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IV. Beziehungen zwischen den Zwecken der Steuerbilanz

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(1) Verhältnis zwischen der Zahlungsbemessungsfunktion und der Informationsfunktion: Wird das Markteinkommen mit Hilfe einer Steuerbilanz ermittelt (Zahlungsbemessungsfunktion der Steuerbilanz), treten zwischen dem Fiskalzweck der Ertragsteuern und der Informationsfunktion der Steuerbilanz Zielkonflikte auf. Nach der Zahlungsbemessungsfunktion ist auf das in der abgelaufenen Periode erzielte Einkommen abzustellen, während nach der Informationsfunktion das Einkommen von Interesse ist, das von dem Unternehmen in der Zukunft voraussichtlich erwirtschaftet werden kann. Dieser konzeptionelle Unterschied führt dazu, dass bezogen auf den Fiskalzweck (Zahlungsbemessungsfunktion) dem Vorsichtsprinzip eine große Bedeutung beizumessen ist. Dies bedeutet, dass Gewinne erst dann ausgewiesen werden dürfen, wenn die Vermögensmehrung nahezu sicher eingetreten ist (Reinvermögenszugang). Im Gegensatz hierzu ist aus Sicht der Informationsfunktion anzustreben, dass die in der Bilanz ausgewiesenen Werte so weit wie möglich mit dem „tatsächlichen“ Wert (beizulegender Zeitwert, Fair Value) übereinstimmen. Um die Informationsfunktion zu erfüllen, sind die aktuellen Tageswerte auch dann heranzuziehen, wenn die Erhöhung des Werts eines Wirtschaftsguts am Markt noch nicht bestätigt wurde (Reinvermögenszuwachs). Dieser Zielkonflikt führt dazu, dass im Zusammenhang mit der Zahlungsbemessungsfunktion die Gewinnermittlung auf der Grundlage von möglichst verlässlichen Daten zu erfolgen hat, während bei der Informationsfunktion die Werte so nah wie möglich an dem „tatsächlichen“ Betrag liegen sollen. Je stärker die Informationsfunktion betont wird, umso mehr wird die Zahlungsbemessungsfunktion eingeschränkt bzw umgekehrt, je mehr die Zahlungsbemessungsfunktion beachtet wird, umso stärker tritt die Informationsfunktion zurück. In den letzten Jahren ist verstärkt eine Tendenz festzustellen, dass die Informationsfunktion durch die handelsrechtliche Rechnungslegung erfüllt werden soll. Dabei kommt den internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen (insbesondere IFRS und US-GAAP) eine hohe Bedeutung zu. Dies bedeutet, dass für Informationszwecke die Steuerbilanz immer weniger herangezogen wird, sodass im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung der Zahlungsbemessungsfunktion der Steuerbilanz (Fiskalzweck) gegenüber der Informationsfunktion Vorrang eingeräumt werden kann.

Da die Besteuerung in die Rechte des Steuerpflichtigen eingreift, darf die Erhebung von Steuern nur auf der Grundlage von Gesetzen erfolgen (Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung, § 38 AO). Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung ergibt sich aus der Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und der Bindung der vollziehenden Gewalt (zB Finanzverwaltung) und der Rechtsprechung (einschließlich Finanzrechtsprechung) an Gesetze und das Recht (Art. 20 Abs. 3 GG). Des Weiteren müssen Gesetzesvorschriften, die eine Steuerpflicht begründen, nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß so konkret gefasst sein, dass für den Steuerpflichtigen die Höhe der von ihm geschuldeten Steuern vorhersehbar und berechenbar ist (Tatbestandsbestimmtheit). Die zum Begriff „Rechtssicherheit“ zusammengefassten Anforderungen an die Tatbestandsmäßigkeit und die Tatbestandsbestimmtheit sind für die steuerliche Gewinnermittlung von besonderer Bedeutung, da die Konkretisierung des Werts eines Wirtschaftsguts häufig erhebliche praktische Schwierigkeiten bereitet und das Steuerbilanzrecht zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe enthält. Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit und Tatbestandsbestimmtheit führt dazu, dass im Steuerrecht an die Nachprüfbarkeit der verwendeten Rechengrößen relativ hohe Anforderungen zu stellen sind. Für die steuerliche Gewinnermittlung ist deshalb der Objektivierungsgedanke sehr bedeutsam. Die Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtssicherheit hat zur Konsequenz, dass sich die Bedeutung der Zahlungsbemessungsfunktion der steuerlichen Gewinnermittlung erhöht und damit gleichzeitig die Informationsfunktion der Steuerbilanz weiter zurückgedrängt wird. Die auf den allgemeinen Besteuerungsprinzipien beruhende Forderung nach einer objektivierten Gewinnermittlung verstärkt den Zielkonflikt zwischen der Zahlungsbemessungsfunktion der Steuerbilanz und deren Informationsfunktion.

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(2) Einordnung der Dokumentationsfunktion: Im Hinblick auf die Dokumentation der Geschäftsvorgänge im externen Rechnungswesen zur Erfüllung der steuerlichen Nachweispflichten treten gegenüber den anderen Zwecken der Steuerbilanz keine gegenläufigen Effekte auf. Sowohl die Zahlungsbemessungsfunktion (der Fiskalzweck) als auch die Informationsfunktion können nur erfüllt werden, wenn die Bilanzierung und die Bewertung auf Daten beruhen, die sich vom Adressaten nachvollziehen lassen und die frei von Willkür sind.

