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Kapitel 1: Die Ankunft auf dem Jupiter

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Favlos Omnios, Erbe des vielgerühmten Hauses Aplistos und den erblichen Titel Baron führend, beobachtete gebannt durch das Sichtfenster am Bug seines Raumschiffes, wie die Oberfläche des Jupiters immer grösser wurde. Nach und nach füllte die von Wirbelstürmen überzogene Oberfläche des Gasplaneten das ganze Sichtfeld aus. Der sonst so kaltblütig kalkulierende Omnios empfand ein plötzlich aufkeimendes Gefühl tiefen Stolzes, als er seine orangene Heimatwelt erblickte.

„Niemand vermag dir gerecht zu werden, oh Jupiter, Vater aller Götter!“ meinte er mit ausgestreckter Brust unter der Stimme murmelnd zu sich selbst. Dann machte er einen weiteren Schritt auf das Fenster zu, um einen Blick auf die in der Ferne schwebenden Städte erhaschen zu können.

Nach und nach wurden die kleinen grauen Punkte, welche er in der Ferne ausgemacht hatte, grösser und grösser und bereiteten sich zu gewaltigen Raumstationen aus. Ganze Orbital-Städte mit funkelnd glänzenden Metallhüllen und einer schier unzählbaren Ansammlung von Türmen und Modulen taten sich vor ihm auf. Hunderte monumentale Stahlkolosse hingen über dem Planeten wie an unsichtbaren Ketten aufgehängt und zwischen ihren gewaltigen Abzweigungen bewegten sich tausende Raumschiffe in den verschiedensten Grössen wie kleine Insekten zwischen himmelstrotzenden Bäumen in einem Wald hin und her. Der wie üblich geschäftige Raumverkehr von Pendlerschiffen, Transportern und Konstruktionsfähren zwischen den riesenhaften Gliedern der Orbital-Plattformen und in den weitverzweigten, künstlich angelegten Strassenschlachten brauchte Omnios nicht zu kümmern. Sein angesteuertes Ziel war eine ganz spezifische der vielen verwobenen Raumstationen, der altehrwürdige Sitz seines Hauses, die Aplistos Orbital-Residenz, welche sich im Zentrum von acht ausnehmend grossen, an Diskusse erinnernden Schiffswerften befand. Jenes Gebilde war ein langsam aber gleichmässig rotierender, goldig schimmernder, halbrunder Palast, genannt „Der Himmelsdom“, mit vielen abzweigenden Türmen und Erkern. Die Zivil-Bauten der Jupiteraner waren im Gegensatz zum kalten dunkelgrau der Werften und Militärinstallationen mit einem matten Goldton versehen worden, welcher einen Hauch von Luxus vermitteln sollte und nebenbei den Effekt erzielen sollte, dass irritierenden Reflektionen der Sonnenstrahlen entgegen gewirkt wurde. Der goldene Farbton wirkte dadurch auch unaufdringlich. Gold bedeutete den Jupiteranern alles, sowohl die Farbe als auch das Edelmetall standen bei ihnen im allerhöchsten Ansehen. Gold stellte in seiner Reinheit sowohl die Macht der Götter als auch der Sonne dar und stand als bezeichnendes Symbol für die uralte Dynastie der Aplistos-Herrscher. Die Menschen der alten Erde hatten vor Jahrtausenden begonnen, sich über das komplette Sonnensystem und sogar noch darüber hinaus auszubreiten. Da der Jupiter keine feste Oberfläche besass, auf welcher bewohnbare Strukturen angelegt werden konnten, hatte man stattdessen ein komplexes Netzwerk aus Raumstationen rund um den Planeten errichtet, welche den Planeten konstant auf immerwährenden Bahnen umkreisten. In den vielen Äonen war dieses Netz soweit angewachsen, dass es nun mehrere Male die Masse der alten Erde in sich vereinte. Die als besonders steril und emotionslos geltenden Jupiteraner hatten sich in dem ganzen bekannten Universum einen Namen als begnadete Raumschiff-Konstrukteure gemacht, was dazu führte, dass die verschiedenen Welten zunehmend ihre Raumschiffe auf dem Jupiter erbauen und nachrüsten liessen. Schätzungen der Erdflotte zufolge sind rund neunzig Prozent aller verwendeten Raumschiffe im Sonnensystem vom jupiteranischen Stapel gelaufen. Die herrschende Aplistos-Dynastie ging auf die ersten Raumfahrer zurück, welche den Jupiter zuerst Mitte des 22. Jahrhunderts erreichten hatten und welche ihn in die wirtschaftliche und militärische Supermacht verwandelten, welche er in der aktuellen Epoche darstellte. Nun, nach all der vielen getanen Arbeit, ruhten sich die Jupiteraner dennoch nicht aus. Sie arbeiteten auf Hochtouren an einer Methode, die Reisen durch den Hyperraum, einer neu entdeckten, alternativen Dimension, welche sich für überlichtschnelle Reisen eignete, zu perfektionieren. Es gab zwar schon seit langem Raumschiffe, welche in der Lage waren, den interstellaren Raum zu durchqueren, aber die meisten waren entweder viele Generationen unterwegs oder schwierig zu navigieren, und nicht wenige mutige Weltraumreisende sind im Laufe der Zeit im All verschollen. Das ganz grosse Problem bei den Reisen durch den Hyperraum war, den Endpunkt richtig kalkulieren zu können. Das bekannte Universum machte nur einen kleinen Teil des Hyperraums aus, daher bestand ständig die Gefahr, durch ungenau berechnete Reisen am anderen Ende der Galaxis oder sogar in fremden Galaxien anzukommen. Die Unverlässlichkeit der gängigen Hyperraumnavigationssysteme hatte dazu geführt, dass die meisten Flotten weiterhin auf viel langsamere, aber wesentlich sichere, konventionellere Antriebsmethoden wie das antike Staustrahltriebwerk setzten. Der Gebieter des Jupiters hingegen war von der Effektivität und Überlegenheit des Hyperantriebs überzogen und investierte Unsummen, um einen Navigationscomputer entwickeln zu lassen, welcher die Antriebsmethode ergiebig und sicher machen sollte. In der Tat konnten die traditionellen Antriebe mit der hochmodernen Technologie in Sachen Distanz und Geschwindigkeit bei weitem nicht mithalten. Wer eine mit