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Eulengebirge Ein halbes Jahr später

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Die wilden, dunklen Wälder schoben sich dicht an die schmale Fahrstraße heran. Hoch oben zogen sich neblige Bergkämme über dem Tal dahin, das sich hier in vielen Windungen tief in das einsame Gebirge schlängelte. Der Weg war nicht gepflastert, aber die alte Splittdecke sorgte noch immer für ein recht sicheres Fahren. Der dunkle Personenwagen zog brummend weite Serpentinen hinauf, sich immer mehr einer bestimmten Gipfelregion nähernd. Mit Erleichterungen stellte Wolf fest, daß offenbar niemand sich in den Bergwäldern aufhielt. Jedenfalls weder Menschen noch Fahrzeuge waren ihm in der letzten dreiviertel Stunde begegnet. Er wollte sich vorerst einen Überblick verschaffen. Sein Ziel war die Gegend, wo sich der Zugang zu der Stollenanlage befinden mußte. Er machte sich keine Illusionen darüber, daß das Auffinden dieses Einganges wahrscheinlich das Schwierigste an dem ganzen Unterfangen sein könnte. Die Karte neben ihm auf dem Beifahrersitz, sorgsam abgedeckt gegen eventuelle unbefugte Blicke, wies ihm zwar in groben Zügen den Weg, aber das eigentliche Loch im Berg war auf ihr nicht detailliert angegeben. Hier mußte er die Handskizze Meurats zu Hilfe nehmen. Dieser hatte nach seiner Erinnerung ungefähr den Platz markiert.

Bald sollte neben der Straße der Verlauf der ehemaligen Schmalspurbahn auftauchen, die damals angelegt worden war und die sich wie eine Bergbahn zur Gipfelregion des Komplexes „Steinberg“ schlängelte. Eine Umladestation zwischen Straße und Bahntrasse hätte hier existiert, wo die Gleise kurzzeitig parallel zum Fahrweg verliefen. Dieses laut Karte langgezogene Hochtal, mit einem rauschenden Wildbach, müßte er gleich erreicht haben. Und tatsächlich glitzerte da auch schon unter dichten Tannen am Weg das Wasser eines Wildbaches. Der Nebel des frühen Morgens hing dicht über den waldigen Höhenzügen, und der frische Duft von Tannengrün und nassem Moos drang immer stärker durch das spaltbreit geöffnete Fahrerfenster ins Innere des alten Wagens. Aufmerksam steuert Wolf ihn nun in den sich endlich hier öffnenden Talgrund hinein.

Nochmals verglich er die Karte mit der Örtlichkeit und fuhr langsam weiter. Das leise Brummen des Motors wurde vom Morgendunst der dichten Waldungen zu beiden Talseiten gedämpft. Und das namenlose Wildwasser rauschte zudem angenehm laut über die uralten und dick bemoosten Felsbrocken in seinem Bett.

Langsam schälte sich der ehemalige Umschlagplatz zwischen Bergbahn und Gebirgsstraße aus den grauen Schleiern heraus. Ein paar alte Schuppenreste, ein kleineres gemauertes Gebäude und ein rostiger Wasserhochbehälter standen neben dem ehemaligen Bahndamm. Wolf fuhr den betagten Opel in die Deckung der ruinenartigen Bauten, stieg aus und sah sich vorsichtig um. Allenthalben lagen überall noch die Reste verschiedenster Baumaterialien herum. Hier eine Ladung längst zu Stein erstarrter Zementsäcke, dort ein Haufen rostiger Rohre, an anderer Stelle wiederum Stapel inzwischen vermodernden Bauholzes. Die feuchte Witterung des Gebirgstales sorgte für den schnellen Verschleiß dieser lange zurückgebliebenen Dinge. Und schon zogen auch die grünen Walddickichte sich wieder enger um den verlassenen Platz einstiger menschlicher Aktivitäten. Etwas Unheimliches hatte der menschenleere Ort schon an sich. Fröstelnd zog Wolf die Schultern zusammen und schritt über knirschenden Bausand zu dem Gebäude unmittelbar an der schmalen Bahntrasse.

