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„Deutsche Katastrophe“ – Bonapartismus und Faschismus in Deutschland
ОглавлениеDie deutsche Katastrophe war der Titel des Buches, das der damalige Nestor unter den deutschen Historikern, Friedrich Meinecke, im Jahr 1946 veröffentlichte.40 Es war damals äußerst erfolgreich und wurde als „Versuch zur deutschen Vergangenheitsbewältigung“ angesehen.41 Tatsächlich hat Meinecke die Verantwortung für die „deutsche Katastrophe“ keineswegs nur Hitler und einigen führenden Nationalsozialisten, sondern den Deutschen zuerkannt. Daher könne man die Geschichte des „Dritten Reichs“ auch nicht mit 1933 beginnen, sondern müsse weiter in die deutsche Geschichte zurückgreifen. Nicht bis zu Friedrich den Großen oder gar Luther, wohl aber bis zu Bismarck. „Keime des späteren Unheils“ des „Dritten Reichs“ seien nämlich bereits im Kaiserreich angelegt gewesen.
Meinecke stand und steht mit dieser Meinung nicht allein. Sie wird fälschlich – in der Geschichte gibt es nämlich keine „Normalwege“ – als Sonderwegsthese bezeichnet und ist nach wie vor heftig umstritten. Unstrittig ist jedoch, dass der Faschismus nicht einfach vom Himmel gefallen oder aus dem Ausland importiert worden ist, sondern über eine Vorgeschichte verfügt, die vom Bonapartismus des 19. bis hin zum Faschismus des 20. Jahrhunderts reicht. Diese von mir sogenannte „bonapartistisch-faschistische Kontinuitätslinie“42 soll im Folgenden kurz und eher stichwortartig nachgezeichnet werden.43 Dabei konzentrieren wir uns wieder auf Leben und Wirken einiger Personen.
Bonapartistisch-faschistische Kontinuität
Zu beginnen ist mit Otto von Bismarck, dessen Regime von einigen Zeitgenossen und späteren Historikern als bonapartistisch eingeschätzt worden ist.44 Ist dies berechtigt und was ist darunter zu verstehen?45
Der 1815 in Schönhausen im heutigen Sachsen-Anhalt als Sohn eines Gutsbesitzers geborene Bismarck hatte nach dem Schulbesuch in Berlin und dem Studium in Göttingen sowie der Absolvierung des juristischen Referendariats das Gut seines Vaters übernommen. Gutsherr wäre er vermutlich auch geblieben, wenn es nicht zum Ausbruch der Revolution von 1848 gekommen wäre. Sie hat Bismarck politisiert und zu einem bald ebenso bekannten wie angefeindeten Politiker der äußersten Rechten gemacht. Dazu trugen seine reaktionären Reden als Abgeordneter im Preußischen Landtag und seine antirevolutionären Artikel in der von ihm mitbegründeten konservativen Neuen Preußischen Zeitung bei, die nach dem Eisernen Kreuz auf dem Titel auch Kreuz-Zeitung genannt wurde.
Dies fand den Beifall des preußischen Königs, der Bismarck nach der Niederschlagung der Märzrevolution in den Staatsdienst berief. Von 1851 bis 1859 war Bismarck Gesandter Preußens am Bundestag in Frankfurt, danach Botschafter in St. Petersburg und in Paris. 1862 wurde er zum Ministerpräsidenten ernannt. Hier profilierte er sich durch seine unnachgiebige Haltung gegenüber der liberalen Mehrheit im Landtag. Als diese die von der Regierung beantragte Heeresreform ablehnte, zögerte Bismarck nicht, sie dennoch durchzuführen, womit er gegen die Verfassung verstieß. Dieser Rechts- und Verfassungsbruch ist ihm schnell verziehen worden. Grund dafür waren seine außenpolitischen und militärischen Erfolge über Dänemark 1864 und 1866 über Österreich und die mit diesen verbündeten süddeutschen Staaten. Mit der 1867 erfolgten Gründung des Norddeutschen Bundes hatte Bismarck fast schon das erreicht, woran die Liberalen 1848 gescheitert waren – die Einigung Deutschlands. Vollendet wurde sie 1871 nach dem Sieg über den „Erbfeind“ Frankreich mit der Ausrufung des deutschen Kaiserreichs, zu dessen Reichskanzler Bismarck ernannt wurde.
Damit war die „deutsche Frage“ gelöst. Allerdings im kleindeutschen Sinne und unter Ausschluss der Deutsch sprechenden Bewohner der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie. Doch dies wurde – bis auf die sogenannten Alldeutschen, die möglichst alle Deutschen heim ins Deutsche Reich holen wollten – allgemein akzeptiert. Dass all das von oben und nicht von unten und auf demokratischem Wege geschehen war, wurde wenn nicht von allen, so doch von vielen Deutschen hingenommen und bejubelt. Auf zunehmende Kritik stieß jedoch Bismarcks autoritärer Regierungsstil, den er zunächst gegenüber den Katholiken im sogenannten Kulturkampf, dann gegenüber den Linksliberalen und schließlich und vor allem gegenüber den Sozialdemokraten anwandte.
Um sich ihrer Opposition zu erwehren, griff Bismarck zu Methoden, die schon von den Zeitgenossen als bonapartistisch bezeichnet und kritisiert worden sind. Dazu gehörten die Ablenkung von inneren Problemen durch die Erringung von Ersatzerfolgen im außen-, vor allem kolonialpolitischen Bereich und die Vermischung von sowohl repressiven wie integrativen Mitteln innerhalb der Sozialpolitik. Diese waren jedoch nur sehr bedingt erfolgreich. Die SPD ließ sich durch die Verbotsmaßnahmen des Sozialistengesetzes nicht schrecken und gewann unter den Arbeitern immer mehr an Anhängern, die durch die Sozialgesetze – die Einführung der Kranken-, Unfall- und Altersversicherung – nicht so integriert und pazifiziert wurden, wie sich Bismarck das gedacht hatte. Im Unterschied zur nationalen war die soziale Frage also keineswegs gelöst. Dies versuchte ein bis dahin außerhalb seiner Kirche kaum bekannter Pastor durch die Gründung einer Partei zu erreichen, welche die soziale mit der nationalen Frage verbinden und so einer Lösung zuführen wollte: Adolf Stoecker.46
Stoecker wurde 1835 als Sohn eines Schmiedes und späteren Gefängnisaufsehers in Halberstadt geboren. Trotz seiner Herkunft aus dem Handwerks- beziehungsweise unteren Mittelstand konnte er Theologie studieren. Danach hatte er verschiedene Pfarrstellen inne, am deutsch-französischen Krieg nahm er als Divisionspfarrer teil. 1874 wurde er Hof- und Domprediger in Berlin und Mitglied der Generalsynode der Kirche der altpreußischen Union. Zu diesen hohen kirchlichen Ämtern kam 1877 das des Leiters der Berliner Stadtmission hinzu.