Hyperantrieben bestückte Flotte zur Verfügung hätte, könnte urplötzlich hinter den feindlichen Linien auftauchen und einen alles verwüstenden Militärschlag ausführen. Natürlich war niemand kühn genug, um im Falle eines Berechnungsfehlers den Verlust von vollständigen, enorm kostspieligen Flotten hinnehmen zu können. Man stelle sich eine Armada vor, welche anstatt bei ihrem Zielpunkt in der Sonne landet oder im Ereignishorizont des Schwarzen Loches in der Mitte der Milchstrasse. Trotz dem Vorhandensein von sehr fortschrittlichen Antimaterieantrieben und dem potenziell hocheffizienten Hyperantrieb war dennoch der Gebrauch von klassischeren Methoden immer noch am weitesten verbreitet. Die Menschen hatten vor Jahrtausenden mit archaischen Antrieben wie Photonenraketen, Sonnensegeln und „Treibstofflosen“ Staustrahltriebwerken das gesamte Sonnensystem sowie die umliegenden Systeme besiedelt. Der Baron bewunderte die Pionierleistungen der alten Raumfahrer und empfand als Kind eine tiefe, fast schon sakrale Ehrfurcht vor dem gepflegten und restaurierten Raumschiff der ersten Ankömmlinge auf dem Jupiter, welches er oft im Museum bestaunt hatte. Für moderne Verhältnisse war es ausgesprochen klein und eng gewesen und bot nur Platz für etwa dreihundert Passagiere. Das antike Sternenschiff hatte mit einem grossen Magnettrichter geladene Teilchen aus dem interstellaren Medium gesammelt und diese dann in einem Reaktor in Treibstoff umgewandelt. Wie wagemutig mussten die Menschen damals nur gewesen sein! Er driftete mit den Gedanken ab. Also rief er sich wieder in die Gegenwart zurück. Was für einen anmutigen Anblick musste Omnios privates Raumschiff, die an eine antike Galeere erinnernde „Walküre“ bei ihrer Ankunft nur geboten haben! Wie ein erhabener Adler der sein Nest auf einer steilen Bergspitze errichtet hatte und nach einer erfolgreichen Jagd zurückkehrte, suchte die „Walküre“ ihren Landepunkt in einem Bereich nahe der Spitze des Himmelsdoms. Vier unbemannte, von Maschinen gesteuerte Jagdmaschinen begleiteten die „Walküre“ ebenfalls als Geleitschwadron, hielten jedoch immer einen sicheren Abstand, um einem Zusammenstoss oder einem möglichen Verkeilen vorzubeugen. Dem organischen Piloten in dem Cockpit über Omnios Kammer lief derweil der blanke, kalte Schweiss hinunter. Das Cockpit war ein enger, ovaler Raum und eigentlich für biomechanische Piloten gedacht. Der in der Mitte befindliche, einem grossen ausgehöhlten Schildkrötenpanzer entsprechende Steuersessel war unverrückbar in den Boden eingelassen worden. Im Notfall hätte der kleine Raum auch mit Nährflüssigkeiten gefühlt werden können. Der klobige Raumanzug des Piloten hatte sich, kurz nachdem dieser Platz genommen hatte, durch Steckanschlüsse mit dem Sitz verbunden, um dem Steuermann einerseits besser vor Erschütterungen Schutz zu bieten und um ihn andererseits durch die Nervenanschlüsse stets über den jeweiligen Status des Schiffes zu informieren. Links und rechts neben dem Steuerfenster liefen überall holographische Darstellungen auf Datenbahnen ab, welche exakte Angaben über die verbleibende Treibstoffmenge sowie über die Schildenergie bis hin zu den fein abgestimmten Einstellungen der Lebenserhaltungssysteme wiedergaben und konstant aktualisiert wurden. Der Cockpitraum war eigentlich dunkel und wurde nur von den aufleuchtenden Darstellungen schwach beleuchtet. Die schiere Menge an Informationen, mit denen der Pilot ständig überfluteten wurde, war nur schwer zu ertragen. Doch heute kam noch eine weitere Erregung zu dem alltäglichen Stress hinzu. Der Pilot blickte sichtlich verzweifelt unzählige Male auf die komplizierte und nur schwer zu entziffernde, holographische Karte, welche die Verteidigungslinien der Palastanlage wiedergab. Würde ihm auch nur der geringste Fehler passieren, würde der Alarm ausgelöst werden und die Selbstschussanlagen das sofortige Dauerfeuer eröffnen. Die unmittelbar abgefeuerten, zielsuchenden und panzerbrechenden Raketen würden das Shuttle treffen, bevor die schützenden Schilde hochgefahren werden könnten und ihn und den Baron in Stücke zerreissen. Als angesehener und geachteter Adeliger eines der reichsten Häuser könnte man den Baron vielleicht klonen oder Stücke seiner Leiche aus dem All bergen und sie kostspielig in einer der auf den neuesten Stand gebrachten Medizinanlagen auf dem Mond Europa wieder rekonstruieren lassen, aber ihn, einen einfachen Raumschiffführer? Er war nur ein gewöhnlicher Mann und besass nicht das nötige Geld, um sich Klonen oder aufwendige Wiederherstellungsprozeduren leisten zu können. Er war entbehrlich. Oder würde der Baron ihn möglicherweise doch in das Leben zurückholen? Glücklicherweise hatte er sich in vielen Jahren als überaus vertrauenswürdig und loyal erwiesen, daher bevorzugte ihn Omnios, sogar noch vor biomechanischen und Roboter-Piloten, welche speziell für ihre Funktionszwecke gezüchtet bzw. gebaut wurden. Insgeheim schien der Adelige zu befürchten, dass es seinen Gegnern einstmals gelingen könnte, die künstlichen Piloten umzuprogrammieren oder anderweitig zu manipulieren. Vielleicht war er ihm so sehr von Nutzen, dass sein Herr Vorkehrungen getroffen hatte? Hatte der Baron insgeheim womöglich auch seine genetischen Codes irgendwo einlagern lassen? Der Pilot versuchte die unangenehmen Gedanken wegzudrängen und sich völlig auf den kurz bevorstehenden Anflug zu konzentrieren. Als Sicherheitsmassnahme ordnete eine künstliche Intelligenz die Peripherie des Himmelsdoms permanent neu an, um niemandem ausser speziell befugtem Personal und geladenen Gästen Zugriff zu der Privatresidenz des Barons zu bieten.

