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Ein ganz normaler Tag

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Bei seinen noch aktiven Kollegen hatte sich das alles natürlich schnell herumgesprochen. Er war bald bekannt, wie ein bunter Hund. Möglicherweise entwickelte sich manchmal sogar ein positiver Wettbewerb. Sobald ihn die Kollegen irgendwo entdeckten, versuchten sie, Verspätungen zu vermeiden oder wieder aufzuholen.

Er fuhr immer ohne Gepäck, doch eine Umhängetasche mit ein paar belegten Broten, einer Thermosflasche mit Tee und seinem wichtigsten Utensil, dem Tablet führte er mit. Darauf konnte er jede Zugverbindung und jede Verspätung ablesen. Diese App stand jedem anderen Reisenden auch zur Verfügung.

Der Beginn war jeden Morgen um 08.57 Uhr am Gleis 2 des Bahnhofs Großburgwedel. An diesem Montag kam der Zug ausnahmsweise mal mit 2 Minuten Verspätung an. Das brachte die ersten zwei Punkte an diesem Tag. Lukat überlegte, ob er am Bahnhof Isernhagen wieder aussteigen sollte, um sich die Punkte zu sichern. Dann hätte er allerdings eine ganze Stunde auf den nächsten Zug warten müssen. Das lohnte den Aufwand also nicht.

Am Bahnhof Langenhagen war die Verspätung schon zur Hälfte aufgeholt und in Hannover fuhr der Zug pünktlich ein. Die zwei Punkte waren also wieder futsch.

Das machte ihm nichts aus. Meist fuhr der Metronom sogar ohne Verspätung. Das wäre dann aufs Gleiche herausgekommen.

Unterwegs hatte Lukat schon eifrig sein Tablet studiert, insbesondere den Ausdruck der Anzeigetafel. Für zwei Züge war Verspätung gemeldet. Der IR nach Gifhorn fuhr 10 Minuten später. Das brachte 10 Punkte, allerdings hatte der Metronom Richtung Göttingen wegen einer Baustelle sogar 30 Minuten Verspätung. Der Zug fuhr also erst eine halbe Stunde später ab. Lukat rechnete blitzschnell. Wenn er den Zug nach Gifhorn nahm und nur bis Lehrte fuhr, konnte er mit dem Gegenzug noch zurückfahren und rechtzeitig den Zug nach Göttingen erreichen. Das war natürlich nur wegen dessen Verspätung möglich. Sobald er in diesem Zug saß, hatte er bereits 40 Punkte auf dem Konto. Das war ungewöhnlich viel.

Es klappte! Zumindest bis Hannover. Er musste den Zug nach Göttingen nur so schnell wie möglich wieder verlassen, um die Punkte zu sichern. Das war frühestens in Sarstedt möglich. Der Gegenzug war aber gerade abgefahren, was auf eine einstündige Wartezeit hinauslief. Fuhr er weiter, verkürzte sich auf jedem Bahnhof die Wartezeit und war in Alfeld fast ausgeglichen. Es lohnte sich also, zunächst auf den weichen Sesseln des Zuges zu verweilen, als auf einem zugigen Bahnsteig herumzustehen. Allerdings vergrößerte sich das Risiko, die gewonnenen Punkte wieder zu verlieren.

An diesem Montag war es regnerisch, also blieb Lukat erst einmal sitzen, zumal auch der Gegenzug wegen der Baustelle mit Verspätung fahren würde.

Auf dem Bahnhof Banteln fuhr gerade der Gegenzug ab. Wo kam der denn plötzlich her? Das brachte Lukats Berechnungen völlig durcheinander. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass sein eigener Zug inzwischen mächtig aufgeholt hatte. Die Verspätung war auf 10 Minuten zusammengeschrumpft. Das war ein Verlust von 20 Punkten. Wäre er mal in Sarstedt ausgestiegen!

Doch das nahm Lukat mit verbissenem Ehrgeiz. Es gab jetzt zwei Möglichkeiten für ihn. Entweder er stieg in Alfeld aus und wartete eine Stunde auf den Gegenzug oder er fuhr bis zu einer Umsteigemöglichkeit weiter. Das war frühestens in Göttingen, also eine halbe Stunde später. Diese Zeit nutzte er für eine ausgiebige Frühstückspause im Zug und holte seine Butterbrote hervor, während er an den Sieben Bergen vorbei durch das Leinetal fuhr.

Auf den Metronom war erfahrungsgemäß Verlass. Leider nicht in Lukats Interesse, denn in Göttingen war die komplette Verspätung wieder aufgeholt. Eine Baustelle hatte er nirgendwo gesehen. Wo sollte denn diese gewesen sein? Schade! Die 30 Minuten von Hannover waren futsch. Störungen auf der Rückfahrt nach Hannover waren nicht zu erwarten.

Inzwischen war es schon 10.00 Uhr. Er schaute sich auf dem Eingangstableau des Bahnhofs die folgenden Abfahrten an. Nur der IR Richtung Glauchau in Sachsen fuhr mit Verspätung ab. Das könnte ihn einigermaßen entschädigen. Er wollte zwar nicht nach Sachsen, doch in Nordhausen konnte er wieder aussteigen und den Harz umfahren. Das war eine komplizierte Strecke mit vielen kürzeren Verbindungen, gab ihm aber bei jedem Umsteigen die Chance, weitere Punkte zu sammeln.

Bei der Abfahrt nach Glauchau hatte Lukat zunächst 16 neue Punkte auf dem Konto. Die galt es jetzt zu retten.

Er hatte sich in eine schlecht zugängliche Region manövriert. Er wollte ja schließlich abends wieder zu Hause sein.

Er wählte also die Bimmelbahnstrecke, wie er sie immer nannte. Eigentlich war sie zur Bewältigung längerer Strecken völlig ungeeignet, doch für Lukat genau richtig. Nicht ohne Grund nannte man ihn Umsteiger.

Als er in Nordhausen ausstieg, hatte sich sein Punktekonto auf 18 Punkte erhöht. Die damit verbundene Verspätung brachte ihm aber weitere 18 Punkte, denn der IR nach Bad Lauterberg hatte als Anschlusszug gewartet.

In Bad Lauterberg musste Lukat vom Bahnhof 300 Meter bis zum Domänenweg laufen. Dort hielt der Bahnbus nach Herzberg. Er kam leider pünktlich und erreichte schon 15 Minuten später Herzberg. Weiter ging es über Osterode, Seesen, Bockenem und Hildesheim nach Hildesheim und von dort aus mit Bussen des Regionalverbands über Nordstemmen nach Sarstedt, wo er wieder den Metronom Göttingen – Uelzen erreichte.

Als er gegen 19.00 Uhr zu Hause in Großburgwedel ankam, hatte er insgesamt 13 Bahn- oder Busverbindungen benutzt und 52 Punkte eingesammelt.

52 Euro in 10 Stunden – das war ein magerer Stundenlohn. Aber im Laufe eines Monats kam trotzdem so einiges zusammen. Außerdem hatte er ja Zeit, kam etwas herum und konnte Leute beobachten. Das machte er besonders gern.

Umsteiger

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