Spätestens jetzt wurde Stoecker mit dem Leid großer Teile der Arbeiterschaft konfrontiert. Deren Leid wollte seine Kirche mithilfe der sogenannten inneren Mission lindern, die sich auf die moralische Besserung und Bildung der Arbeiter konzentrierte. Sehr erfolgreich war das schon deshalb nicht, weil für dieses Leid nicht die Not leidenden Arbeiter selbst, sondern das von Staat und Kirche unterstützte kapitalistische System verantwortlich war. Dies war vielen Arbeitern durchaus bewusst – oder wurde ihnen von den marxistisch geschulten Sozialdemokraten bewusst gemacht. Folglich wandten sie sich sowohl gegen den Staat wie die Kirche, weil diese den Staat bedingungslos unterstützte.
Um die sowohl staats- wie kirchenfeindlich gewordenen Arbeiter für Kirche und Staat wieder zurückzugewinnen, gründete Stoecker 1878 eine Partei, die dieses Ziel schon in ihrem Namen zum Ausdruck brachte. Die von Stoeckers „Christlich-Sozialer Arbeiterpartei“ umworbenen Arbeiter ließen diese jedoch zunächst links beziehungsweise rechts liegen und lachten ihren Gründer bei dessen erstem öffentlichen Auftreten einfach aus.
Der so düpierte Stoecker wusste einen guten, oder besser, teuflischen Rat. Er gab den Sozialdemokraten in einem Punkt recht: Nicht die Arbeiter seien schuld an der Not, sondern das kapitalistische System. Allerdings nicht das gesamte, sondern nur das von Juden kontrollierte. „Die Juden“ übten einen viel zu großen Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft aus. Ihre „Kapitalskraft“ sei für die „sozialen Übelstände“ verantwortlich. Der „überhand nehmenden Herrschaft des Judentums“ müsse man einen „Damm“ entgegensetzen.
Zur Ehre der damaligen deutschen Arbeiter ist jedoch zu sagen, dass der von Stoecker gepredigte national-soziale Antisemitismus bei ihnen nicht erfolgreich war. Jedenfalls zunächst nicht. Stoeckers inzwischen nur noch „Christlich-Sozial“ genannte Partei wurde kaum von Arbeitern, sondern weit mehr von Angehörigen des unteren und oberen Mittelstandes gewählt. Außerdem handelte es sich um eine relativ kleine Partei, deren Stimmengewinne in der Folgezeit sogar zurückgingen. Doch dies darf nicht über ihren tatsächlichen politischen Einfluss hinwegtäuschen.
Dies gilt einmal für die Antisemiten-Petition, mit der 1880/81 von Bismarck die Rücknahme der Emanzipation und die Ausweisung aller aus dem Osten eingewanderten Juden gefordert wurde. Auf Drängen Stoeckers hat dann auch die Deutschkonservative Partei antisemitische Forderungen in ihr sogenanntes Tivoli-Programm von 1892 aufgenommen. Generell war die antisemitische Christlich-Soziale Partei ein Faktor und Indikator für die weitere Verbreitung und Radikalisierung des Antisemitismus, der nach den Worten der israelischen Historikerin Shulamit Volkov in Deutschland zum „Code“ der gesamten bürgerlichen Gesellschaft wurde. Und dies schon lange vor Hitler.
Stoecker selber hat davon aber nicht profitieren können. Er musste auf Veranlassung Bismarcks 1889 auf jede weitere aktive politische Betätigung verzichten. Ein Jahr später verlor er auch sein Hofpredigeramt. Er hat dann noch einige Jahre für die Deutschkonservativen im Reichstag gesessen, denen sich die Christlich-Sozialen angeschlossen hatten, wurde hier aber auf die hinteren Bänke verbannt. Daraufhin zog er sich ins Privatleben zurück. 1909 ist er gestorben. Vergessen war er nicht. Er gilt heute als einer der, wenn nicht sogar der wichtigste Vorläufer Hitlers, mit dessen Aufstieg zur Macht wir uns jetzt beschäftigen wollen.
Hitlers Aufstieg
Adolf Hitler wurde 1889 im österreichischen Braunau am Inn geboren.47 Sein Vater war ein Postbeamter, der ein gutes Gehalt bekam, von dem er sich ein relativ großes Haus leisten konnte. Auch nach dessen frühen Tod lebte seine Familie keineswegs in Armut, wie dies Adolf Hitler später immer wieder behauptet hat. Ein Beweis dafür ist, dass es Hitler nach Beendigung seiner Schulzeit nicht nötig hatte, einen Beruf zu erlernen oder überhaupt zu arbeiten. Sein müßiggängerisches Leben setzte er dann auch in Wien fort, wo er von der dortigen Kunstakademie wegen Unfähigkeit abgewiesen wurde. Auch jetzt dachte Hitler nicht daran, sich eine Arbeitsstelle zu suchen und eine Familie zu gründen. Um sich der Wehrpflicht zu entziehen, ging er schließlich ins Ausland, genauer gesagt nach München. Auf Wunsch der österreichischen Militärbehörden wurde er hier Anfang 1914 von der bayerischen Polizei verhaftet und nach Salzburg überstellt. Aus nicht bekannten Gründen wurde Hitler aber nicht bestraft und auch nicht zum österreichischen Militär eingezogen, sondern freigelassen und nach München zurückgeschickt.
Im August 1914 meldete er sich aber doch zum Militär und zog als Soldat der bayerischen Armee in den Krieg. Hier zeichnete er sich durch Tapferkeit aus, weshalb ihm das Eiserne Kreuz zweiter und dann auch erster Klasse verliehen wurde. Seine militärische Karriere verlief dagegen mehr als bescheiden. Am Ende des Krieges war Hitler Gefreiter. Anders als die meisten seiner Kameraden kehrte er nicht ins Zivilleben zurück, sondern blieb bei der nun stark reduzierten Armee.