„Hier Walküre. Wiederhole, hier Walküre! Erbitten Landeerlaubnis im Privathangar des Barons! Wir haben den Baron höchst selbst sowie eine wertvolle, unbezahlbare Fracht an Bord! Übermittle jetzt den Code!“

Die Antwort liess nicht lange auf sich warten:

„Hier Aplistos Residenz. Code wurde bestätigt, Landeerlaubnis erteilt! Bitte sehen sie sich vor dem vollautomatischen Verteidigungssystem vor und halten Sie den vorgegebenen Mindestabstand ein!“

„Habe verstanden. Bereite alles für die Landung vor. Danke!“, ächzte der Pilot erleichtert zurück.

Die kleineren Begleitschiffe fielen nicht zurück. Ausserstande sich wie das grosse Mutterschiff genügend schnell abzubremsen, schossen sie rapide weiter. Die einem artifiziellen Vogelschwarm gleichende Begleitschwadron löste ihre Formation auf und nahm Kurs auf zwei kleinere, weiter weg liegende Hangars, um sich dort auftanken und warten zu lassen. Der Pilot landete das stromlinienförmige Schiff jenseits der Peripherie der eingezeichneten Verteidigungslinien in einer mit edlen Ornamenten verkleideten Hangar-Bucht. Ein tiefer Seufzer der Erleichterung entrang sich dem sichtlich gestressten Piloten, als sich das Geräusch der befreienden Andockklammern durch ein lautes, dumpfes Rumpeln bemerkbar machte. Mit einem knackenden Geräusch lösten sich die Anschraubventile und Anschlüsse und der Sessel wurde durch eine Öffnung nach unten durch den Boden gefahren. Schliesslich erhob sich der Pilot und bewegte sich mit dem steifen Widerwillen eines Mannes, der zum Schafott geführt wird, durch das Shuttle. Seine Beine wirkten steif, er hatte zulange dagesessen. Vielleicht lag es aber auch an seiner stressbedingten Anspannung. Überprüfend sah er sich im Durchgang noch einige der Anzeigen der vielen, im Schiff verteilten Konsolen an, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war. Danach schritt er eine breite Treppe hinunter und öffnete vorsichtig die Schleuse zum Passagierquartier:

„Herr, wir sind an unserem Zielort eingetroffen! Ich vermelde: keine aussergewöhnlichen Vorfälle!“

Die Unterwürfigkeit in seinen Worten war unüberhörbar. Während die Worte seine Lippen verliessen, hatte er eine Position tiefster Verbeugung eingenommen (was ihm aufgrund seines schweren Raumanzuges einiges Unbehagen bereitete), als er Omnios Kabine betreten hatte.

„Gut gemacht, Pilot.“, Omnios starrte mit verschränkten Armen weiterhin aus dem Aussichtsfenster und würdigte ihn keines Blickes, obgleich ein Hauch von Dankbarkeit in seiner Stimme lag.

„Veranlassen Sie umgehend, dass meine kostbare Fracht entladen wird!“, fügte er befehlend hinzu.

„Jawohl, Herr!“, die Antwort klang übertrieben unterwürfig und gezwungen.