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(3) Verhältnis zwischen den Lenkungsaufgaben und der Zahlungsbemessungsfunktion sowie der Informationsfunktion: Bei den über die steuerliche Gewinnermittlung verfolgten Lenkungsaufgaben liegt sowohl gegenüber der Zahlungsbemessungsfunktion der Steuerbilanz als auch gegenüber ihrer Informationsaufgabe offensichtlich ein Zielkonflikt vor. Durch Vorschriften, die auf dem Lenkungszweck beruhen, wird der mit Hilfe einer Steuerbilanz ermittelte Gewinn bewusst so modifiziert, dass bei den Steuerpflichtigen die gewünschte Verhaltensänderung erreicht wird. Damit werden aber nicht nur die für die Ertragsteuern herangezogenen Bemessungsgrundlagen – bezogen auf den Fiskalzweck – verfälscht, sondern auch die aus der Steuerbilanz ableitbaren Aussagen über die wirtschaftliche Lage des Gewerbebetriebs.

Der zwischen dem Fiskalzweck (der Zahlungsbemessungsfunktion) und den Lenkungsaufgaben bestehende Zielkonflikt tritt nicht nur in der Steuerbilanz auf, sondern auch bei anderen Einkunftsarten sowie bei anderen Steuerarten. Obwohl das Nebeneinander von Fiskalzweck und Lenkungsaufgaben eine der Hauptursachen für die Komplexität unseres Steuersystems ist, besteht Skepsis, ob dieser Zielkonflikt in absehbarer Zeit aufgelöst wird. Bestrebungen, die Vorschriften zur Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlagen um Ausnahmevorschriften zu bereinigen, scheiterten bislang häufig daran, dass aus wirtschafts- oder sozialpolitischen Gründen für bestimmte Personen oder ausgewählte Tätigkeiten Ausnahmen gefordert und im Gesetzgebungsverfahren durchgesetzt wurden. Solange zwischen den Steuerpflichtigen und deren Interessensvertretern kein Konsens über eine allgemein verbindliche Leitlinie der Besteuerung besteht, die ohne Ausnahme für alle Steuerpflichtigen anzuwenden ist, wird der häufig beklagte Konflikt zwischen dem Fiskalzweck der Besteuerung und dem Ziel, über steuerliche Regelungen lenkend auf das Verhalten von Steuerpflichtigen einzuwirken, bestehen bleiben. Da die mit dem Lenkungszweck begründeten Beeinflussungen der ertragsteuerlichen Bemessungsgrundlagen häufig dazu führen, dass die Höhe der Ertragsteuern davon abhängt, ob die Voraussetzungen der einzelnen (Sonder-)Vorschriften erfüllt sind, werden die Einkommen- bzw Körperschaftsteuer sowie die Gewerbesteuer nicht nur von dem am Markt erzielten Einkommen beeinflusst, sondern auch davon, in welcher Weise das Handeln des jeweiligen Steuerpflichtigen mit den wirtschafts- und sozialpolitischen Zielen des Gesetzgebers übereinstimmt. Es ist offensichtlich, dass Lenkungsnormen dazu führen, dass gleiches Markteinkommen nicht in jedem Fall gleich besteuert wird. Ob ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung vorliegt, muss jedoch offen bleiben, weil eine ungleiche Besteuerung – zumindest im Sinne der Verfassung – zulässig ist, sofern für die Differenzierung sachliche Gründe angeführt werden können. Die Diskussion um Lenkungsnormen wird deshalb so heftig geführt, weil über die Berechtigung oder sogar Notwendigkeit einer differenzierten Besteuerung unterschiedliche Auffassungen vertreten werden.

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Aus betriebswirtschaftlicher Sicht hat der Konflikt zwischen dem Fiskalzweck und den Lenkungsaufgaben Einfluss auf das Merkmal einer entscheidungsneutralen Besteuerung. Die Besteuerung gilt dann als entscheidungsneutral, wenn es durch die Besteuerung nicht zu einer Änderung der Vorteilhaftigkeitsreihenfolge von Handlungsalternativen kommt (Rangfolgeninvarianz):[1] Entscheidet sich der Steuerpflichtige ohne Berücksichtigung der steuerlichen Effekte für eine bestimmte Handlungsalternative (zB die Investition A), ist die Besteuerung dann entscheidungsneutral, wenn er unter Beachtung der Steuerwirkungen dieselbe Handlungsalternative auswählt. Fällt seine Entscheidung unter Einbezug der Besteuerung anders aus als ohne Berücksichtigung der steuerlichen Auswirkungen (beispielsweise zugunsten der Investition B), wird das Ziel der Entscheidungsneutralität der Besteuerung verletzt. Ein entscheidungsneutrales Steuersystem hat zum einen den Vorteil, dass es mit dem (steuerrechtlichen) Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung vereinbar ist. Zum anderen wird dadurch auch der Fiskalzweck der Besteuerung nicht verletzt. In einem entscheidungsneutralen Steuersystem wählt ein Steuerpflichtiger die Handlungsalternative, die gemessen an seinen nichtsteuerlichen Zielen vorteilhaft ist. Dass die im Steuerrecht enthaltenen Lenkungsnormen einen Verstoß gegen die Entscheidungsneutralität der Besteuerung darstellen, ist leicht zu begründen: Eine Besteuerungsnorm muss aneutral wirken, wenn sie beabsichtigt, den Steuerpflichtigen zu einer Entscheidung zu veranlassen, die er ohne Berücksichtigung der steuerlichen Effekte nicht getroffen hätte.[2] Die Beurteilung dieses Zielkonflikts hängt von dem subjektiven Werturteil ab, in welchen Fällen und in welchem Umfang akzeptiert oder gefordert wird, dass über die Besteuerung der unternehmerische Entscheidungsprozess beeinflusst werden darf.

Besteuerung von Unternehmen II

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