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Vorwort

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Johannes Klimakus, der Verfasser des Werkes Die Leiter zum Paradies oder: Worte des Lebens, wodurch eifrige Seelen zur christlichen Vollkommenheit geleitet werden, lebte im 7. Jahrhundert über viele Jahrzehnte in einer Einsiedelei in der Wüste Sinai. Im hohen Alter wurde er zum Abt des St.-Katharinen-Klosters im Sinai ernannt. In dieser Zeit verfasste er sein Werk. Darin benennt er dreißig Stufen – in Anspielung an die dreißig Jahre des verborgenen Lebens Jesu –, die es zu bewältigen gilt, um am Ende im Paradies anzukommen.

Dreißig Stufen zum Paradies. Man könnte sich denken, dass ist doch keine große Sache und bei entsprechendem Training leicht zu bewältigen. Doch Vorsicht. Was Johannes Klimakus hier vorschlägt, ist keine leichte Kost. Es ist eigentlich ein Lebensprogramm und mit viel Ausdauer und Disziplin verbunden. Einmal meine ich die nächste Stufe erstiegen zu haben, um im nächsten Moment die Erfahrung zu machen, dass ich einige Stufen zurückgefallen bin.

Der Aufstieg zum Paradies, zum Glück oder auch zur Herzensruhe geht nur vom Ideal her gesehen von einer Stufe zur anderen, immer höher. Es ist aber in Wirklichkeit ein Aufsteigen und Absteigen. Ein Innehalten. Manchmal ist der Aufstieg begleitet von einem großen Elan, dann wieder ist er verbunden mit großen Mühen bzw. Niedergeschlagenheit und Zeiten, in denen man am liebsten aufgeben möchte.

Doch das sollte uns nicht entmutigen, sondern vielmehr anstacheln, das Paradies vor Augen, uns immer wieder erneut auf den Weg zu machen. Die Sehnsucht nach dem Paradies, „die Sehnsucht, Gott anzuhangen“ und in ihm zu ruhen, ist ja die Triebfeder, die uns nicht ruhen lässt, bis wir, wie es Augustinus so schön formuliert hat, Ruhe finden in Gott.

Der geschätzte Johannes Klimakus feuert uns jedenfalls an, den ersten Eifer stets in derselben Glut zu bewahren. Doch er gesteht uns auch zu, dass wir manchmal in unserem Eifer erlahmen, um uns dann wieder aufzumachen, „das Feuer zu vergrößern, die Wärme zu vermehren, unseren Eifer und unser Verlangen nach dem Himmel immer lebendiger zu machen“ (34).

Wenn ich von Himmel spreche, dann meine ich den Bereich, in den wir nach christlicher Vorstellung nach unserem Tod einkehren dürfen. Spreche ich vom Paradies, dann ist das so etwas wie Himmel auf Erden oder jetzt schon etwas vom Himmel schmecken zu dürfen.

So sind die dreißig Stufen auf der Leiter zum Paradies keine dreißig Tipps, die es zu befolgen gilt, um glücklich zu werden. Es sind vielmehr Ermutigungen, gängige Vorstellungen von Paradies und Glück aufzusprengen. Sie wollen dazu einladen, das Schwarzbrot des Alltags zu essen, das heißt zum Beispiel verzichten zu können, nicht im Mittelpunkt stehen zu müssen, Leidenschaften zuzulassen, ohne von ihnen beherrscht zu werden. Es geht dabei um ein Lebensprogramm, das anstrengend sein kann, weil es von uns abverlangt, immer mehr das Kreisen um uns selbst aufzugeben, den Einflüssen von außen zu entsagen, um so immer mehr von innen heraus, beeinflusst von den Einflüsterungen Gottes, unser Leben zu gestalten. Dann aber werden wir mit der Zeit, von Stufe zu Stufe, immer mehr in eine Erfahrungswelt hineingeführt, die uns Glück, Freude, Paradies als Herzensruhe erfahren lässt.

Wenn Sie, werter Leser, werte Leserin, Lust haben, mich bei diesem Aufstieg zum Paradies zu begleiten, lade ich Sie herzlich dazu ein. Auch weil es sicher gut ist, mit einigen zusammen den Aufstieg zu wagen. Denn, so Johannes Klimakus, „wehe dem, der allein ist, sagt der Prediger; wenn er in Trägheit oder Schlaf, Lauigkeit oder Verzweiflung fällt, ist niemand da, der ihn aufrichtet“ (34).