Omnios beendete seine Überlegungen und wandte sich um. Danach schritt er festen Schrittes aus dem Raum und den länglichen Korridor hinunter. Er ging an dem goldigen Abbild eines Adlers, der den Planeten Jupiter in den Krallen hält und bedrohlich seine Flügel ausstreckt, dem Wappen seiner Familie, vorbei. Am Ende des Korridors wurde er von zwei Lykanthropen Leibwächtern – übermannsgrossen, anthropomorphen Wolfswesen, welche weithin als Wachen und Soldaten Einsatz finden - erwartet, welche sich seinem Befehl entsprechend während der Reise im hinteren Teil des Raumschiffes aufgehalten hatten. Ihre Felle waren kurz und schwarzgräulich, ihre Augen auf ausdrücklichen Wunsch des Barons hin per Genmanipulation dunkelgrün augmentiert worden. Sämtliche Eigenschaften und Fähigkeiten waren in Detail von jupiteranischen Gentechnikern auf Geheiss ihres Herrn geplant und ausgesucht worden. Die Lykanthropen wurden zu den Neoanthropoden, zu den „Neuen Menschenartigen“, gezählt. Dabei handelte es sich um verschiedene, auf künstlichem Weg für vielseitigste Einsatzzwecke entworfene Kreaturen, welche jedoch grundlegende menschliche Eigenschaften wie hohe Intelligenz, Sprache und aufrechtes Gehen beibehalten haben, obwohl es auch vierbeinige Neoanthropoden als Reittiere gab. Alles in allem handelte es sich eigentlich um Menschen mit tierischen Eigenschaften. Diese Wesen wurden zum allerersten Mal auf dem Jupiter geschaffen und wurden auch dort in der höchsten Anzahl unter der Schirmherrschaft des jupiteranischen Adels gezüchtet. Auf eine bizarre Art und Weise stellte Onmnios also den Vater dieser fremdartigen Wesen dar. Obwohl es ein unausgesprochenes Wort war, sahen seine absonderlichen „Kinder“ in ihm tatsächlich eine Art Vaterfigur. Sie verdankten ihm ihre artifiziell herbeigeführte Existenz und den höheren Rang gegenüber gewöhnlichen, niederen Lykanthropen. Da war tiefe Dankbarkeit in ihnen, welche sie ihrem Schöpfer zeigten, indem sie ihm gegenüber umso loyaler waren. Beide Lykanthropen trugen vergoldete Körperpanzer und salutierten vor dem Baron. Daneben warteten zwei weitere, kleinere, kapuzineraffenartige Geschöpfe, welche am ehesten mit Butlern von der alten Erde vergleichbar waren. Diese ebenfalls speziell für Omnios gezüchteten Neoanthropoden dienten ihrem Herrn als treue Kammerdiener und kümmerten sich um intime, persönliche Angelegenheiten des Barons. Sie servierten, falls gewünscht, Speisen und Getränke, kümmerten sich um seine Wäsche und um sein Gepäck und waren geradezu zwanghaft verschwiegen über alles, was sie während ihren Tätigkeiten mithörten und sahen. Generell entstammten alle Lykanthropen und Neoanthropoden einem streng geheim gehaltenen Genlabor vom Jupitermond Ganymed und zeichneten sich unter anderem durch ihre körperliche Widerstandsfähigkeit gegenüber hoher Gravitation aus, sowie durch verbesserte Regenerationsfähigkeiten, erhöhte Lungenkapazität, aussergewöhnlich starke Kreislaufsysteme und eine wesentlich gesteigerte, geradezu suizidale Gehorsamkeit gegenüber ihrem Herrn aus. Omnios nahm stillschweigend ihre Anwesenheit zur Kenntnis. Ohne ein Wort zu verlieren, ging die kleine Gruppe weiter zur dicht verschlossenen Luftschleuse. Diese öffnete sich mit einem lauten, zischenden Pfeifen und Omnios wandelte die angrenzende Rampe runter, welche sich automatisch vor ihm aufgetan hatte. Sein Begrüssungs-Komitee bestand aus etwa einhundert strammstehenden, menschlichen Soldaten und einer Handvoll privater Diener und Berater, darunter der persönliche Adjutant des Barons, Similis Symvoulos, der seine Ankunft sehnlichst herbeigesehnt hatte und nun, nachdem alles glatt nach Plan verlaufen war, sichtlich erleichtert war. Similis wusch sich eine die Stirn herunterrinnende Schweissperle mit dem Handrücken ab.

„Ich begrüsse Euch auf das wärmste, mein Herr! Vergebt mir, aber da ist eine überaus dringende Übertragung für Euch. Offenbar darf sie nur Euch höchst selbst übermittelt werden. Ich habe sie in Euer Arbeitszimmer verlegen lassen! Aber bitte sagt zuerst: wie sind Eure Reisen verlaufen? Ich hoffe doch zufriedenstellend?“

„Besser als geahnt, mein lieber Symvoulos.“, gab der Herrscher knapp zu Antwort.

„Es ist mir gelungen, mir einige ausgesprochen kostbare Schätze anzueignen!“

Der Adelige liess sich von zwei Lykanthropen -Dienern seinen schweren, an den die Hopliten der alten Erde erinnernden Helm und den schweren Mantel aus gewobenem Kevlar abnehmen. Das Ablegen des Mantels gab die golden verzierte, im altgriechischen Stil gehaltene Panzerrüstung frei, welche sich die ganze Zeit schon unter seinem Gewand befunden hatte. Obwohl diese Rüstung primär seiner Sicherheit diente, ähnelte sie nicht ungefähr antiker Erdenbekleidung. Er verehrte die alten Erdenvölker abgöttisch und sah sich selber in der Nachfolge der Autokraten des alten Griechenlandes. Symvoulos sah ihn an. Seine sonst schon überlebensgrosse, muskulöse Gestalt wirkte jetzt noch imposanter. Seine tiefblauen, berechnenden Augen strahlten förmlich vor lauter Tatendrang. Es war der Tatendrang eines Mannes, der sich zum Herrscher über die Menschheit bestimmt sah. Omnios Gesicht war auffällig emotionslos und kantig, seine Haare weiss wie Schnee wie bei den meisten Mitgliedern seiner Familie.

„Wie fühlt Ihr Euch, Herr?“

„Gut, gut. Danke, mein lieber Symvoulos. Ich habe auf dem Mond der Erde bei einer Auktion ein Kleinod sowie eine wunderbare Statue von dem alten Erdenkaiser Napoleon Bonaparte erworben. Wusstest du, dass er an über sechzig Schlachten teilgenommen hat? Behalte im Hinterkopf, dass er aus einer Zeit stammte, als die Menschen noch nicht genetisch augmentiert werden konnten und sie daher nur sehr kurze Lebensspannen hatten, was seinen Ruhm noch weiter ansteigen lässt und ihn nur noch beeindruckender erscheinen lässt.“

„Aber hat er denn nicht am Ende verloren?“, fragte der Adjutant etwas verhalten.

„Das soll uns egal sein. Sein späterer Niedergang bei Waterloo ändert nichts an seinem militärischen Genie und seinen Glanzleistungen. Er ist und bleibt ein durch und durch brillanter Stratege.“

Symvoulos teilte das Interesse des Barons an historischen Epochen nicht, daher wechselte er das Thema. Der Baron bemerkte seine geistige Abwesenheit und kam ihm zuvor.