Wie sich herausstellte, war es eine Art kleiner Güterschuppen mit angebautem Aufsichtsraum. Das Innere des Lagergebäudes zeigte sich dunkel und leer, nachdem Wolf vorsichtig die marode Schiebetür quietschend aufgezogen hatte. Der ehemalige Aufsichtsraum bot ein noch traurigeres Bild. Blinde Fensterscheiben verbreiteten in dem wüsten, kleinen Büro mit dem rostigen Kanonenofen ebenfalls nicht gerade viel Helligkeit. Hier war gründlich geplündert worden. Zerschlagen der massive Schreibtisch, die Türen der alten Blechspinde aufgebrochen, auch ansonsten bedeckte nur Unrat den Boden. Sich schüttelnd verließ der einsame Besucher wieder den verwilderten Bau. Draußen begann sich der Nebel nun endlich etwas zu lichten. Feuchtigkeit schlug sich an den rostroten Schienen nieder, die hier in Fragmenten noch vorhanden waren. In den tief dunkelgrünen Waldungen um den Platz rief plötzlich ein Eichelhäher laut in die Stille. Wolf zuckte ungewollt zusammen und suchte automatisch Schutz hinter einem Haufen Schrott, der neben einer maroden Hochzisterne lag.

Er bereute plötzlich, allein gefahren zu sein. Pawlek, aus dem Dorf am Fuß des Gebirges, hatte seine Begleitung angeboten. Er war der Mann, dessen Adresse Wolf noch kurz vor seiner Abreise ins Eulengebirge überraschend von Meurat bekommen hatte. Der Anwalt teilte ihm mit, daß Pawlek ihm sozusagen als Verbindungsmann zur Verfügung stünde. Der gebürtige Pole sei früher eine Art Adjutant gewesen, spreche fließend Deutsch und kenne sich in der Gegend gut aus. Er würde daher stets verläßlich schweigen, um dieses Geheimnis zu wahren, von dem in seinem heimatlichen Umfeld niemand wußte, so die knappen Auskünfte Meurats.

Doch Wolf war dennoch mißtrauisch. Seinen ersten Gang in die Berge wollte er unbedingt allein unternehmen. Da brauchte er keinen Aufpasser. Und der alte Pole zeigte sich sehr wortkarg und war keineswegs begeistert, als Wolf bei ihm auftauchte. Es war in der Abenddämmerung gewesen. Pawlek werkelte in einem kleinen Schuppen neben der Holzhütte herum, in der er wohnte. Kaum hatte sein Gast sich zu erkennen gegeben, zerrte er ihn auch schon vom windschiefen Gartenzaun weg. Erst im Schuppen, in Deckung eines mächtigen Holzstapels, musterte Pawlek ihn mißtrauisch. „Sie kommen von unserem gemeinsamen Freund. Und ich soll ihnen gegebenenfalls helfen“, murmelte er leise und schaute sich immer wieder nervös um.

Wolf bejahte, worauf sein Gegenüber ihn noch dichter an den Holzstapel zog. „Es ist gefährlich“, zischte der Mann wie eine Schlange. Das zerfurchte, braune Gesicht war dabei todernst. „Lassen Sie diese Dinge ruhen.“

„Nun machen Sie mal halblang. Ich habe hier etwas zu erledigen, weiter brauchen Sie eh‘ nichts zu wissen. Das dient ja auch Ihrer Sicherheit. Ihre Hilfe in allen Ehren, ich bin aber nur im Ausnahmefall darauf angewiesen“, sagte Wolf zu dem Alten. „Und denken Sie daran, daß bestimmte Leute, die es noch immer gibt, nichts vergessen haben. Also, ich rate Ihnen keine Dummheiten zu machen.“ Die deutlichen Worte taten ihre Wirkung. Der Mann kroch förmlich in sich zusammen. „Ja, ja, natürlich.“

„Gut jetzt“, unterbrach ihn Wolf, nun schon etwas versöhnlicher klingend. „Wenn ich etwas von Ihnen will, weiß ich jetzt, wo ich Sie finde. Das reicht fürs Erste.“

„Wenn Sie in die Berge wollen, begleite ich Sie.“

„Das ist nicht nötig. Einen ersten Eindruck verschaffe ich mir gerne selbst“, gab Wolf kurz zurück. „Ansonsten melde ich mich.“

Er verabschiedete sich und wandte sich wieder der zerfahrenen Dorfstraße zu. Aus den Augenwinkeln bemerkte er noch, wie der Alte unter dem Schuppendach ihn mit stechendem Blick verfolgte. Wolf verließ das Bergdorf zu Fuß, das sich mit seinen niedrigen Hütten förmlich in das Tal duckte, die nur vom Kirchturm überragt wurden. Am Rande des Ortes erreichte er seinen Wagen, mit dem er in die Kreisstadt zurückfuhr, wo sich sein Hotel befand.

Er wußte nicht, daß der Alte nach seinem kurzen Besuch in den Keller seines Hauses hinabstieg und dort in einem verborgenen Verschlag eine telefonähnliche Anlage in Betrieb nahm, deren getarnte Leitung sich tief in die nahe des Dorfes beginnenden Massive des Gebirges zog.

Das Erbe Teil I

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