Читать книгу Dreißig Stufen zum Paradies - Wunibald Müller - Страница 11
ОглавлениеJohannes Klimakus findet harte Worte, um die zweite Stufe zu beschreiten. Zunächst klingt das nach totaler Weltverachtung. Und nimmt man seine Worte wörtlich, dann spricht aus ihnen auch Weltverachtung: „Wer den Herrn wahrhaft liebt und wahrhaft das Reich Gottes sucht, der liebt in diesem Leben nichts mehr und ist um nichts mehr bekümmert und besorgt, weder um Geld noch Gut, weder um seine Eltern noch um die eitle Ehre des Lebens, weder um Freunde noch Brüder, kurz das Vergängliche und Irdische beschäftigt ihn nicht mehr, er legt vielmehr jede Begierde nach solchen Dingen ab, verbannt jede Sorge um sie und hasst außerdem seinen eigenen Leib“ (35).
Da sträubt sich zunächst alles in einem – und das mit Recht. Ich kann seine zweite Stufe zum Paradies, zum Glück, zur Herzensruhe, mitgehen, wenn ich darunter verstehe, mich von den irdischen Dingen nicht bestimmen zu lassen. Mein Glück, meine Sinnerfüllung nicht von diesen oder jenen Dingen oder auch von bestimmten Menschen abhängig zu machen. Ich finde es wichtig, voll im Leben zu stehen und auch die schönen Dinge in unserem Leben zu würdigen und zu genießen. Etwas vom Himmel jetzt schon zu kosten.
Doch das muss und sollte dich nicht davon abhalten, in eine innere Distanz zu Dingen und Menschen treten zu können. Nie zu vergessen, dass wir vergänglich und sterblich sind. Du vergisst dann nicht den Blick zum Himmel, von dem du Hilfe erwartest. Du kannst mit Johannes Klimakus mit Blick auf Gott sagen: „Dir hängt meine Seele an.“
Wie oft bin ich schon Menschen begegnet, die meinen, ohne den Beruf, ohne diesen Erfolg nicht leben zu können. Oder Menschen, deren unsterbliche Liebe nicht erwidert wird und die glauben, ohne den anderen Menschen nicht leben zu können, und darüber fast verzweifeln. Die zweite Stufe auf der Leiter des Paradieses zu besteigen kann daher für dich heißen, mit deinem Kerndasein in Kontakt kommen.
Wenn ich aber aus meinem Kern lebe, dem, was übrig bleibt, wenn ich alle Schichten abgestreift habe, die ich nur anscheinend bin, lebe ich aus meinem Sein, dem, was ich wirklich bin. Dann gilt, was Irvin D. Yalom uns zuspricht: „Du bist nicht deine Karriere, du bist nicht dein herrlicher Körper. Du bist nicht Mutter oder Vater oder ein weiser Mensch oder ewige Krankenschwester. Du bist dein Selbst, dein Kerndasein. Ziehe eine Linie darum: Die anderen Dinge, die Dinge, die außerhalb der Linie sind, die sind nicht du; sie können verschwinden, und du wirst immer noch existieren“ (2005, 98).
Wenn du dich auf dein Kerndasein besinnst, geht es dir nicht wie jenen, die Johannes Klimakus bei der Vorstellung der zweiten Stufe wie folgt beschreibt: „Sie wurden von eitler Ehre wie aus einer Pfütze bewässert, von Ruhmseligkeit gepflegt und von Menschenlob gedüngt; nachher aber, als sie in die Einsamkeit, auf einen dem Weltmenschen und dem schlammigen Wasser der eitlen Ehre unzugänglichen Boden verpflanzt wurden, vertrockneten sie sehr bald“ (37). Wenn du dein Sein nicht von äußeren Dingen und Menschen abhängig machst, vertrocknest du nicht, wenn diese Dinge und Menschen dir nicht länger zur Verfügung stehen.
Du machst die Erfahrung, dass es in dir selbst eine Welt gibt, in die du dich begeben und in die du dich verankern kannst; es in dir einen Kern gibt, der mehr ist als das, was du äußerlich darstellst; es wichtig ist, immer wieder mit deinem Kern in Berührung zu kommen, von dort her dein Leben zu sehen und zu leben.
Komme mit deinem Kern in Berührung.
Du bist mehr als deine Karriere,
deine Beziehungen, dein Scheitern, deine Defizite.