In München wurde der inzwischen zum Obergefreiten beförderte Hitler als Spitzel beziehungsweise, wie es offiziell hieß, als „Vertrauensmann“ eingesetzt. In dieser Eigenschaft besuchte er im September 1919 die Veranstaltung einer kleinen rechtsradikalen Gruppe, die sich „Deutsche Arbeiterpartei“ (DAP) nannte. Anstatt sich, wie es sich für einen Spitzel gehörte, Aufzeichnungen über die staatsfeindlichen Reden dieser staatsfeindlichen Splitterpartei zu machen, hielt Hitler selber eine Rede. Sie wurde mit großem Beifall aufgenommen und brachte Hitler das Angebot ein, der DAP beizutreten. Hitler akzeptierte und betätigte sich fortan als erfolgreicher Propagandist der Partei, die auf seinen Vorschlag hin in „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ (NSDAP) umbenannt wurde. Im Juli 1921 wurde er von seinen Parteigenossen zum Vorsitzenden gewählt. Damit hatte der knapp 30-jährige berufslose Adolf Hitler endlich einen Beruf gefunden. Nach seinem Selbstverständnis war es eine Berufung.
Sie verleitete ihn schon zwei Jahre später im November 1923 dazu, seinem großem Vorbild Mussolini nachzueifern und einen Putschversuch zu starten, der zu einem „Marsch auf Berlin“ führen sollte. Er endete jedoch schon in München an der Feldherrnhalle, wo ein Demonstrationszug der Nationalsozialisten von der Polizei mit Waffengewalt aufgehalten wurde. Dabei kamen mehrere Menschen ums Leben. Hitlers, wie er in der angloamerikanischen Forschung leicht abschätzig genannt wird, „Bierhallenputsch“ war ein grandioser Fehlschlag, machte Hitler aber dennoch mit einem Schlag in ganz Deutschland bekannt.
Dafür sorgte nicht Hitler selbst, denn den kannte damals außerhalb Münchens und Bayerns kaum jemand, sondern sein prominenter Putsch-Kamerad, der allseits verehrte Feldmarschall und Sieger von Tannenberg, Erich Ludendorff. Eine unbezahlbare Propaganda für Hitler leisteten dann die bayerischen Richter, die ihn im April 1924 in einem aufsehenerregenden Prozess zu nur fünf Jahren Festungshaft verurteilten. (Ludendorff wurde sogar freigesprochen.)
Ein Jahr dieser sehr komfortablen Haft verbrachte Hitler in Landsberg, wo er sein Buch Mein Kampf schrieb, das zu einem Bestseller werden sollte, der allerdings von vielen Käufern kaum gelesen und noch weniger ernst genommen worden ist. 1925 konnte der vorzeitig entlassene Hitler die zwischenzeitlich verbotene NSDAP neu aufbauen und dabei alle innerparteilichen Gegner ausschalten. Als unbestrittener „Führer“ der gesamten Partei veränderte er auch ihre Taktik. Statt wie bisher nach dem Vorbild der italienischen Faschisten gewaltsam und durch einen Putsch zur Macht kommen zu wollen, verfolgte er fortan eine Art Doppelstrategie.
Sie bestand in einer Kombination aus formal legalen und eindeutig illegalen politischen Methoden. Öffentlich verkündetes Ziel war die Erringung einer parlamentarischen Mehrheit, um im Anschluss das parlamentarische System abzuschaffen und eine faschistische Diktatur zu errichten, wobei, wie Hitler offen zugab, auch „Köpfe rollen“ würden. Gleichzeitig tolerierte Hitler jedoch die eindeutig illegale Gewaltanwendung seiner SA-Kampftruppen und spornte sie zu ihrem terroristischen Feldzug gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und vereinzelt auch Juden an. Dass dies zur Gegengewalt der kommunistischen und sozialdemokratischen Wehrverbände „Rotfrontkämpferbund“ und „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ führte, war durchaus eingeplant und wurde zugleich propagandistisch ausgenutzt – versicherte Hitler dem durch die bürgerkriegsähnlichen Unruhen verschreckten und verunsicherten Bürgertum doch, dass er die Ordnung wiederherstellen und die „Roten“ vernichten werde.
Die mit dieser Doppelstrategie erzielten parlamentarischen Erfolge hielten sich jedoch zunächst in Grenzen. Bei den Reichstagswahlen vom Mai 1928 erreichte die NSDAP 2,6 Prozent der abgegebenen Stimmen. Doch bei den Wahlen im September 1930 waren es 18,3 Prozent. Die NSDAP war mit einem Schlag zur zweitstärksten Partei geworden und zog mit 107 (vorher 12) Abgeordneten in den Reichstag ein. Hier verfolgte sie eine totale Obstruktionspolitik, die schon deshalb erfolgreich war, weil sich die demokratischen Parteien nicht auf ein gemeinsames Vorgehen und noch nicht einmal auf eine mehrheitsfähige Regierung einigen konnten. Die Reichskanzler, zunächst Heinrich Brüning, dann Franz von Papen und schließlich Kurt von Schleicher, griffen in dieser Situation zu einem verfassungsrechtlich äußerst problematischen Mittel: Unter Berufung auf den Notstandsartikel 48 der Weimarer Reichsverfassung erließen sie Gesetze gegen das Parlament und ohne es überhaupt zu befragen.
Unter diesen befanden sich solche, durch die das ohnehin schwach entwickelte und kaum leistungsfähige soziale System der Weimarer Republik noch weiter abgebaut wurde. Die Folge war, dass die durch die Weltwirtschaftskrise arbeitslos gewordenen Menschen in eine beispiellose soziale Not gerieten. Das war Wasser auf die Mühlen der nationalsozialistischen Propaganda. Wusste sie doch eine einfache Antwort: Schuld an allem sei „der Jude“; und „Rettung“ könne allein von Hitler kommen.
Diese Propagandafloskeln wurden unter Verwendung der modernsten Methoden durch die einsatzbereiten Mitglieder seiner Partei und durch Hitler selber in ganz Deutschland verbreitet. Und zwar mit zunehmendem Erfolg. Im Juli 1932 wurde die NSDAP mit 37,2 Prozent der bei der Reichstagswahl abgegebenen Stimmen zur stärksten Partei. Von ihrem eigentlichen Ziel, die Regierungsverantwortung zu übernehmen, war sie damit aber noch weit entfernt, zumal sie bei den Wahlen im November des gleichen Jahres wieder vier Prozent verlor. Außerdem weigerte sich Reichspräsident von Hindenburg, die Ernennung des, wie er ihn verachtungsvoll nannte, „böhmischen Gefreiten“ zum Reichskanzler auch nur in Erwägung zu ziehen.48
„Machtergreifung“
Am 30. Januar 1933 beugte sich Hindenburg jedoch den auf ihn vonseiten einiger Industrieller und vor allem von den immer noch mächtigen ostelbischen Junkern und Großgrundbesitzern ausgeübten Druck und betreute Hitler mit der Bildung einer Minderheitsregierung, der neben drei Nationalsozialisten – Hitler, Göring und Frick – neun Konservative angehörten. Von einer „Machtergreifung“, wie die nationalsozialistische Propaganda durch einen spontan veranstalteten Fackelzug suggerierte, konnte damit keine Rede sein. Im Gegenteil: Die beiden Koalitionspartner NSDAP und DNVP hatten bei den letzten Parlamentswahlen zusammen nur 43 Prozent der Stimmen gewonnen, weshalb ihre Minderheitsregierung jederzeit vom Reichstag hätte gestürzt werden können. Die zahlenmäßig stärkeren und sich auch stärker fühlenden konservativen Minister glaubten, ihren Chef Hitler „eingerahmt“ zu haben. „In zwei Monaten“, so Vizekanzler von Papen, werde Hitler „in die Ecke gedrückt“ sein, „dass er quietscht“.
