kaum etwas für den Staat geleistet habe.6 Einen Verleumder und notorischen Sykophanten (Denunzianten) nennt ihn Demosthenes, der, obwohl verheiratet, es mit Hetairen treibe und überhaupt ein übles Subjekt sei.7

Da die Herabsetzung des Gegners zum notwendigen Instrumentarium der Gerichtsparteien gehörte, war es nicht leicht, einen rechtschaffenen Athener zu finden. So ist auch derjenige, mit dem es Demosthenes (als Logograph) im nächsten, wenig später im Jahre 349/48 stattfindenden Prozess zu tun bekam, in dem eine Anstiftung zu falschem Zeugnis verhandelt wurde, kein geringerer Schurke, als es Apollodor gewesen war: Ein Feind der menschlichen Natur sei er – notiert der Logograph in seiner Rede für den neuen Klienten –, ein Barbar, der ewige Wechsler, der nichts anderes im Sinn hätte, als sich zu bereichern und dem Staat die fälligen Leistungen zu entziehen.8 Der Mann, der nun so beschimpft wurde, war Phormion, Demosthenes’ Klient, der die von ihm verfasste Rede vortrug, aber Apollodor. Kläger und Beklagter hatten die Seiten gewechselt, der Redenverfasser war sich gleich geblieben.

Ein Logograph schrieb nicht aus Überzeugung, sondern für Geld. Dennoch war es ungewöhnlich, dass Demosthenes das im ersten Prozess von seinem Klienten erworbene Wissen im zweiten gegen ihn einsetzte. Ein anderes war, dass sich Demosthenes mit seiner Logographentätigkeit viele reiche Mitbürger zu Feinden machte. Jedenfalls erregte die Sache unter den Athenern Anstoß. Die diesbezüglichen Vorwürfe kommen zwar von einem eingefleischten Demosthenes-Gegner, von Aischines, doch kann dieser sie auch nur erheben, weil er glaubte, damit jenem schaden zu können. „Du schriebst gegen Bezahlung eine Rede für den Bankier Phormion, dann verrietst Du sie an Apollodor, der gegen Phormion eine persönliche Klage führte.“ Für Aischines war einem Mann, der seinen Klienten hinterging, nicht zu trauen.9 Plutarch entwickelte später auch moralische Bedenken: Demosthenes sei zu einem üblen Ruf gekommen, da er „den streitenden Parteien gleichsam aus einer Waffenhandlung stammende Dolche zum Kampf gegeneinander verkaufte.“10 Plutarchs Urteil verkennt die Realität des 4. Jahrhunderts. Demosthenes agierte, um ein Wort Ciceros abzuwandeln, nicht in Platons Idealstaat, sondern in Kleisthenes’ Schweinestall.11

Die Gerichtsreden aus dem Corpus Demosthenicum enthüllen eine sehr vertraut scheinende Gesellschaft. Die, welche Prozesse führen, sind reich oder wollen es werden. Gegen Arme lohnte es nicht, Prozesse anzustrengen. Die Reichen beschworen in ihren Reden eine gemeinsame Vergangenheit, die eine gemeinsame Zukunft versprechen sollte. Das, was sie am Staat interessierte, waren die Geschäfte, die sie mit ihm machen konnten. Öffentlich lobten sie die Demokratie, privat suchten viele (nicht alle) ihr Vermögen zu verstecken, um möglichst wenig Leiturgien leisten zu müssen.

Demosthenes

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