„Gibt es sonst noch irgendwelche wichtigen Neuigkeiten oder unerledigte Dinge? Nein? Ach ja, die angesprochene Nachricht, welche nur für mich direkt bestimmt ist. Nun gut, dann werde ich mich der Sache annehmen! Ah, da ist noch etwas! Lass doch bitte diese kostbare, unersetzliche Statue in meine persönlichen Gemächer schaffen. Schreiten wir also munter zur Tat!“

Der Baron setzte sich in Bewegung und verliess den Hangar. Symvoulos eilte mitsamt einigen rangniederen Bediensteten seinem Herrn nach. So kam es, dass Omnios, hoher Gebieter des Jupiters, mit einer ganzen Menge von Dienern, Beratern und Wachen im Schlepptau zu seinem Arbeitszimmer marschierte. Er betrachtete die wunderbar blau angemalten Wände und die irrsinnig kostbaren Kunstschätze und Artefakte, welche in Reih und Glied überall auf fein beleuchteten Podesten aufgestellt waren. In der Mittel der Wendeltreppe vor seinem Arbeitszimmer befand sich ein Replikat einer alten Erdenstatue, welche einen der Titanen, den gestirnstützenden Atlas, darstellte, wie er die Erde auf seinem Rücken trug. Die Gruppe eilte rasch hinter ihrem Herrn die mit roten Teppichen verkleideten Treppenstufen hinauf. In seinem Arbeitszimmer angekommen liess sich der Adelige in einen grossen Sessel fallen. Seine Augen wanderten durch den Raum. Der weitläufige Raum war mit edlen Marmorwänden verkleidet worden und mit unvorstellbar kostbaren Schätzen übersät. Er betrachtete unbeschwert eine Zeit lang seine edlen Besitztümer. Eine antike Statue von der alten Erde stand neben dem schweren Holztisch, welche den antiken König Leonidas I. von Sparta repräsentierte, angeblich einen der mythischen Stammväter des Hauses Aplistos. Jeder erstmals ankommende Gast musste von der verschwenderischen Pracht förmlich überwältigt werden. Er seufzte. Sein Reichtum überstieg das Bruttosozialprodukt von vielen Planeten. Trotzdem war da etwas in ihm, ein tief empfundenes Gefühl für noch höheres bestimmt zu sein. Eine Weile hielt er inne und dachte nach. Danach fuhr er mit seiner Hand über ein holographisches Berührfeld. Symvoulos winkte rasch alle übrigen Begleiter des Barons aus dem Raum, kurz bevor der immens teure Holoprojektor mit einem leisen Surren ansprang. Nur Sekunden später erschien das dreidimensionale, jedoch auf ein Fünftel der Lebensgrösse reduzierte Abbild eines hageren Mannes in einem schwarzen Anzug mit einem ausgenommen spitzigen Kinn und einem mehr als bekümmerten Blick. Stumm verneigte sich die Gestalt, wie es seit Jahrtausenden die Sitte der Niedrigstehenden war:

„Verehrter Baron Omnios, Herr des Jupiters, ich grüsse Euch mit tiefstem Respekt. Mein Name ist Lapis Nendo, ich bin Notar und habe die traurige Nachricht Euch über das vorzeitige Ableben Eures seligen Cousins, des Grossherzogs Kaitman Nebulon vom Saturn, in Kenntnis zu setzen.“

Omnios liess sein Gesicht in die Hände sinken. „Grosser Gott! Was ist nur geschehen?“

Nendo räusperte sich und fuhr sichtlich betroffen fort: „Er hat offenbar ohne irgendwelche äussere Anzeichen zu zeigen, urplötzlich den Verstand verloren und seine Familie im Schlaf ermordet. Danach hat er die Leichen durch industrielle Säuren chemisch aufgelöst und sich selber in einen Hochofen gestürzt, welcher zum Schmelzen von Metallen mit hohen Siedepunkten gedacht war. Das anwesende, tief verstörte Personal wagte es nicht, sich ihm dabei in den Weg zu stellen.“

„Ja.“, dachte Omnios. „Sie haben ihn wirklich nicht aufgehalten, weil sie die ganze Zeit in Wahrheit in meinen Diensten standen und angewiesen worden waren, sich seinem Wahn nicht in den Weg zu stellen.“

„Er hat ebenfalls die Klonkammern zerstört und das Medizinlabor in die Luft gesprengt. Dabei sind leider alle in den Genarchiven gespeicherten Proben der Familie vernichtet worden. Die nachfolgenden Brände taten ihr Übriges und löschten alles verbliebene Erbmaterial aus. Es können daher keine neuen Abkömmlinge der Nebulon-Erblinie geschaffen werden. Diese Linie ist nun leider offiziell für alle Zeiten erloschen.“

Omnios hatte Mühe, sein allzu breites Grinsen hinter den Händen zu verbergen. Er war es nämlich gewesen, der eine Attentäter-Truppe in den Haushalt seines Cousins eingeschmuggelt hatte und diesen nach und nach mit psychogenen Drogen vergiften lassen hatte. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass es länger dauern würde, bis er sich die ganze Familie vom Halse geschafft hätte, aber der Umstand, dass Cousin Kaitman im Wahn alle seine Kinder auf einmal ausgelöscht hatte, kam ihm nun nur allzu gelegen. Dieser Faktor ersparte ihm viel Arbeit. Im Handumdrehen beendete dieses Element weiteres, monatelanges Planen und neue Angriffe aus dem Dunkeln. Gut.

„Wie überaus tragisch. Nun ja, er ist ja immer schon etwas neurotisch gewesen. Traurig, traurig was ihm und seiner liebenswerten Familie da zugestossen ist. Ich werde sofort eine dreitägige Trauerzeit für alle Schiffswerften und Orbitalstädte anordnen lassen.“

Omnios sagte dies in einem so gekünstelten Ton, dass er sich selber niemals die Rolle des Trauernden Vetters abgenommen hätte. Nendo gab stumm nickend seine Zustimmung.