Das war ein Trugschluss. Hitler setzte durch, dass der Reichstag aufgelöst und Neuwahlen für den 5. März 1933 ausgeschrieben wurden. Den Wahlkampf führten die Nationalsozialisten von Anfang an mit ungleichen Mitteln und Methoden. Die NSDAP erhielt nicht nur große finanzielle Mittel vonseiten der Industrie, sie setzte auch staatliche Institutionen für Parteizwecke ein. So die preußische Polizei, die von dem zum kommissarischen preußischen Innenminister ernannten Göring befehligt und durch 40 000 SA- und SS-Männer verstärkt wurde, die zu Hilfspolizisten ernannt wurden. Sie wurden nach dem Brand des Reichstages am 27. Februar, für den die Nationalsozialisten die Kommunisten verantwortlich machten, zur Verhaftung von Tausenden von Kommunisten eingesetzt, die in die neu geschaffenen Konzentrationslager verschleppt wurden. Viele von diesen kamen dort um. Der Terror wurde am 28. Februar durch eine weitere Notverordnung des Reichspräsidenten „legitimiert“. Diese sogenannte Reichstagsbrandverordnung setzte die wichtigsten Grundrechte der Weimarer Reichsverfassung – wie Freiheit der Person, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Vereinsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Post- und Fernsprechgeheimnis und Unverletzlichkeit von Eigentum und Wohnung et cetera – außer Kraft.
Doch trotz ihres mit gewaltsamen Methoden geführten Wahlkampfes erreichte die NSDAP bei den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 „nur“ 43,9 Prozent der abgegebenen Stimmen. Sie konnte aber zusammen mit ihrem Koalitionspartner, der DNVP, die auf acht Prozent der Stimmen kam, eine Regierungsmehrheit bilden. Zudem wurden die 81 Mandate, die von der KPD errungen worden waren, annulliert. Doch das reichte Hitler nicht. Am 23. März 1933 brachte er das sogenannte Ermächtigungsgesetz in den Reichstag ein, das der Regierung das Recht einräumte, selbst verfassungsändernde Gesetze zu erlassen, ohne das Parlament zu befragen. Es wurde mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit angenommen, weil auch die Abgeordneten der bürgerlichen Parteien und des Zentrums dem Ermächtigungsgesetz zustimmten. Nur die Abgeordneten der SPD votierten mit Nein.
Durch das Ermächtigungsgesetz wurde der Reichstag faktisch ausgeschaltet. Jetzt folgte die „Gleichschaltung“ der Länder. Schon unmittelbar nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 waren die Innenminister derjenigen Länder, in denen die Nationalsozialisten noch nicht regierten, durch sogenannte Reichskommissare ersetzt worden. Am 31. März wurden die Parlamente der Länder aufgrund des „Gesetzes zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ nach den Ergebnissen der Reichstagswahl umgebildet. Damit verfügten die Nationalsozialisten (und die mit ihnen verbündeten Konservativen) in allen Ländern über die Mehrheit. Am 7. April folgte der nächste Schritt. Durch das „Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ wurden die Landesregierungen aufgelöst. An ihre Stelle traten sogenannte Reichsstatthalter.
Danach begann die Ausschaltung der Parteien und Verbände. Den Anfang machten die freien Gewerkschaften des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), die am 2. Mai 1933 verboten wurden. An die Stelle der freien Gewerkschaften trat die am 10. Mai gegründete „Deutsche Arbeitsfront“, der alle bisherigen Verbände der Angestellten und Arbeiter zwangsweise eingegliedert wurden. Die SPD wurde am 22. Juni verboten.
Die übrigen christlichen, konservativen und liberalen Parteien hatten sich schon vorher selber aufgelöst. In Deutschland gab es nur noch eine Partei: die NSDAP. Dieser Zustand wurde am 14. Juli durch das „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“ festgeschrieben.
„Führerstaat“
In Deutschland war innerhalb von nur sechs Monaten eine faschistische Diktatur errichtet worden, die der in Italien ähnelte, für deren Errichtung Mussolini sechs Jahre gebraucht hatte. Mussolinis vorgeblicher stato totalitario wurde aber sehr bald von Hitlers „Führerstaat“ übertroffen. Gelang es Hitler doch bereits im Juni 1934, jegliche denkbare innerparteiliche Opposition auszuschalten. Gemeint ist die blutige Niederschlagung des angeblichen „Röhm-Putsches“, wobei die Führer der SA zusammen mit einigen anderen konservativen Widersachern Hitlers ermordet wurden. Zwei Monate später übernahm Hitler auch die Amtsbefugnisse des am 2. August 1934 gestorbenen Reichspräsidenten von Hindenburg als, wie er sich nun offiziell nannte, „Führer und Reichskanzler“.
Damit verbunden war der Oberbefehl über die Reichswehr, die auf Hitlers Person vereidigt wurde. Allerdings unterstand die jetzt in „Wehrmacht“ umbenannte Reichswehr noch einem Reichskriegsminister – Werner von Blomberg – und wurde von einem Oberbefehlshaber – Werner von Fritsch – kommandiert. Beide wurden 1938 aus ihren Ämtern gedrängt – durch schmierige Tricks und Intrigen: Blomberg wurde der angebliche unsittliche Lebenswandel seiner Frau und Fritsch seine angebliche homosexuelle Neigung zur Last gelegt. Die damit gewissermaßen kopflos gewordene Wehrmacht folgte ihrem „Führer“ willen- und widerspruchslos in den Krieg und schließlich in den Untergang. Nennenswerten Widerstand gab es erst spät – zu spät. Außerdem wurde er nur von einigen wenigen Offizieren getragen. Dennoch ist diesen am 20. Juli 1944 fast das gelungen, was sich ein Jahr zuvor in Italien ereignet hatte: der Sturz des faschistischen Diktators. Der bei dem Attentat nur leicht verletzte Hitler nahm blutige Rache. Fast alle am Aufstandsversuch Beteiligten wurden ermordet. Sie verdienen wie die übrigen deutschen Widerstandskämpfer, die ihren Widerstand gegen das NS-Regime mit dem Leben bezahlten mussten, unseren Respekt.