Es liegt an uns, für welchen Weg wir uns entscheiden. Ob unser Weg zum Himmel führt, erfahren wir erst, wenn wir uns auf den Weg machen. Manchmal wird man daher auch zwischendurch feststellen müssen, dass man den falschen Weg beschritten hat. Ich habe aber keinen Zweifel daran, dass der beschriebene Weg zum Paradies führen wird, jede einzelne Sprosse, die ich auf der Leiter zum Paradies hinter mich gebracht habe, mich dem Paradies, der Herzensruhe, näher bringt. Was uns freilich nicht davon abhalten mag, immer wieder auch zu zögern oder zunächst einmal einige Stufen wieder zurückzugehen. Oder dass Zweifel, andere Wünsche und Leidenschaften, vielleicht auch Triebe und Süchte, uns ablenken und zurückhalten, bis wir uns schließlich wieder neu aufmachen und den mühevollen Aufstieg auf der Leiter zum Paradies fortsetzen.

Je mehr ich mich mit Johannes Klimakus befasst habe, desto mehr meine ich bei ihm ein Lebensprogramm zu entdecken, das in vielem total dem entgegenläuft, was gängigerweise auch als Selbstverwirklichung propagiert wird. Dabei handelt sich nicht um ein Programm gegen Selbstverwirklichung. Es ist vielmehr eine Korrektur und Ergänzung gegenüber einem Verständnis von Selbstverwirklichung, das sich an dem Motto I do my own thing – Ich lebe mich aus orientiert. Bei Johannes Klimakus werden vielmehr Potenziale von uns angesprochen, die brach, ungenutzt bleiben, solange wir uns nur ausleben.

So verstehen sich auch die Aussagen, die ich von den Beschreibungen des Johannes Klimakus ableite, als spirituelle Anregungen, die uns weiterhelfen können bei der Bewältigung unseres Alltags und in unserer Sehnsucht nach Herzensruhe und letztlich nach Gott. Sie sind eine Einladung dazu, unser Leben in die Hand zu nehmen, es zu gestalten und dabei immer mehr selbst zu Kapitänen unseres Lebens zu werden, ohne dabei den Blick zum Himmel zu vergessen. Im Buch Genesis (28,12) heißt es von Jakob – und dieser Text dient ja auch Johannes Klimakus als Grundlage für seine Himmelsleiter zum Paradies –, dass er im Traum eine Leiter sah, „die auf der Erde stand und die bis zum Himmel reichte“. Das aber heißt: Es geht nicht darum, die Erde zu verlassen, unser Menschsein und Menschwerden außer Acht zu lassen. Es geht darum, die Möglichkeiten für unser Menschsein und Menschwerden zu nutzen, die sich auftun, wenn wir uns am Himmel ausrichten; wir die Leiter, die auf der Erde steht und bis zum Himmel reicht, besteigen, angetrieben von einem Verlangen, einer Sehnsucht, die uns nicht ruhen lässt, bis wir die Seelenruhe gefunden haben, wir ruhen in Gott.

Die ursprünglichen Adressaten sind für Johannes Klimakus Mönche. Ihm geht es darum, die Welt zu transzendieren, uns empfänglicher zu machen für die Welt der Ewigkeit. „Es hat zu tun mit einer Vision von Wirklichkeit, die uns von den Sinnen hinsichtlich ihrer weltlichen Funktionen befreit, so dass wir wieder die tiefere, verborgene Bedeutung der Wirklichkeit wahrnehmen“ (Eudes Bamberger 2008, 49).

Wir müssen keine Mönche werden. Wir können aber von den Mönchen lernen. Wir müssen mit dem einen Bein voll im Leben stehen, uns der Wirklichkeit unseres äußeren Lebens stellen, unseren Alltag bewältigen, unserer Verantwortung gegenüber unserer Gemeinschaft, unserer Familie, unserer Gesellschaft nachkommen. Zugleich trägt es aber zu einer Bereicherung unseres Lebens bei, wenn wir neben dem äußeren Leben beziehungsweise zusammen mit ihm ein inneres Leben führen, das uns, dem monastischen Leben vergleichbar, einen Zugang zu der tieferen, verschollenen Wirklichkeit unseres Lebens ermöglicht.

So soll die Leiter, die uns zum Paradies führt, auch als eine Leiter verstanden werden, die uns immer tiefer hineinführt in die verborgene Wirklichkeit unseres Lebens, uns empfänglicher und sensibler macht für die unsichtbare Welt, um jetzt schon einen Vorgeschmack des Himmels verkosten zu dürfen.

Da ich Sie in den folgenden Impulsen ganz persönlich ansprechen möchte, erlaube ich mir, Sie mit du anzusprechen. Die Zitate von Johannes Klimakus, die ich an den Anfang der einzelnen Kapitel stelle, stammen alle aus der Regensburger Ausgabe (1874) seines Werkes.

Heribert Handwerk vom Echter Verlag danke ich für die gute und inspirierende Zusammenarbeit.

Wunibald Müller

Dreißig Stufen zum Paradies

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