„Vergebt mir, Herr. Da ist noch mehr: ich war nicht nur ein persönlicher Freund des Herzogs, sondern auch sein am Ende waltender, persönlicher Notar. Obwohl dies für Euch schwere Stunden sind, muss ich Euch leider jetzt den letzten Willen des Herzogs unterbreiten. So verlangt es das Testament.“

In Omnios Augen flammte pure Gier auf. Endlich kam der Augenblick, für den er all diese verachtenswerte Akte begangen hatte. Nendo hüstelte etwas, bevor er fortfuhr:

„Euer Cousin hat Euch alles hinterlassen, praktisch den ganzen Saturn. Ihr erbt ebenfalls alle seine Titel und sein nicht unbeträchtliches Privatvermögen sowie alle Raffinerien und sogar die Monde und die dazugehörigen Mondstädte des Saturns. Seltsamerweise hat er schriftlich offenbar ein Klonen von sich selber oder seiner Familie strikt abgelehnt. Eigenartig… Eine Rekonstruktion war ja - wie bereits gesagt - nach der Zerstörung der Leichen sowieso auch nicht mehr möglich. Also erledigt sich dieser Part des letzten Willens von selber.“

Omnios war klar, wie kühl und gespielt theatralisch seine Reaktion bisher war. Um es nicht um Äussersten kommen zu lassen, zog Omnios eine kleine Show ab: er warf dramatisch seinen Arm über sein Gesicht und sprach mit einer wimmernden Stimme. „Oh tiefer Schmerz! Vergeben Sie mir, aber ich muss mich in meine Gemächer zurückziehen, um meine Trauer bewältigen zu können! Bitte veranlassen Sie umgehend, dass das Testament sofort ausgeführt wird. Mein geliebter Cousin soll auch noch im Tode seinen letzten Willen bekommen!“

Nendo verneigte sich und die Übertragung endete. Omnios brach in schallendes Gelächter aus. Selbst die Lykanthropen -Wächter und sein Adjutant zuckten bei dem seltenen Ereignis seines Lachens zusammen. Endlich war der verhasste Nebenbuhler beseitigt worden. Kaitman Nebulon war besiegt. Er streckte die Arme aus und wandte sich mit weit ausgestreckten Armen gegen die hohe Decke des Raumes. Eine Siegerpose. Nach einer Weile drehte er sich in Richtung des durch die Ereignisse etwas eingeschüchterten Symvoulos:

„Symvoulos, verdopple die Belohnung meiner Attentäter! Sie haben eine allermeistgeniale Arbeit vollbracht! Alle zwölf Mitglieder der Nebulon-Linie auf einen Schlag vernichtet! Der Idiot hat den Verstand verloren und seine eigene Sippe für mich entsorgt. Ha.“

„Bitte lasst mich der erste sein, der Euch gratuliert, mein Herr! Gebieter über den gewaltigen Jupiter und jetzt auch Souverän des mächtigen Saturns! Sie sind jetzt tatsächlich der Meister der Gasplaneten!“, er machte eine unterwürfige Geste und neigte das Haupt, um seinem Herrn zu huldigen.

„Nicht ganz, mein lieber Symvoulos, der Uranus und der Neptun gehören mir noch nicht. Aber mach dir keine Sorgen, ich arbeite bereits daran, die Kontrolle über beide Welten zu erlangen.“

Symvoulos blickte ihn ungläubig an. „Aber wie? Der Uranus hat kein Herrscherhaus sondern ist eine Republik und die Neptunier sind aggressive Isolationisten. Kein Neptunier würde freiwillig einen Herrscher vom Jupiter akzeptieren.“

„Das lass meine Sorge sein. Die Neptunier werden seit Jahren von mehreren Firmen ausgeplündert. Ich werde sie auf meine Seite bringen, indem ich sie mit Waffen und dem Versprechen auf (relative) Selbstbestimmung ausstatten werde. Was den Mars und den Uranus angeht: ich werde diese beiden Welten durch Waffengewalt bezwingen müssen. Der Mars und der Uranus haben jedoch Vorrang!“

Symvoulos wich etwas zurück. „Waffengewalt? Wie denn? Meint Ihr durch unsere nicht unbeträchtliche Menge an hochmodernen Kriegsschiffen?“

Omnios blickte ihn herabwürdigend an. Der darauffolgende Ton tadelte ihn. „Nein, du Narr. Ich habe nicht vor, diese Welten zu verwüsten. Meine Flotte ist zwar die grösste im Sonnensystem und über alle Massen waffenstrotzend, aber ein militärischer Gross-Angriff auf den Uranus und den Mars würde genau das Gegenteil bewirken, von dem was ich bezwecke. Zwei verwüstete Welten und unglaubliche Unkosten. Am Ende würden die Verluste meine Gewinne deutlich überwiegen. Daneben würden sich die anderen Welten gegen mich verbünden und könnten mich dabei in arge Bedrängnis bringen. Nein, ich brauche beide Welten möglichst intakt. Leider habe ich keine Verwandten auf diesen Welten, denen ein schreckliches Unglück zu Leibe rücken könnte. Hier ist eher die antike Kunst der Strategie gefragt. Ich werde deshalb die Prinzessin des Mars entführen lassen.“

Auf Symvoulos Gesicht vermischten sich Schrecken und Ratlosigkeit.

„Was? Vergebt mir die Frage, aber was genau habt Ihr vor?“

„Es ist simpel. König Okorimashita Endoxa vom Mars ist ein altersschwacher Trottel. Er hält sich nach wie vor für den jungen, vor Kräfte strotzenden Krieger, der er in jungen Jahren einmal war. Die Wahrheit ist, dass er abgehalftert ist, daran ändern auch seine angeblich mystischen, wiederbelebenden Bäder, die Gebete der Tanvedra-Bruderschaft und die genetischen Augmentationen nichts. Seit eintausend Jahren hat er kein militärisches Glanzstück mehr vollbracht.“

Der Berater wusste sich auf die behaupteten Zusammenhänge keinen Reim zu machen. „Aber was hat das damit zu tun, dass Ihr die junge Tochter von Okorimashita, Prinzessin Omorfo entführen wollt? Vergebt mir meinen Zweifel, aber ich verstehe beim besten Willen nicht, was Ihr damit zu erreichen hofft.“

Die scheinbare Begriffsstutzigkeit seines Assistenten nervte Omnios zunehmend.