Andererseits darf nicht übersehen werden, dass der deutsche Widerstand, an dem sich neben den erwähnten bürgerlich militärischen Kreisen auch viele Angehörige der deutschen Arbeiterbewegung beteiligt haben, erstens erfolglos und zweitens ein Widerstand ohne, ja fast schon gegen das Volk war. Denn dies war in seiner überwältigenden Mehrheit ihrem „Führer“ treu ergeben, und zwar bis zu dessen und dem fast vollständigen Untergang „seines“ Volkes. Es ist nicht zu leugnen, dass Hitler ähnlich wie Mussolini, ja noch weit mehr als dieser, äußerst populär war. Auch das hatte mehrere Gründe.
Hinzuweisen ist einmal auf die allgegenwärtige und von einem zentralen Ministerium geleitete Propaganda, in deren Zentrum der um Hitlers Person betriebene Führerkult stand. Zur Propaganda kam der ebenso allgegenwärtige und alle Bereiche der Gesellschaft erfassende Terror. Ausgeübt wurde er sowohl von parteilichen wie staatlichen Instanzen. Federführend hierbei war das Reichssicherheitshauptamt, das 1939 aus einem Zusammenschluss der Zentralen von Polizei – Gestapo und Kriminalpolizei – und Sicherheitsdienst (SD) der SS entstand. Hinzu kam die überaus willfährige Justiz. Keineswegs nur der berüchtigte „Volksgerichtshof“, sondern auch die normalen, nicht weniger terroristischen Gerichtshöfe mit ihren „Blutrichtern“ und „furchtbaren Juristen“.
Diese und andere Institutionen des Terrors konnten sich auf die willfährige Zuarbeit der denunziationswütigen Volks- sowie der Parteigenossen verlassen, deren Zahl in die Millionen ging und die Meldungen über jegliches abweichendes Verhalten machten. Von den Block- über die Kreis- und die Gauleiter wurden diese bis hin zur zentralen Parteileitung weitergereicht oder direkt an Gestapo und SD übermittelt.
Die in verschiedene Unterorganisationen gegliederte Partei trug ferner zur Indoktrination des gesamten Volkes bei. Sie erfolgte vor allem durch die Hitlerjugend, der (zumindest seit 1939) jeder männliche und weibliche deutsche Jugendliche beitreten musste. Nach der HJ kam der ebenso sowohl für Männer wie Frauen verpflichtende Arbeitsdienst. Außerdem waren viele Deutsche freiwillig und gezwungen Mitglieder in anderen NS-Organisationen wie der Frauenschaft, dem Kraftfahrerkorps, dem Studentenbund, der Volkswohlfahrt sowie von SA und SS.
Kein anderes faschistisches Regime hat eine derart weitgehende Erfassung und Kontrolle der Bevölkerung durch Propaganda und Terror sowie den freiwilligen und erzwungenen Beitritt zur faschistischen Massenpartei und ihren Untergliederungen erreicht. Dennoch oder gerade deshalb war die Zustimmung der Bevölkerung in keinem anderen faschistischen Regime so groß wie in Hitlers „Führerstaat“.
Wesentlich dazu beigetragen hat auch die nationalsozialistische Sozial- und Wirtschaftspolitik. Sie war nämlich erfolgreich oder wurde zumindest von der Mehrheit des deutschen Volkes so empfunden. Jedenfalls von denen, die nicht als „fremdvölkisch“ und „rassenfremd“ oder „asozial“ und „erbkrank“ angesehen, ausgegrenzt und verfolgt wurden. Obwohl die Arbeiter mit dem Verbot der Gewerkschaften ihrer Interessenvertretung beraubt waren, stiegen ihre – formal und gesetzlich festgeschriebenen – Löhne. Das faschistische Deutschland erlebte einen Wirtschaftsboom, der sehr schnell dazu führte, dass die Arbeitslosigkeit überwunden und von einem Arbeitskräftemangel abgelöst wurde, der es den Arbeitern ermöglichte, faktisch mehr Lohn von den Arbeitgebern zu verlangen.
Um ihre immensen Profitraten nicht zu gefährden, zeigten sich die Arbeitgeber zu höheren Löhnen auch bereit – obwohl oder weil sie vom Regime nicht gleichgeschaltet worden waren. Die staatsinterventionistischen Eingriffe in das Wirtschaftsleben hielten sich in Grenzen und gingen nicht über die hinaus, welche es auch in anderen Ländern – nicht zuletzt in den USA zur Zeit des new deal Roosevelts – gab, in denen ein freies privatkapitalistisches System herrschte.
All das wirkte auf viele Zeitgenossen wie ein Wunder, konkret ein „Wirtschaftswunder“ – das war es aber nicht. Erkauft wurde es nämlich durch eine rücksichtslose Aufrüstung, die bald kaum noch bezahlbar war und Deutschland an den Rand eines Staatsbankrotts brachte. Verhindert wurde dieser nur durch die Ausbeutung der deutschen Juden – und den Krieg, der von Anfang an als Raub- und Rassenkrieg geplant war und schließlich auch so geführt wurde. Ein Krieg, der letztlich zum Untergang führte und führen musste.
Untergang
Dass dieser Raub- und Rassenkrieg Hitlers eigentliches und oberstes Ziel war, hätte jedem klar sein können, der sein programmatisches Buch Mein Kampf gelesen hatte. Doch wer hatte das schon getan. Außerdem hat Hitler zu Beginn seiner Herrschaft alles getan, um die kommunistische Propagandaformel zu widerlegen, wonach Hitler gleichbedeutend mit „Krieg“ war und zu einem solchen führen musste. Am 17. Mai 1933 hielt er eine viel beachtete „Friedensrede“ vor dem Reichstag. Am 20. Juli des gleichen Jahres schloss er ein Abkommen (Konkordat) mit dem Papst ab, das ihm die Achtung und den Respekt der höchsten Instanz des katholischen Christentums einbrachte. Im Januar 1934 schloss er sogar einen Nichtangriffspakt mit Polen ab, in dem faktisch auf die Wiedergewinnung der 1918 verloren gegangenen deutschen Ostgebiete verzichtet wurde.
