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Vorwort
ОглавлениеDas Klassische Athen, die Zeit zwischen dem Sieg über die Perser (479 v. Chr.) und der Niederlage gegen die Makedonen (338 v. Chr.), manifestiert sich in drei Männern: Themistokles, der das athenische Reich begründete, Perikles, der es zur höchsten Machtentfaltung brachte und Demosthenes, der sich seinem Niedergang entgegenstemmte. Die Moderne benannte sowohl nach Perikles als auch nach Demosthenes ein ganzes Jahrhundert. Beide wurden zur Verkörperung ihrer Zeit. Das ist im Falle des Demosthenes überraschend, denn er steht für eine Niederlage. Er ist der einzige Staatsmann der Antike, den gerade sein Scheitern unsterblich machte. Das, was ihn berühmt werden ließ und ins Gedächtnis zweier Jahrtausende einging, trägt den Namen seines Gegners. Es sind die Philippicae orationes, die Reden gegen Philipp von Makedonien.
Demosthenes bewährte sich als großer Staatsmann, als Militär verdiente er keine Meriten. Gerade das, was in der Antike ein Makel war, macht ihn jedoch für die Moderne interessant. Die athenische Demokratie war eine direkte, dennoch ist Demosthenes der einzige bekannte Politiker der Antike, der sich mit modernen Parlamentariern vergleichen lässt. Sein Handeln war von demokratischen Strukturen bestimmt, er agierte nicht innerhalb oligarchischer Cliquen, wie sein römisches Pendant Cicero es tat, und er war auch kein Perikles, der nach der Einschätzung des Historikers Thukydides als vom Volk gewählter Strategos dieses nach Gutdünken lenkte.
Die Demokratie des 4. Jahrhunderts war gefestigt, sie wurde nicht wie diejenige vor dem Peloponnesischen Krieg von Aristokraten dominiert. Demosthenes kam aus einem bürgerlichen, einst vermögenden, aber nach dem frühen Tod des Vaters fast ruinierten Haus, er musste sich sein Ansehen als demokratischer Politiker erwerben, und einmal zu Ansehen gekommen, musste er dieses durch stete Bestätigung seiner politischen Kompetenz zu wahren suchen. Die Ämter, die er bekleidete, waren kurzfristig, das (formal) höchste erreichte er nie.
Demosthenes’ Wirkungsfeld war die Rednerbühne, hier feierte er seine Erfolge und erlebte seine Niederlagen. Er besaß im Positiven wie Negativen, was Staatsmänner auszeichnet: Er war Patriot und Egomane, er erbrachte großzügige Schenkungen (Leiturgien) und wirtschaftete in die eigene Tasche, wie niemand sonst verfocht er die Ideale der Demokratie und handelte doch auch am Demos vorbei, er war im Erfolg integer, nach der Niederlage scheint auch er sich bereichert zu haben. In ihm spiegelten sich die Stärken und die Schwächen der Demokratie.
Demosthenes war alles, was den Politiker seiner Zeit ausmachte, zum viel beschworenen Freiheitskämpfer wurde er erst nach seinem Tod (gemacht). Zu Lebzeiten kämpfte er gegen Philipp um die Vormachtstellung Athens in Griechenland, nach der Niederlage und der Ermordung des Königs arrangierte er sich mit den Machtverhältnissen, bis zu seiner Verbannung trat er für den Kompromiss mit Alexander dem Großen ein. Erst die Nachfahren setzten ihm, über 30 Jahre nach dem Selbstmord, das Denkmal, das ihn als Widerstandskämpfer feierte.
Der Demosthenes, von dem in diesem Buch die Rede sein wird, ist also kein Märtyrer der Freiheit; er ist ein Politiker, der, wie gesagt, den Zwängen der Demokratie unterworfen ist und deren Möglichkeiten seinen Aufstieg verdankt. In seiner politischen Karriere lassen sich drei Phasen unterscheiden: erstens eine Zeit der Suche, in der er das Thema zu finden trachtete, welches der Demos mit ihm identifizierte und das ihm in der Volksversammlung Kompetenz verlieh; zweitens die Jahre, in denen Demosthenes in Philipp II. den ihm gemäßen Gegner gefunden hatte und die Auseinandersetzung mit Makedonien zur Schicksalsfrage für Athen machte; drittens die Phase, in der Demosthenes nach der Niederlage bei Chaironeia (338 v. Chr.) und dem Tod Philipps nach Momenten des Verharrens neue Wege, und zwar die des Ausgleiches mit Alexander, beschritt, um Athen aus der Isolation eines wenig erfolgversprechenden Widerstandes zu führen und gleichzeitig sich selbst an der Spitze der athenischen Politik zu behaupten.
Wie seine Gegner in Athen bediente sich Demosthenes aller politischen Möglichkeiten, auch zweifelhafter, die das demokratische System zuließ; von Philipp II. unterschied er sich nur im Ziel, nicht in den (ins Auge gefassten) Methoden, dorthin zu kommen. Als Vorbild, wie der Biograph Plutarch ihn sich vorstellte, als er seine Lebensbeschreibung begann, eignete sich Demosthenes nur insofern, als sich vitia und virtutes, Fehler und Vorzüge, die Waage hielten. Seine Größe liegt vielleicht gerade in dem, was ihm mit Entschiedenheit abgesprochen wird, in seiner Fähigkeit, nicht nur Irrtümer, sondern auch Überzeugungen korrigieren zu können.