„Der kriegerische Planet Mars ist einer der grössten und auch besten Produzenten von Waffen in der uns bekannten Galaxis. Unsere eigenen Wachen tragen teilweise Plasmagewehre und Uranpistolen, welche der Produktionspalette des Mars entstammen. Viele unserer Kriegsschiffe verwenden marsianische Raketen und Bomben. Die Marsianer sind zwar unkultivierte Barbaren, aber sie verstehen ihr Handwerk. Wenn ich über den Mars herrsche, besitze ich nicht nur die grösste Flotte des Sonnensystems, ich verfüge auch noch über die grossen marsianischen Waffenfabriken der roten Städte und brauche nur noch die gewaltigen Genlabore des Uranus zu erobern, um meine Armee mit nahezu unbegrenzter Mannesstärke kontinuierlich versorgen zu können. Ich arbeite übrigens simultan daran, mir sowohl den Uranus als auch den Neptun einzuverleiben. Verstehst du nun worum es hier wirklich geht? Ich möchte die konstante, bestmöglichste Versorgung meines Militärs sicherstellen.“

Obwohl es ihm sichtlich widerstrebte und er die Antwort fürchtete, stellte Symvoulos dennoch seine nächste Frage.

„Aber wir haben doch bereits schon eine Riesenarmee und eine übermächtige Flotte. Wozu brauchen wir noch mehr Waffen und noch mehr Soldaten? Wir haben mehrere Genlabore und Zuchtanlagen auf Europa, Io und Ganymed, wo zum Beispiel eure treuen Leibwächter kreiert worden sind.“

Omnios legte seine Hände langsam auf den vor ihm stehenden Tisch und atmete schwer aus. Es klang wie ein heruntergeschluckter Seufzer.

„Was meinst du, warum ich den Saturn wollte? Um mich in einer affektierten Laune als „Herr der Gaswelten“ ansprechen zu lassen? Nein! Ich wollte den Saturn wegen seiner Treibstoff-Raffinieranlagen und seinem strategischen Wert. Stell dir vor, dass ich dazu noch den Mars, den Uranus und den Neptun beherrsche: die stellare Liga müsste sich mir absolut beugen und schlimmer noch: sie wären gezwungen ihre Waffen und Raumschiffe bei mir zu kaufen, ebenso wie ihren Treibstoff und ihre Soldaten. Ausserdem kann ich nachher durch die Kontrolle der Treibstoffversorgung diktieren, wer wann wie wohin reist. Kannst du dir eine schlimmere Erniedrigung vorstellen? Was den Saturn angeht, meine eigene Mutter war eine der Töchter des alten Herzogs des Saturns, ich nehme also nur mein Geburtsrecht war.“

„Uh-ha. Bitte vergebt mir, aber was hat das alles mit Prinzessin Omorfo und ihrem Vater zu tun?“

Omnios holte weiter aus.

„Da ist noch mehr, hab etwas Geduld. Politik ist, wie du weisst, ein komplexes Parkett voller Intrigen und Verwirrspiele. Laut meinen Spionen leidet Okorimashita unter einer seltenen, todbringenden Strahlenkrankheit, welche dazu führt, dass seine DNA Einzel- oder Doppelstrangbrüche erleidet. Die Ärzte können Ihn davon nicht heilen und sein Erbgut ist bereits sehr stark beschädigt. Wäre Okorimashita ein klassischer, nicht augmentierter Erdenmensch, wäre er bereits vor langer Zeit seiner fürchterlichen Krankheit erlegen. Aus marsianischer Eitelkeit hat er ebenfalls in seiner Jugend darauf verzichtet, genetisches Material oder Sperma einfrieren zu lassen. Okorimashita hat nur ein Kind, nur einen Erben: die bildschöne Omorfo und er kann wie bereits gesagt keine gesunden weiteren Nachkommen zeugen. Verliert er sie, verliert er diejenige, mit der seine Linie beginnt und endet. Um seine Tochter zurückzubekommen, muss er mir ein dementsprechend hohes Lösegeld zahlen. Okorimashita hat Omorfo stets mit Liebe und Geschenken überhäuft, jedem im Sonnensystem ist seine tiefe Zuneigung zu ihr wohlbekannt. Seine sentimentale Art und Weise wird den Zorn der Marsianer erregen, welche nicht verstehen werden, warum sich ihr stolzer König mir und meinen Forderungen beugen wird. Er wird als altersschwach und manipulierbar gelten, jeder kennt die Geschichten der Marsianer, die eher ihre Eltern oder Kinder opfern würden, um nur dem entsetzlichen Schicksal des Ehrenverlustes entgehen zu können. Okorimashitas emotionale Bindung wird in diesem Fall seine grösste Schwäche sein. Ich habe bereits dafür gesorgt, dass der nächste in der Thronwahl einer meiner Agenten ist, der durchlauchte Graf Sentis vom Nordpol des Planeten. Entweder stirbt Okorimashita ohne Nachfahren, was Sentis zum Thron verhelfen wird oder Okorimashita unterwirft sich mir und Sentis wird dadurch ebenfalls zum König des Mars. So oder so wird der Mars also in meine Hand übergehen. Ich erhalte so sogar noch einen Extrabonus in Form des Lösegeldes dazu.“

„Aber… Aber die stellare Liga wird… und was wird, wenn wir die Prinzessin wieder freigeben? Wird dann nicht sie Königin werden?“ stammelte Symvoulos sichtlich aufgebracht.