Doch durch den Austritt aus dem Völkerbund, die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 und den Einmarsch in das aufgrund des Versailler Vertrages entmilitarisierte Rheinland ein Jahr später zeigte Hitler, dass er nur Kreide gefressen und sein eigentliches aggressives Programm keineswegs vergessen hatte. Um es zu verwirklichen, musste er zunächst noch nicht einmal Krieg führen. Die Westmächte erfüllten nämlich alle seine Forderungen, um ihn, wie es hieß, zu beschwichtigen. Im Zeichen dieser sogenannten Appeasement-Politik erhielt Hitler-Deutschland 1935 das bis dahin unter französischem Protektorat stehende Saarland zurück. 1938 folgten Österreich und das sogenannte Sudetenland, das die Tschechoslowakei auf Druck Englands und Frankreichs abtreten musste.
Die Westmächte sahen dann 1939 auch noch der Zerschlagung der „Rest-Tschechei“ und der Annexion des Memelgebiets zu. Erst als Hitler offen mit der gewaltsamen Wiedergewinnung einiger der früheren deutschen Ostgebiete drohte, gaben die Westmächte ihre Appeasement-Politik auf und sicherten Polen ihre Unterstützung zu.
Diese Garantieerklärung der territorialen Integrität des polnischen Staates kam jedoch entschieden zu spät und wurde zugleich von Hitler durch den Abschluss des Nichtangriffspakts mit der Sowjetunion unterlaufen. In dem geheimen, aber bald darauf bekannt gewordenen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes vom 23. August 1939 hatten die beiden Diktatoren die Teilung Polens untereinander vereinbart. Dies ermöglichte den Angriff auf Polen, das am 1. September 1939 überfallen und innerhalb von knapp vier Wochen geschlagen wurde. Die Westmächte hatten Deutschland zwar am 3. September 1939 den Krieg erklärt, konnten oder wollten aber dem bedrängten Polen nicht zur Hilfe kommen. Außerdem sahen sie ungerührt zu, als die Sowjetunion ebenfalls noch im September 1939 die Osthälfte Polens sowie 1940 Teile Rumäniens und die baltischen Staaten annektierte. Dem von der Roten Armee ebenfalls 1940 angegriffenen, sich tapfer verteidigenden Finnland kam man auch nicht zur Hilfe.
Diese Untätigkeit der Westmächte rächte sich. Die Wehrmacht konnte fast völlig ungehindert sowohl Dänemark wie Norwegen besetzen und durch die Niederlande und Belgien nach Frankreich vorstoßen, das in wenigen Wochen geschlagen wurde und kapitulieren musste. Das britische Expeditionskorps vermochte es nur mit Mühe und Not und unter Zurücklassung ihres gesamten schweren Geräts, über Dünkirchen nach England zu entkommen. Die jetzt möglich gewordene Invasion Englands wurde mit Luftangriffen auf englische Städte vorbereitet. Die damit begonnene Luftschlacht um England – „Battle of Britain“– ging für Deutschland aber letztlich verloren. Dies war Hitlers erste Niederlage. Kriegsentscheidend war sie jedoch nicht beziehungsweise noch nicht: gelang es den Achsenmächten Deutschland und Italien doch noch 1941, Jugoslawien und Griechenland zu schlagen und einen ebenfalls zunächst erfolgreichen Feldzug auf dem afrikanischen Kontinent zu beginnen.
Die eigentliche Wende kam mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Die auf der ganzen Linie von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer vorrückende Wehrmacht eroberte zwar mithilfe von finnischen, ungarischen, rumänischen, italienischen und slowakischen Hilfstruppen große Teile der westlichen Sowjetunion, aber nicht die Hauptstadt Moskau. Vor den Toren von Moskau wurde der unaufhaltsam scheinende Vormarsch gestoppt. Im Dezember 1941 startete die Rote Armee eine erste Gegenoffensive. Sie konnte aber abgewehrt werden, wodurch es der Wehrmacht möglich wurde, im Sommer 1942 noch einmal weit in den Süden der Sowjetunion vorzustoßen, um dann in Stalingrad eine vernichtende Niederlage zu erleiden. Ihr folgten weitere auf allen Kriegsschauplätzen; auf dem Lande, zu Wasser und in der Luft.
Der weitere Verlauf des Weltkrieges soll hier ebenso wenig geschildert werden wie der parallel dazu stattfindende Rassenkrieg gegen Juden, Roma, Russen und weitere slawische Völker. Dies gehört eher in die allgemeine Geschichte des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust, die mit der des (generischen) Faschismus zwar verbunden, aber kein integraler Teil von ihr ist.
Insgesamt sind dem Holocaust und dem Krieg weit über 50 Millionen Menschen zum Opfer gefallen. Darunter sechs Millionen Juden – und fünf Millionen Deutsche. Verantwortlich für all das war nicht allein, aber doch vor allem ein Mann – Adolf Hitler, der sich seiner Verantwortung jedoch durch Selbstmord entzog. Kaum fassbar, dass es auch nach Hitlers Tod Deutsche gab und immer noch gibt, die Hitler trotz allem bewundern und daher als seine – faschistischen – Epigonen zu bezeichnen sind.49
Hitlers Epigonen
Zu den ersten Epigonen Hitlers gehörte sein letzter, testamentarisch ernannter Propagandaminister: Werner Naumann.50 Der 1909 in Schlesien geborene Naumann hatte nach dem Studium der Volkswirtschaft eine steile Karriere innerhalb der NSDAP gemacht, der er bereits 1928 beigetreten war. 1933 war er SS-Brigadeführer. 1938 wechselte er als persönlicher Referent von Goebbels ins Reichspropagandaministerium über. 1942 wurde er zum Ministerialdirigenten und 1944 zum Staatssekretär ernannt. Zwischenzeitlich hatte er noch in den Reihen der „Leibstandarte Adolf Hitler“ gekämpft.
Am 2. Mai 1945 gelang dem, wie schon erwähnt zum Nachfolger Goebbels bestimmten, Naumann die Flucht aus dem „Führerbunker“. Unter falschem Namen tauchte er in Süddeutschland unter. Nach der Gründung der Bundesrepublik fühlte er sich jedoch bereits so sicher, dass er sich unter seinem richtigen Namen bei einer Düsseldorfer Firma bewarb, die ihn 1950 auch einstellte. Gleichzeitig setzte er seine abgebrochene politische Karriere fort. Dieses Mal in den Reihen der FDP, aus der er eine Art Ersatz-NSDAP machen wollte.
