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Die Symmorien-Rede
ОглавлениеPolitisch war Demosthenes in den fünf Jahren nach 359 kaum hervorgetreten, zumindest wissen wir nichts davon. Als Neuling musste er in irgendeiner Weise Interesse wecken, er musste ein Thema finden, das die Athener mit ihm verbanden und das für ihn warb. Das würde Zeit brauchen, und bis dahin war es angeraten, sich dort Unterstützung zu suchen, wo Erfolg zu haben für den Moment am aussichtsreichsten erschien. Athen kannte keine Parteien. Politiker sammelten mit einem Programm Anhänger um sich, die sie, indem sie sich ein bestimmtes Image gaben, länger an sich zu binden versuchten. Demosthenes war Mitte der fünfziger Jahre noch ein Mann ohne Profil, er musste erst einen eigenen Stil entwickeln und eben seine politische Thematik finden.
Die erste – der Nachwelt bekannte – Staatsrede, die Demosthenes auf seinem Karriereweg im Jahre 354 hielt, versucht einen innen- mit einem außenpolitischen Gegenstand zu koppeln.4 Ihr Doppelcharakter zeigt sich auch in den Titeln, die sie in hellenistischer Zeit bekam. Der Grammatiker Kallimachos sah im 3. Jahrhundert den Inhalt der Rede vornehmlich in den Vorschlägen zu einer Reform der Steuerklassen, den Symmorien, und nannte sie entsprechend. Die Rede kreiste jedoch auch um das wieder aktuell gewordene Verhältnis zum Großkönig und so schlugen andere antike Philologen den Titel Perì tôn basilikôn (Über die Angelegenheiten des Großkönigs) vor. Demosthenes hielt später das außenpolitische Feld für geeigneter, Kenntnisse zu zeigen, und so betont er in jüngeren Reden wie der über die Freiheit der Rhodier aus dem Jahr 351, er habe als Erster in der Politik gegenüber dem persischen König das Richtige geraten.5
Die Rede ist kunstvoll aufgebaut, sie beginnt und schließt mit den Vorfahren, die als Folie für eine kleine Schelte der konkurrierenden Redner dienen. Es folgen, unterbrochen durch Reformvorschläge im Kern der Rede, etwas lang geratene Ausführungen, wie Athen sich zum Perserkönig zu stellen habe. Dass der Großkönig der Feind aller Griechen sei, war nicht neu; auch nicht die Behauptung, dass einige der Griechen dies nicht wüssten und andere Geld von ihm nähmen. Schon in den Perserkriegen des 5. Jahrhunderts hatte sich höchstens ein Drittel der Hellenen am Bündnis gegen Xerxes beteiligt. Persisches Geld genommen hatten später jedoch alle, denen es angeboten wurde. Auch Demosthenes selbst wird noch auf persisches Gold zugreifen, in seinem Fall natürlich für einen guten, also patriotischen Zweck.
Offene Feindseligkeit werde nach Meinung des Demosthenes die Perser zwar nicht zum Krieg provozieren, könne sie aber veranlassen, Athens innergriechische Feinde, von denen die Stadt noch genügend besäße, mit Geld zu unterstützen. Die Sache der Gerechtigkeit, also die Athens, aber und derer, die sie verteidigten, sei stärker als alle Verräter in Griechenland und alle Barbaren. Die Athener müssten den Krieg weder übermäßig fürchten noch sich dazu verleiten lassen, ihn anzufangen.6
Das war sozusagen mutiger Pazifismus, und damit konnten die meisten übereinstimmen. An eine aktuelle Gefahr glaubten wenige, und die Hoffnung mit einem Angriff den persischen Koloss in die Knie zwingen zu können, hegten noch weniger. In diesem Punkt hatten die Athener tatsächlich aus ihrer Geschichte gelernt.