„Die stellare Liga mag von aussen stark und unbezwingbar wie eine mächtige alte Eiche wirken. In Wahrheit aber sind die Wurzeln dieses Baumes verrottet und verfault. Es braucht nur einen genügend starken Sturm und die Eiche wird umstürzen. Ich werde es sein, der diesen mächtigen Wirbelwind entfesseln wird. Was Omorfo angeht: sie wird niemals zurückkehren. Verstehst du, was ich meine?“

Er schlug mit der flachen Hand demonstrativ auf den Tisch. „Wir werden uns übrigens nicht zu erkennen geben. Alles wird völlig anonym ablaufen. Ich habe bereits veranlasst, dass die Prinzessin nach der Entführung auf eine kleine Basis im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter gebracht wird, zu einem berüchtigten, ehemaligen Versteck von Raumpiraten und anderem Gesindel. Nichts lässt sich zu uns zurückverfolgen.“

Omnios warf einen Blick auf die Statue von Leonidas, dem berühmten König von Sparta, welche sein Arbeitszimmer schmückte und neben seinem hölzernen, lackierten Tisch stand. Die Statue zeigte den antiken König, wie er seinen Schild vor sich hielt und die bekannte Kampfphalanx der Spartiaten einnahm. Die Kühnheit und der Wille, sich nicht dem mächtigen König Xerxes ergeben zu wollen, hatten ihn trotz seines Untergangs in der Schlacht bei den Thermopylen unsterblich werden lassen. Der Baron strich sanft, geradezu liebevoll mit einer Hand über die raue Oberfläche der Statue.

„Verstehst du? Ich werde gar nicht erst zulassen, dass meine Gegner eine wie auch immer geartete Chance gegen mich haben werden."

Symvoulos war offensichtlich beeindruckt von den Ausführungen seines Herrn.

„Das war eine über alle Massen beachtliche Ausführung, Herr."

„Nicht wahr? Aber leider gehen einem diese Dinge einfacher über die Lippen, als was man sie in der Realität in die Tat umsetzen kann. Die stellare Liga mag tödlich geschwächt und voller Degenerierter und Barbaren sein, sie stellt jedoch immer noch eine nicht zu unterschätzende Militärmacht dar, wenngleich sie es jetzt schon nicht mehr mit meiner Streitmacht in einem direkten Kampf aufnehmen könnte. Ich gehe streng davon aus, dass, falls es zwischen der stellaren Liga und meinem inoffiziellen Aplistos-Imperium zu einem blutigen Gefecht kommen würde, wir mühelos sehr schnell die Oberhand gewinnen würden. Auf jeden Soldaten der Liga kommen etwa tausend meiner Soldaten, auf jedes ihrer Kampfschiffe kommen hundert meiner eigenen. Jetzt, da ich den Saturn und dessen gewaltige Ressourcen und die titanenhaften Zuchtanlagen und Genlabore ebenfalls zu meinem erweiterten Reich zählen kann, kommen auf jeden Liga-Soldaten hunderttausend meiner Soldaten und auf jedes Liga-Kriegsschiff tausend Kriegsschiffe aus meiner verstärkten Flotte- man vergesse nicht meine neuen Grossschlachtschiffe und Riesenzerstörer, für welche die Liga gar keine Gegenstücke besitzt. Allerdings würden sie mit der Zeit zweifellos zu schmutzigen Guerilla-Taktiken greifen und versuchen, unsere Truppen zu verlustreichen Strassenschlachten zu zwingen, sowie mit Sprengstoffattentaten, Virenanschlägen und anderem Unbill uns in die Knie zu zwingen. Sie würden wohl ahnen, dass ich die Städte und Stellungen unbedingt intakt in Besitz nehmen möchte und daher auf planetare Bombardements mehrheitlich verzichten würde. Ich muss also die stellare Liga von innen her weitgehend soweit zerstören, so dass sie sich selber nicht mehr richtig mobilisieren und positionieren können und führerlos dahinsiechen, während ihre Truppen von den marschierenden Füssen meiner Armeen niedergetrampelt werden. Ich habe im geheimen dafür gesorgt, dass eine entwaffnende Pazifisten-Bewegung im Inneren der Liga Fuss gefasst hat, welche ebenfalls stark demoralisierende Wirkung entfalten wird und wie ein Krebsgeschwür wuchern und ihren Kampfeswillen untergraben wird. Hier sind meine weiteren Befehle: lass so schnell wie möglich meine Flagge auf dem Saturn hissen und veranlasse sofort die Integration der Saturn-Streitkräfte in meine eigenen. Lass ebenfalls alle alten, gelben Saturn-Uniformen vernichten. Ab sofort wird von dem Militär in meinem Reich nur noch die goldene Rüstung und der römisch-griechische Helm der Aplistos-Armee getragen, auch auf dem Saturn. Die niedrigen Offiziere werden unsere schwarzen und die höheren unsere grauen Uniformen tragen. Da ist noch etwas: ich benötige den Mond Titan für sagen wir einmal „private" Zwecke. Lass die Zivilisten von dem Mond umsiedeln und bitte umgehend meine besten Wissenschaftler, Architekten und Ingenieure sich bei mir einzufinden! Rasch, rasch, die Zeit eilt!"

Symvoulos machte mit der Hand eine unterwürfige Geste und machte sich sobald an die Arbeit.

„Wie Ihr wünscht, Herr. Es wird alles entsprechend Euren Wünschen ausgeführt werden."

Der Berater verliess mit gemischten Gefühlen den Raum, während sich sein Herr der holographischen Simulation einer alles in den Schatten stellenden Megastruktur unbekannter Herkunft zuwandte. Sie zeigte die komplexe, graphische Darstellung einer fremdartigen, scheinbar nicht von Menschenhand erbauten Struktur in einer wüsten Einöde.

„Bald, schon sehr bald.“, murmelte er, dann stellte er eine Leitung zu der Einsatzgruppe „Kobra“ her.

„Ja, Herr?“ es war eine hörbar mechanische Stimme, welche in dem Ton mitschwang.

„Beginnt mit der Operation „Sabra“! Tretet aus dem Schatten, in welchem ihr euch bisher verborgen habt! Meldet euch, wenn ihr die Mission erfolgreich ausgeführt habt! Vergesst nicht, die gefälschten, grünen Uniformen und Skeletthelme zu tragen!“

„Wie Ihr befiehlt, Herr!“ Die Stimme verstummte und der Baron war wieder alleine mit seinen Gedanken. Im Zwielicht der gedämpften Schwebelaternen sah sich Omnios nun bald am Ziel seiner lange gehegten Träume angekommen.

Autokrator Planetaris

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