Er gründete eine Gruppe, die nach ihrem regionalen Schwerpunkt als „Düsseldorfer Kreis“, nach ihrem führenden Kopf als „Naumann-Kreis“ bezeichnet wurde. Ihm gehörten verschiedene Nationalsozialisten an, von denen einige nach dem Tod von Hitler, Göring, Goebbels, Himmler und Heydrich aus der zweiten und dritten Reihe in die Führungsriege des NS-Staates vorgerückt waren. Neben Naumann waren das der Stellvertreter Heydrichs im Reichssicherheitshauptamt, Werner Best, der Leiter des Amtes II. des Reichssicherheitshauptamtes, Franz Alfred Six, der Reichsstudentenführer, Gustav Adolf Scheel, der Reichskommentator des Rundfunks, Hans Fritzsche, der Leiter der „Antikomintern“-Abteilung im Reichspropagandaministerium, Eberhard Taubert, der Attaché an der deutschen Botschaft in Paris, Ernst Achenbach, und verschiedene andere mehr.
Fast alle der hier Genannten waren an den Verbrechen des NS-Staates beteiligt gewesen, deswegen auch verurteilt, aber inzwischen amnestiert worden. Einige verfügten bereits wieder über politische Ämter – so der Bundestagsabgeordnete der FDP Ernst Achenbach, der Landesgeschäftsführer der FDP in Nordrhein-Westfalen (und frühere Gebietsführer der Hitlerjugend) Horst Huisgen und Werner Naumann selber. Doch dies wurde danach von kaum jemandem bemerkt und skandaliert.
Doch es waren nicht nur die Kontakte zu der bereits weitgehend von Nationalsozialisten unterwanderten FDP in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus, die den Naumann-Kreis so gefährlich machten, sondern auch die vielfältigen Beziehungen, über die diese ehemaligen Nationalsozialisten zu ihren Gesinnungsgenossen in anderen parlamentarischen und außerparlamentarischen Organisationen verfügten. Ihr Plan war eine, man kann es ruhig so nennen, „Machtergreifung“ – die in letzter Sekunde von der britischen Besatzungsmacht verhindert wurde.
Dies geschah Anfang 1953. Naumann und einige andere Mitglieder seines Kreises wurden auf Drängen der Briten verhaftet, aber bald darauf von den deutschen Stellen wieder freigelassen. Das vom Bundesgerichtshof angestrengte Verfahren gegen sie ist im Sommer 1953 eingestellt worden. Naumann selber ging in die Wirtschaft zurück und wurde Direktor eines Metallwerks in Lüdenscheid. Dort ist er im Jahr 1982 gestorben.
Hitlers zweiter Epigone war Otto Ernst Remer.51 Der 1912 geborene Remer war 1933 Berufssoldat geworden und hatte es bis 1944 zum hoch dekorierten Major gebracht. Als solcher kommandierte er das Berliner Wachbataillon, das wesentlich an der Niederschlagung des Aufstandes vom 20. Juli 1944 beteiligt war. Zum Dank dafür wurde Remer von Hitler persönlich zum Oberst ernannt. Am Ende des Krieges war Remer Generalmajor. Da war er 33 Jahre alt. Doch auch nach 1945 hat er sich der Rettung Hitlers ausdrücklich gerühmt und fortan nahezu alles getan, um ein würdiger Epigone Hitlers zu sein.
Zwei Jahre befand er sich in britischer Kriegsgefangenschaft, und unmittelbar nach der Entlassung trat er 1947 den Nachfolgeorganisationen der NSDAP – der „Deutschen Rechtspartei“ (DRP) und der „Sozialistischen Reichspartei“ (SRP) – bei. Die SRP wurde 1952 als bisher einzige faschistische beziehungsweise, wie es damals hieß, „rechtsradikale“ Partei verboten, was vom Bundesverfassungsgericht auch bestätigt wurde. Dennoch wurde Remer wegen seiner Tätigkeit für diese verfassungsfeindliche Partei nicht belangt. Doch als er fortfuhr, sich seiner Verdienste bei der Niederschlagung des, wie er meinte, „landesverräterischen Putsches“ vom 20. Juli zu rühmen und die daran Beteiligten als „Landesverräter“ zu schmähen, wurde er 1952 wegen „Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“ in einem viel beachteten Prozess zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Remer entzog sich jedoch der Haft durch Flucht – zunächst nach Ägypten, dann nach Syrien.
Wieder nach Deutschland zurückgekehrt, gründete er 1983 zusammen mit Thies Christophersen die „Deutsche Freiheitsbewegung“, deren Vorsitzender er bis 1989 war. Obwohl es sich bei dieser „Freiheitsbewegung“ um eine eindeutig als faschistisch einzustufende Partei handelte, ließ man Remer gewähren. Erst als er in der von ihm herausgegebenen Remer-Depesche den Holocaust mehrmals geleugnet hatte, wurde er schließlich aufgrund des 1985 verabschiedeten „Auschwitz-Lüge-Gesetzes“ zu 22 Monaten Haft verurteilt. Doch wiederum konnte er sich der Haft durch die Flucht entziehen, diesmal nach Spanien. Trotz eines Begehrens der Bundesrepublik wurde er nicht ausgeliefert. Im Jahr 1997 starb er friedlich und unbehelligt in Marbella. In der rechtsextremen Szene wird er nach wie vor als deutscher Held und deutscher Faschist gefeiert.