Demosthenes’ weitere Vorschläge zu einer Reform der Trierenfinanzierung waren sicherlich ernst gemeint, doch kann er nicht damit gerechnet haben, dass sie auch angenommen wurden. Die entsprechenden Kompetenzen lagen bei anderen Rednern. Für den politischen Neuling kam es mehr darauf an, sich in den beiden wichtigsten Themen der Zeit, den Finanzen und der Außenpolitik, als kenntnisreich zu empfehlen. Das gelang, denn wenn die öffentliche Rede die Details enthielt, die in der veröffentlichten zu lesen waren, werden nur wenige Zuhörer in der Lage gewesen sein, dem Gesagten in allen Punkten auch zu folgen. Es war erst gut drei Jahre her, dass die 1200 reichsten Bürger in 20 Symmorien (Steuerklassen, Finanzierungsverbände) eingeteilt worden waren, die sich die hauptsächlichen Kosten für eine Trierarchie teilen sollten. Offensichtlich aber gab es Probleme, da zu viele von ihnen Steuerfreiheit reklamieren konnten. Das ist der Punkt, an dem Demosthenes ansetzt. Er möchte, um diese Ausfälle auszugleichen, die Zahl der Bürger auf 2000 erhöhen (damit die Zahl von 1200 realiter erreicht wird). Zusätzlich sollte die Symmorie mit 60 Teilnehmern (synteleîs) in fünf Abteilungen (mére) zu je zwölf unterteilt werden, wobei Reichere mit weniger Begüterten jeweils einer Gruppe zuzuordnen waren. Die 300 einsatzbereiten Trieren sollten dann in 20 Unterabteilungen mit je 15 Schiffen, wobei wiederum nach dem Erhaltungszustand nach drei Klassen unterschieden wurde, einzelnen Symmorien zugewiesen werden, sodass auf die Untergruppen von zwölf Personen je drei Trieren entfielen. Das war ein bisschen Zahlenspielerei, denn im Kern blieb nur die Erhöhung der Zahlungspflichtigen um 800 Bürger das Neue.7
Auch zum Geldbedarf nahm Demosthenes Stellung. Er gab das Gesamtvermögen der reichsten Athener, das zur Berechnung der Steuerschuld herangezogen werden sollte, mit 6000 Talenten an, und die auf dieser Grundlage errechneten Steuerbelastungen sollten dann anteilsmäßig auf die 20 Symmorien und ihre fünf Unterabteilungen verteilt werden. Je nach Anzahl der auszurüstenden Kriegsschiffe, ob 100, 200 oder 300, wie der Redner vorrechnet, stieg oder sank die Belastung des Einzelnen, der offenbar – die Stelle ist dunkel und wird unterschiedlich interpretiert – das aus eigener Tasche bezahlen musste, was nicht durch den Steueranteil und die Beiträge der Teilnehmer gedeckt war.
Demosthenes zeigte bereits früh das Talent zum großen Politiker. Er wählte ein heikles Thema, und das waren Steuern, zumal hohe, immer, und versetzte zugleich diejenigen, die zu zahlen hatten, nämlich die Reichen, nicht in Aufregung. Der Popanz, mit dem er drohte, war der Großkönig, aber gleichzeitig war das, was von diesem drohte, in zeitliche Ferne gerückt. Demosthenes war sich sicher, dass gezahlt werde, wenn es notwendig sei. Wenn sie, die Besitzer des großen Geldes, sähen, dass das, was sie jetzt mit Worten schrecke, zur Tat werde, dann werde keiner so töricht sein, seinen Beitrag nicht als Erster zu leisten. Wer nämlich würde es vorziehen, eher Leib und Leben zu verlieren, als einen Teil seines Vermögens zu geben, um sich und das Verbleibende zu retten. Geld werde also da sein, behauptete er, wenn es wirklich gebraucht werde, aber auch nicht früher. „Ihr müsst nun alles andere vorbereiten, das Geld aber lasst nun in den Händen derer, die es besitzen, denn es gibt keinen besseren Platz, an dem es zum Wohl der Stadt aufbewahrt werden könnte. Wenn aber der rechte Zeitpunkt kommt, dann empfangt es von ihnen als freiwilligen Beitrag.“8
Besser konnte es niemand sagen. Das Volk von Athen werde das erforderliche Geld bekommen, die Besitzenden würden zahlen, freiwillig und irgendwann. Damit konnten alle zufrieden sein. Plutarchs Behauptung, Demosthenes sei bei seinen ersten Auftritten durchgefallen, kann für die Symmorienrede kaum gelten. Der Redner hatte gut und folgenlos gesprochen; damit erregte er kaum jemandes Zorn.
Demosthenes benannte Feinde, bei Hellenen oder Barbaren, doch ein Name, für den die Nachwelt sich sehr und die Mitwelt kaum interessierte, schien zu fehlen, derjenige Philipps. Auch für die Antike war der Redner schon als Philippgegner geboren. Bereits Dionysios von Halikarnassos sah in der Symmorienrede eine versteckte Philippika, und die Moderne stimmte dieser Meinung zu. Wo er von den erklärten Feinden Athens spreche, da müsse er zweifellos Philipp vor Augen haben. Die beiden Stellen jedoch, an denen Demosthenes auf vorhandene Feinde zu sprechen kommt, ohne sie mit Namen zu nennen,9 können sich nur auf die Thebaner beziehen, die er zum einen nicht zu nennen brauchte, weil die Zuhörerschaft es ohnehin wusste, und zum anderen auch nicht nennen wollte, da er auf eine Einigung der Hellenen gegen die Perser hoffte. Philipp, den er ja unter die Barbaren einreihte, hätte er ohne weitere Rücksicht benennen können, wenn er es beabsichtigt hätte, und benennen müssen, wenn er hätte verstanden werden wollen.