Bei Adolf von Thadden ist dies etwas anders – wurde doch nach von Thaddens Tod bekannt, dass er zwischenzeitlich für den britischen Geheimdienst MI 6 gearbeitet hat. 52 Deshalb sind seine „Verdienste“, die er sich aus faschistischer Sicht erworben hat, weitgehend in Vergessenheit geraten. Diese hat sich der aus einer bekannten pommerschen Adelsfamilie stammende Adolf von Thadden (ein Neffe von ihm ist der liberale Historiker Rudolf von Thadden) auch erst nach 1945 erworben. Einmal durch seine Tätigkeit für die bereits erwähnte DRP, für die er von 1949 bis 1953 im ersten deutschen Bundestag saß und deren Vorsitzender er bis 1961 war. 1964 gehörte von Thadden dann zu den Mitgründern der NPD, die ihn 1967 zu ihrem Führer wählte. Unter von Thaddens Leitung errang die NPD bemerkenswerte Wahlerfolge und zog in die Landtage verschiedener Länder ein. Thadden selber war von 1967 bis 1970 Abgeordneter im Parlament Niedersachsens. Doch dann begann sein politischer Stern zu sinken. Anlass war die unerwartete Wahlniederlage der NPD bei der Bundestagswahl von 1969. Sie scheiterte an der Fünfprozenthürde, allerdings äußerst knapp. 1971 wurde von Thadden gezwungen, vom Amt des Parteivorsitzenden zurückzutreten. Vier Jahre später trat er aus der NPD aus. Bis zu seinem Tod im Jahre 1996 ist er politisch nicht mehr in Erscheinung getreten. Auch in der Öffentlichkeit wurde er kaum noch wahrgenommen. Seinen Platz nahmen andere Faschisten ein.53
Zunächst Franz Schönhuber. Seine temporäre Bekanntheit verdankte Schönhuber in erster Linie einem Buch –seiner 1981 unter dem Titel Ich war dabei veröffentlichten Autobiographie. Mit dem „Dabeisein“ meinte Schönhuber seinen Dienst in der Waffen-SS, in der er es bis zum Unterscharführer (Unteroffizier) gebracht hatte. Keine große Karriere, die zudem im Vergleich mit seinen Altersgenossen keineswegs ungewöhnlich war. In der Öffentlichkeit wurde jetzt, das heißt Anfang der 1980er-Jahre, seine Zugehörigkeit zur SS, die im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess als „kriminelle Organisation“ bezeichnet worden war, als anstößig empfunden. Schönhuber wurde vom Bayerischen Rundfunk, für den er als (eher liberal eingestellter) Journalist gearbeitet hatte, fristlos entlassen. Zwei Jahre später gründete Schönhuber zusammen mit einem ehemaligen Abgeordneten der CSU namens Franz Handlos eine neue Partei, die sich zwar „Die Republikaner“ nannte, aber einen eindeutig antidemokratischen und zunehmend auch rassistischen Kurs verfolgte – nicht ohne Erfolg: Schönhubers Partei gelang auf Anhieb der Einzug in mehrere Landesparlamente, darunter auch in das West-Berlins, wo die „Republikaner“ bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus im Jahr 1989 auf fast zehn Prozent der Stimmen kamen.
Wider Erwarten konnten die „Republikaner“ jedoch von der kurz darauf erfolgten Wiedervereinigung nicht profitieren. Schönhuber selber saß noch bis 1994 im Europaparlament, wurde dann aber von seiner eigenen Partei zum Rückzug gezwungen. 2005 trat er als Kandidat der NPD im Wahlkreis Dresden auf, erreichte hier aber nur 2,4 Prozent der Stimmen. Er ist dann im gleichen Jahr – 2005 – gestorben. Seine Partei „Die Republikaner“ gibt es aber immer noch.
Keineswegs von der politischen Bildfläche verschwunden ist auch die „Deutsche Volksunion“ (DVU) Gerhard Freys.54 Der 1933 in Cham in der Oberpfalz geborene Gerhard Frey ist sicherlich nicht der gefährlichste Epigone Hitlers. Selbst seine Anhänger sprechen ihm das Charisma ab, sie können und wollen in ihm nicht ihren „Führer“ sehen. Sein nicht unbeträchtliches Vermögen, das auf 250 Millionen Euro geschätzt wird, hat er vor allem mit der Verbreitung seiner faschistischen und rechtsradikalen Ideologie gemacht. Einmal mit der Deutschen National-Zeitung, deren alleiniger Besitzer und Herausgeber er ist. Zum anderen mit dem Vertrieb von Schriften, die wegen ihres faschistischen und antisemitischen Inhalts häufig indiziert wurden. Doch das hat dem Geschäftserfolg seiner „Freiheitlichen Buch- und Zeitschriftenverlags GmbH“ nicht geschadet.
Finanziell lukrativ war auch seine bisherige politische Tätigkeit als Vorsitzender der 1987 gegründeten „Deutschen Volksunion“, die mehrmals in einigen Landesparlamenten vertreten war – und immer noch ist. Ihre Wahlkämpfe finanzierte Frey mit den Gewinnen seiner publizistischen Unternehmungen. Das vorgeschossene Geld erhielt er dann durch die staatliche Wahlkampfrückerstattung mit Zins und Zinseszins wieder zurück.
Frey hat sich jedoch nicht nur die Großzügigkeit, um nicht zu sagen: Dummheit, des Staates, sondern auch die Klugheit seiner obersten Richter zunutze gemacht. So war der führende Grundgesetz-Kommentator Theodor Maunz – ein Jurist mit NS-Vergangenheit – mehrmals beratend für Frey tätig. Und zwar mit großem Erfolg. Frey hat auch nach Maunz’ Tod alle gegen ihn angestrengten gerichtlichen Verfahren abwenden können. Ein Verbot seiner Partei wird heute (2008) noch nicht einmal diskutiert – zu Unrecht: Die von den staatlichen Organen bisher in Ruhe gelassene, ja geradezu gehätschelte DVU kann ihren gegenwärtigen Schwächezustand schnell überwinden und zu einer wirklichen Gefahr werden. Allerdings nur dann, wenn es ihr gelingen sollte, die verschiedenen unter sich zerstrittenen parlamentarischen und außerparlamentarischen faschistischen Gruppierungen zu vereinen. Doch dazu wäre eine Führer-Figur notwendig. Frey wird dies wohl nie werden.
Doch genau wie man den Tag nicht vor dem Abend loben soll, sollte uns die Tatsache, dass die gegenwärtigen faschistischen Parteien schwach sind und über keinen wirklichen Führer verfügen, nicht beruhigen und zufrieden stellen. All das kann sich nämlich, wie die Geschichte gezeigt hat, sehr schnell ändern. Gibt es doch in der Bevölkerung ein faschistisches, beziehungsweise „rechtsextremes“ Einstellungspotential, das von einigen Rechtsextremismus-Forschern auf etwa 20 Prozent geschätzt wird.55 Die Zustimmungsbereitschaft zu zentralen Punkten der faschistischen Ideologie wie Antisemitismus, Antiziganismus und generell Rassismus ist nachweislich noch höher.56 Und so schwach die faschistischen Parteien im Bund und in den meisten Ländern auch zur Zeit sind, so sehr sollte beachtet werden, dass sie in einigen kleineren Städten und selbst Regionen Ost- und jetzt auch Westdeutschlands eine gewisse hegemoniale Stellung errungen haben. Schließlich und nicht zuletzt ist in diesem Zusammenhang auf die scheinbar widersinnige Tatsache zu verweisen, dass der Faschismus in einigen unserer west- und vor allem osteuropäischen Nachbarländer viel stärker entwickelt ist als bei uns, was im Zeichen und in der Ära der Globalisierung Rückwirkungen auf uns haben kann.57